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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1308–1310

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Florian

Titel/Untertitel:

Strategien der Todesdarstellung in der Markuspassion. Ein literaturgeschichtlicher Vergleich

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. VIII, 407 S. = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 86. Geb. EUR 74,99. ISBN 978-3-525-55011-3.

Rezensent:

Gudrun Guttenberger

Die bei Oda Wischmeyer entstandene und in Erlangen 2007 als Dissertation angenommene Untersuchung von Florian Herrmann will »erhellen, mit welchen Strategien« die markinische Passions-erzählung arbeitet, »um Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu ­darzustellen« (5). Die Herausarbeitung des Profils erfolgt mittels narrativer Analysemethoden auf dem Hintergrund von Todesdarstellungen aus der griechisch-römischen, antiken jüdischen und altkirchlichen Literatur.
Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Einer Einleitung (Forschungsgeschichte und methodischer Zugriff, 5–35) folgt ein erster, im Umfang den Großteil der Untersuchung ausmachender Hauptteil, der Todesdarstellungen außerhalb des Markusevangeliums beschreibt, wobei griechisch-römische, antik jüdische und altkirchliche Texte zu vier Gruppen zusammengestellt werden (37–325). Eine Analyse der Markuspassion wird im zweiten Hauptteil (327–387) vorgelegt. Am Ende der beiden Hauptteile stehen jeweils Zusammenfassungen. Die Arbeit wird mit einem Quellen-, Literatur- und kurzen Abkürzungsverzeichnis (389–406) abgeschlossen; Indizes fehlen.
Bereits die sorgfältige und an der Fragestellung orientierte Darstellung der Forschungsgeschichte zeugt vom methodischen Problembewusstsein H.s, der seinen eigenen methodischen Zugang an Mieke Bals Instrumentarium orientiert und drei Analyseebenen unterscheidet: die Beschreibung der Textoberfläche (u. a. Verankerung im Kontext, Form- und Gattungsbestimmung), die Sinngebung (u. a. Deutung, Charaktere, Motive) und den Ereignisbezug (u. a. fabula, Quellen, Bezug auf Historie). Die Auswahl der Texte ist dem Versuch verpflichtet, Todesdarstellungen in möglichst großer Vielfalt zu erfassen (35). Die Gruppierung der Texte ist an »inhaltlichen« und »literaturgeschichtlichen Ordnungsmerkmalen« (35) orientiert, woraus sich vier große Gruppen ergeben: Darstellungen des Todes der Propheten und Gerechten, des Todes durch Unrechtsurteile, des Todes durch die Feindschaft anderer und des guten und schlechten Sterbens. Auf die Darstellung des Todes Johannes des Täufers in Mk (vgl. nur in Anm. 14; 335) sowie einen Vergleich mit den kanonischen Passionserzählungen wird verzichtet. So sehr diese Beschränkungen im Hinblick auf ein realistisches Arbeitsprogramm für eine Dissertation einleuchten, so sehr ist die Isolierung der markinischen Passionserzählung von ihrem primären Überlieferungs- und Interpretationskontext zu bedauern.
Zur ersten Gruppe (Tod der Propheten und Gerechten) werden 49 Texte aus dem alttestamentlichen, jüdischen und frühchristlichen Bereich zusammengestellt. Die Texte (2Chr 24,19–22; Jes 52,13–53,12; 2Makk 6,12–7,42; Apg 6,8–8,3; Hebr 11,32–40; 1Klem 5–6; MartPol; Justin 2 Apol 2; Beispiele aus VitProph; MekhY, Mispatim 18; Sifra, Emor 9,5; jBer 9,7/8 [14b]; bAZ 17b–18a) werden auf den drei oben genannten Analyseebenen untersucht; abschließend wird ein knappes Fazit formuliert. Als Beispiel sei das Fazit zu 1Klem 5–6 wiedergegeben: »Wieder dienen Martyrien als Paradigma, diesmal negativ als Beispiel für die schlimmen Folgen der Eifersucht. Die Einbindung in den Kontext ist mit Hebr 11 durchaus vergleichbar. Auch hier wird die Vorbildwirkung der Märtyrer betont. 1 Clem 5f steht nicht inmitten eines großen Traditionsstromes wie Hebr 11, der kurze Abschnitt steht vielmehr am Anfang eines neuen, diesmal christlichen Überlieferungsprozesses« (70). Im zweiten Ab­schnitt (Tod durch Unrechtsurteile) werden Texte zusammengestellt, die der Märtyrerliteratur nahestehen und wie in Mk von zu Unrecht Verurteilten erzählen (109). Ausgewählt werden die Darstellungen einzelner »Justizmorde« (Sokrates: Plat Phaid 115b–118; Phokion: Plut Phoc 33–37; Mariamne: Jos Ant 15.202–246), die exitus illustrium virorum in den An-nalen von Tacitus (Seneca: Ann 15.60,2–64,4; Subrius Flavus: Ann 15,67; Aennaeus Lucanus: Ann 15.70,1; Petronius: Ann 16.18 f.; Thrasea Partus, Barea Soranus, Servilia: Ann 16.21–35) sowie Beispiele aus den Acta Alexandrinorum.
