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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1049–1051

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wolf, Jean-Claude

Titel/Untertitel:

Pantheismus nach der Aufklärung. Religion zwischen Häresie und Poesie.

Verlag:

Freiburg: Verlag Karl Alber 2013. 217 S. Geb. EUR 20,00. ISBN 978-3-495-48584-2.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Mit diesem eingängig, ebenso lehrreich wie unterhaltsam ge­schriebenen Buch bricht Jean-Claude Wolf, Professor für Ethik und politische Philosophie an der Universität Fribourg in der Schweiz, eine Lanze für den insbesondere in der traditionellen christlichen Theologie immer wieder beargwöhnten, aber Dichter und Denker an- und aufregenden Pantheismus. Beargwöhnt deswegen, weil – im Rückgang auf die oft missverstandene Formulierung Spinozas: deus sive natura – hier Gott und Welt, Schöpfer und Geschöpf heillos miteinander vermischt, ja geradezu identifiziert werden und damit ihre grundsätzliche, kategoriale Verschiedenheit aufgehoben wird. Dann aber ist Gott nicht mehr Gott und die Welt nicht mehr Welt, sondern Gott wird verweltlicht und die Welt vergöttlicht. Letztlich lösen sich beide ineinander auf, und am Ende stehen dann »höflicher Atheismus« (Schopenhauer) und Akosmismus. Ein selbständiges Gegenüber von Gott und Mensch, wie es ein rechtgläubiger Theismus mit seinen personalen Gottesvorstellungen vorsieht, ist dann nicht mehr ohne Weiteres denkbar, und die Rede von Freiheit, Verantwortung, Schuld, Rechtfertigung und Erlösung in personaler Interaktion wird eigentümlich sinnlos – wie dann auch kirchliche Vermittlungsinstanzen (sowohl sakramentaler als auch kerygmatischer Art) im Grunde überflüssig werden. Nicht zuletzt aus ganz elementaren Eigeninteressen hat daher eine kirchlich gebundene Theologie nie sehr viel für den Pantheismus übrig gehabt, der seit und mit den spätantiken Stoikern als »Religion der Gebildeten« gilt (Klaus Held).
Allerdings könnte ein wohlüberlegter Pantheismus viele theoretische Aporien und Probleme elegant lösen, die mit einer theistischen Gottesvorstellung im Sinne eines personalen Gegenübers zur Menschenwelt insbesondere im Blick auf den auch konfessionell aufgeheizten Streit zwischen Monergismus oder Synergismus im Rechtfertigungshandeln Gottes bis hin zum Theodizeeproblem und der Lehre von einer doppelten Prädestination mit ihren eschatologischen Konsequenzen der Annahme eines ewigen Lebens einerseits und einer ewigen Verdammnis andererseits gegeben sind. Und gerade in einer gegenwärtig »postchristlichen« Zeit (9.11) und in einer heutigen pluralen Gesellschaft bietet sich der Pantheismus mit seiner konfessionellen Ungebundenheit, seiner philosophischen Überzeugungskraft und seiner poetischen Empfindsamkeit gegenüber einer ästhetisch-ethischen Naturfrömmigkeit als alles interkulturell integrierende und somit Toleranz befördernde Religiosität (32.56 u. ö.) aufgeklärter Kosmopoliten durchaus an (wobei, um den Untertitel des Buches leicht zu korrigieren, nicht eine Religion, wohl aber ihre dogmatische Lehrgestalt »häretisch« sein kann).
Einladend stellt W. daher seinen werbenden Ausführungen Zitate aus einem hinduistischen Gebet, aus Spinozas »Ethik«, aus einem Brief Albert Schweitzers, aus Schellings »Bruno«, aus Goethes »Maximen und Reflexionen« sowie aus dem »Blüthenstaub« des Novalis und aus dem »Mysterium magnum« Böhmes voran, des Vordenkers einer protestantischen Mystik. Denn »Pantheismus vereinigt Anregungen der Religionen, der Kunst und der Philosophie. Er hat die Aufklärung überlebt, ohne in Magie, Esoterik oder Obskurantismus zu verfallen […] Er bleibt eine lebendige religiöse Option in einem Zeitalter, das von Wissenschaft und Technik geprägt ist.« (11)
