Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2014

Spalte:

458–460

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

MacDonald, Dennis R.

Titel/Untertitel:

Two Shipwrecked Gospels. The Logoi of Jesus and Papia’s Exposition of Logia about the Lord.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2012. XVI, 711 S. = Early Christianity and Its Literature, 8. Kart. US$ 69,95. ISBN 978-1-58983-690-7.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Der Buchtitel vergleicht die Überlieferung der synoptischen Tradition mit einer Seefahrt. Nur vier der Evangelien sind auf ihrer großen Fahrt durch die Geschichte bei uns wohlbehalten im Kanon angekommen. Zu den Anfängen der synoptischen Überlieferungen wartet Dennis R. MacDonald, der an der Claremont School of Theology lehrt, mit einer neuen These auf. Bekannt ist er für die These, neu­-testamentliche Autoren ahmten öfters homerische Epen nach. Da-mit hat er wenig Zustimmung gefunden, vgl. etwa J. Börstinghaus, Sturmfahrt und Schiffbruch, WUNT II 274, Tübingen 2010: »völlig indiskutable These« (a. a. O., 399, Anm. 290, s. auch 301). Im hier zu besprechenden Werk spielen die Homer-Abhängigkeiten eine nur untergeordnete Rolle. Der Vf. meint hier, Reste zweier schiffbrüchig gegangener Evangelien nachweisen zu können, von denen eines gleichsam ein Urevangelium sei, das Papias noch gekannt habe.

Teil 1 (1–89) beginnt mit der fragmentarischen Papiasüberlieferung. Er datiert das ehemals fünfbändige Werk des Papias auf 110 n. Chr. Der Vf. stützt sich vielfältig auf die m. E. sehr gute Edition und Kommentierung zu Papias, die E. Norelli 2005 auf Italienisch veröffentlichte. Papias habe neben Mk und Mt eine Logiensammlung vorliegen gehabt, die Papias bzw. der durch ihn zitierte Presbyter für eine Übersetzung eines aramäischen Mt hielt. Diese Logiensammlung habe bereits unter dem Namen des Mt gestanden. Wie Papias bzw. der Presbyter, den Papias zitiert, die doch sehr unterschiedlichen Werke als Übersetzungen eines aramäischen Werkes auffassen konnte, erschließt sich mir nicht. Papias bezeuge mit den Logien ein uns verlorenes Urevangeliums.

Der Vf. datiert Papias vor Lk und Joh. Lk/Apg sei um 115–120 (mit R. Pervo, 47 f.) und Joh um 120 (543) verfasst worden. Die Ähnlichkeiten des Prologfragments des Papias zu Lk 1,1–4 konstatiert der Vf. Diese Ähnlichkeiten beträfen nicht nur typische Prolog-Merkmale (46 stimmt er sogar dem Rezensenten zu), nur habe nicht etwa Papias Lk gekannt, wie ich mich zu belegen anschickte, sondern Lk sei von Papias abhängig. Die johanneischen Merkmale in den Papias-Fragmenten, wie die Nennung des Andreas vor Petrus, die Identifikation von Jesus Christus mit der Wahrheit u. a., entsorgt der Vf. per Fußnote. Dass Papias ein Schüler eines Johannes gewesen sei, gehört zu den am besten bezeugten Einzelheiten der Papiasüberlieferung. Freilich lässt es sich nicht beweisen, dass Papias das JohEv kannte. Dass Lk allerdings das Werk des Papias gekannt habe, halte ich für deutlich unwahrscheinlicher.

Im zweiten Teil seines Werkes (91–560) arbeitet der Vf. aus den Synoptikern ein Erstevangelium (»the earliest Gospel«) heraus, das er Logoi Jesu (Abk. LJ) nennt. Diese LJ ähneln in vielen Einzelheiten der Logienquelle Q, die üblicherweise aus Übereinstimmungen zwischen Lk und Mt erschlossen wird, die nicht bei Mk vorliegen. LJ enthält Q vollständig bis auf das auch in der Q-Forschung umstrittene Logion Q 17,20 f. Im Anhang bietet der Vf. einen Vergleich der üblichen Q-Rekonstruktionen mit seinen LJ (665–674).

Der Vf. teilt die Mehrheitsmeinung, dass Mk dem Mt literarisch vorlag. Das zweite Standbein der üblichen Zweiquellentheorie, nämlich dass Lk und Mt voneinander unabhängig arbeiteten, verwirft er. Dem Vf. nach sei Lk von Mt abhängig, er vertritt also die Ferrar-These, die in neuerer Zeit insbesondere M. D. Goulder wie­derbeleben wollte, s. dessen »Luke. A New Paradigm«, 1989. Nach Goulder sind die vermeintlichen Q-Stoffe bei Lk nur dessen Übernahmen aus Mt. Davon abweichend will der Vf. zeigen, dass Mt neben Mk noch eine weitere schriftliche Quelle vorlag. Dazu geht er in Kapitel 4 von Mt-Dubletten aus, die keine Lk-Parallele haben (95–170). Eine dieser Dubletten ist jeweils von Mk abhängig und unterstützt soweit die Mk-Priorität. Die anderen Dublette zeigt dem Vf. nach Einzelheiten, die archaischer sind als die Mk-Parallele. So erhält der Vf. erste Hinweise auf eine vormatthäische Quelle. Er geht dann den Stellen entlang, die Mt aus Mk übernimmt, und zeigt, dass öfters matthäische Abweichungen von Mk nicht als Mt-Redaktion plausibel zu machen sind. Er argumentiert oft mit der »umgekehrten Ursprünglichkeit« (»inverted priority«), die vorliegt, wenn ein literarisch späterer Text, wie Mt gegenüber Mk, in Einzelheiten ein ursprünglicheres Stadium einer Perikope bietet. Die Einzelanalysen überzeugen insgesamt soweit, dass Mt neben Mk auch Überlieferungen kennt, die älter sind als Mk. Der Vf. bestätigt insofern die Annahme von Q. Aber sein LJ umfasst mehr als Q.

