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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1196–1198

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Thomas M. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herausforderungen der Modernität.

Verlag:

Würzburg: Echter 2013. 420 S. = Religion in der Moderne, 25. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-03546-4.

Rezensent:

Harald Matern

Der von Thomas Schmidt, Professor für Religionsphilosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, herausgegebene Band stellt, was nicht sofort ersichtlich ist, eine Festschrift für Hans-Ludwig Ollig dar, der über 30 Jahre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen Philosophie lehrte. Ollig habe, so die Herausgeber, die katholische Religionsphilosophie wie kein anderer dazu angeregt, sich den »Herausforderungen« und »Provokationen« des »Paradigma[s] der Modernität« zu stellen. Worin dieses besteht und inwiefern es die Stoßrichtung der Beiträge des Buches prägt, wird allerdings wenig deutlich. Die Lektüre der 16 Aufsätze in den »Themenkreisen« Metaphysik, Subjektphilosophie, Theorie der Moderne, Philosophische Zeitdiagnose und Religionsphilosophie zeigt, dass »Modernität« in einem sehr un­spezifischen Sinn allenfalls lose den Zusammenhang der sehr unterschiedlichen Texte beschreibt.
Der bei Weitem originellste – und rhetorisch zudem gut greifbare – Artikel stammt von Annette Pitschmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Thomas Schmidt. Zum Ausgangspunkt der Ar­gumentation sucht sie ein Phänomen als spezifisch modern auszuweisen, das in den landläufigen Debatten über die Schattenseiten der Moderne verortet werden kann. Nach Pitschmann gehört zu den Unbillen, denen sich ihrem Selbstverständnis nach autonome Handlungssubjekte stellen müssen, das »Tragische«. Damit sind in diesem Zusammenhang Situationen gemeint, in denen Individuen in Wertkonflikte geraten, die rational nicht auflösbar sind und zwangsläufig Verluste mit sich bringen – oder, religiös-moralisch gesprochen: Schuld. Mit diesem Ansatzpunkt gehört Pitschmann zu den wenigen Autoren des Bandes, die die Frage nach den »Herausforderungen der Modernität« nicht nur als theoriegeschicht-liche, sondern zugleich als soziologische und praktische Problemstellung ernst nehmen. Ob gerade das Werk John Deweys die geeignetste Bearbeitungsmatrix für diesen Sachverhalt darstellt, wie Pitschmann vorschlägt, darf hier dahingestellt bleiben. Unplausibel erscheint dies nicht – ist doch Dewey neben anderem ein Theoretiker der Individualität und damit an empirischen Brechungen von Subjektivität mehr als interessiert.
Anders verfährt Thomas Schmidt in seinem Beitrag über John Rawls’ Theorem des Reflexionsgleichgewichts. Gerade die von Schmidt mit Rawls geteilte Voraussetzung, moderne Subjekte seien »grundsätzlich rational«, ist selbst eine normative Forderung, keinesfalls aber eine beschreibende Aussage. Auch der Kölner Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn beleuchtet in seinem Beitrag das Verhältnis von Religion und Vernunft und sucht nach Kriterien für die »rationale Zumutbarkeit« von Religion in modernen Gesellschaften. Dass diese sehr offensichtlich mit den Wertorientierungen der deutschen Nachkriegsdemokratie übereinstimmen und im impliziten Gespräch mit Habermas und Böckenförde entwickelt werden, ist dabei nicht vollständig überraschend. Denn auch hier fungiert »die Vernunft« als letztlich unhinterfragbare normative Leitgröße. Eine prinzipielle Problematisierung derartiger Prämissen gerade von den Bruchstellen moderner demokratischer Gefüge her wäre wünschenswert gewesen. Eine solche unternimmt Thomas Hanke, wenn er in seinem Beitrag über Dieter Henrich einmal mehr den Spannungen nachgeht, denen die Konzeption autonomer Subjektivität im Gefolge Kants gerade in der Gegenwart ausgesetzt ist. Grundsätzlich und problemorientiert argumentiert auch der immer streitbare Hans-Dieter Mutschler in seinem Text über »Logik und Metaphysik«. Dabei leistet er auf