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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1286–1288

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Czapla, Ralf Georg

Titel/Untertitel:

Das Bibelepos in der Frühen Neuzeit. Zur deutschen Geschichte einer europäischen Gattung.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2013. XIV, 851 S. m. Abb. = Frühe Neuzeit, 165. Geb. EUR 199,95. ISBN 978-3-11-025856-1.

Rezensent:

Konrad Hammann

Eine Theologie, die sich interdisziplinärer Zusammenarbeit verpflichtet weiß, wird die Anstrengungen der Literaturwissenschaft zur Erforschung der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Bibel aus verschiedenen Gründen grundsätzlich begrüßen. Das anzuzeigende Werk zeigt exemplarisch, dass und wie literaturwissenschaftliche Zugänge zu biblisch inspirierter Dichtung auch deren theologische Wahrnehmung und historische Kontextualisierung vertiefen und profilieren können. Ralf Georg Czapla schreibt in seinen weit ausgreifenden Studien zur biblischen Epik in der Frühen Neuzeit letztlich vor allem gegen das einigermaßen repräsentative Urteil des großen Romanisten Ernst Robert Curtius an, das Bibelepos stelle eine hybride Gattung dar, deren Lektüre eher Verdruss denn Vergnügen bereite (4).
Der Vf. hat seine Untersuchung, mit der er sich 2008 in Heidelberg habilitierte, sehr plausibel angelegt. Prägnante Zusammenfassungen am Ende der einzelnen Kapitel helfen dem Leser, das jeweils zuvor Erarbeitete noch einmal zu rekapitulieren. Die Einleitung zu dem Buch verbindet instruktive Bemerkungen zur Forschungsgeschichte mit Überlegungen zum methodischen Vorgehen der Arbeit, ohne dass dabei den methodologischen Präliminarien mehr Gewicht als erforderlich beigemessen würde (3–17).
Auf dem Weg zur Präsentation des frühneuzeitlichen Bibelepos handelt zunächst Kapitel B von der »Instauration spätantiker und frühmittelalterlicher Bibelepik im Zeitalter des Konfessionalismus«. Im ausgehenden 15. Jh. begann im Rahmen christlich-humanistischer Bildungsbemühungen die editorische Erschließung spätantiker Bibelepen. Während im folgenden Jahrhundert insbesondere die Vertreter jesuitischer Bildung sich gegen die schulische Verwendung jener stilistisch vermeintlich inferioren Texte aussprachen, bereiteten humanistisch geprägte evangelische Herausgeber die Entwicklung einer eigenständigen lateinischen Bibelepik in Deutschland vor, indem sie die spätantiken Texte durch philologische Mittel den idealen Standards der klassischen Latinität anglichen (21–89). Demgegenüber ist die Bedeutung, die die volkssprachlichen Bibeldichtungen des frühen Mittelalters für die Ausbildung der Bibelepik in der Frühen Neuzeit hatten, eher als gering zu veranschlagen. Immerhin gewannen namentlich der altsächsische »Heliand« und das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg dadurch eine gewisse Relevanz, dass Matthias Flacius Illyricus diese beiden Texte quasi konfessionspolitisch als vorreformatorische Bezeugungen der biblischen Wahrheit und der evangelischen Gnadenlehre in Anspruch nahm (90–119).
Parallel zur editorischen Vergegenwärtigung der spätantiken Bibelepik setzte im späten 15. Jh. die Rezeption bibelepischer Werke der italienischen Renaissance im Bildungswesen des deutschsprachigen Raumes ein. Als Muster sowohl der stilistischen als auch der inhaltlichen Gestaltung epischer Bibeldichtung dienten etwa, wie Kapitel C zeigt, Jacopo Sannazaros »De partu virginis« oder Marco Girolamo Vidas »Christias« nicht zuletzt deshalb, weil hier der biblische Inhalt in einer klassisch-antiken Form dargeboten wurde. Dabei stießen die Einbeziehung mythischer Stoffe und die spekulative Ausdeutung der biblischen Texte zu Maria (insbesondere von Lk 1) im Sinne der spätmittelalterlichen Mariologie auf keinerlei Bedenken (123–201).
