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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

884–886

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bieringer, R., Ibita, M. S., Kurek-Chomycz, D., and T. A. Vollmer[Eds.]

Titel/Untertitel:

Theologizing in the Corinthian Conflict. Studies in the Exegesis and Theology of 2 Corinthians.

Verlag:

Leuven u. a.: Peeters Publishers 2013. XII, 475 S. = Biblical Tools and Studies, 16. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-90-429-2754-4.

Rezensent:

Dietrich-Alex Koch

Der Band vereinigt 20 Aufsätze zum 2. Korintherbrief, die auf Beiträge der Tagungen der EABS von 2006 bis 2008 zurückgehen. Be­merkenswert ist, dass neben Beiträgen etablierter Forscher Werkstattberichte jüngerer Wissenschaftler enthalten sind und so ein lebendiges Bild der gegenwärtigen Forschung entsteht.
Fast durchweg ist die Einheitlichkeit des 2Kor vorausgesetzt, was sich in einigen Fällen direkt auswirkt. Dies betrifft vor allem die beiden Beiträge von Ma. Marilou S. Ibita, die den ersten Teil (zu 2Kor 1–7) eröffnen. Sie nimmt zunächst eine narratologische, dann eine soziologische Analyse von 2Kor 1–7 vor. Erzähltechnisch wird der Aufschub der in 2Kor 2,12 f. beginnenden Erzählung vom Treffen mit Titus bis zu 7,5 als Mittel erklärt, »to keep the Corinthians in suspense about the events that happened between them and Titus’ report concerning his meeting with them« (36). In 2Kor 1–7 insgesamt sieht die Vfn. einen »volatile reconciliation process« (68). Ähnlich ist in den beiden Beiträgen zu 2Kor 6,14–7,1 die Authentizität vorausgesetzt: Emmanuel Nathan betont vor allem den paulinischen Charakter der Tempelterminologie, Volker Rabens be­zieht die Abgrenzungsaufforderung auf die Gegner von 2Kor 10–13.
Doch sind damit die Schwierigkeiten, die mit einer Annahme der Einheitlichkeit des 2Kor verbunden sind, nicht ausgeräumt. Die Spannung zwischen 6,11–13 und 7,2–4 einerseits und 7,5–16 andererseits wird dadurch behoben, dass die Versöhnungsaussagen von 7,5–16 relativiert werden: »He (i. e. Paul) creates the impression (sic! D.-A. K.) that Titus only brought back positive news« (Ibita, 39). In Bezug auf 6,14–7,1 ist ein Widerspruch zu 1Kor 5,9 nur dann nicht gegeben, wenn man 2Kor 6,17a künstlich auf »a selec-tive removal from intimate contact« (Rabens, 231) reduziert. Der Widerspruch zwischen 2Kor 6,17c und 1Kor 10,25 ist an keiner Stelle berücksichtigt.
Dominica A. Kurek-Chomycz analysiert den für 2Kor spezifischen Gebrauch von φανερόω (im Unterschied ἀποκαλύττω). Die gründliche Analyse ergibt: »The use of the verb φανερόω to express the spreading of the knowledge about God in and through the apos­tolic ministry, with particular focus on the embodied existence, seems to be unique to 2 Corinthians« (105 f.). Zwei Beiträge betreffen 2Kor 3: John Dennis behandelt die Antithese ›Buchstabe und Geist‹; Albert L. A. Hogeterp versteht (u. a. mit Hinweis auf 2Kor 6,2) den ›Neuen Bund‹ in der Perspektive einer »inaugurated eschatology« (143). Jan Lambrecht verfolgt sehr genau die verschiedenen anthropologischen Konzeptionen in 2Kor 4,16–5,10, und Raimund Bieringer entfaltet die Bedeutungsnuancen von ὑπέρ in den Sterbensaussagen von 2Kor 5,14 f.
Die Studie von Christoph W. Strüder zur Begrifflichkeit in 2Kor 5,17.21 kommt zu dem gut begründeten Ergebnis: »Die abstracta fungieren […] als wechselseitige correctiva: Δικαιοσύνη θεοῦ verhindert ein allzu ontologisches Verständnis von καινὴ κτίσις und ›neue Schöpfung‹ bewahrt vor einem rein forensischen Verständnis von ›Gerechtigkeit Gottes‹« (208 f.). Robin Griffith-Jones behandelt die in 2Kor wichtige Rolle von Vision und Transformation: Der Vf. versteht Paulus als Merqava-Mystiker, der seine eigene Vision den Adressaten vermitteln will: In Analogie zu den Ältesten von Ex 34 »Paul’s converts were to turn to the new Mose: to Paul himself, to see the Paul who had been transformed by his own vision of Christ who is the glory of God« (265; Hervorhebung i. O.).
