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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1277–1278

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rothgangel, Martin, Aslan, Ednan, u. Martin Jäggle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Gemeinschaft. Die Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress (Vienna University Press ) 2012. 238 S. = Religion and Transformation in Contemporary European Society, 3. Geb. EUR 37,90. ISBN 978-3-8471-0074-4.

Rezensent:

Andreas Bsteh

Die Ringvorlesung zur »Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive« geht auf eine gemeinsame Tagung der drei Herausgeber in Sarajewo im Oktober 2010 zurück. In fünf Schritten befasst sie sich einleitend mit grundlegenden Perspektiven, um sich dann dem Islam im Migrationskontext zuzuwenden. Theologische und religionsrechtliche Vertiefungen bilden den zweiten Schwerpunkt. Abschließend werden die Kapitel interreligiöses Lernen und spezifische Kontexte behandelt.
Margot Käßmann sieht das christliche Abendland als Ergebnis von Migration. Dabei verweist sie darauf, dass Migration von allem Anfang an ein biblisches Motiv darstellt und maßgeblich bis zum heutigen Tag die ganze Kirchengeschichte prägt. Diesem Phänomen begegnet die jeweilige Gesellschaft weithin mit einer Abwehrhaltung. Den Schlüssel zu einer positiven Einstellung sieht K. in der Begegnung, in Bildung, Respekt und Toleranz.
Um die Spannung zwischen religiöser Identität und gesellschaftlicher Integration, veranlasst durch die Präsenz des Islam in Europa, geht es Christian Danz. Gibt es ohne Differenz keine Identität, so heißt es »von allzu harmonischen Einheitsvisionen Abstand zu halten« (42 f.).
In einem zweiten Schritt reflektieren muslimische Autoren den Islam im Kontext von Migration. Nach Ednan Aslan (52–67) ist eine bessere Integration nicht alleine durch Sprachkompetenz oder Bildung zu erreichen, sondern durch die Weise, wie sich Muslime als Bürger eines Landes identifizieren und die gemeinsamen Werte verinnerlichen.
Auf Rollenwandel und -konflikte der Imame in Europa (insbesondere in Deutschland) im Kontext von Migration geht Rauf Ceylan ein (70–79) und berücksichtigt in diesem Zusammenhang vor allem den Transformationsprozess der Moscheegemeinden. C. macht darauf aufmerksam, dass der Kompetenzbereich des Imams in Deutschland – unter Beibehaltung der klassischen Aufgaben – »neu, bedürfnisorientiert und somit praxisorientiert definiert werden« könnte (78).
Aysun Yaşar geht in ihrem Beitrag auf das Thema »Frauen und Frauenbild in der islamischen Theologie ein«, näherhin auf die Rolle der Frauen »in den universitären Zentren für islamische Theologie, unter deren Absolventinnen und in den Moscheegemeinden« (83–88). Y. plädiert dafür, dass bei den Führungspositionen eine paritätische Besetzung über eine Frauenquote anzustreben ist und dass ganz allgemein ein kritischer Diskurs darüber geführt werden sollte, wie mit den traditionellen Vorbehalten umzugehen ist (87 f.).
In seinem sehr beachtlichen exegetischen Beitrag setzt sich zuerst Reinhard Feldmeier im dritten Abschnitt mit dem Verhältnis des christlichen Monotheismus zur Integration der Fremden auseinander (93–106) und weist darauf hin, dass die theologische Exklusivität nicht mit gesellschaftlicher Ausgrenzung der anderen oder gar mit Gewalt gegen diese gleichzusetzen ist. Ein Tolerieren des Mitmenschen in seiner ganzen Andersartigkeit meine nach dem biblischen Zeugnis eine »das bloße Hinnehmen transzendierende, positive Hinwendung zum Fremden« (106). Im Licht der Bergpredigt sei eine solche Liebe »nichts Geringeres als die Entsprechung zur Vollkommenheit« Gottes (ebd.).
