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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

633-635

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyns, Christoph

Titel/Untertitel:

Kirchenreform und betriebswirtschaft­liches Denken. Modelle – Erfahrungen – Alternativen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. 320 S. Geb. EUR 44,99. ISBN 978-3-579-08166-3.

Rezensent:

Frank Weyen

Der neu ernannte Bischof von Braunschweig, Christoph Meyns, legt mit seinem 2013 erschienenen Buch »Kirchenreform und be­triebswirtschaftliches Denken – Modelle, Erfahrungen, Alternativen« seine unter anderem Titel erschienene Dissertation vor, die durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2012/2013 angenommen worden ist. Es geht in der Monographie um eine Bestandaufnahme betriebswirtschaftlicher Ansätze »zur Bewältigung kirchlicher Rückbau-, Reorganisations- und Neuordnungsprozesse«.
Das Buch ist solide recherchiert und profunde Darstellungen unterschiedlicher Lösungsstrategien zur Bewältigung sich im Reformstress befindender evangelischer Landeskirchen werden geliefert, so dass M. als guter Kenner betriebswirtschaftlicher Herangehensweisen an wirtschaftliche Fragestellungen ausgewiesen wird. Dabei gliedert M. sein Buch in sechs Abschnitte, bei denen neben einer grundlegenden Problemanalyse zu Beginn vor allem der zweite Teil (B), in dem er sich mit betriebswirtschaftlichen Bewältigungsstrategien befasst, sowie der vierte Teil (D) herausragen. In letzterem setzt sich M. mit dem Verhältnis zwischen religiöser und ökonomischer Rationalität auseinander. Seine Exper-tise in Fragen betriebswirtschaftlicher Theorien erweist er in der Beschreibung unterschiedlicher wirtschaftswissenschaftlicher He­rangehensweisen an die kirchlichen Problemlagen seit den 1990er Jahren, die er als Grundlage für paradigmatische Selbstwahrnehmungsstrategien der evangelischen Kirchen seit der deutschen Wiedervereinigung herausarbeitet. Aber auch in der Systemtheorie zeigt sich M. versiert, in dem er diese in einem fünften Teil (E) als »alternatives Paradigma kirchlichen Leitungshandelns« (9, 189–232) beschreibt. Schließlich mündet der abschließende sechste Teil (F) in einen »Abschied von überzogenen Erwartungen« (9, 233–241), die an die Ökonomie und unterschiedlichste Managementtheorien in den zurückliegenden krisenhaften 20 Jahren gerichtet wurden und das Denken der Handelnden in den Kirchengemeinden in Deutschland bestimmt haben. Zwar liefert seine retrospektiv angelegte Analyse der Rückbau-, Reorganisations- und Neu-orientierungsprozesse gezwungenermaßen Längen in der Darstellung, doch erscheinen diese notwendig, um einer umfassend an­gelegten Bestandaufnahme gerecht werden zu können.
Neben der zunächst kritischen Sicht auf die ökonomisierten Veränderungsprozesse auf allen Ebenen der evangelischen Landeskirchen, die er als »teuer eingekaufte Expertisen« (13) und als nicht umsetzbar oder gar als kontraproduktiv bezeichnet, weist M. darauf hin, dass sich eine ökonomisch-neoliberal angereicherte Sprache in der Kirche als nichttheologische Überfremdung darstelle, in der biblische Bezüge und ekklesiologische Gesichtspunkte aus den Blick geraten seien (14). Dies betont er gegen eine Philosophie der Machbarkeit, die auch Humanressourcen ausschliesslich als Kos­ tenfaktor behandelt. Ob allerdings die von M. angeführten sys-temtheoretischen Managementansätze aus St. Gallen zu einem menschlichen Umgang mit den humanen Ressourcen führen werden, müsste eine konsequente Anwendung der Methoden aus der Schweiz erst noch erweisen, da diese für die evangelischen Reformprozesse noch nicht umfassend verwendet wurden. Angesichts seiner grundlegenden Bestandaufnahmen zum evangelischen München-Programm sowie weiterer ökonomistischer Beratungsprozesse der Vergangenheit, bleibt es fraglich, ob nun ein sys­tem­theoretisches Beratungsmodell – und sei es mit guter Schweizer Qualität – mehr liefern dürfte, als dies mit anderen Ansätzen bisher gelungen ist. M. verweist darauf, dass »die Effektivität und Effizienz des kirchlichen Handelns […] sich durch den Einsatz betriebswirtschaftlicher Methoden bisher kaum steigern« ließen. »Manche Vorhaben scheiterten bereits in der Phase ihrer Einführung. In andern Fällen verloren betriebswirtschaftliche Verfahren im Laufe der Implementierung ihre Funktionalität.