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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1039–1041

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fiddes, Paul, u. Jochen Schmidt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Rhetorik des Bösen. The Rhetoric of Evil.

Verlag:

Würzburg: Ergon-Verlag 2013. XX, 277 S. = Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft, 9. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-89913-950-1.

Rezensent:

Knut Berner

Der Sammelband enthält deutsch- und englischsprachige Beiträge, die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojektes von Mitgliedern der Universitäten Bonn und Oxford bündeln. Es wird der Anspruch erhoben, an die zahlreichen aktuellen Diskurse über das Böse anzuknüpfen, zugleich aber ein Desiderat zu beheben, indem Funktionen der literarischen Form und der Rede vom Bösen akzentuiert werden. Die These lautet: »Die Rede vom Bösen wird verwendet zur Dämonisierung der ›Feinde‹, zur Formierung einer Apologetik, zur Analyse und Bewertung gesellschaftlicher Ereignisse, zur Reflexion kirchlichen Handelns und zur Stärkung der je eigenen religiösen Identität durch das Ausschließen anderer« (VII). Auch wenn man diese Einsicht schwerlich neu und originell nennen kann, bieten die Einzelstudien doch viel Material zu ihrer Plausibilisierung.
J. Barton analysiert Werke zur Moralität Gottes, die in der Tradition der analytischen Philosophie von der Vorstellung Gottes als eines ens perfectum ausgehen, dadurch aber reflexive Zugänge zur narrativen Vielfalt der Gottesrede in alttestamentlichen Texten erschweren und beim Vorwurf des unmoralisch erscheinenden Gottes ignorieren, »that the ›dark side‹ of God is like the dark side of the moon: we cannot see it, and hence are in no position to comment it« (22). Im Neuen Testament wird M. Wolter zufolge das Böse einerseits als eine heilsgeschichtlich bereits überwundene Größe der Vergangenheit dargestellt, andererseits als eine Macht, die zwar noch wirkt, von der die Angehörigen christlicher Gemeinden aber bereits befreit sind (Mt 7,11?). Die rhetorische Gegenüberstellung von böse und gut rekurriere auf nicht erklärungsbedürftiges Allgemeinwissen, die spezifische christliche Identität zeige sich allein am darstellenden Handeln, nicht an inhaltlichen Beiträgen zur Bestimmung des Bösen, dem von Wolter attestiert wird, dass es »überhaupt nur eine rhetorische Existenz führt« (42). Das müsste dann aber wohl auch vom Guten gesagt werden und scheint mir nicht zu passen zur favorisierten These, der doppelte Ausgang des Endgerichtes hänge vom Tun des Guten bzw. Bösen ab (vgl. 37). Da kreuzes- und rechtfertigungstheologische Überlegungen sowie Rekurse auf inhaltliche ethische Besonderheiten (Bergpredigt!) und die Macht der Sünde zugunsten von Konsensannahmen kaum in den Blick genommen werden, entsteht der Eindruck einer Entproblematisierung, die sich mit der Bitte um Erlösung vom Bösen nicht recht verträgt.
Sigmund Freuds Triebtheorie im Verhältnis zu rabbinischen Besinnungen auf das Böse thematisiert der spannende Beitrag von J. Flebbe, wobei auch hier als Verbindungslinie die Möglichkeit der Bewältigung des Destruktiven perspektiviert wird; in ganz anderer Weise ist dies Thema im Großen Katechismus Luthers, wie Ch. Methuen anhand eines Vergleiches mit De servo arbitrio erläutert. Die Dämonisierung von Feinden wird als ekklesiologisches Paradox ersichtlich, wenn J. Zachhuber im Anschluss an Girards Sündenbocktheorie feststellt, dass die Abgrenzung von Anderen zur Identitätssicherung unverzichtbar und zugleich aufgrund der Predigt des Evangeliums unmöglich ist. Dass es nicht zuletzt aufgrund dieses Paradoxes keine Möglichkeit gibt, dem Bösen zu entkommen, wird ebenfalls im Beitrag zur Rhetorik des Bösen bei den Kappadoziern ersichtlich (M. Ludlows); diese verteufeln ihre Feinde, leugnen aber nicht ihre eigene Verstrickung ins Böse, im Gegensatz zur Vorgehensweise einiger amerikanischer Präsidenten, deren populäre Rhetoriken hier als moderne Gegenbeispiele benannt werden (›Reich des