Nach dieser in der Einleitung (9–14) erläuterten These entwi-ckelt W. im ersten Teil seines Buches (15–81) vor dem Hintergrund erhellender geistesgeschichtlicher Hinweise einen klar konturierten Pantheismus als »Vision von Gottes Allgegenwart« (15), indem er auf übliche Kritikpunkte, Einwände und Vorurteile eingeht. Allerdings muss »Allgegenwart« nicht eo ipso auch schon gleich Gottesnähe heißen (15.17), sondern kann durchaus auch Erfahrungen rätselhafter Gottesferne im Sinne uneindeutiger Erschlossenheit oder Verborgenheit bedeuten. W. kommt dabei immer wieder auf seinen Hauptgewährsmann Georg W. F. Hegel zu sprechen, aber auch auf die in diesem Zusammenhang weniger bekannten Überlegungen des US-amerikanischen Transzendentalphilosophen Ralph Waldo Emerson. So zeigt sich, dass der im Unterschied zum hierarchisch denkenden Theismus ganz anti-autoritär und unparteiisch angelegte Pantheismus weder gottlos noch freiheitsfeindlich oder unethisch ist, wenn man ihn der Sache nach als »Panentheismus« versteht (20 ff.), auch wenn W. diesen »umständlichen« Begriff nicht gerne verwenden will (30). Gerade diese schon in Apg 17,28 angedeutete und dann z. B. von Friedrich W. J. Schelling und später auch von Karl Chr. F. Krause entwickelte Variante des Pantheismus, die bei aller Betonung der Verbindung von Gott und Welt im absoluten hen kai pan dennoch ihre kategoriale Differenz wahrt, könnte durchaus auch begrifflich stark gemacht werden. Denn so wird z. B. im Spätwerk Schellings ersichtlich, dass Pan-(en)theismus nicht zwangsläufig die Christologie vor dem Hintergrund immer schon gegebener Verbundenheit von Gott und Mensch suspendiert, wie es oft aus der Perspektive rechtgläubiger Theologie bemängelt wird (37). Vielmehr kann sie sogar angesichts einer universalen soteriologischen Ohnmacht der Menschen konstitutiv für das philosophische System werden. Und gerade die mögliche Transformation eines zwar aufgeklärten, aber noch vorkritischen Pantheismus zu einem dialektischen Panentheismus wäre dann auch eine leistungsfähige Voraussetzung, um das nach W. auch pantheistisch nicht lösbare Theodizeeproblem (44.47) mindestens einer Lösung zuzuführen.
Allerdings wäre dann weniger – wie bei W. – Hegels Analyse des »unglücklichen Bewusstseins« in seiner »Phänomenologie des Geistes« der weiterführende Ansatz (denn dieses Kapitel hat kaum etwas mit Pantheismus zu tun), sondern eher Schellings »Freiheitsschrift« mit ihrer panentheistischen Grund-Existenz-Ontologie. Ihr zufolge muss auch in Gott – wie in jedem Seienden – etwas angenommen werden, was nicht Gott selbst, sondern sein dunkler Grund als Inzitament des Bösen ist. Insofern ist der zweite Teil von W.s Buch, der sich weit ausholend mit »Hegels Diagnose des un­glücklichen Bewusstseins als unbewusster Pantheismus« be­schäftigt (83–116), zwar in sich selbst informativ und existentiell bedenkenswert, aber im Blick auf die argumentative Entwicklung des bisherigen Gedankengangs eher retardierend.
Im demgegenüber interessanteren dritten Teil (117–169) gibt W. in der Konsequenz seines Plädoyers für einen geläuterten Pantheismus nach der Aufklärung »Ausblicke auf eine heteronome Alltagsmoral« (117), wobei insbesondere der Abschnitt 3.7 (»Pantheismus und Heteronomie«) überzeugend darlegt, dass Pantheismus durchaus Raum für eine auch an gegenwärtige Diskurse anschlussfähige Ethik lässt (162–166). Mit diesem Ausblick könnte das Buch eigentlich abgerundet schließen. Denn der etwas nachklappende vierte Teil mit der Überschrift »Hegel und der animalische Magnetismus« (171–200) als Brücke zwischen einem Natur- und einem Geistpantheismus (186) führt eher in eine vergangene Diskussions lage zurück, deren heutige Relevanz sich nicht unmittelbar er­schließt.
Was jedoch am Ende nach allen historischen und systematischen Überlegungen bleibt, ist sicherlich mehr als nur eine »wohlwollende Problemskizze«, wie W. bescheiden in seinen »Nachgedanken« zusammenfasst (201–210). Die vielen klarstellenden Darlegungen, die W. mit seinem lesenswerten Buch zugunsten des Pan(en)theismus gibt, lassen es doch geraten sein, diese »Skizze« auch und gerade theologisch auszuarbeiten und zu erproben.