« (18) Gründe für diese Diagnose sieht er in den sich in diesen Methoden darstellenden hintergründigen Theorien, die nur mangelhaft für die kirchlichen Eigenschaften geeignet waren (18). Als geeignetere Theoriemodelle für die verfasste Kirche bieten sich nach seiner Ansicht bisher nicht rezipierte informationsökonomische, ge­meinwirtschaftliche, verhaltenspsychologische und systemtheoretische Ansätze. Hier be­nennt er den »Non-Profit-Manage­mentansatz, der an der Wirtschaftsuniversität in Wien entwickelt wurde, sowie den biokybernetischen Ansatz von Frederic Vester (212–229).
Am Beispiel der Nordelbischen Kirche dokumentiert der bisherige Husumer Pastor, der im Landeskirchenamt für die Einführung zielorientierter Planungsmethoden in den Hauptbereichen kirchlicher Arbeit sowie für den Aufbau eines strategischen Controllings zuständig war, dass Mitglieder-, Beteiligungs- und Relevanzprobleme im Reformprozess nicht zur Neubestimmung von Aufgaben und Zielen geführt hätten. »Einzelne sichtbare Erfolge bei der Steigerung von Teilnahme- und Mitgliederzahlen sagen also nichts über die gesamtkirchliche missionarische Wirksamkeit eines marketingorientierten kirchlichen Handelns aus« (47), lautet sein Fazit zur Umtriebigkeit in der evangelischen Kirche. »Man darf sich also bei der Beurteilung der Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Marketingansätzen […] nicht von Einzelerfolgen blenden lassen. Sie sagen nichts über eine mögliche gesamtkirchliche Wirkung aus« (91). Aus den ›Heils‹-Versprechen der Managementlehren, die in den zu­rückliegenden 20 Jahren in der Kirche zum Zuge kommen konnten, folgert M. sodann kritisch, dass man bisher fälschlich davon ausgegangen ist, die Kirche müsse marktradikal betrachtet nur die ›Stellschrauben‹ von Form, Qualität oder Preis justieren, um zu einer Erfolg versprechenden inneren Balance zu gelangen (93). Letztlich weist er nach, dass Kirche mit Hilfe derartiger Erfolgsstrategien in eine Marktförmigkeit gedrängt werde, die sich ausschließlich an dem sich permanent verändernden Verhältnis von Angebot und Nachfrage orientiere, was nicht einmal für den Dritten Sektor typisch sei, würde die Kirche als Organisation diesem zugerechnet werden. »Das Wachstum einzelner Kirchengemeinden und kirchlicher Einrichtungen geschieht also nicht gegen der Trend, sondern überwiegend auf Kosten anderer in einem insgesamt schrumpfenden Markt« (132). Damit bricht M. mit dem durch verschiedene kirchliche Reformprozesse initiierten reduktiv-qualitativen Machbarkeitsdenken im kirchlichen Handeln vor Ort, das sich ökonomistisch als »Wachstum gegen den Trend« dargestellt habe, und konstatiert, dass Mitgliedschaft sich nicht am Handeln der Kirche orientiere, sondern durch gesamtgesellschaftliche, fiskalische und politische Entwicklungen fremd induziert sei (133). Daher öffnen für M. marktradikale Management- und Marketingmodelle unter dem Gesichtspunkt einer egoistischen Nutzenmaximierung ge­nau an der Stelle sogenannte blinde Flecken, die für kirchliches Handeln elementar sind: auf Seiten beziehungsstiftender Kommunikation (138–140). Letztlich lasse sich in der Kirche der Einsatz von betriebswirtschaftlichen erfolg- und nutzenmaximierenden Me­thoden nicht mit ihrem Wesen und mit ihrem Auftrag vereinbaren. Daher sei es geboten, das Evangelium klar, situations- und adressatengerecht zu bezeugen, anstatt ungeprüft ökonomistischen Straffungsmethoden im Sinne luhmannscher Nebencodes das Wort zu reden (187 f.).