Befreiend von aller möglichen Enge kommt Franz Gmainer-Pranzl (109–127) zu der Feststellung, dass man vielleicht die Identität der Kirche gerade daran erkennt, dass sie nicht an ihrer Identität hängt, »sondern diese in der Sorge um ihre Mitmenschen ›verliert‹ – und gerade dadurch auf unverlierbare Weise gewinnt« (115). Auf diesem Weg könnte auch der ursprüngliche Sinn des »Katholischen« neu wahrgenommen werden: »als Horizont, der sich vor einem verheißungsvollen Weg auftut und Menschen einlädt, diesen Weg zu gehen« (126).
Mit sieben kritischen Fragen bzw. Antworten auf diese nähert sich Richard Potz der Aufgabe zu klären, welchen Beitrag das Religionsrecht zur Integration leisten kann (131–144). Ist Religion eines der schützenswertesten Güter (142), so hat der hohe Stellenwert von Religionsfreiheit seine entsprechenden Konsequenzen. In einem freiheitlichen Rechtsstaat muss jeder gesellschaftlichen Gruppe das ernsthafte Angebot gemacht werden, als gestaltende Kraft im politischen System mitzuwirken.
In einem vierten Schritt geht zuerst Friedrich Schweitzer den Aufgaben interreligiösen Lernens im Kindes- und Jugendalter nach. S. zufolge betrifft »die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdgruppe und die Selbstverortung in der Sozialwelt die Beziehungsdimension der Selbstwerdung« (161).
Es folgt eine sorgfältige, von Martin Rothgangel vorgenommene Untersuchung darüber, inwieweit Vorurteile ein Hindernis auf dem Weg zur Integration darstellen (176–185), näherhin in welchem Ausmaß religiöse Vorurteile ein Kategorisierungsproblem darstellen.
Im abschließenden fünften Schritt geht es um spezifische Kontexte der Integration. Zunächst behandelt Ursula Struppe mit Blick auf die demographische Realität in Wien religiöse Gemeinschaften und deren Möglichkeit, in einer pluralistischen Gesellschaft tätig zu werden (191–203): Da gilt es, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen und das Recht der Anderen anzuerkennen, sich an das Leid der Anderen zu erinnern und das Gemeinsame zu suchen im praktischen Tun sowie die Würde und Freiheiten des Menschen zu achten.
Im Weiteren weist Michael Landau (205–221) auf die Botschaft des Evangeliums hin, dass der Mensch nicht nur Arbeitskraft ist und Konsument und dass es auch Aufgabe der Kirche ist, die Frage zu stellen, was für den Menschen wesentlich ist (207). Als Säulen des Gesamtkonzeptes, das gelungene Integration braucht, bezeichnet L.: Recht auf Familienleben, Zugang zum Arbeitsmarkt, faire soziale Absicherung, Bildung, adäquate Wohnverhältnisse, politische Partizipation und Zugang zur Staatsbürgerschaft.
Abschließend kommt Michael Bünker auf den Beitrag der evangelischen Kirchen zur Integration zu sprechen (223–235): Nachdem er eingangs fünf Beispiele einer gelungenen Integration skizziert hat, geht B. hinsichtlich der Frage, was Religion für Migranten und Migrantinnen bedeutet, auf ein einschlägiges Fünf-Phasen-Modell ein. Migrationsgemeinden sollten jedenfalls nicht als Objekt pastoraler Versorgung betrachtet werden, sondern als »Partnerinnen auf dem Weg ›gemeinsam Kirche zu sein‹« (234).
Das Buch schenkt wertvolle, ausbaufähige Zukunftsperspektiven und bildet so einen wichtigen Baustein für ein gemeinsames Haus des Zusammenlebens unterschiedlicher Religionsgemeinschaften in Europa – jedem zu empfehlen, der sich mit dem Themenbereich der Integration ernstlich auseinandersetzt. Für eine mögliche Weiterführung der Initiative dürfte man sich eine stärkere Repräsentation der innerchristlichen und innerislamischen Glaubenstraditionen wünschen und eine Ausweitung einer sachkundigen Auseinandersetzung auf das eine oder andere europäische Land, in dem schon länger einschlägige Erfahrungen gesammelt wurden. Bei aller Berechtigung, die Fragestellung auf Christen und Muslime zu konzentrieren, könnte vielleicht auch eine Ausweitung auf andere Religionsgemeinschaften möglich und bereichernd sein.