Bösen‹). Das ist deshalb bemerkenswert, weil es im vorliegenden Band zugunsten der Behandlung von Klassikern wie Luther, Augustin und Kant nicht viele Bezüge zu aktuellen destruktiv orientierten Sprachverwendungen gibt, eklatant ist das Fehlen jeglicher Rekurse auf die Funktionen der Massenmedien gerade bei diesem Thema. So überzeugend und erhellend es ist, wenn kenntnisreich die Spannungen in Augustins Lehre vom Bösen analysiert werden (W. Kinzig) oder über das Verhältnis des Kreuzestodes Christi zu griechischen Tragödien und Shakespeares Werken nachgedacht wird (P. Fiddes) – in einem Buch zur Rhetorik des Bösen wäre eine stärkere Beachtung des philosophisch-soziologischen Diskurses über Sprache und Gewalt (Hate Speech) und der Dimensionen des Bösen im 20. Jh. zu erwarten gewesen, die ›großen Demagogen‹ Goebbels, Stalin oder Mao finden sich nicht einmal im Register und die nicht minder wichtigen Verletzungspotentiale der Alltagssprache kommen kaum in den Blick. Dass sich die Infamie des Bösen nicht allein in der sprachlichen Abgrenzung gegen Feinde, sondern in der rhetorischen Inanspruchnahme des verabsolutierten Guten, etwa der Moral, zur Rechtfertigung destruktiven Denkens und Handelns zeigt und entzieht, hätte z. B. an Himmlers Rede 1943 in Posen oder an zeitgenössischen Texten des Terrors gezeigt werden können. Diese Perspektive wird systematisch eigentlich nur in den differenzierten Analysen von J. Schmidt verfolgt, der in Aufnahme neuerer Theorien und Beispiele die perfide Wirksamkeit des Bösen im Verborgenen durch Rekurse auf Ideologie und Verlogenheit thematisiert. Das Krude, das dem Begriff des Bösen anhaftet, wird hier ebenso ersichtlich wie bei G. Bader, der ausgehend von einer subtilen Kantdeutung und im Anschluss an Luther und Ricœur bezüglich der Frage nach der Transmissibilität des Bösen die Vorzüge metaphorischer Sprache und die Zusammenhänge von Sprache (Text), Leib und Natur bei der Absorption des Bösen herausarbeitet. Die komplexen Überlegungen insbesondere zum Verhältnis von Idealismus und Materialismus stehen in Spannung zu poetisch-romantisierenden Passagen, die m. E. Gefahr laufen, das Böse narrativ zu verharmlosen; so ist nach Bader »das Böse der Löcherung, Löschung, Verdunstung, Vaporisierung, Verpuffung ausgesetzt: alles Formen des Soges, von dem es fortgetragen wird und verschwindet. Und ein erstaunt hohes Subjekt nimmt, noch bevor es überhaupt zur autonomen Sinnesänderung schreiten konnte, weit unter sich wahr, wie ihm ein ebenso dumpfes wie prickelndes, glucksendes wie knisterndes Geräusch […] in unnachahmlich abziehender Weise anzeigt, dass das Böse schon absorbiert ist« (163). Ob diese Rhetorik nach Auschwitz angemessen ist, scheint mir fraglich.
Die tendenzielle Blindheit der Pädagogik gegenüber dem Bösen erläutert M. Meyer-Blanck und benennt dafür die Ausrichtung an der Fähigkeit des Menschen zu Autonomie und Selbstkritik. Ge-rade hierin schlummern Potentiale, das Nicht-Wissen-Wollen und Nicht-Wissen-Können des Bösen erkennbar werden zu lassen. Die überzeugende Nachzeichnung pädagogischer Theoriebildung müsste aus meiner Sicht zu stärkeren Anfragen an das pädagogische Pathos des Guten führen und dazu anleiten, sich von Schleiermachers verniedlichender Rede vom Bösen als dem ›Unschönen‹ zu verabschieden und sich stattdessen der Frage zu stellen, »ob die Kultur noch Geltung hat, deren illusorisches Wertesystem man uns hier in Europa allen von der Elementarschule an lehrt: Mördern wie Opfern gleichermaßen« (I. Kertész, Dossier K., 207). Dass das Böse in jedem wohnt, ist das Fazit von J. Kinzigs Untersuchung zur Kriminalitätsentwicklung, zum Feindstrafrecht und zu neueren Forschungsansätzen, die gerade deshalb erhellend ist, weil das Böse keine wesentliche Kategorie für die juristische Erfassung und Bewertung von Straftatbeständen ist.
Rhetorik des Bösen ist, trotz der von mir markierten Einwände, ein vielschichtiges und anregendes Buch, das hoffentlich eine vermehrte Aufmerksamkeit für Funktionen, Problematiken und Potentiale der Versprachlichung des Bösen erzeugt.