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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

965–982

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dirk-Martin Grube

Titel/Untertitel:

Alvin Plantingas Apologie des Glaubens

Einer der momentan meistrezipierten religionsphilosophischen Autoren ist der 1932 geborene Alvin Plantinga. Er gehört neben Nicholas Wolterstorff (geb. 1932) und William Alston (1921–2009) zu den führenden Vertretern der Reformed Epistemology, die eine der wichtigsten Richtungen in der Religionsphilosophie darstellt. Ihr Hauptanliegen ist ein apologetisches, sie will den Glauben mit den Mitteln heutiger Erkenntnistheorie verteidigen.1 Genauer gesagt will sie gegen die verbreitete Kritik, der Glaube sei aus er­kennt-nistheoretischen Gründen abzulehnen, aufweisen, dass Glaube epistemisch »salonfähig« ist.

Grundsätzlich ist zwischen zwei Arten apologetischen Vorgehens zu unterscheiden: Zum einen kann die Plausibilität des Glaubens auf evidentialistischer Grundlage verteidigt werden. Dabei wird argumentiert, dass hinreichende Evidenz für bestimmte Glaubensannahmen, wie zum Beispiel die Existenz eines höchsten Wesens, vorhanden ist. Dieser apologetische Rekurs auf Evidenz kann einerseits mit Wahrheitsansprüchen verbunden werden. In diesem Fall wird vorausgesetzt, dass die vorhandene Evidenz die Wahrheit bestimmter Glaubensannahmen beweist.2 Zum anderen kann die vorhandene Evidenz mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen verbunden werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die vorhandene Evidenz zwar nicht die Wahrheit, aber doch die Wahrscheinlichkeit bestimmter Glaubensannahmen verbürgen kann.3

Davon zu unterscheiden sind apologetische Vorgehensweisen, bei denen der Rekurs auf Evidenz keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Berühmte klassische Beispiele dafür sind Blaise Pascals ›Wette‹4 oder William James’ Argument, dass religiöse Überzeugungen unter bestimmten Bedingungen mit Hilfe des Willens (oder gar der Emotionen) gerechtfertigt5 werden können6. Die Frage der Evidenz dieser Überzeugungen spielt hier nur eine untergeordnete Rolle, da nicht die Überzeugungen und deren Wahrheitsgehalt im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, ob die Gläubige gerechtfertigt ist, ihre religiösen Überzeugungen zu vertreten. Zugespitzt ausgedrückt: Bei dieser Art apologetischer Argumentationen geht es primär nicht um die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit von Überzeugungen, sondern um die epistemischen Rechte des gläubigen Subjekts.

Zu dieser Art apologetischer Argumentationen gehört auch die Reformed Epistemology. Auch sie schreibt der Frage nach der Evidenz religiöser Überzeugungen keine zentrale Rolle zu, sondern konzentriert sich auf die Frage nach der Rechtfertigung des gläubigen Subjekts.

Allerdings ist diese Aussage sogleich zu differenzieren: Sie trifft sicher für Wolterstorff zu, der ein klassischer virtue epistemologist ist.7 Er verteidigt die Auffassung, das gläubige Subjekt sei gerechtfertigt (entitled), seine Überzeugungen zu vertreten, insofern es seine epistemischen Rechte und Pflichten beachtet.8 Auch Alston mit seiner Betonung der Wahrnehmung und deren Erfahrungs-bezug schreibt dem Subjekt eine wichtige Rolle zu.9 Doch wie sich zeigen wird, spielen bei Plantinga die epistemischen Rechte des Subjekts in seinen verschiedenen Schaffensphasen eine unterschiedliche Rolle: In seiner unten analysierten dritten Phase stehen mehr die Erkenntnismechanismen als das Erkenntnissubjekt im Mittelpunkt, so dass er nicht uneingeschränkt als Vertreter der virtue epistemology be­zeichnet werden kann.

Der Grund, warum ich im Folgenden Plantinga als exemplarischen Vertreter der Reformed Epistemology diskutiere, hat vor allem damit zu tun, dass er der mit weitem Abstand meistrezipierte der drei führenden Reformed Epistemologists ist.10 Ob er damit auch deren »unbestritten führender Kopf«11 ist, lasse ich hier dahingestellt.12 Es ist jedenfalls deutlich, dass, insofern eine Auswahl zwischen den dreien getroffen werden muss, Plantinga zu wählen ist – gerade im deutschsprachigen Kontext, in dem er in den letzten Jahren intensiv rezipiert wird.

Insofern ich Plantinga als Vertreter der Reformed Epistemology diskutiere, beschränke ich mich auf diejenigen seiner Überlegungen, die für diese besonders charakteristisch sind, vor allem auf seine erkenntnistheoretischen Argumentationen.13 Deshalb gehe ich hier auch nur auf seine zweite und dritte Schaffensphase ein.14

I Plantingas zweite Phase



1 Grundlegende Charakterisierung


Plantingas zweite Phase reicht von ungefähr 1975 bis 1987. Kennzeichnend für diese ist Plantingas Umgang mit der erkenntnistheoretischen Position des foundationalism. Diese ist darum zu­nächst darzustellen.

1.1 »Foundationalism«


Der foundationalism15 kennzeichnet sich durch eine starke Trennung zwischen zwei Überzeugungsklassen: solche, die aufgrund anderer Überzeugungen gerechtfertigt sind, und solche, die un­mittelbar (immediately) geformt werden. Letztere sind basal (properly basic).

Der Grund für diese Trennung in zwei grundsätzlich verschiedene epistemische Klassen ist, dass rationale Begründungsvorgänge einen Endpunkt haben müssen: A kann mit B begründet werden, B mit C usw. Doch wenn diese Begründungskette nicht un­endlich weitergehen soll, muss sie irgendwo verankert sein, ein festes Fundament haben. Dieses Fundament bilden die basalen Überzeugungen, die für den foundationalist kategorial von den nichtbasalen, also abgeleiteten Überzeugungen, zu unterscheiden sind.

Der foundationalist meint nun, dass der Evidenztransfer nur von den basalen zu den nicht-basalen Überzeugungen stattfinden kann, aber nicht umgekehrt: Die Evidenz, die die basale Überzeugung C besitzt, kann (via B) auf A übertragen werden, aber A trägt nichts zur Erhöhung der Evidenz von C bei. Der foundationalism kennzeichnet sich also durch eine Begründungseinbahnstraße, bei der der Transfer von positivem epistemischem Status (zum Beispiel Evidenz) prinzipiell nur von den basalen zu den nicht-basalen Überzeugungen vollzogen werden kann, niemals umgekehrt.

Diese »Begründungseinbahnstraße« impliziert, dass die basalen Überzeugungen im foundationalism einen Sonderstatus genießen: Da ihr positiver epistemischer Status nicht von anderen Überzeugungen abgeleitet werden kann – wäre das möglich, wären sie nicht wirklich basale Überzeugungen –, muss er unmittelbar einsichtig sein. Beispiele für derartige, unmittelbar einsichtige Überzeugungen sind logische und mathematische Überzeugungen wie »2 + 2 = 4«.

Für jeden foundationalism stellt sich die Frage, wie nun die Rationalität der basalen Überzeugungen gesichert werden kann. Die klassische Antwort darauf ist, dass nur solche Überzeugungen berechtigterweise als basal gelten können, die selbst-evident, sinnlich-evident (evident to the senses) oder unkorrigierbar sind.16 Da religiöse Überzeugungen keines der drei Kriterien erfüllen, gelten sie aus der Sicht des klassischen (classical) foundationalism als nicht basal.

1.2 Plantingas Kritik am klassischen foundationalism


Plantinga kritisiert diese Kriterien aus zwei Gründen: Zum Ersten führt ihre Anwendung insofern zu einem Selbstwiderspruch, als der klassische foundationalism selbst diese Prinzipien nicht erfüllt. Die Überzeugung, dass nur das, was selbst-evident, sinnlich-evident oder unkorrigierbar ist, als basal gelten kann, ist weder selbst-evident, noch sinnlich-evident, noch unkorrigierbar. Aus der Sicht des klassischen foundationalism kann diese Überzeugung also nicht basal sein.17

Zum Zweiten führt die Anwendung der genannten Kriterien zu kontraintuitiven Konsequenzen. Wenn nur selbst-evidente, sinnlich-evidente oder unkorrigierbare Überzeugungen legitimer-weise als basal angesehen werden können, werden viele Ansprüche ausgeschlossen, die wir normalerweise als basal ansehen. Zu diesen gehören zum Beispiel Überzeugungen wie die, dass die Welt seit mehr als fünf Minuten existiert oder dass außer mir andere Personen existieren.18 Obwohl basal, weil nicht aufgrund anderer Überzeugungen gewonnen, sind diese Überzeugungen weder selbst-evident, sinnlich-evident noch unkorrigierbar. Diese Kriterien sind also zu restriktiv und ihre konsequente Anwendung würde zu absurden Konsequenzen führen.