Nach der historischen Rekonstruktion der Vorgeschichte des frühneuzeitlichen Bibelepos versucht der Vf. in Kapitel D, das Bibelepos aus gattungspoetologischer Perspektive näher zu bestimmen. Dazu kontrastiert er die dem ahistorischen Gattungsbegriff des Bibelepos subsumierten Gattungen mit anderen epischen Textformen wie dem Epyllion oder dem Kollektivgedicht. Die frühneuzeitlichen Poetiken, die sich zumeist an den überkommenen Gattungsrubriken der Epik, Dramatik und Lyrik orientierten, berücksichtigten die epische Behandlung biblischer Stoffe allenfalls am Rande. In der Praxis der Dichtung des 16. und 17. Jh.s jedoch wurde das Bibelepos (nach dem vom Vf. nicht berücksichtigten Genus des Kirchenliedes!) die wichtigste Gattung christlicher Dichtung, eine Gattung freilich, die sich weder unter rein formalen noch unter ideengeschichtlichen Aspekten auf einen einzigen Nenner bringen lässt. Jedenfalls dürften vor allem unter dem Einfluss von Girolamo Savonarolas »De poeticae artis ratione« die traditionellen Gattungsgrenzen zwischen der als moralisch verdächtig geltenden heidnisch-mythologischen Dichtung und der biblischen Poesie durchlässig geworden sein (205–253).
In Kapitel E, dem umfangreichsten Abschnitt des ganzen Bu­ches, stellt der Vf. anhand einiger ausgewählter Werke in repräsentativer Absicht »Formen und Funktionen des frühneuzeitlichen Bibelepos« vor. Den Auftakt bilden die bibelepischen Texte dreier württembergischer Autoren, die sich wie dann auch Andreas Gryphius an Vergils »Aeneis« orientieren. Nikodemus Frischlin konzipiert seine postum veröffentlichte »Hebraeis« als einen Regentenspiegel, in dem er die alttestamentlichen Erzählungen von den Königen David und Salomo auch auf die konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen dem Luthertum und der römischen Kirche appliziert. Frischlins Schüler Ulrich Bollinger ergänzt in seiner »Moseis« das Bibelepos seines Lehrers um eine epische Adaption der Lebensgeschichte des Mose, der als Staatsmann und Gesetzgeber das Idealbild des protestantischen Fürsten abgibt und dessen Umgang mit den Bildern Luthers Bildertheologie gleichsam vorwegnimmt. Bollingers Schüler Georg Konrad Maickler wiederum empfiehlt in seiner »Historia sacra Susannae«, einer epischen Dichtung zu Dan 13, die in jenem apokryphen Kapitel überlieferte Rechtsauffassung Daniels als ein Muster »guter Policey« im Sinne der frühneuzeitlichen lutherischen Staatslehre (257–389).
Eine besondere Note verleiht Andreas Gryphius dem Genus durch seine betont zeitbezogenen epischen Dichtungen zur Kindheits- und zur Passionsgeschichte Jesu. Während der schlesische Barockdichter in seinen Herodes-Epen den bethlehemitischen Kindermord mit den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges in Verbindung bringt, legt er sein »Olivetum« als eine Friedensdichtung an – hier machen sich sowohl Bezüge zur Graphik Albrecht Dürers (vgl. Abb. 9) als auch erste Anzeichen der in statu nascendi befindlichen Dramatik bemerkbar. Als letztes Beispiel der frühneuzeitlichen Bibelepik fungiert schließlich das »Olivetum Spirense« des Jesuiten Johann Armbruster, der im Rekurs auf das tridentinische Bildprogramm und die geistlichen Exerzitien des Ignatius von Loyola eine Ekphrasis des Speyrer Ölbergs, eines für die Meditation geschaffenen religiösen Baudenkmals, gibt. Mit seiner epischen Darstellung zielt Armbruster darauf ab, den Leser zu einem meditativen Mitleiden des Leidens Christi zu bewegen (390–504).
Es ist dem Vf. gelungen, die Bibelepik der Frühen Neuzeit an­hand einiger ausgewählter Texte methodisch überzeugend er-s­chlossen, in ihrer formalen und funktionalen Vielfalt beschrieben sowie historisch präzise verortet zu haben. Das Buch ist unbeschadet der in ihm versammelten Gelehrsamkeit in einem erfreulich flüssigen Stil geschrieben. Zehn Abbildungen illustrieren einzelne Aussagen der literaturwissenschaftlichen Analyse. Ein als Kapitel F gezähltes, umfangreiches Repertorium der »Bibelepik von Beginn des Buchdrucks bis zum Zeitalter Klopstocks« dürfte sich für weitere Forschungen als wertvolles Hilfsmittel erweisen.
Die Theologie sollte das lange vernachlässigte Genus der Bibel-epik in ihr Bild von der Frühen Neuzeit und von der im Konfessionellen Zeitalter gepflegten religiösen Literatur zukünftig mit einbeziehen.