Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

849–852

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berlejung, Angelika, Dietrich, Jan, u. Joachim Friedrich Quack [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XVI, 695 S. = Orientalische Religionen in der Antike, 9. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-151828-7.

Rezensent:

Beate Ego

Der Band fügt sich in die Reihe verschiedener Publikationen zum Thema der Anthropologie ein, das im alttestamentlichen Forschungsdiskurs der letzten Jahre eine große Bedeutung eingenommen hat. Dabei liegt hier nun ein besonderer Fokus auf dem Aspekt der Körperkonzepte, die wiederum im Zusammenhang individueller und sozialer Wirklichkeitskonstruktionen zu betrachten sind.
In diesem Kontext möchte der hier vorliegende Band eine »Vor- und Grundlagenarbeit« für eine noch zu schreibende »Anthropologie der altorientalischen Antike« (VI) darstellen, die aus Einzelphänomenen heraus entwickelt werden muss. Ein besonderes Interesse der Herausgeber liegt in diesem Kontext darin, neue theoretische Ansätze aus dem Bereich der Anthropologie vorzustellen und vor diesem Hintergrund einzelne konkrete anthropologische Konzepte zu präsentieren. Dabei wird nicht der Anspruch gestellt, einen repräsentativen Überblick zum Thema der Anthropologie zu bieten, aber eine »bewusste, internationale und innovative Auswahl« zu treffen (so in der Einleitung, VI).
Auf theoretische und übergreifende Beiträge (Anne Koch, »Reasons for the Boom of Body Discourses in the Humanities and the Social Sciences since the 1980s. A Chapter in European History of Religion« [3–42]; Bruce J. Malina, »The Idea of Man and Concepts of the ›Body‹ in the Ancient Near East« [43–60]; John J. Pilch, »The Idea of Man and Concepts of the Body. Anthropological Studies on the Ancient Cultures of Israel, Egypt, and the Near East« [61–75]; Jan Dietrich, »Individualität im Alten Testament, Alten Ägypten und Alten Orient« [77–96]; Alexandra Grund, »Homo donans. Kulturanthropologische und exegetische Erkundungen zur Gabe im alten Israel« [97–123]; Philip F. Esler, »Ancient Mediterranean Monomachia in the Light of Cultural Anthropology. The Case of David and Goliath« [125–159]) folgen Einzelstudien aus dem Bereich des Alten Testaments (Thomas Staubli, »Wieviel ist ein Menschenleben wert? Biblisches und Ikonographisches zu Würde und Wert des Menschen« [163–182]; Christl M. Maier, »Körper und Geschlecht im Alten Testament. Überlegungen zur Geschlechterdifferenz« [183–207]; Dorothea Erbele-Küster, »Körperbestimmungen in Leviticus 11–15« [209–223]; Silvia Schroer, »Old Testament Resistance against Sport and the Cult of the Body« [225–237]; Jürgen van Oorschot, »Beredte Sprachlosigkeit im Ijobbuch. Körpererfahrung an den Grenzen von Weisheit und Wissen« [239–254]; Ute Neumann-Gorsolke, »›Aber Abraham und Sarah waren alt, hochbetagt …‹ (Gen 18:11). Altersdarstellungen und Funktionen von Altersaussagen im Alten Testament« [255–286]; Bernhard Lang, »Die Leviten. Ihre Anthropologie und die Folgen für Ahnenkult und Bilderverehrung im alten Israel« [287–320]; Martin Leuenberger, »Bestattungskultur und Vorstellungen postmortaler Existenz im Alten Israel« [321–344]; Annette Krüger, »Salbungsrituale im Begräbniskontext« [345–363]).
Ein dritter Teil des Bandes ist schließlich dem Bereich anthropologischer Vorstellungen im Alten Orient (Angelika Berlejung, »Menschenbilder und Körperkonzepte in altorientalischen Gesellschaften im 2. und 1. Jt. v. Chr. Ein Beitrag zur antiken Körpergeschichte« [367–398]; Gwendolyn Leick, »Divinely Human and Humanly Divine. Embodiment in Mesopotamian Literature« [399–405]; Takayoshi Oshima, »When the Gods Made Us from Clay« [407–431]; Claudia E. Suter, »The Royal Body and Masculinity in Early Mesopotamia [433–458]; Joan Goodnick Westenholz, »The Body and the Mind in Mesopotamian Traditions« [459–480]) und in Ägypten gewidmet (Friedhelm Hoffmann, »Zum Körperkonzept in Ägypten [P. Berlin P. 10472 A + 14400]«, [481–500]; Ludwig D. Morenz, »Der Mensch als Zeichen. Vom menschlichen Körper als einem Vor-Bild der Hieroglyphen« [501–518]; Joachim Friedrich Quack, »Der Weber als Eunuch im Alten Ägypten« [519–526]; Angelika Lohwasser, »Haut als Medium im antiken Nordostafrika. Temporäre und permanente Modifikationen der Körperoberfläche« [527–559]; Joachim Friedrich Quack, »Zur Beschneidung im Alten Ägypten« [561–651]). Ausführliche Stellen-, Namen-, Sach- und Wortregister beschließen den umfangreichen Band.
