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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1345–1347

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Florian

Titel/Untertitel:

»Nachfolge«. Zur Theologie Dietrich Bonhoeffers.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 439 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 138. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-56404-2.

Rezensent:

Reiner Andreas Neuschäfer

Nach wie vor ist die Nachfrage an Impulsen und Informationen rund um Dietrich Bonhoeffer ungebrochen. Ein beeindruckendes Indiz für deren Berechtigung stellt dieses Buch dar, das sich nachdrücklich mit der »Nachfolge« befasst und den Nachweis erbringt, inwieweit die Nachwelt von solchen Forschungen profitieren kann.
Auf weit über 400 Seiten befasst sich Florian Schmitz in seiner Kasseler Dissertation bei Tom Kleffmann (Zweitgutachten: Chris­tiane Tietz, Zürich) insbesondere mit Bonhoeffers Hauptwerk »Nachfolge«, ohne dessen andere Werke und sein Wirken zu vernachlässigen. Das Buch lässt sich daher nicht nur systematisch-theologisch, sondern auch kirchenhistorisch gewinnbringend durcharbeiten, zumal S. die Kontinuität und Einheitlichkeit der theologischen Aussagen Bonhoeffers nachweist. Von S.s Befund her ist es kaum nachzuvollziehen, dass die »Nachfolge« bislang eher stiefmütterlich behandelt wurde, obgleich sich bereits in ihr Bonhoeffers sämtliche später weiter ausgeprägte Gedanken zu Christsein, Kirche und Welt schon finden. Beispielsweise wurde »Kirche für andere« fälschlicherweise stets dem späten Bonhoeffer zugeordnet und dabei übersehen, dass dies sein theologisches Grundthema war und von der Kirchenkampfzeit her verstanden werden muss, zumal die eigentlichen Adressaten der »Nachfolge« die Pastoren der Bekennenden Kirche waren (255) und die theologische Kernfrage ekklesiologisch-eschatologisch motiviert ist: Wie kann die Gemeinde am Tag Jesu Christi bestehen? Bonhoeffers Antwort war zunächst im Duktus der Bergpredigt die »bessere Gerechtigkeit« bzw. die Forderung der Reinheit der christlichen Gemeinde.
Dennoch folgt S. seiner eigenen Prämisse, die »Nachfolge« zu­nächst nicht vom Ende des Lebens Bonhoeffers her zu lesen (215), sondern deren eigenen Duktus und thematischen Facettenreichtum zu würdigen. Nach einer knappen Einleitung (11–36) und einem 100-seitigen Kapitel zur Rechtfertigung (37–143) sowie einem zur Heiligung (144–264) kommt der längste und leidenschaftliche Ausklang der Arbeit mit der Frage nach dem »Ort der ›Nachfolge‹ in Bonhoeffers Denken und Werk« (265–402) und damit die Kategorie der Entwicklung zum Tragen. Der Ertrag und die Schlussbetrachtung sind auf zehn Seiten kompakt und kompetent dargestellt. Bei der berücksichtigten Literatur fällt positiv die Aufnahme rö­misch-katholischer und anglo-amerikanischer Studien auf. Jeder Ab­schnitt des lesefreundlich geschriebenen Buches führt in ein längeres Fazit, welches die jeweiligen Erkenntnisfortschritte festhält.
Das Buch hebt mit Bonhoeffer ganz im Sinne der Dialektischen Theologie die soziale Existenzform des Christseins als Kirche im »Dasein für Andere« gegenüber einem individuellen religiösen Bewusstsein à la Schleiermacher hervor. Vornehmlich zu den Anderen gehören für Bonhoeffer auch die Angehörigen des jüdischen Volkes, ohne dass er nicht für ein unbedingtes Festhalten an der Mission Israels plädieren würde (248 ff.).
Die sorgsame Studie bietet beachtliche begriffliche Klärungen und sorgfältige Differenzierungen, auch wenn die Arbeit in weiten Teilen Bonhoeffer mehr referiert als der Herkunft seiner Gedanken literarischer und spiritueller Couleur auf den Grund zu gehen. An manchen Stellen hätte das Nachgehen der Einflüsse von Mystik, Kirchenlied, Herrnhuter Frömmigkeit sowie pazifistischer Vorstellungen französisch-amerikanischer Spielart durchaus lohnend sein können.
