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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1002–1003

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Josef

Titel/Untertitel:

Petrus und sein Grab in Rom. Gemeindegründung, Martyrium und Petrusnachfolge in der Offenbarung des Johannes und im Hirt des Hermas.

Verlag:

Hildesheim u. a.: Georg Olms Verlag 2010. 536 S. m. 19 Abb. = Theologische Texte und Studien, 16. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-3-487-14483-2.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Angeregt durch die quellenkritische, freilich kontrovers aufgenommene Untersuchung von O. Zwierlein (Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse, Berlin 2009, 22010) haben die Umstände sowie die literarischen und archäologischen Quellen der Reise, des Todes und der Bestattung des Petrus in Rom vor nicht allzu langer Zeit ein breites, nicht nur akademisches Echo gefunden. Eine ganz eigene Studie zur Petrusproblematik und zum Ursprung der römischen Gemeinde legt Josef Schmidt vor. Nach einer knappen Einleitung (15–17) entfaltet er seine Argumente und Beobachtungen in sechs Hauptteilen. In den drei Kapiteln des ersten Hauptteils (A: »Petrusamt und Petrusnachfolge in der Offenbarung des Johannes«, 18–113) zeichnet S. den Autor der Apk als frühesten Zeugen »einer Theologie des Petrus- und Apostelamtes, welche Funktion und Autorität der Apostel auch einer nachapostolischen Kirche erhalten und sichern wollte« (15).
S. schließt sich dabei einer »konsequent zeitgeschichtlichen Lektüre« an und datiert Apk früh, geht aber davon aus, dass die Apk wie auch die frühchristliche Literatur insgesamt einer ausgeprägten »Arkandisziplin« unterworfen waren und daher eigens »entschlüsselt« werden müssten. Ausführliche gematrische, populäretymologische und assoziative Interpretationsketten schaffen die Grundlage für eine oft radikale Umdeutung bekannter Textpassagen: So erkennt S. z. B. in Apk 10 eine Beschreibung des vatikanischen Obelisken (73–79) oder Apk 11 »erinnert an Martyrium und Gräber der römischen Apostelfürsten« (37–40). So lebte und wirkte der »Autor der neutestamentlichen Apokalypse […] nicht in Kleinasien, sondern in Rom« (15). Dementsprechend vertraut sei der Autor mit »stadtrömischen Verhältnissen« und den Apostelgräbern. – Was aber ist dann mit »Asia« in Apk 1,4 und »Patmos« in Apk 1,9? S. sieht diese Sicht der Apokalypse durch den »Hirten des Hermas« bestätigt, dessen visionäre Texte S. vorgeblich »unter einer kirchengeschichtlichen Perspektive« auswerten möchte, tatsächlich jedoch wiederum mithilfe seiner idiosynkratischen Dechiffrierung interpretiert (40). Den Autor des ersten Teils des Herm identifiziert S. mit Hermas aus Röm 16,14 und begreift ihn als Vervielfältiger des »kleinen Buches« (Herm, vis. 1–2), das man S. zufolge mit dem »Evangelium des Johannes Markus« identifizieren könne (16). Dieser wurde »ein knappes Jahrhundert später von Papst Pius I. ergänzt« (324). Man staunt! Der zweite Hauptteil widmet sich frühchristlichen Texten, die das einzigartige Petrusamt hervorheben und die Motive für Petri Reise nach Jerusalem deutlich werden lassen (B: »Neutestamentliche Ergänzungen«), wozu S. Joh 21; 2Tim; ein »Petrus-Kryptogramm« in Phil 3,4 und 4,2–3 (145–148.153–155); Tit; Jak und 2Ptr zählt. In Teil C behandelt S. »Die Gründung der römischen Gemeinde im Spiegel des Markusevangeliums und der Grußliste des Römerbriefs« (195–234), wendet sich dem »historische[n] Ursprung des Petrusdienstes nach dem Evangelium des Johannes Markus« zu (235–269), untersucht »Die verborgene Präsenz der Mutter Jesu in der Zeit der frühen Christenheit« (270–323) und wendet sich schließlich dem »Hirt des Hermas« zu (324–469), den er als eine detaillierte Beschreibung eines Zeitzeugen der Petrusbestattung und der Petrusmemorie liest. Sowohl im Detail als auch in Gänze sieht S. die altkirchliche Tradition durch seine Interpretationen im vollen Umfang bestätigt.
Ein Anhang mit 12 Exkursen zu Detailproblemen, ein Abbildungsteil zur Petrusmemorie im 1. und 2. Jh., eine Bibliographie sowie die üblichen Register, jedoch keine eigentliche Zusammenfassung der Ergebnisse, runden den Band ab, der den Rezensenten ebenso ratlos wie verwirrt zurücklässt. S.s methodische Annahmen können nur als willkürlich bezeichnet werden. Entweder man glaubt ihm, dass er den Schlüssel zu den angeblich verhüllten Texten besitzt, und kann ihm dann (möglicherweise) folgen, oder eben nicht. Nirgends wird einsichtig gemacht, nach welchen Kriterien die Auflösungen angeblich »verschlüsselter« Aussagen zu handhaben sind und wie S. von einer bestimmten Passage im Text durch Vertauschungen und Ersetzungen im Wortbestand plötzlich zu völlig andersartigen Aussagen kommt (und vor allem, warum überhaupt zu diesen und nicht anderen?), die er dann kunstvoll mit weiteren Textpassagen verbindet, um so zu ganz konkreten Behauptungen über Personen und Gegebenheiten der frühen Kirchengeschichte zu gelangen. Viele der historischen Schlüsse und Behauptungen sind bestenfalls höchst spekulativ, so etwa die Behauptung, dass es Hermas gelungen sei, »die Leiche des Apostels Petrus aus dem Zirkus zu bergen und in der nahegelegenen Nekropole beizusetzen« (16), oder dass 2Petr von Lukas, dem »langjährigen Paulusmitarbeiter«, auf Bitten des Petrusnachfolgers Linus geschrieben worden sei. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
S. ist gern darin Recht zu geben, dass Petrus eine herausragende Rolle in der frühen Kirche gespielt hat, für die Rekonstruktion der komplexen Gemengelage dieser Rolle sind seine Ausführungen m. E. jedoch schwerlich tragfähig.