Zweifelssohne findet sich hier eine Zusammenstellung zahl-reicher gewichtiger Beiträge aus dem weiten Feld der Thematik »Anthropologie und Körperkonzeption«. Dies wird allein schon durch den Umfang zahlreicher Arbeiten und die ausführliche Aufarbeitung der bisherigen Forschung deutlich, wie sie sich in vielen Beiträgen findet. Da eine Besprechung und Würdigung aller Aufsätze in diesem Rahmen nicht möglich ist, muss ich mich hier auf einige Grundlinien beschränken. Sehr zu begrüßen sind zunächst die Beiträge, die traditionelle anthropologische Konzepte rezipieren und mit den alttestamentlichen Überlieferungen verknüpfen. So verbindet Alexandra Grund z. B. die Theorie von Marcel Mauss über die Gabe mit der Lebenswelt des Alten Israel, wenn sie die Be­sänftigung in konfliktträchtigen Situationen, Heirat und Gabentausch, Huldigungs- und Loyalitätsgeschenke sowie die Reziprozität beim Lex talionis als menschliche Formen des Gabenaustausches im Alten Israel herausarbeitet, um dann schließlich mit einem knappen Ausblick auf das Opfer als Gabe ihren Beitrag zu beschließen. Philip E. Esler wiederum greift das für mediterrane Ge­sellschaften so typische Honour-and-Shame-Muster auf und wendet es für die Interpretation der Auseinandersetzung von Da­vid und Goliat an.
Im Hinblick auf die verschiedenen Beiträge, die sich einzelnen Aspekten aus dem Bereich der Anthropologie widmen, ist wiederum auf verschiedene Themen zu verweisen, die bislang nur wenig Beachtung gefunden haben. Hier wäre – um nur einzelne Beispiele herauszugreifen – die Arbeit von Silvia Schroer zur Frage des Sports und des Körperkultes zu nennen, die deutlich macht, wie erst durch den Vergleich mit anderen religiösen Symbolsystemen bestimmte Charakteristika der israelitischen Religion sichtbar werden. So kann sie zeigen, dass das Desinteresse am Sport und am menschlichen Körper auch als Reaktion auf die kultische Bedeutung desselben in der ägyptischen und griechischen Kultur erklärt werden kann. Interessant durch die zahlreichen Vergleichstexte aus Ägypten, der Levante und Griechenland ist auch der Beitrag von Annette Krüger zum Salbungsritual. Allerdings stellt sich hier aufgrund der breiten zeitlichen Streuung der Belege die Frage nach der diachronen Dimension des Phänomens. Faszinierend erscheint auch der Versuch des Ägyptologen Ludwig D. Morenz, einen Bezug zwischen Körperkonzeption und der Entwicklung der Schrift herauszuarbeiten, wie dies im Falle der Entstehung der Hieroglyphen, aber auch anderer früher Schriftzeichen möglich ist.
Wie bei vielen Sammelbänden stellt sich auch bei diesem Band die Frage nach der inneren Kohärenz und der Verzahnung der Einzelbeiträge. Eine solche lässt sich nur in Einzelfällen ausmachen (so z. B. bei der Thematik »Menschenbild, Alter und Todesverständnis« in den Beiträgen von Ute Neumann-Gorsolke, Bernhard Lang, Martin Leuenberger und Annette Krüger, oder bei der Beschäftigung mit dem Phänomen der bewussten Veränderung von Körpern im Falle von Kastration, Beschneidung und Tätowierung in den Beiträgen von Joachim Friedrich Quack und Angelika Lohwasser). Unklar bleibt, wie der für sich gelesen hochinteressante Aufsatz der Religionswissenschaftlerin Anne Koch, der ja auf die Anthropologie in der europäischen Religionsgeschichte fokussiert ist, mit den anderen Beiträgen dieses Bandes in Beziehung zu setzen ist. Hier eröffnet sich noch ein weites Feld des forschungsgeschichtlichen und kulturvergleichenden Arbeitens. Den Herausgebern dieses Sammelbandes ist auf jeden Fall für die Zusammenstellung und Aufbereitung des interessanten Materials zu danken und man darf weitere Entwicklungen in dem dynamischen Forschungsfeld der Anthropologie mit Spannung erwarten.