Charakteristisch für die zweite Phase seines Wirkens ist nun, welche Konsequenzen Plantinga aus dieser Kritik an den drei Kriterien des klassischen foundationalism zieht: Er argumentiert, dass es, insofern die Kriterien, die es verbieten, theistische Überzeugungen als basal anzusehen, hinfällig sind, keine durchschlagenden Gründe mehr gibt, diesen Überzeugungen Basalitätsansprüche vorzuenthalten. Auch für diese Überzeugungen kann legitimerweise geltend gemacht werden, dass sie unmittelbar erworben sind.

Insofern sie unmittelbar erworben sind, gilt auch für sie der Sonderstatus, den basale Überzeugungen im foundationalism ge­nießen: Auch sie können einen positiven epistemischen Status beanspruchen, ohne dass dieser erst durch Ableitung aus anderen Überzeugungen mit positivem epistemischem Status (etwa Evidenz) gesichert werden muss. Theistische Überzeugungen können also gerechtfertigt sein, obwohl keine hinreichende Evidenz für sie geltend gemacht werden kann. Selbst wenn die Theistin keine Argumente für die Existenz Gottes erbringen kann, können ihre Überzeugungen dennoch gerechtfertigt sein.

2 Bewertung von Plantingas zweiter Phase


Plantingas Argumentation hat viel Aufsehen erregt und ist sowohl zustimmend wie auch kritisch rezipiert worden. Dazu hat vor allem der provokative Anspruch beigetragen, theistische Überzeugungen könnten epistemisch »salonfähig« sein, ohne dass ihre Evidenz aufgezeigt werden muss. Dieser Anspruch geht direkt gegen das Standargument gegen den Theismus ein, dieser sei abzulehnen, weil nicht hinreichend Evidenz für ihn geltend gemacht werden kann.

2.1 Die neuzeitliche Rationalitätskonzeption


Dieses ist besonders provokativ im anglo-amerikanischen Kontext, in dem der Evidentialismus einen integralen Unterteil einer umfassenden Rationalitätskonzeption darstellt. Diese Konzeption impliziert in Hinsicht auf theistische Überzeugungen eine Reihe miteinander verbundener Annahmen. Dazu gehören

– die im Zuge der Neuzeit19 sich herausbildende Bestimmung von Rationalität auf evidentialistischer Grundlage (rational können nur Überzeugungen sein, für die hinreichende Evidenz besteht),

– die Annahme, dass keine hinreichende Evidenz für theistische Überzeugungen geltend gemacht werden kann, so dass es rational ist, sich dieser zu enthalten,

– eine daraus folgende, ganz spezifische diskursive Rollenverteilung zwischen Theisten und Atheisten: Wollen Erstere ihre Überzeugungen doch auf rationaler Basis vertreten, liegt die Beweislast auf ihren Schultern, sie stehen in der Pflicht, Argumente vorzubringen.

Mit dieser diskursiven Rollenverteilung hängt die bekannte Charakterisierung der Moderne als gekennzeichnet durch eine »pre­sumption of atheism«20 zusammen: Können Theisten diese Be­weislast nicht erbringen, fällt ihre Position zugunsten des Atheismus ab. Letzterer ist also die »natürliche« Ausgangsposition, gegen die hinreichend Evidenz aufgebracht werden muss.

Ich fasse diesen Zusammenhang zwischen der Identifikation von Rationalität und Evidentialismus, der spezifischen diskursiven Rollenverteilung zwischen Theismus und Atheismus und besagter presumption of atheism als neuzeitliche Rationalitätskonzeption (im anglo-amerikanischen Bereich) zusammen.

2.2 Plantingas Kritik an dieser Rationalitätskonzeption


Plantingas Argumentationen dieser Zeit sind technisch epistemologisch, beschäftigen sich mit der Frage nach legitimen Kriterien für Basalitätsansprüche und Ähnlichem. Doch die Wirkung, die seine zweite Phase erzielt hat, geht weit über derartige technische Fragen hinaus. Meine These ist, dass die Breitenwirkung dieser Phase damit zu erklären ist, dass durch Plantingas Argumentationen zumindest implizit die neuzeitliche Rationalitätskonzeption hinterfragt wird.

Plantinga geht zu Beginn seines für diese Phase kennzeichnenden Aufsatzes »Reason and Belief in God« auf die umfassenderen geistesgeschichtlichen Bezüge in Gestalt besagter »presumption of atheism« ein,21 verliert diese aber im Verlauf seiner Argumentation weitgehend aus dem Auge. In der Zusammenfassung des Ertrages seiner Argumentation behauptet er lediglich, mit seiner Kritik am klassischen foundationalism auch den »evidentialistischen Einwand« (the evidentialist objection) gegenüber theistischen Überzeugungen entkräftet zu haben.22 Das ist aber eine problematische Behauptung, da nicht alle evidentialistischen Einwände auf einem klassischen foundationalism beruhen, sondern auch anders be­gründet sein können.23 Vor allem aber bleiben bei dieser Zusammenfassung die umfassenderen geistesgeschichtlichen Implikationen unberücksichtigt. Diese bestehen nicht nur darin, eine bestimmte Unterart evidentialistisch motivierter Religionskritiken zu entkräften, sondern darin, implizit die neuzeitliche Rationalitätskonzeption zu hinterfragen.

Wenn Plantingas Argument zutrifft, dass theistische Überzeugungen legitimerweise basal sein können, wird die Theistin der Notwendigkeit enthoben, deren positiven epistemischen Status durch einen Evidenztransfer von anderen Überzeugungen aufweisen zu müssen. Theistische Überzeugungen können also legitimerweise Rationalitätsansprüche geltend machen, ohne dass ihr positiver epistemischer Status erst argumentativ aufgewiesen werden muss. Damit wird die einseitige Verteilung der Argumentationslast auf die Schultern der Theistin, also die spezifisch neuzeitliche diskursive Rollenverteilung und damit die »presumption of atheism«, hinterfragt.

Kurzum, die Argumentationen von Plantingas zweiter Phase relativieren die selbstverständliche Geltung der neuzeitlichen Ra­tionalitätskonzeption mit ihren religionskritischen Implikationen. Diese Relativierung ist der Grund dafür, dass seine eher technisch-epistemologischen Argumentationen eine derartige Wirkung er­zielt haben.

2.3 Kritik an Plantinga


Allerdings ist dabei hinzuzufügen, dass diese Relativierung um einen hohen Preis erkauft ist: Sie führt zu einem Relativismus.24 Die Kehrseite von Plantingas Kritik an besagter Rationalitätskonzeption ist eine weitgehende Unterminierung aller Rationalitätskriterien.

Der Grund dafür ist, dass Plantinga die Basalitätskriterien des klassischen foundationalism ablehnt, dabei aber an der Art von Basalitätsansprüchen festhält, die für foundationalist Ansätze charakteristisch sind. Er höhlt den foundationalism sozusagen aus, hält dann aber an dessen Schale fest, indem er an der strikten Un­terscheidung zwischen unmittelbaren (properly basic) und abge-leiteten Überzeugungen und der epistemischen Sonderstellung ersterer festhält. Das ermöglicht ihm zwar, auch theistischen Überzeugungen diese Sonderstellung zuschreiben zu können. Da­für bezahlt er aber den Preis, zu vielen Überzeugungen diese Sonderstellung zuschreiben zu müssen – durch besagte Aushöhlung des foundationalism hat er sich der konzeptionellen Ressourcen beraubt, um potentiell rationale von potentiell irrationalen (theis­tischen und auch anderen) Geltungsansprüchen unterscheiden zu können.

Plantinga führt an, dass es Unterscheidungskriterien zwischen christlichem Glauben und offensichtlich unsinnigen Glaubensauffassungen, wie dem Glauben an die Rückkehr des Großen Kürbis an jedem Halloween, gibt: Der christliche Glaube ist nicht grundlos.25 Schon Calvin hat auf die menschliche Disposition hin-gewiesen, weltliche Ereignisse auf Gottes Eingreifen zurückzuführen.26 Dieses gelte für den Glauben an den Großen Kürbis nicht, »there being no Great Pumpkin and no natural tendency to accept beliefs about the Great Pumpkin«.27

Um nach dem Wegfall der Basalitätskriterien des klassischen foundationalism noch zwischen rationaler und irrationaler Theoriebildung unterscheiden zu können, rekurriert Plantinga auf eine »induktive Methodologie«: Kriterien für legitime Basalitätsansprüche werden nicht ex cathedra, von oben, sondern aufgrund relevanter Fallbeispiele, induktiv, formuliert. So ist die Christin gerechtfertigt, von für sie relevanten Beispielen auszugehen und mit Hilfe einer induktiven Verfahrensweise entsprechende Kriterien zu gewinnen.28

Das Problem ist aber, dass weder die Unterscheidungsgründe zwischen theistischen Überzeugungen und denen an den Großen Kürbis noch die induktive Methodologie im Stande sind, das durch den Wegfall der Kriterien des klassischen foundationalism entstandene kriteriologische Vakuum aufzufüllen. Denn das epistemische Recht, Basalitätskriterien mit Hilfe relevanter Fallbeispiele zu gewinnen, gilt selbstverständlich nicht allein für die Christin, sondern auch für alle anderen Überzeugungssysteme – wie zum Beispiel atheistische. Doch wenn sowohl die Christin wie auch der Atheist gerechtfertigt sind, von ihren jeweils verschiedenen Ausgangsbeispielen ausgehend verschiedene Kriterien für Basalitätsansprüche zu gewinnen, stellt sich wiederum das Relativismusproblem ein, da keine Möglichkeit besteht, die verschiedenen Ansprüche noch einmal neutral bewerten zu können. Letztendlich verschiebt die Einführung der induktiven Methodologie das Relativismusproblem nur, ohne es lösen zu können. 29

Von diesen Überlegungen ausgehend ist die einschlägige Kritik an Plantingas zweiter Phase zu präzisieren: Vielfach wird behauptet, Plantingas Ansatz sei gescheitert, da die von ihm eingeführten Postulate – zum Beispiel das eines sensus divinitatis – keine externalistische30 Rechtfertigung seines Ansatzes erlauben.31 Klein lehnt diese Kritik ab, da es Plantinga in dieser Phase um deontologische statt externalistischer Rechtfertigungsansprüche geht: Der Rekurs auf Postulate wie das des sensus divinitatis soll nicht gegenüber der Außenperspektive die Rechtfertigung des christlichen Theismus nachweisen, sondern sozusagen nach innen aufzeigen, dass die Christin keine epistemischen Pflichten verletzt, wenn sie auf derartige Postulate rekurriert.

