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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

493–495

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eikrem, Asle

Titel/Untertitel:

Being in Religion. A Journey in Ontology from Pragmatics through Hermeneutics to Metaphysics.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. X, 253 S. = Religion in Philosophy and Theology, 67. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-152052-5.

Rezensent:

Hermann Deuser

Wittgensteins frühe und späte Philosophie, d. h. die Wendung zur analytischen Präzision der formalen Sprache und die Entdeckung der vorrangigen Prägung durch den (alltäglichen) Sprachgebrauch, kurz: der linguistic turn hatte im 20. Jh. auch große Teile der (englischsprachigen) Religionsphilosophie inspiriert und von traditionellen essentialistischen/ontologischen Positionen befreit. Was ein religiöser Mensch glaubt, bekennt, formuliert, muss anders verstanden werden (Wittgenstein: »Tiefengrammatik«) als Sätze über innerweltlich-empirische Gegenstände. Denn religiöse Inhalte be­treffen die Lebensumstände in Person-Relationen und Kontexten aller Art, die ihr eigenes Verständigungsmedium ausprägen und diesem angemessene Prüfbedingungen entwickeln. Wie aber steht es dann um die allgemeingültige, wissenschaftliche Beurteilung von Religiosität? Ist sie doch nur eine immer subjektiv befangene Expressivität ohne reale Sachhaltigkeit oder gibt es eine spezifisch religiös erschließbare, gleichwohl allgemeine Realität? Letztere zu bestimmen bedeutet aber nichts anderes als die Wiederaufnahme des Ontologieproblems in Sachen Religion bzw. der Fragestellungen der Metaphysik.

Asle Eikrem, Religionsphilosoph an der Gemeindefakultät in Oslo/Norwegen, stellt sich mit seiner Dissertation genau diesem Problemknoten einer neu zu begründenden Ontologie unter den Bedingungen und am Beispiel zweier Referenzautoren des linguistic turn: Dewi Z. Phillips (1934–2006; zuletzt Swansea University und Claremont Graduate University, California) und Paul Ricœur (1913–2005). Mit dieser Auswahl ist zugleich die Absicht verbunden, die europäisch-kontinentale (Sprach-)Philosophie in der Tradition von Phänomenologie und Hermeneutik (Ricœur) zu kontrastieren mit der konsequent sich an den lebendigen Gebrauch der Sprache bindenden und deshalb metaphysikkritischen Einstellung angelsächsischer Philosophie im Anschluss an Wittgenstein (Phillips). Beide Seiten werden mit derselben bohrenden Frage konfrontiert, wie bei vorausgesetzt nicht zu durchbrechender Zeichen- bzw. Sprachvermitteltheit aller Kommunikation noch deren Sachhaltigkeit gesichert sein kann. Dabei ist die vorgängige Vermittlung unterschiedlich zu denken: Bei Phillips haftet alles am sprachlichen Vollzug (E.: »Pragmatik«); bei Ricœur sind die Kreise lebensweltlich weiter gezogen (E.: »Hermeneutik«) und lassen explizit die Frage der notwendigen und realen Theorieelemente zur Bestimmung von Verstehensvollzügen zumindest zu – auf deren Begründung und Geltung es E. in allem ankommt (»Being«, Ontologie, Metaphysik). Das spezifisch Religiöse ist dabei der Anwendungsfall eines allgemeinen philosophischen Problems, und das bedeutet auch: »Philosophy of religion is to be construed as a meta-religious and meta-theological reflection« (3).