seine Weise einen Beitrag zum affirmativen Umgang mit »Modernität«, wenn er die letztlich »unaufhebbare Pluralität metaphysischer Systeme« zwar etwas eilig »auf ein Geheimnis, das die Welt durchdringt und das unsere endliche Vernunft vom Prinzip her übersteigt« zurückführt. Doch zeigt Mutschler dabei gleichsam augenzwinkernd eine Möglichkeit auf, den denkerischen Anspruch auf Einheit nicht in Beliebigkeit aufzulösen, ihn aber dennoch notwendig mit empirischer Pluralität zusammenzuführen, ohne dass das »Geheimnis« dabei allzu sehr schrumpft. Was wiederum Studien wie die gleichwohl lesenswerte Abhandlung von Werner Löser zum Werk Hans Urs von Balthasars im Blick auf das Thema der Festschrift zu sagen haben, könnte hingegen auch der an moderner Theologiegeschichte interessierten Leserin nicht sofort ersichtlich sein.
Anregend sind die Abhandlungen von Martin Endreß und Stephan Winter, die sich je auf ihre Weise affirmativ wie kritisch zeitdiagnostisch der Gegenwart zuwenden. Während Endreß in seiner »Analyse der religiösen Konturen der Gegenwart« mehrheitlich im Rahmen der Aufarbeitung von Aussagen Charles Taylors’ und Jürgen Habermas’ verbleibt (und damit eine gut lesbare ›Diagnostik der Diagnostik‹ betreibt), entdeckt Winter Kritisch-Metakritisches zu Peter Sloterdijks »Sphärologie«, der er Einsichten des zeitgleich wie diese entstandenen »spatial turn« innerhalb der Theologie entgegensetzt.
Winfried Löffler setzt sich in seinem sehr lesenswerten Aufsatz mit dem nicht nur disziplinen- und forschungspolitisch aktuellen Problem auseinander, welcher Status und welche Funktion »populärwissenschaftlicher« Publi-zistik zuzuschreiben sei. Dahinter steht für Löffler aber nicht etwa die Frage danach, ob und wie sich Theologinnen an öffentlichen Debatten beteiligen sollten. Sein Fokus ruht primär auf der weltanschaulichen Funktion der Popularisierung naturwissenschaftlicher Ergebnisse. Ob religionsbezogenen Wissenschaften dabei z. B. eine spezifische hermeneutisch-kritische Funktion im Blick auf die Analyse »weltanschaulicher« Phänomene innerhalb populärwissenschaftlicher Darstellungen zukommen könnte, lässt Löffler allerdings offen.
Vor dem Hintergrund der klassisch-modernen Subjektphilosophie fragt Jörg Splett in seinem sprachlich schwer zugänglichen (und offenkundig nicht intensiv lektorierten) Text nach den Möglichkeiten eines Gottesbeweises vom sittlichen Selbstbewusstsein aus, das er im Sinne einer Ursprungsmystik ausdeutet. Gerade damit werden die Inhalte des religiösen Bewusstseins allerdings jeder diskursiven Öffentlichkeit und einer kritischen intersubjektiven Vermittlung entzogen. Auf ähnlichem Grund bewegt sich der Beitrag Jan Korditschkes, der die Grundgedanken der »Reformed Epistemology« Alvin Platingas zur epistemischen Eigenständigkeit religiösen Wissens zusammenfasst. Von einer anderen Seite aus nähert sich Hillary Anne-Marie Mooney der Eigenrationalität religiös-theologischer Rede, indem sie deren metaphorischen Status als Schnittstelle zwischen negativer und positiver Theologie ausweist. Schließlich versucht Oliver Wiertz die Positionen des »Analytic Theism« für die Rehabilitierung eines personalen Gottesbilds im religionsphilosophischen Diskurs fruchtbar zu machen.
Der Band bildet auf seine Weise nicht nur den Reichtum und die sehr unterschiedlichen Denkwege gegenwärtiger katholischer Religionsphilosophie ab. Er ehrt den Gewürdigten auch darin, dass er durch die Lektüre hindurch das Bild eines dezidiert modernen Theologen entstehen lässt, der offensichtlich als Lehrer Differenz und Vielfalt des Denkens zu fördern wusste. Schon deshalb ist das Buch lesenswert – selbst dann, wenn man bedenkt, dass es ohne eigentliches Herausgeber-Vorwort und auch ohne die Frage danach, was als »Modernität« zu verstehen sei, gleichsam nackt auf den Weg geschickt wurde. Beides hätte sehr wesentlich dazu beigetragen, den bisweilen beim Lesen aufkommenden Eindruck der Diffusität in einen solchen der von einem einheitlichen Interesse getragenen Pluralität zu verwandeln.