Kleins Argumentation weist in die richtige Richtung. Ohne epistemologisches Fachvokabular ausgedrückt: Es ist ein Missverständnis, anzunehmen, Plantingas Rekurs auf diese Postulate hätte eine Begründungsfunktion nach außen. Theistische Überzeugungen sind für Plantinga immer schon grundsätzlich begründet, insofern sie unmittelbar gewonnen sind, also legitimerweise Basalitätsansprüche geltend machen können. Sein Rekurs auf Postulate wie das des sensus divinitatis hat dagegen eine Abgrenzungs- statt einer Begründungsfunktion: Er soll das Folgeproblem lösen, das sich einstellt, nachdem der Theismus grundsätzlich als basal erwiesen worden ist. Dieses Folgeproblem besteht eben darin, dass nach der Aushöhlung der Kriterien für Basalität zu viele Überzeugungssysteme einen basalen Status reklamieren können. Deshalb bedarf es nachträglicher Abgrenzungskriterien, die aus der Vielzahl prinzipiell gerechtfertigter Basalitätsansprüche noch einmal zwischen potentiell rationalen und irrationalen Überzeugungssystemen unterscheiden können. Deshalb behauptet Plantinga, dass es eine natürliche Neigung zur Annahme christlicher Überzeugungen gibt, während dasselbe für den Glauben an den Großen Kürbis nicht gilt.

Darum ist die einschlägige Kritik an Plantingas Ansatz seiner zweiten Schaffensphase (s. oben) zu modifizieren: Das Problem ist nicht so sehr, dass Plantinga gescheitert ist, sondern dass er zu erfolgreich ist. Zwar gelingt es ihm, dem Theismus einen Platz unter den basalen Überzeugungen zuzuweisen, so dass auch für diesen die Sonderstellung beansprucht werden kann, die innerhalb eines foundationalism für basale Überzeugungen geltend gemacht werden kann. Doch nach dem Wegfall der Kriterien des klassischen foundationalism können zu viele andere Überzeugungssysteme dieselben Basalitätsansprüche geltend machen. Die nachträglichen Abgrenzungskriterien, die Plantinga anführt, sind nicht wirklich operationalisierbar, erlauben keine Abgrenzung rationaler von ir­rationalen Überzeugungssystemen. Plantingas Ansatz ist in dieser Phase also dem Relativismusvorwurf ausgesetzt, da er zu viele Überzeugungssysteme als gerechtfertigt anerkennen muss.

Klein bewertet Plantingas Thesen dieser Phase einerseits als »richtig«, da Plantinga sein Ziel erreicht hat, aufzuzeigen, dass theistische Überzeugungen »berechtigterweise basal« und »deontologisch gerechtfertigt« sein können. Andererseits hält er fest, dass Plantingas induktive Methodologie in einer »Sackgasse endet« und er »keine überzeugenden Gründe für die Existenz eines sensus divinitatis vorlegt.«32 Diese Kritik wird Plantinga besser gerecht als die, die vom Missverständnis ausgeht, es würde ihm um eine externalistische Rechtfertigung gehen. Doch ist sie zu unspezifisch: Der Erfolg Plantingas in dieser Phase besteht nicht nur darin, dass er aufgrund technisch-epistemologischer Argumentationen die po­tentielle Legitimität des Glaubens durch dessen Basalitätsaufweis sichert, sondern darin, dass er damit zumindest implizit die neuzeitliche Rationalitätskonzeption mit ihren religionsfeindlichen Implikationen hinterfragt (s. oben).

Ebenso ist auch Kleins Vorwurf, Plantingas Ansatz würde in einer »Sackgasse« enden, zu allgemein. Der Vorwurf ist stattdessen dahingehend zu spezifizieren, dass Plantingas Erfolg um einen zu hohen Preis erkauft ist: Sein Sieg über die religionsfeindlichen Basalitätskriterien, die im klassischen foundationalism impliziert sind, hinterlässt ein kriteriologisches Vakuum, so dass er zu einem Pyrrhussieg zu werden droht. Zu viele Überzeugungen können nunmehr als basal reklamiert werden. Die nachträglichen Abgrenzungskriterien (sensus divinitatis und induktive Methodologie) können den drohenden Relativismus nicht aufhalten.

II Plantingas dritte Phase



1 Grundlegende Charakterisierung


In seiner dritten Phase33 geht Plantinga von anderen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aus: Statt eines deontologischen präsupponiert er jetzt einen externalistischen Hintergrund.34 Jetzt will er nicht nur aufweisen, dass die Theistin keine Plichten verletzt, wenn sie ihre Überzeugungen vertritt, sondern er untersucht, ob es darüber hinaus auch nach außen nachweisbare, gute Gründe für diese Überzeugungen gibt.

1.1 Plantingas neuer erkenntnistheoretischer Hintergrund: Der Begriff der Gewährleistung (warrant)


Diese externalistische Wendung führt zu einer Fokussierung auf den Begriff des Wissens (knowledge). Für die klassische Erkenntnistheorie zentral, wird dieser Begriff zumeist als »gerechtfertigte wahre Überzeugung« (justified true belief) definiert. Genauer gesagt wird diese Charakterisierung nicht als Definition von Wissen an-gesehen, sondern nur als dessen notwendige Voraussetzung. Der Grund dafür ist, dass es denkbar ist, auf eine subjektiv gerechtfertigte Weise wahre Überzeugungen zu vertreten, die aber nur zufälligerweise wahr sind (das sog. Gettier-Problem). Da zufälligerweise wahre Überzeugungen nicht als Wissen angesehen werden, muss noch etwas zur genannten Charakterisierung hinzukommen, um von Wissen sprechen zu können. Kurzum, Wissen wird zumeist definiert als »gerechtfertigte wahre Überzeugung plus x«.

Dieses hinzukommende x bezeichnet Plantinga als »Gewährleis­tung« (warrant35) und arbeitet es in seinen beiden 1993 erschienenen Bänden zum Thema aus.36 Dabei ist der Begriff der Gewähr-leistung eng verbunden mit dem des »ordnungsgemäßen Funktionierens« (proper function): Gewährleistung kann nur dann vorliegen, wenn die entsprechenden Überzeugungen durch kognitive Mechanismen hervorgebracht werden, die ordnungsgemäß funk-tionieren. Ordnungsgemäßes Funktionieren wird dabei in An­lehnung an intuitiv einleuchtende Beispiele wie das des menschlichen Herzens erläutert, bei denen deutlich ist, in welchen Fällen sie ordnungsgemäß funktionieren.37 Zusätzlich führt Plantinga noch eine Umgebungsbedingung ein, da ordnungsgemäßes Funktionieren allein noch nicht notwendigerweise gewährleistete Überzeugungen hervorbringt: Das ordnungsgemäße Funktionieren muss auch an diejenige Umgebung (environment38) angepasst sein, für die es gedacht ist.

Von einem ordnungsgemäßen, seiner jeweiligen Umwelt entsprechendem Funktionieren kann zudem nur dann die Rede sein, wenn es entsprechend seinem (nicht notwendigerweise theistisch zu denkenden) Bauplan (design-plan) erfolgt. So muss das Herz die Aufgabe erfüllen, die ihm im Rahmen eines gesunden menschlichen Körpers zukommt (wie zum Beispiel, die richtige Menge Blut durch den Körper zu pumpen).39

Dieser Bauplan muss außerdem auf die Gewinnung wahrer Überzeugungen ausgerichtet sein. Zwar können Baupläne, die das nicht sind, unter Umständen nützlicher sein.40 Doch insofern diese nicht auf Wahrheit zielen, stellen sie keine eigentliche Form von Wissen dar. Schließlich muss der Bauplan auch erfolgreich auf Wahrheit abzielen, also eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzen, dass die unter seinen Bedingungen generierten Überzeugungen auch tatsächlich wahr sind.41 Eine Überzeugung kann demnach dann als gewährleistet gelten, wenn sie von ordnungsgemäß funktionierenden kognitiven Mechanismen in einer für diese geeigneten Umgebung hervorgebracht ist, gemäß einem Bauplan, der auf die Gewinnung von Wahrheit abzielt.42

In Plantingas dritter Phase stehen also externalistische Rechtfertigungsansprüche in Gestalt des Wissensbegriffs im Mittelpunkt. Bei diesem spielt der Begriff der »Gewährleistung« eine zentrale Rolle, da Gewährleistung zur Wahrheit einer Überzeugung hinzukommen muss, wenn sie als Wissen gelten können soll. Der Kriterienapparat (»ordnungsgemäßes Funktionieren« etc.), den Plantinga einführt, dient zur Determinierung von Gewährleis­tung.