Zu Beginn des mittleren Teils, der die Kollektenkapitel 2Kor 8 und 9 betrifft, gibt Eve-Marie Becker einen detaillierten Überblick über die literarkritische Debatte und verbindet sie mit dem historischen Problem der Kollektenmission. Binz Antony fragt nach dem Verständnis Gottes in 2Kor 8–9 und betont, dass Paulus von Gott nicht abstrakt, sondern immer im Kontext menschlicher Situationen redet. Gesila NNeka Uzukwu analysiert die rhetorische Struktur von 2Kor 8,1–5 und kommt zu dem begründeten Ergebnis, dass Paulus das Ausmaß der Gaben der makedonischen Gemeinden überzeichnet. Gleiches gelte auch für die Schilderung der Bereitschaft der Korinther in 2Kor 9,2 im Vergleich mit 8,10, was jedoch die gleichzeitige Abfassung beider Texte voraussetzt.
John M. G. Barclay schlägt für ὑμᾶς ἐπτώχευσεν πλούσιος ὤν (2Kor 8,9) anstelle des üblichen konzessiven ein kausales Verständnis vor (d. h. »because he was rich he became poor« anstelle von »obwohl er reich war, wurde er arm«), wobei dann ›Reichtum‹ im Sinne von Freigiebigkeit zu verstehen sei. Als Schlussfolgerung für die Korinther ergibt sich: »Christ has made them rich in precisely what is required of them here, rich in generosity and in generous contribution to the collection« (343). Dieser Vorschlag, die ›Armut‹ Christi als Ausdruck seines ›Reichtums‹ zu verstehen, ist auf jeden Fall beachtlich, doch ist eine antithetische Zuordnung von ›reich‹ und ›arm‹ (und damit ein konzessives Verständnis) weniger kompliziert.
David Bolton möchte die Kollekte im Sinne der Völkerwallfahrt zum Zion aus Dt-Jes verstehen. Der Vf. ist sich allerdings der Schwierigkeit bewusst, dass Paulus nirgends diesen Bezug herstellt. Er behilft sich damit, dass er in den Kollektentexten (oder deren Umgebung) Stichwörter (z. B. πτωχός) oder Zitate (z. B. Jes 25,8 in 1Kor 15,54 – in der Nähe von 1Kor 16,1 ff.!) ausfindig macht, die in ihrem ursprünglichen Kontext eine gewisse Nähe zum ›return from exile-‹ bzw. ›Zion-pilgrimage‹-Motiv aufweisen. Dass Paulus keine Texte zum Völkerwallfahrtsmotiv zitiert, erklärt der Vf. damit, dass Paulus die christlichen Gemeinden nicht als »nations who will serve Israel« erscheinen lassen wollte (358; Hervorhebung im Original).
In einem weiteren Artikel, mit dem die Beiträge zu 2Kor 10–13 beginnen, will David Bolton zeigen, dass die fünfmalige Synagogenstrafe (2Kor 11,24) nicht bedeutet, dass Paulus mit dem Judentum gebrochen hat, was sicher zutreffend ist. Darüber hinaus vertritt der Vf. die These, dass Paulus immer ein thoraobservanter Jude geblieben ist und seine in der Diaspora gegründeten Gemeinden (der Vf. spricht von ›Paul’s Jesus Movement‹ [377]) Teil des Diasporajudentums blieben. Das ist nur möglich, weil er 1Kor 9,20 f. für reine Rhetorik hält und außerdem ein nicht-thoraobservantes Dias­porajudentums postuliert. Als ›Beweis‹ hierfür verweist er auf Titus, der nach Gal 2,3 als Ἕλλην (und d. h. für den Vf.: als Diasporajude!) nicht beschnitten war.
Cosmin-Constantin Murariu vertritt gegen die verbreitete Deutung, dass in 2Kor 12,4 »unaussprechliche Worte, die ein Mensch nicht aussprechen darf« gemeint seien, die These, dass hier diese Worte als von vornherein unverständlich gedacht sind, so dass man sie gar nicht weitersagen kann. Er verweist dafür auf die »unaussprechlichen Seufzer« von Röm 8,26 und betont stark die totale Jenseitigkeit der ῥήματα.
James R. Harrison stellt fest, dass die Position des Paulus in 2Kor 12,14c (die Eltern haben für die Kinder Schätze zu sammeln, nicht umgekehrt) der vorherrschenden Sicht einer wechselseitigen Verpflichtung von Eltern und Kindern widersprach, auch wenn es da­neben auch (begrenzt) »the paradigms of selfless parenthood« gab (424). Dabei diskutiert der Vf. in anregender Weise, welche Reaktionen in Korinth im Rahmen der vorherrschenden kulturellen Leitvorstellungen auf das Argument des Paulus denkbar sind. Thomas A. Vollmer versteht in seinem Beitrag zu 2Kor 13,13 κοινωνία τοῦ πνεύματος als Gen. subj. und kommt zu dem Ergebnis: »Paul uses κοινωνία τοῦ ἁγίου πνεύματος in a way that engages the holy Spirit on creating the fellowship in the Corinthian community« (442 f.).
Der sorgfältig edierte Band wird durch eine instruktive Einleitung und ein Wort- und Stellenregister gerahmt.