Die Arbeit ist so aufgebaut, dass zunächst (chapter II u. III) kurz das Œuvre der beiden Referenzautoren präsentiert wird: Phillips’ »contemplative philosophy«, die sprachpragmatisch die Dinge lässt, wie sie sind (Wittgenstein: »Sprachspiele«, »Lebensformen«), und Begriffsverwirrungen dadurch aufzuklären hilft; Ricœurs narrative Hermeneutik, die raumzeitliche Kontexte imaginativ und symbolisch verarbeitet sieht und darin die ontologische Dimension aufdeckt (»being constrains speech« [57]). Dieser I. Teil schließt mit einer Präzisierung der ontologischen Fragestellung (chapter IV), die dann im II. Teil: »Towards deep-metaphysics«, nun selbständiger entfaltet wird. Das geschieht orientiert an Ricœurs Un­terscheidung in »first-order« und »second-order religious discourse«, die zunächst als Theoriekonzept erklärt (chapter V) und dann jeweils in ihren ontologischen Implikationen – anknüpfend bei und kritisch gegenüber Phillips und Ricœur – durchgeprüft werden (chapter VI u. VII). Die Arbeit schließt mit einer Zusam­menfassung (chapter VIII) zu dem erreichten systematischen Anspruch: »In the end religious discourse is the name of the processes by which being continuously recreates and rediscovers itself in its religious orientation« (229).

Die beiden religiösen Sprachen erster und zweiter Ordnung, d. h. der »vor-theoretische« Ausdruck als Basis für dessen »theoretische« Reflexionsebene (102), werden zusammen in einem »unrestricted universe of discourse« (101) gedacht. Diese Öffnung aufs Ganze sprachlicher Möglichkeiten, wie sie vor allem im Anschluss an Ricœur (»Das Selbst als ein Anderer«) und die Wahrheitstheorie von L. B. Puntel entworfen wird, diese »Orientierung« an der »absoluten Dimension von Sein« (108) greift weit über die Vorlage bei Phillips hinaus und stützt sich auf die strukturelle Rationalität von (religiöser) Sprache als leistungsfähiger Verständigungspraxis in lebensweltlicher Realität. Es ist diese reale Ganzheitsorientierung, die – in den (religiösen) Sprachvollzügen verankert – den Rechtsgrund für die Unterstellung einer Erschließung von Sein in Spra che abgibt: Ein »as if« – »something is (truly) the case« (191). Diese Wendung charakterisiert durchgängig E.s These in ihren immer detaillierteren Ausarbeitungen und Begründungen. Sie stützen sich, mehrfach wiederholend, auf die Vorgaben bei Phillips und Ricœur und wollen Schritt für Schritt die relationale Sachhaltigkeit von Sprachhandeln aufweisen. Dessen Verstehbarkeit lässt sich nur über eine Seinserschließung überzeugend bestimmen, denn deren Horizont reicht weiter als die je besondere Situation, und im Vorgriff auf eine Ganzheit wird das »Was« (168) der Sprachvermittlung real und präsent: »as self-expressions of being« (176) oder: »we can express, ›what is the case‹ because it is given as expressible« (207).

Diese Verankerung von Ontologie in Sprache wird ebenso mu­tig wie vorsichtig, methodisch reflektierend und analytisch genau durchgeführt. Das macht die Arbeit beispielhaft für die wieder und neu begonnene Thematisierung von Metaphysik bzw. Ontologie in der gegenwärtigen (Religions-)Philosophie. Zwei Fragen aber müssen noch gestellt werden: 1. Was Metaphysik eigentlich ist oder sein sollte, wird nicht beantwortet; oder anders: Diese Frage lässt sich wohl sprachphilosophisch allein gar nicht beantworten. Es fehlt die Perspektive der Kosmologie, und der allgemeine Zeichenbegriff (Semiotik), der auch naturphilosophisch beziehbar wäre, wird zwar genannt, tritt aber hinter dem Sprachhandeln deutlich zurück. 2. Die Differenz bzw. Einheit von Philosophie und Religionsphilosophie wird offenbar als ein problemloses Zu­sam­menspiel vorausgesetzt, aber ist das berechtigt? Oder gilt das nur aufgrund der gewählten (sprachphilosophischen) Ausgangskonstellationen bei Phillips und Ricœur? An ihnen kann jeden-falls kritisch gezeigt werden, was es für die religiöse Sprache erster und zweiter Ordnung bedeutet: »being discloses itself religiously« (124).