1.2 Eine verbreitete Fehlinterpretation Plantingas


In Warranted Christian Belief untersucht Plantinga, inwiefern theistische Überzeugungen Wissen in diesem Sinn sein können. Dabei behandelt er jetzt nicht mehr nur allgemein theistische, sondern geht vor allem auf dezidiert christliche43 Ansprüche ein.

Der Bezug auf dezidiert christliche Überzeugungen bringt das Problem mit sich, dass der obige Rekurs auf den sensus divinitatis nicht mehr hinreichend ist, da nunmehr die kognitiven Konsequenzen des Sündenfalls beachtet werden müssen.44 In diesem Zu­sammenhang entwickelt Plantinga sein Aquin/Calvin-Modell (A/C-Modell), bei dem das Wirken des Heiligen Geistes betont wird. Die Funktion des Geistes besteht darin, zum einen die kognitiven Folgen des Sündenfalls zu neutralisieren und den sensus divinitatis wiederherzustellen, zum anderen darin, spezifisch christliche Überzeugungen zu generieren.45

Plantingas Argumentation dieser Phase gipfelt in der Behauptung, dass keine philosophischen Einwände erfolgreich gegen das A/C-Modell erhoben werden können.46 Das bedeutet nun zwar nicht, dass dieses notwendigerweise wahr ist. Doch das heißt, dass insofern (if) es wahr ist, es auch sehr wahrscheinlich gewährleistet ist: »If Christian belief is true, then very likely it does have warrant.«47 Diese konditionale Formel stellt den Ertrag von Plantingas dritter Phase dar. Da sie allerdings in der Sekundärliteratur48 oftmals missverstanden wird, ist genauer auf sie einzugehen.

So behauptet zum Beispiel Thiel, der konditionale Charakter von Plantingas Argumentation zeige, dass bei ihm die »Rechtfertigung religiöser Überzeugungen lediglich unsicheren und möglichen, aber keinen realitäts- oder wirklichkeitsrelevanten Charakter«49 habe. Für die Frage nach der Geltung religiöser Aussagen habe der Begriff der Gewährleistung wenig Wert, Plantingas Religionsphilosophie entbehre »jeglichen Bezug zur Realität und lässt sich lediglich als epistemologische Fiktion verstehen«50.

Doch bei dieser Kritik wird die Funktion sowohl des Konditionals wie auch des Begriffs der Gewährleistung missverstanden. Bei beiden geht es nicht um die Sicherung des »realitäts- oder wirklichkeitsrelevanten Charakters« religiöser Überzeugungen. Die Frage nach diesem Charakter ist eine zweidimensionale Frage insofern es hier um das Verhältnis zwischen Aussagen und Sachverhalten, also um die Wahrheitsfrage, geht. Doch Plantingas Reflexionen beantworten nicht die Wahrheits- und auch keine anderen zweidimensionalen Fragen, sondern solche der dritten Dimension51: Ihr Ertrag liegt in der Lösung des Wissens- und nicht des Wahrheitsproblems.

Anhand der oben genannten Definition des Wissensbegriffs als »justified true belief plus x« verdeutlicht: Plantingas Überlegungen zum Kriterienapparat, der Gewährleistung garantiert, beziehen sich auf das »plus x«, nicht auf »true belief«. Werden sie wie bei Thiel und anderen Kritikern auf das Wahrheitsproblem bezogen, werden sie ihrer Pointe beraubt, die in einer ganz bestimm-ten Lösung des Problems der Gewährleistung beziehungsweise Problemen der dritten Dimension besteht. Auf diese ist nun einzugehen.

1.3 Der apologetische Ertrag von Plantingas neuem erkenntnistheoretischen Hintergrund


Die für die folgende Diskussion wichtige Unterscheidung zwischen »zweidimensionalen Fragen« und solchen der »dritten Di­mension« kann anhand der gängigeren Unterscheidung zwischen »semantisch« und »pragmatisch« verdeutlicht werden: Seman-tische Fragen betreffen die Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit.52 Das ist hier mit »zweidimensionaler« Relation gemeint. Pragmatische Fragen beziehen den Sprecher beziehungsweise das Subjekt mit ein, das Aussagen macht beziehungsweise Erkenntnis gewinnt.

Wäre Plantinga nun ein reiner Vertreter einer virtue epistemol-ogy (s. dazu oben), bei dem die Rechte und Pflichten des Erkenntnissubjekts im Mittelpunkt stehen, wäre der Begriff »Pragmatik« angemessen. Doch wie gezeigt, geht es ihm in seiner dritten Phase nicht so sehr um das Erkenntnissubjekt als mehr um die Erkenntnismechanismen, die für den Erkenntnisprozess ausschlaggebend sind. Um das auszudrücken, ist der Begriff der Pragmatik aber zu subjektorientiert. Deshalb verwende ich hier stattdessen den Be­griff »dritte Dimension«.

Schematisch kann die intendierte Unterscheidung also folgendermaßen zusammengefasst werden:

– Zweidimensionale (= semantische) Relation:
Bezug: Relation Sprache/Wirklichkeit
Ertrag: Wahrheit (oder Wahrheitsähnlichkeit etc.)

– Dritte Dimension (nicht = Pragmatik):
Bezug: Mechanismen, mit deren Hilfe wahre Überzeugungen gewonnen werden
Ertrag: Wissen, das durch Wahrheit plus Gewährleistung charakterisiert ist.

Mit Hilfe dieser Unterscheidung kann der entscheidende Ertrag von Plantingas dritter Phase präzise zusammengefasst werden: Er besteht in der Behauptung, dass Reflexionen über die dritte Di­mension nicht konzeptionell unabhängig sind von zweidimensionalen Fragen. Die Frage, ob Erkenntnisansprüche den positiven epistemischen Status der Gewährleistung haben, ist in bestimmter Weise mit der nach Wahrheit verschränkt. Der Sinn der genannten konditionalen Formel »If Christian belief is true, then very likely it does have warrant« besteht darin, diesen unauflöslichen konzeptionellen Zusammenhang zum Ausdruck zu bringen.

Die Intention hinter der Betonung dieser konzeptionellen Verschränkung wird durch die weitere Bestimmung der konditionalen Formel deutlich: »If (as I claim) the fact is there are no good philosophical objections to the [A/C] model, given the truth of Chris­tian belief, then any successful objection to the model will also have to be a successful objection to the truth of Christian belief«.53

P. impliziert hier die folgende Argumentationskette:

– (1) Da es keine schwerwiegenden Einwände gegen das A/C-Modell gibt,54 gilt
– (2) unter der Voraussetzung, dass es auch wahr ist,
– (3) dass Einwände dagegen zugleich auch Einwände gegen dessen Wahrheit sein müssen.

Gegenüber der genannten Fehlinterpretation sei noch einmal darauf hingewiesen, dass (2) bewusst konditional formuliert ist. Plantinga behauptet nicht, die Wahrheit des A/C-Modells argumentativ erwiesen zu haben. An den Stellen, an denen er (zum Teil allerdings missverständlich) die Wahrheit des A/C-Modells be­hauptet, bezieht er sich auf seinen persönlichen Glauben. Doch der persön-liche Glaube ist von einem argumentativen Aufweis zu unterscheiden, den Plantinga für unmöglich hält.55

Der Punkt der obigen Argumentation besteht nicht im Wahrheitsaufweis des Glaubens, sondern in (3), in der Behauptung eines unauflöslichen konzeptionellen Zusammenhangs zwischen Wahrheits- und Gewährleistungsfragen.

Wogegen richtet sich nun diese Behauptung? Die Gegenposition besteht in einer bestimmten Art der Religionskritik. Plantinga greift hier die Kritik an, die behauptet, es sei möglich, religiösen oder zumindest christlichen Erkenntnisansprüchen einen positiven epistemischen Status abzusprechen, ohne dabei zugleich deren Wahrheitsansprüche widerlegt zu haben.

Plantinga nennt diese Art der Religionskritik de jure und unterscheidet sie von de facto Kritiken. Letztere argumentieren, dass die Wahrheitsansprüche religiöser Überzeugungen insofern zu be­streiten sind, als sie inkohärent,56 (sehr) wahrscheinlich un­wahr57 oder in anderen syntaktischen oder semantischen Hinsichten defizitär sind. De jure Religionskritiken gehen dagegen davon aus, dass es ungerechtfertigt, irrational oder intellektuell verantwortungslos ist,58 religiöse Überzeugungen zu vertreten, ohne dass zugleich deren Wahrheitsansprüche bestritten werden müssten.

