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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1000–1001

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gese, Michael

Titel/Untertitel:

Der Epheserbrief.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2013. 208 S. = Die Botschaft des Neuen Testaments. Kart. EUR 14,99. ISBN 978-3-7887-2709-3.

Rezensent:

Petr Pokorný

Der neue allgemein verständliche Kommentar zum Neuen Testament von Michael Gese bietet eine sukzessive Auslegung, die am Ende (179–202) durch eine kurze Untersuchung der Struktur, einiger Probleme, des theologischen Anliegens und der aktuellen Bedeutung der Epistel abgeschlossen wird. Am Ende der einzelnen Absätze der Auslegung stehen graphisch unterschiedene theologische Zusammenfassungen. In der Einleitung wird nur das Problem des deuteropaulinischen Ursprungs (der Pseudepigraphie) und der Datierung behandelt. Eine kurze Bibliographie und hilfreiche Register wichtiger Begriffe ergänzen den Band.
Die Einleitungsfragen werden dem überwiegenden wissenschaftlichen Konsens gemäß beantwortet: Die Epistel ist deuteropaulinisch, in den Jahren 80–90 in der Nähe von Ephesus entstanden, ursprünglich (dem textkritischen Befund entsprechend) an Christen an allen Orten adressiert, d. h. der erste Satz ist auch ohne Adresse (Ortsangabe) sinnvoll. Die Grundstruktur der Epistel ist zweigliedrig: 1,1–3,21: die Lehre des Glaubens, 4,1–6,24: Hinweise für das Leben im Glauben.
In der sukzessiven Auslegung werden die einzelnen Züge der Theologie der Epistel deutlich: Die Kirche (ekklēsia), die in der apostolischen Vergangenheit verankert ist, ist die Gesamtkirche, der Leib Christi, der eine kosmische Sendung hat und die überindividuellen Mächte bekämpfen kann und soll. Das ist nach G. das am meisten aktuelle Erbe des Epheserbriefes: Die Verantwortung der Kirche für das All als die Schöpfung Gottes. Das Christusgeschehen wird als seine Mitte in einen Heilsplan Gottes eingeordnet. Es wird durch die aktuelle Verkündigung ständig aktualisiert. Das Ziel des Wachstums des Leibes ist die endzeitliche Vollendung der durch Christus vermittelten Teilhabe der Glaubenden an der himmlischen Welt. Mit dem paulinischen Denken ist der Epheserbrief durch Hervorhebung der Initiative Gottes in dem Geschehen verbunden, das zur Rettung der Menschen führt. Die Eschatologie des Briefes hat allerdings – das verschweigt G. nicht – auch eine offene Dimension.
Dies alles wird nicht als popularisierende Mitteilung präsentiert. G. ist ein erfahrener Exeget, er ist auch mit der Sekundärliteratur gut vertraut und kann den Leser Schritt für Schritt in die Welt des Verfassers einweisen. Die Auslegung erscheint als sinnvolles Ganzes, wenn sie auch einige Male durch kurze Informationen in Kleinschrift unterbrochen wird, die über einzelne Begriffe und Probleme informieren. Die hymnischen Ab­schnitte werden als poetische Texte behandelt, aber nicht als übernommenes Gut betrachtet.
Kritisch ist vielleicht auf die Harmonisierung einiger Spannungen und Probleme zu verweisen. Z. B. ist die Pseudepigraphie nicht nur eine Äußerung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, sondern auch ein theologisches Problem, denn der intendierte Leser sollte die Epistel als ein authentisch paulinisches Schreiben lesen. Dazu dienen die wiederholten fiktiven Verweise auf die Ketten des Apostels oder die Erwähnung des Tychikus in 6,21. Ein Kommentar sollte es dem Leser sagen und ihm gleichzeitig helfen, sich damit auseinanderzusetzen, z. B. mit dem Hinweis auf die Rechtfertigung aus der Gnade Gottes, die auch für die pseudepigraphen Schriften gilt. Auch die Verschiebung der endzeitlichen Erfüllung in die himmlische Gegenwart (»und/Gott/ hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt in den Himmeln in Christus Jesus« – Eph 2,6) ist gegenüber Röm 6,8 (»so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden«) eine beträchtliche Akzentverschiebung, auf welche andere Repräsentanten der Paulusschule(n) scharf reagiert haben (2Tim 2,18). Der Kolosser- und der Epheserbrief mussten diesen Heilsperfektionismus durch entfaltete Paränese (»Haustafeln«) kompensieren. Es hat sich immer gelohnt, diese Probleme zu verdeutlichen, denn der Streit der biblischen Autoren um den richtigen Ausdruck ihrer Glaubenserfahrung ist selbst ein Zeugnis der inneren Kraft des Evangeliums.
Die kritischen Bemerkungen sollen die Leistung des Kommentators nicht vermindern. Es handelt sich um eine gelungene und für die Leser nützliche Auslegung.