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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

956–958

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Ganster, Susanne

Titel/Untertitel:

Religionsverschiedenheit als Ehehindernis. Eine rechtshistorische und kirchenrechtliche Untersuchung.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. 351 S. = Kirchen- und Staatskirchenrecht, 16. Kart. EUR 44,90. ISBN 978-3-506-77663-1.

Rezensent:

Klaus Lüdicke

Es hat seinen guten Grund, dass die Vfn. sich in ihrer an der Ka-tholisch-Theologischen Fakultät Würzburg vorgelegten Disser-tation mit der Religionsverschiedenheit als Ehehindernis des ka-nonischen Rechts beschäftigt. Waren bis zur Wiedervereinigung Deutschlands die Ehen unter Christen verschiedener Konfession ein viel diskutiertes Thema, da sie in einem ganz überwiegend christlichen Land Abbild der konfessionellen Spaltung und des Bemühens um deren Überwindung waren, so hat sich nach diesem Zeitpunkt der Anteil der Getauften an der Bevölkerung Gesamtdeutschlands sehr vermindert, und das nicht nur durch die große Zahl von ehemaligen DDR-Bürgern, die keine Christen sind, sondern auch durch zurückgehende Taufzahlen im Milieu der ehe-maligen Traditionschristen. Ehen zwischen Katholiken und Unge tauften nehmen zu und verdienen daher verstärkte Aufmerk-samkeit.
Die Vfn. behandelt die im Titel angekündigten Dimensionen ihrer Darstellung in vier Kapiteln, deren erstes sich mit der »Glaubensverschiedenheit als Ehehindernis in der rechtsgeschichtlichen Entwicklung bis zum Mittelalter« befasst (27–90). Im Blick auf die »biblischen Zeugnisse« des Alten Testaments berichtet sie über die Abgrenzung Israels gegenüber den Fremdvölkern, und unter dem missverständlichen Titel »Einladung zum Festhalten an der Mischehe im Neuen Testament« (40) sieht sie in 1Kor 7,12–16 den Kernpunkt der Botschaft des Paulus in der Aufforderung an christgewordene Ehepartner, ihren heidnisch bleibenden Gatten nicht zu verstoßen. In den »ersten christlichen Jahrhunderten«, die sie bis vor Gratian rechnet, findet die Vfn. die Ehen mit Ungetauften unter den Aspekten der Strafbarkeit, der Gültigkeit und der Forderung, sie aufzulösen, behandelt. »Das Verdienst der Kanonisten«, worunter Bonizo von Sutri und Petrus Lombardus, dann natürlich Gratian und nach ihm die Dekretisten bis Innozenz III. verstanden werden, sei es, den gewohnheitsrechtlichen Umgang mit – und hier führt sie eine begriffliche Unterscheidung ein – glaubens- und religionsverschiedenen Ehen zu universalem Kirchenrecht ge­macht zu haben. (Glaubensverschieden scheinen danach Ehen mit Häretikern zu sein, religionsverschieden solche mit Ungetauften.)
Im zweiten Kapitel (91–167) wird der Zeitraum vom Konzil von Trient (1563) bis zum Codex Iuris Canonici von 1917 in den Blick genommen. Die sachlichen Zusammenhänge mit der Einführung der Formpflicht werden in deren schwieriger Geltungsgeschichte gezeigt, dann wird das Recht des CIC/1917 sehr ausführlich und im Präsens dargestellt, so dass der unsystematisch vorgehende Leser sich in einer Wiedergabe geltenden Rechtes wähnen kann.
Im dritten Kapitel (171–262) geht es um die eherechtlichen Re­formansätze des 2. Vatikanischen Konzils (z. B. durch das sogenannte »Ehevotum«) und ihre eher unentschlossene Umsetzung in der nachkonziliaren Gesetzgebung durch Matrimonii sacramentum von 1966 und Matrimonia mixta von 1970. In diesen Dokumenten werden die Entwicklungen bezüglich der neuralgischen Punkte des rechtlichen Umgangs mit der Religionsverschiedenheit – »Ehehindernis disparitas cultus«, wie die Vfn. oft schreibt – nachgezeichnet: das Verhältnis zur Konfessionsverschiedenheit, die Be­grifflichkeit für die Brautleute, die Kautelenfrage, die rechtliche und die liturgische Eheschließungsform und die Strafbarkeit, die sich aus der Verletzung der Erziehungspflicht bzw. der Formpflicht ergeben kann. Zu beiden ge­nannten Dokumenten haben die deutschen Bischöfe Anwendungs- bzw. Ausführungsbestimmungen erlassen, die von der Vfn. unter den gleichen Fragestellungen analysiert werden.