Plantinga beschreibt unter anderem Freud59 als einen klassischen Vertreter derartiger de jure Religionskritiken: Dessen Illusionsvorwurf bestreite nicht die Wahrheit von Religion, da Illusionen nicht notwendigerweise unwahr sind. Freud behaupte sogar explizit, dass es unmöglich ist, gläubige Überzeugungen als falsch zu erweisen.60 Sein Hauptvorwurf gegen den Glauben sei stattdessen, dass dieser auf Wunschdenken (»wish-fulfillment«) beruhe, dass christliche Überzeugungen also durch kognitive Mechanismen hervorgebracht werden, die nicht auf die Gewinnung von Wahrheit zielen.61

De jure Religionskritiken wie diejenige Freuds konzentrieren sich also auf eine Kritik an den kognitiven Mechanismen zur Ge­winnung religiöser Überzeugungen. Ihr Charakteristikum besteht in der Auffassung, eine derartige Kritik reiche hin, um Religion unabhängig von der Frage zu diskreditieren, ob diese wahr ist oder nicht: Der Nachweis, dass diese Erkenntnismechanismen nicht gewährleistet sind, unterminiert Religion unabhängig da­von, ob diese wahr ist oder nicht – so jedenfalls Plantingas Rekonstruktion der de jure Religionskritik.

Dagegen bringt Plantinga seine in der genannten Formel betonte Verschränkung von Gewährleistung und Wahrheit zur Geltung. Er behauptet, dass Fragen zur dritten Dimension nicht konzeptionell unabhängig sind von zweidimensionalen Fragen, so dass die de jure Religionskritiker von falschen Voraussetzungen ausgehen. Der Ertrag seiner Argumentation besteht also in dem Aufweis, dass die Kritik, der Glaube sei nicht gewährleistet, nicht unabhängig von der Auffassung ist, dieser sei unwahr. Die Konsequenz aus dieser Einsicht ist, dass der de jure Religionskritiker sich nicht damit be­gnügen kann, die Mechanismen religiöser Erkenntnisaneignung zu kritisieren, ohne dabei gleichzeitig die Unwahrheit religiö­ser Überzeugungen zu erweisen. Ausgeschlossen ist also eine Religionskritik wie »I certainly don’t know whether theistic belief is true– who could know a thing like that? – but I do know this: it is irrational, unjustified […] contrary to reason or intellectually irresponsible«.62

Ein entscheidender Ertrag von Plantingas dritter Phase besteht also in einer Erhöhung der Beweislast für den de jure Religionskritiker: Dieser hat nach Plantinga die Pflicht, aufzuzeigen, dass der Glaube unwahr – zumindest unwahrscheinlich – ist, inkonsistent, dass überzeugende Evidenz gegen ihn vorgebracht werden kann oder Ähnliches. Der Kritiker hat also durchschlagende syntaktische oder semantische Gründe gegen den Glauben zur Geltung zu bringen. Er kann sich nicht auf eine Kritik der dritten Dimension beschränken, es also nicht bei dem Aufweis belassen, der Glaube sei nicht gewährleistet.

Die apologetische Strategie hat sich also jetzt gegenüber Plantingas zweiter Phase verändert: Mit dem Übergang von deontologischen zu externalistischen Rechtfertigungsansprüchen wird die direkte apologetische Strategie durch eine indirekte ersetzt. Plantinga argumentiert in seiner dritten Phase nicht mehr direkt für das (deontologische) epistemische Recht der Gläubigen, ihre Überzeugungen vertreten zu können. Stattdessen behauptet er, dass die Gläubige das Recht hat, die einschlägige de jure Religionskritik zu ignorieren – zumindest dann, wenn diese nicht gleichzeitig auch die Unwahrheit des Glaubens aufweist.

Kurzum, der Übergang von der zweiten zur dritten Phase Plantingas kennzeichnet sich dadurch, dass die deontologisch-direkte Apologie durch eine externalistisch-indirekte ersetzt wird. Der Ertrag der letzteren besteht in einer Erhöhung der Beweislast für den Religionskritiker.

2 Bewertung


Auch in Plantingas dritter Phase wird der Relativismusvorwurf diskutiert.63 Doch gehe ich hier darauf nicht weiter ein. Die einschlägigen Diskussionen sind oft sehr technisch und konzentrieren sich vor allem auf die Frage, ob Plantinga »Recht hat«, lassen dabei aber eine kritische Metareflexion über den Argumentationsertrag vermissen.64 Dieser besteht, wie oben dargelegt, in einer Erhöhung der Beweislast für den Religionskritiker vermittels besagter Verschränkung von Wahrheit und Gewährleistung. Dieser Punkt stellt das eigentliche Novum von Plantingas dritter Phase dar und darauf konzentriert sich auch die folgende Kritik.

2.1 Kritische Bewertung des apologetischen Ertrages von Plantingas dritter Phase



Zunächst ist festzuhalten, dass die de jure Kritik eine wichtige Variante der Religionskritik darstellt. Denn das Argument, eine Kritik der Mechanismen zur Gewinnung religiöser Erkenntnis reiche hin, um diese unabhängig davon zu diskreditieren, ob sie wahr ist oder nicht, besitzt deutliche epistemische Vorteile gegenüber anderen religionskritischen Argumenten: Es kann umstrittene zweidimensionale Fragen wie die nach der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit religiöser Überzeugungen vermeiden. De jure Kritiken gehen also von weniger umstrittenen Voraussetzungen aus als de facto Religionskritiken und sind dadurch potentiell stärker, stellen also in epistemischer Hinsicht eine größere Herausforderung an den Glauben dar als andere Religionskritiken.

Auch wenn man traditionellen Religionskritikern wie Freud wegen ihrer spekulativen Erklärungen der Entstehung von Religion skeptisch gegenübersteht, bleibt festzuhalten, dass es heutzutage Kritiken gibt, die derartigen de jure Religionskritiken zumindest nahe kommen und weitaus weniger spekulativ sind.65 Kurzum, de jure Religionskritiken stellen sozusagen eine bleibende Herausforderung an den Glauben dar.

Plantingas Auseinandersetzung mit ihnen ist darum auch sehr zu begrüßen. Ihr Ertrag besteht darin, dass in der Diskussion über die Religionskritik die Beweislasten neu verteilt werden. Denn insofern es zutrifft, dass diese Kritik nur sinnvoll ist, wenn gleichzeitig auch die Unwahrheit des Glaubens erwiesen wird, wird die Apologetin von bestimmten Argumentationspflichten entlastet: Sie steht dann nicht mehr in der Pflicht, aufweisen zu müssen, dass der Glaube doch gewährleistet ist, sondern kann zunächst einfach darauf insistieren, dass das religionskritische Argument unvollständig ist. Freud, die Evolutionsbiologen oder andere de jure Kritiker müssen gleichzeitig auch die Unwahrheit des Glaubens er­weisen, damit ihre Religionskritik stichhaltig wird. Erst wenn dieser Erweis erfolgreich durchgeführt ist, hat sie Grund, sich mit Freuds und vergleichbaren Religionskritiken ernsthaft auseinanderzusetzen. Aus dieser Umverteilung der Argumentationspflichten besteht der Ertrag von Plantingas Argumentation, dass Fragen der dritten Dimension nicht konzeptionell unabhängig sind von zweidimensionalen Fragen.

Doch trifft diese Argumentation tatsächlich zu? Zwar bin ich selbst auch skeptisch gegenüber de jure Religionskritiken und habe keinen Grund, diese zu verteidigen. Doch meine ich, dass aus diskursanalytischen Gründen Bedenken gegenüber Plantingas Argumentation anzumelden sind. Er übersieht einen wichtigen Grund, warum diese jedenfalls prima facie66 plausibel sind. Die Frage nach den Erkenntnismechanismen, mit deren Hilfe religiöse Überzeugungen gewonnen werden, ist deshalb so wichtig, weil die nach deren Wahrheit unentscheidbar ist. Weil im zweidimensionalen Bereich keine eindeutigen Antworten möglich sind, erhält die dritte Dimension entscheidende Relevanz. Bevor ich darauf eingehe, inwiefern Plantinga diesen Punkt übersieht, erkläre ich ihn zu­nächst.

Mit »unentscheidbar« meine ich, dass das Bivalenzprinzip »wahr/falsch« nicht anwendbar ist, dass also die Prädikate »(entscheidbar) wahr« oder »(entscheidbar) falsch« religiösen Überzeugungen nicht eindeutig zugeordnet werden können.67 Der religiöse Erkenntnisbereich ist ontologisch so strukturiert, dass (zumindest unter endlichen Erkenntnisbedingungen) die bivalenten Wahrheitswerte nicht anwendbar sind.

Meine These ist, dass wegen dieser Unentscheidbarkeit die Frage nach den Mechanismen zur religiösen Erkenntnisaneignung relevant wird: Weil die Frage der Wahrheit des Glaubens unentscheidbar ist, gewinnt die nach den Erkenntnismechanismen an Relevanz. Der Rekurs auf die dritte Dimension stellt eine Art »Notmaßnahme« dar, weil die Diskussionen über zweidimensionale Fragen keine eindeutigen Ergebnisse aufweisen.

