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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

574-576

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eckstein, Hans-Joachim, Landmesser, Christof, u. Hermann Lichtenberger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Eschatologie – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September, 2009). Hrsg. unter Mitarbeit v. J. Adam u. M. Bauspieß.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. IX, 412 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 272. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150791-5.

Rezensent:

Matthias Konradt

Die gemeinsam von den neutestamentlichen Abteilungen der Theologischen Fakultäten der Universitäten Durham und Tübingen veranstalteten Forschungssymposien blicken inzwischen auf eine längere Tradition. Kreisten die ersten drei Symposien – mit einem deutlichen Schwerpunkt bei Paulus – unmittelbar um Fragen des Verhältnisses von Judentum und Christentum (1988: Paulus und das antike Judentum [= WUNT 51, 1991]; 1989: Jews and Christians. The Parting of the Ways A. D. 70 to 135 [= WUNT 66, 1989]; 1994: Paul and the Mosaic Law [WUNT 89, 1996]), so wurde das Themenspektrum mit dem vierten Zusammentreffen 1999 um die Auferstehungsfrage erweitert (= WUNT 135, 2001). Nach dem fünften Symposiumsband zum Thema »Memory in the Bible and An-tiquity« (= WUNT 212, 2007) knüpft der hier zu besprechende Sammelband, der die Beiträge zum sechsten Tübingen-Durham-Symposium dokumentiert, thematisch an die mit dem vierten Band eingeschlagene Richtung an und stellt sich der umfassenden Frage nach eschatologischen Vorstellungen. Es liegt in der Natur eines Symposiumbandes, dass eine Rezension nur auf einige Beiträge exemplarisch eingehen kann und sich ansonsten auf einen Überblick beschränken muss.
Der Band ist in fünf Rubriken mit jeweils drei bis vier Beiträgen untergliedert. In der ersten Sektion werden mit den allesamt sehr lesenswerten Beiträgen von Bernd Janowski (Der Wolf und das Lamm. Zum eschatologischen Tierfrieden in Jes 11,6–9; 3-18), Lutz Doering (Urzeit-Endzeit Correlation in the Dead Sea Scrolls and Pseudepigrapha; 19–58) und Anna Maria Schwemer (Das Land Abrahams in der frühjüdischen eschatologischen Erwartung und die urchristliche Mission in Syrien; 59–87) exemplarisch Entwürfe aus dem Bereich der alttestamentlichen und frühjüdischen Schriften erörtert. In der Rubrik Evangelien sucht Jens Adam (»Der Anfang vom Ende« oder »das Ende des Anfangs«? Perspektiven der markinischen Eschatologie anhand der Leidensankündigungen Jesu; 91–124) die markinische Eschatologie von den drei Leidensankündigungen her zu erschließen. Martin Bauspieß stellt in seinem Betrag zum lukanischen Doppelwerk unter der Überschrift »Die Gegenwart des Heils und das Ende der Zeit« Lk 22,66–71 und Apg 7,54–60 ins Zentrum seiner Überlegungen und fokussiert die Erörterung der Eschatologie damit ähnlich wie Jens Adam auf mit der Menschensohnvorstellung verbundene christologische Aspekte. Der Beitrag von Hans-Joachim Eckstein zur Eschatologie im Johannesevangelium (Die Gegenwart des Kommenden und die Zukunft des Gegenwärtigen; 149–169) nimmt das klassische Problem des Ne­beneinanders präsentischer und futurischer eschatologischer Aussagen im Johannesevangelium auf und sucht eine Lösung der Spannung abseits literarkritischer Postulate darin, dass der Verfasser die futurische Eschatologie auf ihre präsentische Relevanz und Aktualität hin entfaltet und die präsentische Dimension entsprechend betont habe, um der Verunsicherung einer in ihrer Bedrängnis entmutigten Gemeinde zu begegnen.
