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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

471–473

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wilken, Robert Louis

Titel/Untertitel:

The First Thousand Years. A Global History of Christianity.

Verlag:

New Haven: Yale University Press 2012. X, 388 S. m. 28 Abb. Geb. US$ 35,00. ISBN 978-0-300-11884-1.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

In letzter Zeit ist (vom frisch emeritierten Münchener Ordinarius für Ältere Kirchengeschichte und Außereuropäische Christentumsgeschichte in der Neuzeit K. Koschorke) – nicht ohne Grund – beklagt worden, die Kirchenhistorikerzunft im alten Europa habe bislang, zumal an protestantischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum, nur unzureichend registriert, dass die Geschichte der Kirche von Anfang durch polyzentrische Strukturen gekennzeichnet war. Infolgedessen werde ihr nur eine globale, nicht aber europa- oder gar abendlandzentrierte Sichtweise gerecht, wie sie dort im Regelfall noch immer vorherrsche.

»Amerika, du hast es«, in dieser Hinsicht, offensichtlich »besser«, jedenfalls was die USA betrifft. Hier hat jüngst Robert Louis Wilken (geb. 1936), gegenwärtig einer der erfolgreichsten theologischen Autoren und anregendsten Patristiker des Landes, zugleich einer der wenigen Kirchenhistoriker mit ausgeprägt theologischem In­teresse und Verantwortungsbewusstsein, den ersten Teil einer globalen Christentumsgeschichte vorgelegt, den ich der Leserschaft der ThLZ zur Kenntnisnahme nur sehr empfehlen kann.

Für ein allgemeines, interessiertes Leserpublikum ohne nennenswerte Vorkenntnisse geschrieben und die Christentumsgeschichte des 1. Jt.s in 36 kurzen Kapiteln (zuzüglich Einleitung und Nachwort) überwiegend erzählerisch abhandelnd, überlässt er die wissenschaftliche Diskussion, der W. durchaus gewachsen wäre und an der er an wichtigen Stellen lange genug selbst teilgenommen hat, der Fachliteratur. Die Anmerkungen sind darum ganz knapp gehalten und nennen weiterführende Literatur und geeignete Übersetzungen (ins Englische), von denen in dem Buch selbst Gebrauch gemacht wird, wann immer es vertretbar ist.

Berücksichtigt werden in dieser Nachzeichnung einer tausendjährigen Geschichte auf 359 Textseiten – hinzu kommen (zwischen den Seiten 182 und 183) 16 Seiten mit guten Bildreproduktionen (samt Legenden) und am Schluss 11 Seiten mit einer chronologischen Übersicht und Karten sowie ein Anhang von wiederum 16 Seiten mit empfohlener Sekundärliteratur, empfohlenen Übersetzungen und einem Gesamtindex – vor allem »solche Ereignisse und Personen«, die nach dem Urteil W.s »würdig sind, dass man sich ihrer zu Beginn des 3. Jahrtausends erinnert« (1).

Im Unterschied zu den meisten Büchern über das frühe Chris­tentums beschränkt sich W. ferner, wie bereits bemerkt, nicht auf die ersten (fünf bis sechs) Jahrhunderte, in denen die Grundlagen gelegt wurden und die Grundfragen des christlichen Glaubens eine (vorläufig) abschliesßende Antwort erhielten. »Die Geschichte der Anfänge bedarf indes«, findet er, »eines ausgreifenderen Horizontes. Erst gegen Ende des 1. Jahrtausends tritt die Gestalt vollends in den Blick, die das Christentum im Laufe der Geschichte annahm.« (Ebd.) Gemeint sind die frühmittelalterlichen Fürstenbekehrungen als Ausgangsbasis für die Ausbildung der so charakteristischen Landeskirchentümer. So beginnt seine Darstellung mit Jesus von Nazareth im 1. und endet mit der Taufe des russischen Großfürsten Vladimir im 10. Jh. (genauer: 988). »Um das Jahr 1000 war die Landkarte des Christentums weithin komplett.« (Ebd.)

Freilich ist es keine reine Sieges- und Siegergeschichte, die hier zu erzählen ist. Betrachtet man den »Siegeszug« des Christentums nicht aus rein westlicher Perspektive, womit ein ganz wesentliches Element verkannt wäre, so muss auch des Aufstiegs und der Ausbreitung des Islam gedacht werden. Dass dies in dem hier vorzustellenden Buch so ausführlich geschieht wie in keiner vergleichbaren (monographischen und einbändigen) Darstellung, ist vielleicht sein größtes Verdienst. Um dem Leser einen angemessenen Eindruck von dem gewaltigen Einfluss zu vermitteln, den die arabisch-islamische Eroberung auf das nahöstliche, nordafrikanische und später auch spanische Christentum ausübte, widmet W. diesem Thema nicht weniger als vier Kapitel.

Als weiterer Vorzug der Darstellung ist hervorzuheben, dass sie die literarische Bezeugung berücksichtigt wie die nichtliterarische, Prosa wie Dichtung (!); dass kein Aspekt und kein Bereich von Be­deutung vergessen ist: die politische Geschichte so wenig wie die Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte (zumal die des Mönchtums), das christlich-jüdische Verhältnis, von dem W. besonders viel versteht, so wenig wie Architektur und Kunst, Musik und Gottesdienst, kanonisches Recht und Ausbildung des Papsttums. Endlich werden eigene Kapitel »Ägypten und den Kopten« sowie »Nubien« (Kapitel 21), »Äthiopien« als dem »afrikanischen Zion« (Kapitel 22), »den »syrischsprachigen Christen« oder der »Kirche des Ostens« (Kapitel 23), »Armenien und Georgien« (Kapitel 24) und den Anfängen des Christentums in »Zentralasien, China und Indien« (Kapitel 25) gewidmet. Das Buch schließt mit zwei annähernd gleich langen (oder kurzen) Kapiteln über »einen westlichen Kaiser: Karl d. Gr.« (Kapitel 35) und »Christentum unter den Slawen« bis zur sogenannten »Taufe Russlands« (Kapitel 36).

Besonders was die Darstellung der Anfänge (Entwicklung der kirchlichen Strukturen [Ämter], Verhältnis der sogenannten »ka­-tholischen Normen« [Kanon, »Glaubensregel«, Bischofsamt] zu einander) oder auch der Ausbildung der Papstidee anlangt, wird der informierte protestantische Leser W. kaum folgen können, welcher hier klar römisch-katholische Positionen bezieht.

Auch sind einige Fehler zu monieren: wie, dass es »arianische oder homöische« Lehre sei, Christus sei von »ähnlicher Substanz« wie Gott-Vater (homoiusios [95 f.], eine Anschauung, auf die die »Arianer« wie die »Homöer« in Wirklichkeit reagierten wie der Teufel auf das Weihwasser; und man habe das Bekenntnis von Konstantinopel 381 einfach als »nizänisch« bezeichnet, weil nur die wenigs-­ten Bischöfe seinen komplizierten »vollen Titel« haben aussprechen können: Nicaeno-Constantinopolitanum [97], der freilich erst ein Produkt der neuzeitlichen Dogmengeschichtsschreibung ist).

Doch das fällt – für mich – kaum ernstlich ins Gewicht. Vielmehr kann man meines Erachtens W. nur bescheinigen, dass ihm eine großartige, facettenreiche Zusammenschau der Christentumsgeschichte im 1. Jt. gelungen ist, von der auch der Fachmann nur profitieren kann, und dass er damit genau das, und zwar in überzeugender Weise lieferte, was er im Haupt- und Untertitel seines Buches versprach. Große Gratulation!