Im Kapitel 5 rekonstruiert der Vf. nun die LJ im Einzelnen (171–504). Er ordnet die Stoffe neu in zehn Themenblöcken an und be­nennt jedes Einzellogion zunächst mit der Zahl des Blocks, zu dem es gehört, dann zählt er die durch ihn vergebenen Verse neu durch. Durch die neue Bezifferung ist das Buch etwas unübersichtlich.

Zur Anordnung des Stoffes in LJ konstruiert der Vf. schlüssige Abfolgen. So müsse, bevor Chorazin und Bethsaida verflucht werden (Lk 10,13–15 par), erst eine Zeichenhandlung Jesu dort abgelehnt worden sein. Da eine solche Überlieferung fehlt, erfindet sie der Vf. und stellt sie in LJ (193 f., vgl. 367.567). Ich sehe keine hin­-reichenden Argumente beim Vf., dass LJ eine schlüssige Abfolge gehabt haben muss. Das Anordnungsprinzip des EvThom (NHC II/2) ist meines Wissens bislang ungeklärt. Wer logische Abläufe verlangt, müsste manche Umstellung vornehmen. Allein die erhaltene Version des EvThom zeigt, dass Logienüberlieferungen ohne schlüssige Handlungsfolge auskommen. Der Versuch, über den vermeintlichen Prätext des Dtn eine Abfolge zu konstruieren, stützt eine Vermutung mit kaum hinreichenden Beobachtungen. Dass LJ unter bewusstem und durchgängigem Bezug auf Dtn verfasst sei (»a strategic rewriting of Deuteronomy«, 512), können die gelegentlichen Anspielungen auf Dtn, die der Vf. anführt (505–512), nicht erweisen.

Manche Perikope vermutet der Vf. in LJ aus kaum hinreichenden Gründen. Wenn nur der Plot und einzelne Stichworte bei zwei Texten übereinstimmen, spricht das eher für eine gemeinsame Wurzel in der mündlichen Überlieferung.

Der Vf. meint, Lk hätte in Lk 7,36–41.49 f. eine Vorstufe der Ehebrecherin-Perikope verarbeitet, wie wir sie aus einzelnen Handschriften eingeflochten in Joh 7,53–8,11 kennen (246–253). Lk 7 teilt aber mit der aus Joh 7,53–8,11 erschlossenen Perikope nur einzelne, wenig aussagefähige Worte (vgl. 444–446: δέ, καί, εἶπεν, διδάσ-καλε, εἶπεν δέ, αὐτῇ, πορεύου).

Dem Vf. nach hat auch Mk LJ gekannt. Die notorisch um­strittenen Mk-Q-Overlaps erweitert er noch. Ein Beispiel: Der Vf. stellt die Gleichnisse vom Sauerteig (Mt 13,33 par Lk 13,20 f.) und von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29) nebeneinander. Scharfsinnig beobachtet er, dass die eine Nacht der wesentlichen Veränderung im Bildbereich des Sauerteigs schlüssig ist, nicht aber bei der Saat (319). Daraus konstruiert der Vf. die These, Mk habe die Sauerteigperikope in LJ vorgefunden und etwas ungeschickt zu seinem Sondergut verarbeitet. Das bei Mk unpassende Motiv der einen Nacht muss freilich nicht aus einer Quelle kommen, die Mt und Lk erhalten haben. – Auch andere Stoffe, vor allem Sondergut aus Mt und Lk, vermutet der Vf. mit wenig überzeugenden Argumenten in LJ. Ich meine, LJ gab und gibt es so nur im Buch des Vf.s (LJ-Synoptiker griechisch: 411–504; LJ griechisch/englisch: 561–619; LJ Konkordanz: 621–654).

Die Forschungsschlacht um die Synoptische Frage verlangt, viele kleine Scharmützel auszufechten. Der Vf. zeigt hier Ausdauer. Soweit er mit der Q-Annahme übereinstimmt, sind seine Beobachtungen ungleich überzeugender als die Rückführung weiterer Stoffe auf ein allen Synoptikern bekanntes Urevangelium. Dass die Papiasüberlieferung die Vermutungen des Vf.s unterstützt, kann ich nicht erkennen.