Schön ist es, wie S. das Kirchenverständnis Bonhoeffers als eine bewusste Abkehr eines individualisierten Kirchenbegriffs als bloß religiöse Gemeinschaft herausarbeitet und die Gebundenheit der Nachfolge des Einzelnen an die Nachfolge der Kirche herausstellt (115–137). S. führt aus: »Bonhoeffer will die christliche Gemeinde nicht verstehen als die ›ideale‹ Gemeinde der Sündlosen und Vollkommenen«, nicht als die »Gemeinde der Reinen, die dem Sünder keinen Raum zur Buße mehr gibt« (N 285), vielmehr weiß er, dass auch in der von der Welt abgesonderten Gemeinde »noch ein Stück Welt in diesem Heiligtum« lebt (N 278) und dass die Absonderung von Kirche und Welt auch darum immer ein »fortwährende(r) Kampf« (N 283) sein wird (179). Einstellungen zum Verhältnis von Staat und Kirche deutet das Buch insbesondere von der Realität des Reiches Gottes her in Front zu gemäßigten Phantasien kompromissmöglicher Haltungen zur NS-Ideologie: »Von jener Phase, die ihren wirksamsten Ausdruck in der ›Nachfolge‹ findet, führt Bonhoeffers Weg in den politischen Widerstand des Einzelnen in der konkreten theologischen Gestalt der individuellen Verantwortung« (326, Hervorhebung im Original). Überwindung von Unrecht erfolgt also nicht durch eine theologische Einschätzung obrigkeitlichen Daseins oder Handelns, sondern durch eine im Leben (und Leiden) greifbare Bezeugung der Tat Jesu Christi (N 259). Der ­Glaubensgehorsam spielt hierbei in Bonhoeffers Nachfolge (nicht Nachahmung im Sinne einer imitatio Christi) eine konstitutive Rolle, einschließlich der Realität, dass Nachfolge auch Nachteile mit sich bringt und letzten Endes automatisch in der Realität des Nationalsozialismus in den Kirchenkampf und demzufolge in den Widerstand führen muss (386–391). In seiner »Nachfolge« nimmt Bonhoeffer schon Überlegungen und Überzeugungen aus seinem Aufsatz »Die Kirche vor der Judenfrage« (1933) auf und entwirft bereits Gedanken, die später in der »Ethik« und in »Widerstand und Ergebung« konkretisiert werden. Bonhoeffer bezieht Bergpredigt und Bibel überhaupt auf den konkreten Kontext und verdeutlicht, dass sich Theologie sowohl an Inhalt als auch an Situationen zu orientieren hat und darin Gestalt Jesu Christi und Kirche für Andere ist, ohne im Anderen aufzugehen. In diesem Zusammenhang kommt für Bonhoeffer der Bibel eine besondere Bedeutung zu(234–258). Er stellt sich einer Exegese entgegen, nach der »sich die biblische Botschaft vor der Gegenwart rechtfertigen müsse und sich deshalb der Vergegenwärtigung fähig erweisen müsse« (DBW 14, 400). Bonhoeffers biblische Studien in »Nachfolge« sind nach S. entsprechend auch grundlegende Bemühungen, »zu einem rechten und wirklichen Verständnis von Glaube und Gehorsam, Rechtfertigung und Ethik, Heiligkeit und Heiligung, Gnade und Nachfolge, Taufe und christlichem Leben zurückzufinden« (255). Vielleicht liegt hierin die Ursache für eine Vernachlässigung der Nachfolge-Schrift Bonhoeffers: Sie bringt Vorstellungen zur Sprache, die vielem entgegenstehen, was in der Nachkriegs-Rezeption Bonhoeffers aus ihm gemacht worden ist, und setzt Fragezeichen hinter den aktuellen kirchlichen Mainstream. So bedeutet für Bonhoeffer Rechtfertigung das Ende der Ethik im Sinne einer Frage nach gutem Handeln; die Bibel ist für ihn weit mehr als niedergeschriebene Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben; die Taufe hat eine ebenso zentrale Bedeutung in seiner Theologie wie das Abendmahl und die Beichte, die zwar nicht heilsnotwendig, aber hilfreich zur Heilsgewissheit ist; seine Forderung der Judenmission ist heute ebenso ein »Stachel im Fleisch« wie seine Formulierungen zum Faktum des Gerichts Gottes und der Interpretation, dass Leid-Tragen im christlichen Verständnis konkret Sündenvergebung bedeutet und als Kriterium wahren Christseins anzusehen ist.
Nicht zuletzt darin bleibt die »Nachfolge« eine Herausforderung. S. bietet mit seinen ebenso grundlegenden wie gründlichen Annäherungen, Anmerkungen und Ansichten eine solide Grundlage für eine adäquate Auseinandersetzung.