Dieser Punkt kann durch einen Vergleich mit der Überzeugung verdeutlicht werden, dass der gegenwärtige Klimawandel durch eine Erhöhung des CO2-Ausstoßes verursacht ist: Die Faktoren, die bei einer fundierten Lösung dieses Problems zu berücksichtigen sind, sind so komplex und miteinander verzahnt, dass (meines Wissens) die Wahrheit dieser Überzeugung unter heutigen Erkenntnisbedingungen unentscheidbar ist. In dieser spezifischen Situation gewinnt die Frage nach den Erkenntnismechanismen, aufgrund derer entsprechende Überzeugungen geformt werden,68 an Bedeutung. Damit wird zwar nicht das Wahrheitsproblem gelöst. Aber damit ist zumindest ein Hinweis zur Beantwortung der Frage gegeben, ob es prima facie gerechtfertigt ist, eine bestimmte Überzeugung – und sei es auch nur hypothetisch – zu vertreten und als Handlungsgrundlage zu verwenden.

Aus demselben Grund ist die Frage nach den Mechanismen, die bei der Aneignung religiöser Erkenntnis eine Rolle spielen, relevant: Weil die Frage, ob diese wahr ist oder nicht, unentscheidbar ist, gewinnt die Frage nach den Mechanismen, aufgrund derer diese gewonnen wird, an Relevanz. Deshalb ist zum Beispiel die Frage, ob sie aufgrund von Wunschdenken zu Stande kommt, prima facie relevant.

Gäbe es dagegen überzeugende Argumente für die (Un)Wahrheit religiöser Überzeugungen, würde das die prima facie Überlegungen zu den involvierten Erkenntnismechanismen außer Kraft setzen: Könnte etwa die Wahrheit religiöser Überzeugungen erwiesen werden, wäre die Frage, wie diese entstanden sind, überflüssig. Denn auch aufgrund von Wunschdenken entstandene Überzeugungen können wahr sein.

Meine Kritik an Plantinga ist, dass er diesen Punkt übersieht. Seine Verschränkung von Gewährleistung mit Wahrheit lässt den Fall außer Acht, dass die fraglichen religiösen Überzeugungen weder als wahr noch als falsch aufgewiesen werden können und dass deshalb die de jure Kritik relevant ist. Insofern er diesen entscheidenden Grund für die prima facie Plausibilität der de jure Religionskritik nicht berücksichtigt, ist seine Kritik an dieser auch nur von begrenztem Erfolg.

2.2 Zur kritischen Weiterführung von Plantingas Programm



Die obigen Überlegungen implizieren zugleich eine kritische An­frage an den Begriff des Wissens beziehungsweise der Gewährleis­tung. Meines Erachtens begründen sie die Notwendigkeit, nachzufragen, ob diese Begriffe tatsächlich so relevant sind, wie Plantinga und mit ihm große Teile der philosophischen Tradition meinen. Diese Nachfrage ist vor allem angesichts des Ertrages von Plan-tingas Argumentation, dass Gewährleistung und Wahrheit verschränkt sind, zu stellen. Denn wenn es zutrifft, dass Reflexionen zur dritten Dimension doch nicht konzeptionell unabhängig sind von zweidimensionalen Fragen, dann ist kritisch nachzufragen, was diese Reflexionen überhaupt noch leisten.

Meine kritische Nachfrage gilt Plantingas Formel, der Glaube sei wahrscheinlich (nicht) gewährleistet, insofern (un)wahr. Die Frage ist, was diese Formel leistet. Denn wenn erwiesen werden könnte, dass der Glaube (un)wahr ist, bedarf es seiner umständ-lichen Absicherung durch den Begriff der Gewährleistung nicht mehr. Der zu seiner Determinierung verwendete, komplizierte Kriterienapparat (»Bauplan« etc.) ist dann überflüssig. Stattdessen würde eine viel einfachere Norm wie etwa »(erwiesene) (Un)Wahrheit impliziert positiven (negativen) epistemischen Status« hinreichen.69 Mit Hilfe dieser Norm könnte der positive oder negative epistemische Status religiöser Überzeugungen viel unumstrittener aufgewiesen werden.

Wenn aber, wie oben argumentiert, weder die Wahrheit noch die Unwahrheit des Glaubens überzeugend nachgewiesen werden kann, dann ist der Wert dieser Formel begrenzt: Dass Gewährleistung von Wahrheit abhängt, mag dann zwar noch als Korrektur überzogener Formen der de jure Religionskritik dienlich sein. Dass der Aufweis, religiöse Überzeugungen seien nicht gewährleistet ohne gleichzeitigen Aufweis von deren Unwahrheit, nicht mehr als lediglich eine »Notmaßnahme« im obigen Sinn ist, mag zur Kritik überzogener Geltungsansprüche herangezogen werden. Doch Freud und anderen de jure Religionskritikern steht es dagegen frei, darauf hinzuweisen, dass sie sich dieser Tatsache bewusst sind und die Geltungsansprüche ihrer Kritik nur im Sinn einer derartigen »Notmaßnahme« formulieren. Doch in demselben Sinn, in dem diejenige, die Überzeugungen zum Klimawandel aufgrund der implizierten Erkenntnismechanismen formuliert, epistemisch gerechtfertigt sein kann, können auch Freud und vergleichbare Religionskritiker gerechtfertigt sein. Deshalb ist es zweckmäßiger, apologetische Argumentationsformen zu entwickeln, die gerade den Fall der Unentscheidbarkeit einbeziehen. Meines Erachtens können diese gewinnbringend im Gefolge von William James’ Überlegungen skizziert werden: Der Punkt an James’ (oftmals missverstandenen) Reflexionen ist, dass die Wahrheitsproblematik nicht mit der Wissens-, sondern mit der Entscheidungsproblematik beziehungsweise Handlungstheorie zu verbinden ist. Ihm geht es darum, Prinzipien aufzuweisen, die rationales Entscheiden und darauf beruhende Handlungen ermöglichen, wenn die Wahrheit oder Unwahrheit von Überzeugungen nicht definitiv erwiesen ist und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in absehbarer Zukunft nicht erwiesen werden kann. Insofern dieses für den Glauben gilt – und er zur Kategorie von Überzeugungen gehört, bei denen Entscheidungen nicht beliebig aufgeschoben werden können –,70 kann es für das gläubige Subjekt durchaus gerechtfertigt sein, seine Überzeugungen zu vertreten, auch wenn diese nicht argumentativ ab­gesichert werden können.71

Diese Bemerkungen sind nicht als Plädoyer zu verstehen, Plantingas apologetische Bemühungen oder gar die aller Reformed Epistemologists durch diejenigen von James zu ersetzen: James rekurriert auf nicht-kognitive Größen wie den Willen oder gar das Gefühl, während sich die Reformed Epistemologists bemühen, ihre erkenntnistheoretischen Reflexionen auf das rein kognitive Gebiet zu beschränken.72 Doch angesichts der oben aufgewiesenen Be­grenzungen von Plantingas Argumentationen ist es zumindest überlegenswert, rein kognitive Argumentationen wie die über den Wissensbegriff durch nicht-kognitive zu ergänzen. Ich denke, dass dieses den einschlägigen Diskussionen viel von ihrem bisweilen etwas künstlichen Charakter nehmen würde und damit die er­kenntnistheoretischen Reflexionen leichter an gegenwärtige Diskurse, etwa ethisch-handlungstheoretischer oder entscheidungstheoretischer Art, anknüpfbar wären. Damit wäre meines Erachtens auch der Sache der Apologie gedient.

Abstract


In this article, I analyze Alvin Plantinga’s approach insofar as it represents the Reformed Epistemology-program. I focus on his second phase – for which the 1983 article Reason and Belief in God is characteristic – and on his third phase – for which the 2000 volume ›Warranted Christian Belief‹ is characteristic. In his second phase, he criticizes the classical foundationalist criteria for proper basicality and argues that theistic beliefs can legitimately be considered to be properly basic (see I 1). I argue that Plantinga succeeds in demonstrating that religious believers do not violate any epistemic duties when holding their beliefs. But the price he pays for that is a deep-going relativism (see I 2). In his third phase, Plantinga focuses on the notion of warrant which he considers to be a vital ingredient of the concept of knowledge. I show that much of the current secondary literature goes astray when suggesting that his point is to show that Christian beliefs are warranted. Rather, his point is to raise the stakes for a particular kind of critique of religion: He argues that Freudian and other critiques are insufficient when holding that the mechanisms from which theistic knowledge is generated are unreliable. In addition, they have to show the falsity of those beliefs, according to Plantinga (see II 1) – I point a comment on in II 2.

