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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1037–1039

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Korsch, Dietrich, and Amber L. Griffioen[Eds.]

Titel/Untertitel:

Interpreting Religion. The Significance of Friedrich Schleiermacher’s Reden über die Religion for Religious Studies and Theology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XVI, 234 S. = Religion in Philosophy and Theol­ogy, 57. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-150853-0.

Rezensent:

Christoph Seibert

Die durchgängig englischsprachigen Beiträge dieses Bandes gehen auf eine internationale Konferenz zurück, die von Dietrich Korsch, Wilhelm Gräb, Martin Riesebrodt und Brent Sockness vor einigen Jahren in Marburg durchgeführt wurde. Es handelt sich dabei um 13 Beiträge, die sich in unterschiedlicher Akzentsetzung mit der Aufgabe der Religionsinterpretation auseinandersetzen. Die Leser erfahren, dass die Texte auf »exciting discussions« (XVI) zurückgehen, mithin als Zeugnisse eines »important interdisciplinary dia-logue« (XV) zu verstehen sind, der während dieser Veranstaltung stattgefunden hat. In meiner Besprechung kann ich leider nicht auf die Beiträge im Einzelnen eingehen. Es kommt vor allem darauf an, das Gesamtanliegen des Projektes und Grundli-nien seiner Durchführung zu erörtern.
Was das Gesamtanliegen angeht, so werden in der Einleitung des Buches sowohl die Problemstellung als auch das mediale Be­zugsfeld ihrer Bearbeitung klar benannt: Den Ausgangspunkt bildet zunächst die Wahrnehmung von tiefgreifenden Perspektivendifferenzen zwischen Theologie und Religionswissenschaft, die zugleich die Frage nach möglichen Konvergenzlinien aufwirft. Die Religionsphilosophie wird nicht gesondert erwähnt, dürfte allerdings mit keiner der beiden genannten Fachrichtungen identisch sein. Die Vermutung, dass es Konvergenzen zwischen diesen verschiedenen Umgangsweisen mit dem Religionsthema gibt, lässt es nun nicht abwegig erscheinen, ihnen einen gemeinsamen Gegenstand zuzuerkennen. In dieser Annahme einer »identity of the subject named ›religion‹« (VII) zeigt sich daher eine zentrale Prämisse des Projektes. Die damit umrissene Problemstellung fordert natürlich heraus, nach einem medialen Bezugsfeld zu suchen, in dem sich die verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven überschneiden und daher die Annahme einer Identität ihres Gegenstandes diskursiv erprobt werden kann. Die Wahl fällt auf Schleiermachers Reden über die Religion. Eine solche Wahl liegt nahe, da dieser Text nicht nur in allen genannten Fachrichtungen eine prominente Rolle spielt, sondern die in ihm entwickelte inhaltliche Position ebenfalls zwischen den einzelnen Perspektiven hin- und herzugehen scheint. Vor ihrem Hintergrund wird sich mancher Leser/manche Leserin vielleicht an den Internationalen Kongress der Schleiermacher-Gesellschaft anlässlich des 200-jährigen Ge­burtstages dieses Werkes erinnern, dessen Beiträge in dem von Ulrich Barth und Claus-Dieter Osthövener herausgegebenen Konferenzband 200 Jahre »Reden über die Religion« (2001) vereinigt sind. Während dieser der Breite der Schleiermacherforschung um ihrer selbst willen Rechnung zu tragen versucht, geht es Interpreting Religion um etwas anderes: Ziel ist es, die Bedeutsamkeit der Reden für die Frage der Verhältnisse zwischen Theologie und Religionswissenschaft/Philosophie herauszustellen. Man könnte auch sagen, im Medium des Schleiermacherdiskurses soll ein interdisziplinäres Problem von großer Wichtigkeit bearbeitet werden.
Was die Grundlinien der Durchführung angeht, sind die Beiträge in vier thematische Sektionen eingeteilt: I. Religion and Emotion (T. Dietz, Thandeka, G. Northoff, J. Lauster); II. Religion and Imagination/Representation (W. Proudfoot, A. Arndt, T. Erne); III. Reli-gion and the Social World (A. Dole, H. Joas, M. Gutmann); IV. Reli-gion and Politics (T. Vial, W. Gräb). Die verschiedenen Sektionen sind mit Bedacht gewählt, da sie es erlauben, aktuelle Fragen der religionsbezogenen Wissenschaften ausgehend von der Position Schleiermachers zu diskutieren. Dabei changieren die Beiträge zwischen solchen, die sich stärker mit dem systematischen Profil des Religionsbegriffs der Reden auseinandersetzen (Gefühls-/Imaginationsbegriff, Verhältnisbestimmung von Religion und Philosophie, von Individuum und Gemeinschaft) und solchen, in denen die Einsichten der Reden mehr oder weniger direkt auf aktuelle De­battenzusammenhänge übertragen werden (neurowissenschaftliche Religionsforschung, Differenzen und Bezugspunkte zwischen naturwissenschaftlicher und hermeneutischer Perspektive, Stellung des Erfahrungsbegriffs im wissenschaftlichen Religionsdiskurs). Die Position der Reden bleibt in den einzelnen Texten nicht immer unwidersprochen und auch die kritische Dimension der Konferenzdebatte ist im Sammelband zumindest in einer Sektion integriert (Gräb versus Vial). Den vier thematischen Einheiten ist schließlich ein Beitrag vorgeordnet, in dem es ganz grundlegend um die philosophische Bestimmung des Glaubensbegriffes (»faith«) geht (V. Gerhardt). Entgegen einer rein subjektivistischen Bestimmung des Glaubensvollzugs, die schon aus logischen Gründen keinen Sinn macht, und der gegenläufigen Verschmelzung von Glau ben und Wissen wird ausgehend von einer luziden Theorie der Genese von Bestimmtheit der Glaube als ein »von der Vernunft getragenes Gefühl« (15) begriffen.
Im Rückblick betrachtet, führt die Bandbreite der Beiträge vor Augen, welche Anknüpfungspunkte die Reden für einen interdisziplinären Diskurs bieten können. Bezüglich der Ausgangsfrage fällt dabei auf, dass das Verhältnis zwischen Theologie und Religionswissenschaft/Philosophie nicht – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – in den Beiträgen selbst eine grundbegriffliche Bearbeitung erfährt. Ein solcher methodologischer Diskurs fällt überhaupt aus. Es scheint vielmehr so zu sein, dass bereits die Zusammenstellung der Perspektiven auf den Text mögliche Verhältnisbestimmungen zwischen den Disziplinen im Vollzug erproben möchte. Das scheint – so die Erinnerungsszene der Einleitung (XV f.) – im Großen und Ganzen auch gelungen zu sein, wenngleich manche Beiträge mit sehr verwegenen und begründungsoffenen Thesen operieren (etwa: »Schleiermacher’s Brain Science«). Somit bietet der Band zwar keinen wesentlich neuen Beitrag zur Schleiermacherforschung im engeren Sinn, wohl aber prägnante Hinweise darauf, welche aktuellen Schnittstellen ausgehend von dieser Religionstheorie in in­terdisziplinären Zusammenhängen weiter zu bearbeiten sind.