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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

492–493

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Zager, Werner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Führt Wahrhaftigkeit zum Unglauben?David Friedrich Strauß als Theologe und Philosoph. M. Beiträgen v. H. Frommer, B. Hildebrandt, W. E. Müller, A. Rössler, W. Schulz, W. Zager, W. Zoller u. E. Zopfi.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2008. VIII, 224 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2342-2.

Rezensent:

Christopher Voigt-Goy

Emanuel Hirsch hat in seiner klassischen Darstellung der neueren Theologiegeschichte David Friedrich Strauß (1808–1874) als einen Denker hervorgehoben, der durch die Aporien seiner Theologie in genuiner Art und Weise die Probleme jeden modernen Nachdenkens über das Christentum markiert. Die 200. Wiederkehr des Geburtstages von Strauß bot für den »Bund für Freies Christentum« den Anlass, eine Tagung in Bad Boll abzuhalten, welche der hier zu besprechende Band dokumentiert. Ihm ist eine durch die Theologie von Strauß verursachte intellektuelle Aufregung, die Hirschs Darstellung prägt, kaum zu entnehmen.

Eröffnet wird der Band von dem Beitrag des Tübinger Philosophen Walter Schulz aus dem Jahr 1958, der auf der Tagung verlesen wurde: »Einführung in Leben und Werk von David Friedrich Strauß« (1–11). Diese nun postum erstmals veröffentlichte Skizze leistet sachlich, was ihr Titel verspricht. An sie fügen sich Vorträge an, die in zwei Abteilungen untergliedert werden können: zu­nächst stärker systematisch orientierte und dann stärker historisch orientierte. Sie tragen auf unterschiedliche Weise zu einem Bild von Strauß und seiner Theologie bei.

Im Fall der stärker historisch orientierten Vorträge ist dieser Beitrag teils farbig: Das gilt vor allem für den Aufsatz von Wolfram Zoller, dem es anhand der mal mehr mal weniger gelungenen Dichtungen von Strauß gelingt, eine Spur zum Verständnis von dessen religiöser Empfindungswelt zu legen (»David Friedrich Strauß als Poet«, 143–163). Und Andreas Rössler beleuchtet zitatenreich mit »Friedrich Theodor Vischers Anmerkungen zu David Friedrich Strauß« (177–209) ein intellektuelles Freundschaftsverhältnis. Etwas blasser, dafür den weiteren Lebenskontext von Strauß ausmalend, ist der Aufsatz von Heinrich Frommer, »David Friedrich Strauß und seine schwäbischen Landsleute« (165–176). Den blassesten Beitrag leistet trotz seiner literarischen Inszenierung der Vortrag von Emil Zopfi, der die Konflikte um Strauß’ letztlich gescheiterte Berufung nach Zürich schildert: »Fremdenhass, Diskriminierung Andersdenkender und Andersgläubiger, Diffamierung politischer Gegner nehmen zu. Alles war schon da – die Karikaturen von 1839 erinnern fatal an den heutigen ›Karikaturenstreit‹« (»Zürichs ›Heiliger Krieg‹ von 1839. Eine historische Reportage«, 211–220, Zitat: 220). Dass dergestaltige Ausführungen das historische Verständnis von Strauß nicht befördern, versteht sich, selbst wenn sie als die Moral von der Geschichte formuliert sind.

Das Bild von Strauß bekommt durch die stärker systematischen Vorträge keine einprägsameren Konturen. Übergehen kann man dabei die länglichen Ausführungen von Wolfgang Erich Müller, der – wie der Titel schon andeutet – nur in artifiziellem Kontakt zu Strauß seinen eigenen Gedanken nachgeht (»Auf dem Weg zu einer autonomen Verantwortungsethik – ausgehend von David Fried­rich Strauß’ emanzipatorischer Christologie«, 37–84). Die restlichen drei Beiträge liefern Bernd Hildebrandt (»David Friedrich Strauß als systematischer Theologe. Zum Anliegen seiner Glaubenslehre«, 13–36), Werner Zager (»Der Prophet einer kommenden Wissenschaft. David Friedrich Strauß im Urteil Albert Schweitzers«, 85–108) und noch einmal Andreas Rössler (»David Friedrich Strauß als nachchristlicher Philosoph. Oder: Führt Wahrhaftigkeit zum Unglauben?«, 109–142). Sie alle sind zuverlässige Referate.

Die Hinweise auf Hegel sowie die gelegentlichen Vergleiche mit Schleiermacher, Feuerbach usf. machen auf den theologiegeschichtlichen Kontext aufmerksam, in dem Strauß stand. Doch Strauß wird in diesen Kontext als mitdenkender und religiös be­wegter Zeitgenosse nicht eingefügt. Der intellektuelle Charme dieser theologiegeschichtlich so wichtigen Epoche bleibt dem Leser verborgen. Insgesamt scheinen die Autoren die erläuternde Interpretation von Zitaten – etwa von Hegel, aber natürlich auch von Strauß – für störendes Beiwerk zu halten. Das ist schade, vor allem wenn sich der Leser fragt, was Strauß mit seinen Ausführungen denn meint und warum diese zumindest damals als Affront empfunden wurden, oder vielleicht nach wie vor – wie es Hirsch jedenfalls sah – nachdenkenswert sind. Kurzum: Es ist ein Band, der im Großen und Ganzen keinen bleibenden Eindruck hinterlässt und dessen Fehlen in Bibliotheken keine Lücke schlägt.