Fussnoten:

1) Da sie sich dabei auf die reformierte Tradition beruft, ist ihr der Name »Reformed Epistemology« beigelegt worden.
2) Beispiele dafür sind der kosmologische und der physiko-teleologische Gottesbeweis, bei denen die Existenz einer ersten Ursache beziehungsweise eines mit bestimmten Eigenschaften ausgestatteten Schöpfers bewiesen werden soll.
3) Der einflussreichste Versuch dieser Art ist Richard Swinburnes apologetischer Probabilismus (vgl. The Existence of God, Oxford 1991).
4) Vgl. B. Pascal, Pensées (Philippe Sellier [Hrsg.], Paris 1976).
5) Hier in und im Folgenden ist der Begriff der Rechtfertigung nicht im theologischen, sondern erkenntnistheoretischen Sinn gemeint.
6) Vgl. W. James, The Will to Believe, in: Ders., The Will to Believe and Other Essays in Popular Philosophy, Cambridge (Mass.) (1896) 1979, 13–33.
7) »Virtue epistemology« bezeichnet die in den 1980er Jahren aufgekommene erkenntnistheoretische Bewegung, die analog zur »virtue ethics« die epistemischen Rechte und Pflichten des Subjekts in den Mittelpunkt stellt.
8) Wolterstorffs Beiträge zur Reformed Epistemology sind vor allem in Aufsatzform erschienen und liegen nunmehr gesammelt vor in: Wolterstorff, Nicholas: Inquiring about God. Selected Essays, Vol. 1. Ed. by T. Cuneo. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2010. VIII, 313 S. Lw. US$ 97,00. ISBN 978-0-521-51465-1; und: Wolterstorff, Nicholas: Practices of Belief. Selected Essays, Vol. 2. Ed by T. Cuneo. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2010. X, 435 S. Lw. US$ 97,00. ISBN 978-0-521-51462-0.
9) Vgl. Alston, Perceiving God: The Epistemology of Religious Experience, Ithaca 1991.
10) Die Primär- und vor allem Sekundärliteratur zum Thema ist so umfassend, dass hier nur ein kleiner Teil davon besprochen werden kann. Eine aktuelle Übersicht, die vor allem die deutschsprachige Literatur zur Sache relativ umfassend wiedergibt, liegt vor mit: Klein, Ralf-Thomas: Können christliche Glau­bensüberzeugungen Wissen sein? Der Beitrag Alvin Plantingas zur Bestimmung des epistemischen Status von christlichen Glaubensüberzeugungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 320 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 136. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-525-56403-5, 299 ff.
11) Vgl. Klein, a. a. O., 28.
12) Bei den Gesprächen, die der Konzeptionierung dieses Aufsatzes vorausgegangen sind, hat mich Nic Wolterstorff ausdrücklich darum gebeten, die Rolle Alstons hinreichend zu würdigen, der die Grundlage für die Reformed Epistemol-ogy gelegt hat. Wolterstorff selbst hat insofern auch eine wichtige Rolle gespielt, als er wichtige philosophiehistorische Vorarbeiten für die Reformed Epistemology geleistet hat, vor allem zu T. Reid.
13) Andere Überlegungen, wie sein kürzlich erschienener Beitrag zur im englischsprachigen Bereich momentan sehr intensiv diskutierten Frage nach dem Verhältnis zwischen den Naturwissenschaften und Religion, in: Plantinga, Alvin: Where The Conflict Really Lies. Science, Religion, and Naturalism. Oxford u. a.: Oxford University Press 2011. XVI, 359 S. Geb. £ 17,99. ISBN 978-0-19-981209-7, lasse ich dagegen hier weg.
14) Seine erste Phase (vgl. zu dieser etwa Klein, a. a. O., 33–82) ist weitgehend der klassisch-analytischen Philosophie verpflichtet und weist noch nicht die Charakteristika der Reformed Epistemology auf.
15) Im Folgenden wird »foundationalism« nur als Theorie der Rationalität und nicht als Theorie von Wissen(schaft) verwendet.
16) Vgl. Plantinga, Reason and Belief in God, in: Faith and Rationality, (Plantinga/Wolterstorff [Hrsg.], Notre Dame/London 1983), 16–93.47–59 (57 ff. weitere Unterscheidungen zwischen verschiedenen Arten des klassischen foundationalism).
17) Vgl. a. a. O., 59 ff.
18) Vgl. a. a. O., 60 ff.
19) Also etwa ab dem späten 17. Jh., nachdem sich die vorsichtigen evidentialistischen Anfänge bei Locke und den Jansenisten zu einem Evidentialismus als epistemischer Standardtheorie ausgewachsen haben.
20) Anthony Flew (The Presumption of Atheism, London 1976), 14 ff.
21) Vgl. Plantinga, Reason, 25 ff.
22) Vgl. a. a. O., 90.
23) A. a. O., 62 f., gibt Plantinga das auch zu (vgl. dazu auch Pritchard, Re-form­ing Reformed Epistemology, in: International Philosophical Quarterly 43, Nr. 1 [März 2003], 43–66, 47 ff.). Später qualifiziert Plantinga denn auch diesen Zusammenhang, indem er von einem »classical package« spricht, zu dem außer Evidentialismus und klassischem foundationalism auch ein »classical deontologism« gehört (»Warranted Christian Belief«, New York/Oxford 2000, 82).
24) Der Relativismus-Vorwurf ist gegenüber Plantinga immer wieder erhoben worden. Um nur einige exemplarische Beispiele aus verschiedenen Zeiträumen zu nennen: Quinn, In Search of the Foundations of Theism (in: Faith and Philosophy 2, 1985, 469–486, vgl. 473 u. ö.; nach dem Erscheinen von »Reason«), Grube, Religious Experience after the Demise of Foundationalism (in: Religious Studies 31, 1995, 37–52, vgl. 41–46 [diese Argumentation liegt auch den folgenden Ausführungen zugrunde]; nach dem Erscheinen von Plantingas beiden »Warrant-Bänden« [s. unten]), und Roche, Knowlegde of God and Alvin Plantinga’s Reformed Epistemology (in: Quodlibet, 4/4, 2002 [= www.quodlibet.net/argicles/ roche-plantinga.shtml]; nach dem Erscheinen von »Belief«).
25) Vgl. Plantinga, Reason, 78.
26) »[T]here is in us a disposition to believe propositions of the sort […] this vast and intricate universe was created by God …« (a. a. O., 80). Plantinga spricht im Übrigen jetzt noch vom »nisus« (vgl. a. a. O., 65), noch nicht von einem »sensus divinitatis« (s. dazu unten).
27) A. a. O., 78.
28) Vgl. a. a. O., 77 f.
29) Plantinga erkennt dieses Problem, nimmt es aber in dieser Phase seines Wirkens nicht wirklich ernst (vgl. dazu a. a. O., 77, und Plantinga, The Founda-tions of Theism: A Reply, in: Faith and Philosophy 3, 1986, 298–313, 303).