Mit der nachkonziliaren Reform des CIC beginnt dann das vierte Kapitel (263–329), das sich mit dem geltenden Recht und seinem Gewordensein beschäftigt, und zwar nach Maßgabe des CIC und der Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz. In »Schlussbemerkung und Ausblick« (333–337) zeichnet die Vfn. den Gang ihrer Darstellung nach und spricht noch einmal das Hauptanliegen ihres Buches an, das in der Forderung nach einer Differenzierung zwischen konfessions- und religionsverschiedenen Ehen in ihrer rechtlichen und pastoralen Würdigung besteht. Diese Forderung stellt das durchlaufende Element des Buches dar, das bei jeder sich bietenden Gelegenheit artikuliert wird. Ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis schließen die Arbeit ab.
Das Buch der Vfn. wird im Untertitel als »Untersuchung« be­zeichnet, was – jetzt greife ich auf die Methodenlehre der Zivilju-ris­ten zurück – darauf schließen lassen müsste, dass es im »Gutachtenstil« geschrieben, also auf der Suche nach Antworten auf eine Ausgangsfrage wäre. Es handelt sich jedoch um eine Arbeit im »Urteilsstil«, um eine einfache Wiedergabe des Befundes. Es gibt keine Frage, die einer Antwort nähergebracht würde. Es wird noch nicht einmal problematisiert, dass der CIC/1917 die konfessions- wie die religionsverschiedene Ehe bei Gefahr für den Glauben des katholischen Teils kraft göttlichen Rechts für verboten erklärte (can. 1060), woraus die Vfn. für das geltende Recht ableitet, die Dispens in einem solchen Fall verstoße gegen göttliches Recht und sei daher nicht möglich (294.325). Das hätte sie nicht grundlos in den geltenden Codex hineinlesen dürfen, sondern vielmehr auf seine Tragfähigkeit angesichts der Unschärfe des Tatbestands »Gefahr für den Glauben« hinterfragen müssen.
Ein Kennzeichen für den genannten Stil ist auch, dass die Vfn. die einzelnen Kapitel und auch viele der Untergliederungen mit einer Art Vorschau darüber eröffnet, was man im jeweiligen Textabschnitt erfahren wird, sozusagen Abstracts zum Auftakt. Manchmal führt das dazu, dass dieselben Sachverhalte unmittelbar hintereinander doppelt mitgeteilt werden (z. B. 199).
Es sei im Rahmen der hier gegebenen Möglichkeiten auf einige Sachfehler aufmerksam gemacht, die die Informationszuverläs-sigkeit dieser weit ausgreifenden, detaillierten Darstellung einschränken:
Es gibt keine »lateinischen Ostkirchen« (25). In den zitierten Quellen stimmt manches nicht, so in Anm. 337 und 376, wo fideles zu infideles gemacht worden sind, oder in Anm. 466, wo aus einer maritalis coniunctio eine materialis con-iunctio geworden ist. Die Überschrift zu Punkt 2.3 im zweiten Kapitel ist falsch: Es geht nicht um einen »Eheabschluss unter Bedingungen« (119), sondern um Voraussetzungen einer Dispens (ebenso Punkt 2.4 im vierten Kapitel, 289). Auf S. 248 werden Religions- und Konfessionsverschiedenheit den Kategorien von verbietenden und trennenden Hindernissen falsch zugeordnet. Die Aussage auf S. 170, nach dem Recht des CIC/1917 könne eine mit Dispens geschlossene nichtsakramentale Ehe nur dann wieder gelöst werden, wenn sie nicht vollzogen »und wenn ein Partner die Ordensprofeß ablegt«, ist unzutreffend. Die Vfn. insistiert darauf, dass die »Verlautbarung der deutschen Bischöfe zur Mischehe« von 1966 keine Rechtskraft habe (214.219. 229), weil die Deutsche Bischofskonferenz dafür keine Kompetenz besaß. Sie übersieht, dass es sich nicht um eine Verlautbarung der Bischofskonferenz handelt, sondern, wie der Titel un­missverständlich erkennen lässt, eine solche der deutschen Bischöfe, die sehr wohl zuständig sind. Und schließlich ist es eine falsche Lesung des can. 1127 §§ 1–2, wenn gesagt wird, eine Ehe mit einem Partner eines orientalischen Ritus könne »unter ganz bestimmten Voraussetzungen« in Form eines staatlichen Aktes geschlossen werden. Entweder meint sie einen Partner aus einer getrennten orientalischen Kirche, dann fordert can. 1127 § 1 ausdrücklich den interventus ministri sacri, oder einen Katholiken eines orientalischen Ritus, und dann gibt es keine Dispens von der Formpflicht laut authentischer Interpretation zu can. 87.
Falsch gelesen ist auch Nr. 15 des Motu Proprio Matrimonia mixta P. Pauls VI. von 1970, wo die Strafen des can. 2319 CIC/1917 aufgehoben werden mit der Klausel »salvis tamen obligationibus, de quibus in n. 4 harum normarum sermo est«. Die Klausel bezieht sich nicht, wie die Vfn. meint, auf can. 2319 n. 4 CIC/1917, sondern auf Nr. 4 des Motu proprio, die das Versprechen katholischer Kindererziehung »nach Kräften« fordert. Relevant ist die falsche Lesart, weil die Vfn. daran die wiederholte Behauptung knüpft, die Strafe für die nichtkatholische Kindererziehung sei durch Matrimonia mixta nicht aufgehoben worden (316.320.331), so dass can. 1366 CIC/1983 wie eine konsequente Fortführung erscheint.