Die Sektion zu Paulus eröffnet Christof Landmesser mit einem Beitrag, der die Erörterung der paulinischen Eschatologie in den größeren forschungsgeschichtlichen Kontext der Diskussion über die Entwicklung der paulinischen Theologie einstellt (»Die Entwicklung der paulinischen Theologie und die Frage nach der Escha­tologie«; 173–194). Landmesser stellt 1Thess 4,13–18 und 1Kor 15 ins Zentrum; abschließend werden mit 2Kor 5,1–10; Phil 1,23; 3,20f. und Röm 1–3; 8,31–38 noch weitere relevante Passagen überblicksartig einbezogen. Er konstatiert im Ergebnis »eine hohe Stabilität« der eschatologischen Vorstellungen bei Paulus (194), wobei »die unverbrüchliche, vom Tod nicht mehr bedrohte Gottes- und Christusgemeinschaft« (193) mit Recht als Leitmotiv herausgearbeitet wird (vgl. 181.184 u. ö.). Interessant wäre gewesen, Näheres darüber zu erfahren, wie Landmesser das Fehlen der in 1Kor 15 entfalteten Verwandlungsvorstellung in 1Thess 4,13–18 in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht bewertet. John Barclay geht in seinem Beitrag »Believers and the ›Last Judgment‹ in Paul: Rethinking Grace and Recompense« (195–208) von der vielfach als aporetisch betrachteten Spannung von Gnaden- und Gerichts-/Vergeltungsaussagen bei Paulus aus. Wie viele andere sieht auch Barclay in den Gnadenaussagen den Rahmen, in den die Gerichtsaussagen eingestellt werden, doch bereichert er die Diskussion in bedeutender Weise durch eine Reflexion über den Gnadenbegriff: Gegenüber der Vorstellung »reiner Gnade«, wie sie sich theologiegeschichtlich entwickelt hat, weist er das in antiken Gesellschaften bestimmende Denken über »grace«, gift« oder »benefactions« auf, nach dem jede Gabe Erwartungen und Verpflichtungen mit sich bringt, und bettet Paulus in diesen Kontext ein. Die paulinische Soteriologie wird auf diese Weise beschreibbar als »an unfitting gift narrative with a fitting close« (203). Mit der Gerichtsvorstellung trete nicht das Vergeltungsprinzip neben die vom Gnadendenken bestimmte Soteriologie, sondern im Gericht werde aufgedeckt, inwiefern das Leben der Glaubenden der unverdienten Gabe entsprochen hat: »Paul’s language about work in the context of the believers’ judgment is […] the articulation of the way in which the single act of the gift in Christ aims towards its completion in the fit between its human recipients and its divine giver« (207). Zwei weitere Beiträge sind ebenfalls der paulinischen Eschatologie gewidmet: Friederike Portenhauser setzt sich ausgehend von Bultmanns existentialer Interpretation mit dem Verständnis der Glaubenden in der paulinischen Theologie anhand von 2Kor 5,17 auseinander (209–228); Chris­tof Landmesser bereichert den Sammelband noch mit einem weiteren Beitrag, der die Eschatologie im Galaterbrief und im Römerbrief behandelt und insbesondere der Vorstellung des Ge­richts in den beiden Briefen nachgeht (229–246).
Auf die weiteren Aufsatzstudien ist nur noch summarisch zu verweisen. Unter der vierten Rubrik »Frühchristliche Schriften« ist neben zwei Beiträgen zur Johannesoffenbarung (Benjamin G. Wold, Revelation 16 and the Eschatological Use of Exodus Plagues, 249–266; Hermann Lichtenberger, »Was in Kürze geschehen muss … [Apk 1,1]«. Überlegungen zur Eschatologie der Johannesoffenbarung, 267–279) noch eine instruktive Studie von Simon Gathercole zur Eschatologie im Thomasevangelium eingestellt (»The Heavens and the Earth will be Rolled up«. The Eschatology of the Gospel of Thomas, 280–302), in der er deren grundlegende Kohärenz aufweist. – Die unter die Überschrift »Historische und Systematische Ansätze« gestellte Schlusssektion vereint drei ganz unterschiedliche Beiträge (Stephen C. Barton, The Resurrection and Practical Theology with Particular Reference to Death and Dying in Christ, 305–330; Francis Watson, Eschatology and the Twentieth Century. On the Reception of Schweitzer in English, 331–347; Philip G. Ziegler, Eschatological Dogmatics – To What End?, 348–359). Hermann Lichtenberger orientiert ferner über die Geschichte der Durham-Tübingen-Symposien (361–364). Ausführliche Register beschließen den Band.
Der Band bereichert die Thematisierung frühchristlicher Eschatologie um einige lesenswerte Studien. Kritisch kann man anmerken, dass keine präzise innovative Fragestellung sichtbar wird, die sich als roter Faden durch alle Beiträge zieht. Auffallend ist, dass in einigen der deutschen Beiträge kaum eine eingehendere Auseinandersetzung mit der englischsprachigen Forschung sichtbar wird. Zu­mal im Blick auf den Entstehungskontext, das gemeinsame Symposium einer deutschen und einer englischen Fakultät, stimmt dies nachdenklich.