In der einschlägigen Kritik wird deshalb zuweilen vorgeschlagen, Plantingas foundationalist Ausgangspunkt zu modifizieren: Susan Haacks Vorschlag aufnehmend hat etwa Pritchard (vgl. Epistemology, 57 ff.) einen »foundherentism« vorgeschlagen, der einen Kompromiss zwischen foundationalism und Kohärentismus darstellt. Mit dessen Hilfe soll der epistemische Status religiöser Überzeugungen unter Bewahrung der apologetischen Intentionen Plantingas re­konstruiert werden (ähnlich auch Klein, Wissen, 275 ff.). Ich bin skeptischer über die Möglichkeit eines Kompromisses und habe deshalb vorgeschlagen, den foundationalism ganz aufzugeben und durch einen Kohärentismus zu ersetzen, der allerdings durch pragmatische Kriterien zu ergänzen ist (vgl. Grube, Unbegründbarkeit Gottes? Barths und Tillichs Erkenntnistheorien im Horizont der gegenwärtigen Philosophie, in: MTS 51, Wilfried Härle und Dieter Lührmann [Hrsg.], Marburg 1998, 173–209).
30) Der Begriff »Externalismus« stammt aus der erkenntnistheoretischen Fachdiskussion und beinhaltet, dass die Legitimität der Erkenntnisansprüche von den Mechanismen abhängt, mit denen diese Ansprüche generiert sind, unabhängig davon, ob sich das erkennende Subjekt dessen bewusst ist. Ich verzichte hier auf eine tiefergehende erkenntnistheoretische Diskussion dieses komplexen Begriffs und seines Kontrastbegriffes »Internalismus« (vgl. dazu etwa Pritchard, Reforming, 45 ff.). Stattdessen wähle ich als Kontrastbegriff das spezifischere »Deontologie«: Bei deontologischen Rechtfertigungen steht die Frage im Mittelpunkt, ob das Subjekt seine epistemischen Rechte und Pflichten erfüllt (ähnlich Klein, Wissen, 94 ff.).
31) Vgl. dazu die Reihe von Beispielen, die Klein (a. a. O., 96 ff.) anführt.
32) Alle Zitate a. a. O., 111.
33) Sennett (vgl. Modality, Probability, and Rationality, in: A Critical Examination of Alvin Plantinga’s Philosophy, New York 1992, 140) datiert deren Beginn auf 1987, Klein (vgl. Wissen, 114), sieht diese schon früher präfiguriert.
34) Möglicherweise hat Plantinga sich den Relativismusvorwurf doch mehr zu Herzen genommen, als der nonchalante Umgang damit in seiner zweiten Phase vermuten lässt: Er sieht jetzt ein, dass die genannten deontologischen Rechtfertigungen intrinsisch zu schwach sind, um rationale von irrationalen Überzeugungssystemen abgrenzen zu können, und sucht jetzt nach weitergehenden externalistischen Ressourcen, die das ermöglichen – und dabei gleichzeitig weiterhin die Möglichkeit bieten, religiöse Überzeugungen als rational vertreten zu können.
35) »›Warrant‹ … [is the] name for that property – or better quantity – enough of which is what makes the difference between knowledge and mere true belief« (Plantinga, Belief, xi).
36) Warrant: The Current Debate, und Warrant and Proper Function (beide Oxford/New York 1993).
37) Vgl. Function, 5 f.
38) Dieses wird später in eine Mini- und Maxi-Umgebung (vgl. Plantinga, Belief, 156 ff.) spezifiziert.
39) Vgl. a. a. O., 13 f.
40) Man denke etwa an den Fall einer schweren Krankheit, in dem es unter Umständen für die Heilung nützlicher sein kann, sich Illusionen über das Ausmaß der Krankheit zu machen.
41) Plantinga, Belief, 156 f.
42) Vgl. die zusammenfassende Formulierung a. a. O., xi.
43) Zu denen Plantinga zum Beispiel die Sündenlehre, die damit verbundene Heilsfunktion Christi, die Zwei-Naturen-Lehre, die Inkarnation und die Trinität zählt (vgl. a. a. O., vii u. 201 ff.).
44) Vgl. a. a. O., 240 u. ö.
45) Plantinga fasst dieses Modell folgendermaßen zusammen: »the internal instigation of the Holy Spirit working in concord with God’s teaching in Scripture is a cognitive process […] that produces in us the beliefs constituting faith« (a. a. O., 284; eine differenziertere Rekonstruktion der verschiedenen Folgen des Sündenfalls liegt etwa bei Klein vor [Wissen, 169 ff.]).
46) Vgl. a. a. O., 285, und die Diskussion, 324 ff.
47) Ebd.
48) Im Folgenden konzentriere ich mich auf einige exemplarische Interpretationen Plantingas. Einen Überblick über die sehr umfangreiche Sekundärliteratur zum Ertrag von Plantingas dritter Phase bieten Klein (Wissen, 178 ff.) und Kim, Joseph: Reformed Epistemology and the Problem of Religious Diversity. Proper Function, Epistemic Disagreement, and Christian Exclusivism. Cambridge: James Clarke (Lutterworth) 2012. 124 S. Kart. £ 15,25. ISBN 978-0-22768009-4, 66 ff.
49) Thiel, Konditionale Argumentation in Plantingas Religionsphilosophie, in NZSTh 51 (2009), 167–185, 183.
50) A. a. O., 184.
51) S. zur weiteren Erklärung dieses Begriffs unten.
52) Die in der klassischen Korrespondenztheorie der Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Wirklichkeit (etwa Sachverhalten) und Sprache (etwa Aussagen) determiniert wird.
53) A. a. O., 285 (da diese Formulierung den Argumentationsertrag von »Warranted Christian Belief« zusammenfasst, taucht sie verschiedentlich auf, etwa auch 498 u. ö.).
54) Bei seiner Diskussion potentieller »defeaters« dieses Modells zeigt Plantinga, dass weder die Diskussion um die Autorität und Auslegung der Bibel (vgl. a. a. O., 374 ff.) noch die Tatsache, dass es unterschiedliche und konkurrierende religiöse Wahrheitsansprüche gibt (vgl. a. a. O., 422 ff.), noch das Problem des Bösen (vgl. a. a. O., 458 ff.) durchschlagende Argumente gegen den Glauben darstellen.
55) »I believe that the models I shall present […] are true […] Still, I don’t claim to show that they are true […] To show that these models are true […] would also be to show that theism and Christianity are true; and I don’t know how to do something one could sensibly call ›showing‹ that either of these is true« (a. a. O., 169 f.).
56) Das Standardargument ist, dass der Glaube an einen allmächtigen und (all-)liebenden Gott mit der Existenz des Bösen in der Welt inkompatibel ist (vgl. Belief, viii).
57) Zum Beispiel, da sie mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unvereinbar sind.
58) Vgl. a. a. O., ix.
59) Daneben erwähnt er auch Marx (nicht Feuerbach) und Nietzsche (vgl. a.a.O., 200).
60) Vgl. a. a. O., 139.
61) Sondern auf »psychological well-being« (a. a. O., 142).
62) A. a. O., 191.
63) Vgl. etwa Martins Kritik (Atheism: A Philosophical Justification, Philadelphia 1990, 272), und Plantingas Replik (Belief, 346 ff.).
64) Ein typisches Beispiel dafür ist Kim (Diversity, 75 ff.), der nach langer Diskussion darüber, was für Kriterien Plantinga bereitstellt, um offensichtlich unsinnige Überzeugungen abweisen zu können, festhält, dass der Re­lativismusvorwurf zwar (eingeschränkt) zutrifft, aber doch kein durchschlagendes Argument gegen Plantinga darstellt, da es bei dessen Verschränkung von Wahrheit und Gewährleistung gar nicht um diesen Punkt geht. Dabei fragt Kim aber nicht noch einmal kritisch zurück, was nun mit dieser Verschränkung eigentlich geleistet ist, sondern beschränkt sich lediglich auf eine Wiederholung dessen, was Plantinga selbst als Argumentationsertrag angegeben hat.
65) Dabei denke ich an Kritiken aus dem Bereich der »cognitive science of religion«, die Religion als Nebenprodukt anderer kognitiver Mechanismen ansehen (vgl. etwa Boyer, Religion Explained. The Evolutionary Origins of Religious Thought, New York 2001), oder Erklärungen der Entstehung von Religion auf evolutionsbiologischer Basis; vgl. dazu etwa Philipse, Herman: God in the Age of Science?A Critique of Religious Reason. Oxford u. a.: Oxford University Press 2012. XVII, 372 S. Lw. £ 40,00. ISBN 978-0-19-969753-3, 60 ff. Dabei ist allerdings zu beachten, dass philosophisch geschulte Kritiker wie Philipse viel zurückhaltender mit den Geltungsansprüchen ihrer Kritik sind, als es klassische Religionskritiker wie Freud waren und manche der heutigen de jure Kritiker noch sind.
66) Mit »prima facie« meine ich eine Art der Plausibilität oder Relevanz, die durch übergeordnete Gründe, die schwerer wiegen, außer Kraft gesetzt werden kann.
67) Wie es Margolis (The Truth about Relativism, Oxford/Cambridge 1991, 40 ff.) für Erkenntnisbereiche wie die Kunst oder die Grundlagenphysik postuliert: Diese sind ontologisch so strukturiert, dass eine Anwendung des Bivalenzprinzips ausgeschlossen ist.
68) Also etwa, welche Art von Evidenz verwendet wird, wie diese interpretiert wird, oder gar, ob bestimmte Interessen im Spiel sind.
69) Die unter Umständen durch bestimmte Kautelen zu erweitern ist, um Sonderfällen Rechnung zu tragen (wie etwa obigem Fall, dass es bei einer schweren Krankheit aus pragmatischen Gründen nicht sinnvoll ist, wahre Überzeugungen zu bilden).
70) Unter bestimmten Umständen kann das Aufschieben von Entscheidungen entweder moralisch bedenkliche Konsequenzen haben oder darauf hinauslaufen, sich de facto schon entschieden zu haben (vgl. dazu Grube, Re­constructing Evidentialism and the Evidentialist Critique of Religion, in: William James on Religion, Pihlström u. H. Rydenfelt [Hrsg.], New York/Houndsmill/Basingstoke, 146–165, 154 ff.).
71) Vgl. dazu James’ berühmtes Argument in »The Will to Believe« (s. oben, Anm. 6, und dazu Grube, William James and Apologetics. Why the »Will to Believe«-Argument succeeds in Defending Religion, in: NZSTh, 46. Bd., 2004, 306–329, 309 ff.).
72) Plantinga kommt an einer Stelle nicht-kognitiven Argumentationen nahe: Bei der Ausarbeitung des Begriffs der Gewährleistung stellt er fest, dass dieser letztendlich durch ontologische oder metaphysische Voraussetzungen determiniert wird (vgl. Plantinga, Belief, 190 f.). Wenn diese Einsicht konsequent weitergeführt würde, würde sie unweigerlich in den Bereich (metaphysischer) Anthropologie führen: Was unter Wissen verstanden wird, hängt davon ab, wie menschliche Erkenntnismöglichkeiten determiniert werden, also letztendlich vom vorausgesetzten Menschenbild. Allerdings kann Plantinga von seinen philosophischen Voraussetzungen aus die – meines Erachtens sehr interessante – anthropologische Dimension nicht mehr konstruktiv bearbeiten und bemüht sich in der folgenden Argumentation denn auch, die Diskussion wieder auf die rein kognitive Ebene zu beschränken (vgl. a. a. O., 191 ff.).