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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1086–1087

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Krüger, René

Titel/Untertitel:

Die Diaspora. Von traumatischer Erfahrung zum ekklesiologischen Paradigma.

Verlag:

Leipzig: Verlag des Gustav-Adolf-Werks 2011. 152 S. Kart. EUR 9,80. ISBN 978-3-87593-113-6.

Rezensent:

Klaus Fitschen

René Krüger ist Professor für Neues Testament am ISEDET, der evangelischen Kirchlichen Hochschule in Buenos Aires. Durch seine Verbindungen zum Gustav-Adolf-Werk ist er mit den deutschen und europäischen Debatten gut vertraut und bringt in diese Kontexte seine kontextuelle Theologie ein, auch durch Veröffentlichungen in deutscher Sprache. Das vorliegende Buch, eine von K. selbst angefertigte Übersetzung aus dem Spanischen, ist ebenfalls kontextuell, schon insofern, als es das Thema Diaspora aus der Sicht eines Theologen aus der Diaspora in Angriff nimmt, der diesem Kontext einen kreativen Sinn abgewinnen kann, und das unter zwei Leitperspektiven: »Die Zerstreuung hat die Geschichte des Volkes Gottes immer geprägt« und: »Dieses Volk hat ein missionarisches Verantwortungsbewusstsein gegenüber allen Völkern der Erde entwickelt« (17).
Immerhin ist es ja nicht so, dass das Thema »Diaspora« neu wäre, in den letzten Jahren ist der Begriff aber eher von den Kulturwissenschaften aufgegriffen als von der Theologie auf seine aktuelle Tauglichkeit hin überprüft worden. Dass sich die Theologie mit dem Begriff und seinen möglichen Inhalten zu befassen hat, ist immerhin biblisch begründet. Der biblische Gebrauch ist es in der Regel, der in den gegenwärtigen Reflexionen zum Begriff eine Rolle spielt, und eben dies ist auch das Hauptthema des Buches, wenn es sich auch nicht nur mit den biblischen Texten befasst, in denen der Begriff ausdrücklich vorkommt. In der Einleitung macht K. dann aber schon sehr deutlich, dass es ihm keineswegs nur um eine klassische Betrachtungsweise unter den Bedingungen konfessioneller Diaspora geht, sondern dass angesichts von Flucht, Vertreibung und Migration im 20. und 21. Jh. die Existenz in der Diaspora ein Schicksal vieler Menschen ist – damit wird auch klar, warum der Begriff für die Kulturwissenschaften so interessant ist. In gewisser Weise erscheint das Christentum als Avantgarde dieser Diaspora, insofern es seine Existenz als Diaspora begann und vielfach fortsetzte.
Was den biblischen Befund angeht, stellt K. zuerst die Diasporas [sic!] im Alten Testament dar. Der sonst übliche Diasporabegriff (die Diaspora im Exil) wird hier erweitert um das Verständnis der Diasporaexistenz im Sinne deuteronomistischer Theologie und die Existenz der Armen als der wahrhaft Frommen im Volke Israel. Erwägungen zum Befund in der zwischentestamentlichen Zeit (wiederum mit einem Spektrum unterschiedlicher Diasporasituationen rund um das Mittelmeer) und der neutestamentlichen Zeit schließen sich an. Hier geht es insgesamt nicht nur um die Exegese von Texten, sondern um die Erschließung des historischen und religiös-kulturellen Hintergrundes. Weiterführende Literatur findet sich in den Fußnoten und in einer Bibliographie.
Den über den exegetischen Befund hinausgehenden hermeneutischen Ertrag fasst das abschließende Kapitel zusammen: »Skizze für eine hermeneutische Relecture des Diasporaparadigmas: Gegenkulturelle Gemeinschaft als Schutzraum und Zeugnis«. Gespiegelt wird der Befund (der in der These aufgeht, Diaspora sei eine nota ecclesiae) an der Situation in Lateinamerika, die aber ins Globale ausgedehnt wird: »Das heutige Voranschreiten der Säkularisierung, die Vermehrung anderer Angebote auf dem weiten religiösen Markt und das Schwinden von Solidarität und der Bereitschaft zum Engagement bilden eine neue weltweite Diasporasituation.« (129) Dem gegenübergestellt wird das »gegenkulturelle Projekt« mit einer programmatischen Liste für das zu leistende Zeugnis der Kirche (130–133).
Diaspora als Begriff und Thema können, so zeigt das Buch, nach wie vor aktuell sein, wenn man den Kontext bestimmt. Dass die GEKE inzwischen einen Studienprozess zum Thema auf den Weg gebracht hat, zeigt, dass man nicht nur im lateinamerikanischen Kontext neu darüber nachzudenken beginnt.