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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1076–1078

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Feiter, Reinhard, Hartmann, Richard, u. Joachim Schmiedl[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Würzburger Synode. Die Texte neu gelesen.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. 418 S. = Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, 1. Geb. EUR 28,00. ISBN 978-3-451-30713-3.

Rezensent:

Wolfgang Klausnitzer

Die Gedächtniskultur, die sich an runden Gedenkjahren abarbeitet, hat im Augenblick in Bildungsveranstaltungen, Buchproduktionen, Feuilletons und Talkshows Hochkonjunktur. 2014 wird der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren memoriert. Die EKD bereitet das »Reformationsjubiläum« 2017 vor. Die katholische Kirche gedenkt in verschiedenen Veranstaltungen des 50-jährigen Jubiläums der Eröffnung des Vaticanum II und der Promulgation zentraler Konzilstexte, wobei allerdings die Mühe der Vorbereitung nicht immer der Aufmerksamkeit und der Rezeption einer geneigten Öffentlichkeit korrespondiert. Etwas ungewöhnlich ist die Memoria der 40. Jahrfeier der Eröffnung der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971–1975). Die Zahl 40 repräsentiert in der Zahlensymbolik der Bibel Themen wie Trübsal, Erprobung, Buße, Fasten, Beten und Strafe. Entsprechend elegisch ist auch der Tonfall mancher Beiträge.
Die Würzburger Synode hat insgesamt 18 Beschlüsse zu verschiedenen Themen erarbeitet, die 2012 in einer Neuausgabe noch einmal veröffentlicht wurden. Dazu kamen sechs Arbeitspapiere, die in der Neuausgabe gemeinsam mit den Synodentexten abgedruckt werden. Die 24 Autoren und Autorinnen des anzuzeigenden Sammelbandes beziehen sich gewöhnlich auf die Druckausgaben von 1976 (der Synodentexte) und 1977 (des Ergänzungsbandes mit den Arbeitspapieren) und kommentieren in der Reihenfolge der Ausgaben von 1976/1977 und 2012 die Synodendokumente. Der Sammelband verdankt sich einer Initiative der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und -theologinnen und er­scheint als Band 1 der Reihe »Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil«, die von dem in Vallendar tätigen Kirchenhistoriker Joachim Schmiedl verantwortet wird. Wie der Untertitel anzeigt, handelt es sich um eine Relektüre der Texte der Würzburger Synode. Nun kann man sich historischen Texten mit einem ganz unterschiedlichen Interesse nähern. Man kann sie etwa analysieren im Blick auf die Aussageintention und die kirchlich-biographische Situation ihrer Verfasser und/oder Redakteure. Das versuchen M. Schüßler (10–40) in der Interpretation des synodalen Glaubensbekenntnisses »Unsere Hoffnung« im Kontext der Entwicklung der Theologie von Johann Baptist Metz sowie R. Hartmann (92–110, besonders 93 f.) und J. Schmiedl (222–233, besonders 223–226) durch Hinweise auf einzelne Akteure, die bei der Erstellung der Beschlüsse zur Sakramentenpastoral und zu den Orden und anderen geistlichen Gemeinschaften eine Rolle gespielt haben. Man kann ihren kirchlichen Stellenwert kirchenrechtlich oder im Sinn einer theologischen Erkenntnislehre zu bestimmen suchen. Merkwürdigerweise findet es R. M. Scheule bemerkenswert, dass in der Neuausgabe »offiziell Synodenbeschlüsse und Arbeitspapiere […] in ein und demselben Band« enthalten sind (3602). In den offiziellen Textausgaben des Vaticanum II finden sich zwei Dogma-tische Konstitutionen, eine Liturgiekonstitution, eine Pastoralkonstitution, Dekrete und Erklärungen und gar eine Nota explicativa praevia nebeneinander. Die Kunst der theologischen Interpretation besteht darin, solche offiziellen oder offiziösen Stellungnahmen entsprechend ihres je verschiedenen theologischen und kirchenrechtlichen Anspruches auszulegen. Man kann sich bemühen, die Texte der Würzburger Synode in ihrem Verhältnis zu den Erkenntnis- und Bezeugungsinstanzen der christlichen Botschaft zu bestimmen. Als solche Bezeugungsinstanzen, die im Wechselspiel aufeinander wirken, nennt das katholisch-lutherische Studiendokument »Communio Sanctorum« (2000, 22003) die Heilige Schrift (als »norma normans non normata«), die Überlieferung des Glaubens, das Zeugnis des ganzen Volkes Gottes, das kirchliche Amt und die Theologie. Und man kann die Texte einer Nationalsynode mit der Absicht lesen, ihre Wirkungsgeschichte und etwaige heutige Relevanz und damit ihre Rezeption zu untersuchen.