Der dritte Abschnitt stellt Texte zusammen, in denen der Protagonist durch die Feindschaft von Gegnern unabhängig von einem Prozess getötet wird; der umfangreichen Menge der Vergleichstexte werden Beispiele aus den Viten Plutarchs (Galba; Pelopidas; Caesar, Agis und Kleomenes), den Historien des Tacitus (Lucius Piso: 4.48–50,2), Suetonius (VitClaud) und Nepos (Dion, Pausanias, Datames, Eumenes) entnommen. Im Fazit wird gelegentlich ein Hinweis auf die Relevanz für die markinische Darstellung gegeben (z. B. Plut Galba zu den vergleichbaren Entstehungsbedingungen des Textes, 180; 193: Tac Hist zur Rolle der Volksmenge).
Der letzte, mit »Gutes und schlechtes Sterben« überschriebene Abschnitt bespricht die Darstellung des Sterbens des Kyros durch Xenophon und des Augustus durch Sueton als Beispiele für gutes Sterben sowie diejenigen des Straftodes von Herodes und Apion bei Josephus, des Todes des Flaccus bei Philo und des Agrippa in der Apostelgeschichte für schlechtes Sterben. Abgeschlossen wird der Gang durch die antike Literatur mit Darstellungen eines ehrenvollen oder schändlichen Todes bei Valerius Maximus, in der Schilderung der schändlichen Tode von Claudius bei Seneca und von Ofonius Tigellinus bei Tacitus sowie der Darstellung der Eroberung Masadas durch Josephus.
Eine die Eigenarten der Darstellungsstrategie der einzelnen Texte zusammenfassende Beschreibung wird erst am Ende des ersten Hauptteils geboten; sie orientiert sich erneut an den drei genannten Analyseschritten. Dabei entsteht ein differenziertes und vielfältiges Bild, das in sich jedoch auch sehr komplex und divergent bleibt. Die Tauglichkeit des Analyseinstrumentariums wird durch diese Zusammenfassung nicht sehr eindrücklich be­legt.
Die Analyse des markinischen Passionsberichts (14,1–16,8) führt nicht wesentlich über den Forschungsstand hinaus. Abschließend führt H., wiederum an den drei Analyseschritten orientiert, sei-nen literaturgeschichtlichen Vergleich durch. Einige Beispiele seien genannt: Die frühe Erwähnung des Todesthemas erinnere an Plu-tarchs Galba (357), ein Interesse am Weg in den Tod zeige allenfalls Platons Phaidon oder Philos Flaccus (358); eine Verwendung der Todesdarstellung als exemplum wie im 1Klem oder Valerius Maximus sei bei Mk hingegen nicht zu beobachten (359); die Gattung der markinischen Passionserzählung weise wohl Merkmale von verschiedenen Gattungen auf, lasse »sich jedoch in die angebotenen Schubladen nicht gut einordnen« (367); das Schweigen Jesu beim Verhör lasse sich nicht nur vor dem Hintergrund des vierten Gottesknechtsliedes, sondern auch im Vergleich mit Plutarchs Phokion als Reaktion auf eine ungerechte Behandlung verstehen (369). Zusammenfassend formuliert H.: »Es zeigt sich, dass er [der markinische Passionsbericht, G. G.] sich in der Wahl seiner Mittel weitgehend problemlos in den Kontext sowohl pagan-antiker als auch frühjüdischer Todesberichte einfügt, dass er sich aber entschieden abhebt durch seine konsequent christologische Durchformung« (357). Dass die »Ergebnisse [der Untersuchung, G. G.] eher deskriptiv als thetisch« (386) bleiben, gesteht H. zu (386).
Das (kontroverse) Gespräch mit der wissenschaftlichen Literatur wird jenseits des forschungsgeschichtlichen Abschnitts nur zurückhaltend gesucht. M. Vogels Untersuchung zur antiken Ars Moriendi z. B., die mit vergleichbarer Fragestellung ähnliche Textgruppen bearbeitet, wird zwar im Literaturverzeichnis genannt, jedoch nicht zum Gesprächspartner.
H. hat sich die Bearbeitung einer ausgesprochen interessanten Fragestellung vorgenommen. Die Untersuchung kann die damit geweckten Erwartungen jedoch nicht ganz einlösen. Möglicherweise wäre ein breiteres methodisches Instrumentarium besser geeignet gewesen, den literaturgeschichtlichen Vergleich so vorzunehmen, dass eine klarere Übersicht entstanden wäre und zur Deskription auch einige Thesen hätten treten können. Der Markusforschung werden gleichwohl gut aufbereitete, interessante Vergleichstexte angeboten, die die weitere Arbeit an der Passionserzählung anregen werden.