Die Autoren gehen vor allem mit der letztgenannten Zielsetzung an die Aufgabe der Textlektüre. Die Stimmung schwankt zwischen Zustimmung und Resignation (wegen diagnostizierter heutiger Irrelevanz oder der Feststellung einer verpassten Chance).
N. Mette erklärt, dass der Synodenbeschluss zum Religionsunterricht in der Schule in der wissenschaftlichen Religionspädagogik »allgemeine Zustimmung gefunden« (51) und »einen folgenreichen Paradigmenwechsel« (44) vorgenommen habe, indem nicht mehr der Lehrstoff, sondern der Schüler bzw. die Schülerin in den Mittelpunkt gestellt wurde. Ähnlich nennt H. Hobelsberger den Beschluss »Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit« einen »Meilenstein der Konzeption und der Praxis der kirchlichen Ju­gendarbeit und Jugendpastoral« (111). Auf der anderen Seite des Spektrums bescheinigt R. Bucher dem Beschluss »Ehe und Familie« »die praktische vollständige kirchliche Bedeutungslosigkeit« (die Überschrift seines Beitrages lautet: »Ziemlich irrelevant – spätestens heute«) »für die heutige Lebenswirklichkeit von Katholikinnen und Katholiken« (164) und fordert, die Distanz zwischen kirchlicher Lehre und kirchlichen Rechtsvorschriften und der »davon meist abweichenden Praxis« (z. B. in »Patchwork-Familien« oder »ho­mosexuellen Lebenspartnerschaften«), die zunehmend »entplausibilisierend auf die kirchliche Lehre« (177; dort hervorgehoben) wirke, durch eine lernende Haltung der Kirche gegenüber neuen gesellschaftlichen Entwicklungen (z. B. im Falle der wiederverheirateten Geschiedenen) zu schließen (vgl. 180). K. Gabriel be­klagt das wohl endgültige Scheitern der damaligen Pläne für ein Deutsches Pastoralinstitut (vgl. 414 f.). Die anderen Beiträge verorten sich zwischen diesen beiden Polen. Hinweise zumal für aktuelle Diskussionen geben B. Spielberg zur »Beteiligung der Laien an der Verkündigung« (56–78), B. Kranemann zum Beschluss »Gottesdienst« (78–91) und T. Schüller zu dem Text über die kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung (290–307). S. Loiero stellt eine »Disclosure-Qualität« des Textes »Die pastoralen Dienste in der Gemeinde« (235) fest. Mit Paul Zulehner spricht er von einer »Vielzahl von Frauen und Männern«, »die bewusst als Laien und nicht als Priester einen pastoralen Dienst ausüben wollen und ihren Dienst eigenverantwortlich und kooperativ zum Priesterdienst verstehen« (246). P. Müller ordnet das Ökumenedokument der Synode in eine Skizze der ökumenischen Initiativen seit dem Vaticanum II ein, betont die »ökumenische Weite« des theologischen Teils des Beschlusses (318) und beurteilt die ökumenische Entwicklung (in Deutschland) seit der Würzburger Synode als »Erfolgsgeschichte« (321). Der zitierte Zwischenruf des evangelischen Bischofs Harms von Oldenburg auf der Synode: »Servieren Sie uns kein Papier ohne Theologie!« (313) mag allerdings daran erinnern, dass der ÖRK zwei Wurzeln hatte, die Bewegungen »Life and Work« und »Faith and Order«. Wie beide miteinander vermittelt werden können, scheint immer noch eine offene Frage.
Wer sich allgemein über den gegenwärtigen Diskussionsstand eines einflussreichen Segments der deutschsprachigen Pastoraltheologie zu den Themen der Würzburger Synode, die noch heute in der katholischen Kirche Deutschlands aktuell sind, informieren will, ist mit diesem Sammelband gut bedient. Wer be­stimmte Einzelthemen, unter Umständen angeleitet durch die Stellungnahmen der Synode, theologisch durchdringen will, muss auf Spezialuntersuchungen (die zum Teil angegeben werden) zurückgreifen. Wer sich grundsätzlich für den Ereignischarakter und die kirchliche Relevanz von Nationalsynoden am Beispiel der Würzburger Synode interessiert, muss auf die entsprechende Handbuchliteratur (z. B. die Studien von Hermann Josef Sieben) zurückgreifen oder auf (neue?) ekklesiologische und kirchenrechtliche Veröffentlichungen warten, die das Vorwort des Sammelbandes ankündigt (9).