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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

555-557

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Magness, Jodi

Titel/Untertitel:

The Archaeology of the Holy Land. From the Destruction of Solomon’s Temple to the Muslim Conquest.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2012. 397 S. m zahlr. Abb. u. Ktn. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-521-12413-3.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Jodi Magness, Kenan Distinguished Professor of Teaching Excellence in Early Judaism im Department of Religious Studies an der University of North Carolina at Chapel Hill, legt eine hervorragend geschriebene und reich dokumentierte Einführung in die materielle Kultur Palästinas zwischen der babylonischen und der früharabischen Epoche vor.
In den Text eingestreute thematische Exkurse (»Sidebars«) und kapitelbezogene Literaturhinweise sind sehr hilfreich. Statt Fußnoten bietet das Buch ein ausführliches »Glossary« (357–375), eine »Timeline« (377–378) und einen »Index« (379–385). Die überaus zahlreichen Illustrationen werden leider nur in schwarz-weiß geboten, manche der Karten sind leider von recht geringer Qualität (s. z. B. 48 f.).
M. präsentiert das in letzter Zeit durch eine fast unübersehbar gewordene Zahl von kleinen und größeren Grabungen und dank der gewachsenen Publikationstätigkeit stark vermehrte archäologische Material in 17 Kapiteln. Besonderes Augenmerk liegt dabei einerseits auf unterschiedlichen Aspekten der Geschichte Jerusalems, andererseits auf der für das palästinische Judentum und das frühe Christentum gleichsam wichtigen frührömischen (»herodianischen«) Epoche. M. beginnt mit einer methodischen »Introduction« über die Arbeitsweisen der Archäologie und informiert über Chronologie und Datierungsfragen. Natürlich darf da auch – wohl dem nordamerikanischen genius loci geschuldet – ein kleiner Exkurs zu »Indiana Jones« nicht fehlen, der sich freilich gut dazu eignet darzustellen, worum es der Archäologie eigentlich geht (1–19).
»The Topography and Early History of Jerusalem (to 586 B. C. E.)« (20–45) leitet über zu den kulturhistorischen Kapiteln. Schritt für Schritt dokumentieren sie den wachsenden Einfluss griechischer Kultur auf die Bewohner Palästinas. Trotz allen Widerstandes gegen den sich von der Elite her in immer breitere Bevölkerungskreise ausbreitenden hellenistischen Einfluss wurde vor allem in späthellenistischer Zeit die Basis für eine eigenständige palästinisch-jüdische Kultur gelegt. Im Einzelnen beschreibt M. den his­torischen Hintergrund und die wichtigsten archäologischen Daten zu »The Babylonian (586–539 B. C. E.) and Persian (539–332 B. C. E.) Periods« (46–62), »The Early Hellenistic Period (332–167 B. C. E.)« (63–91) und »The Late Hellenistic (Hasmonean) Period (167–40 B. C. E.)« (92–107). M. nimmt dabei trotz des nicht unproblematischen Buchtitels »Archaeology of the Holy Land« konsequent die Vielfalt palästinischer Kulturen in den Blick (so z. B. die Samaritaner auf dem Garizim, Phönizier in Marissa und an der Küste sowie die Tobiaden und Nabatäer im Ostjordanland).
Ein eigenes Kapitel ist »The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls« (108–132) gewidmet. Wer die bisherigen Publikationen von M. zum Thema kennt, wird weder über die Grundrichtung noch über die behandelten Einzelaspekte des Kapitels überrascht sein. Die hohe Anzahl von Wasserinstallationen, die mysteriösen Knochendepots, die Toilette, der Friedhof, die angebliche Zu­sammengehörigkeit von Schriftrollen, Höhlen und Siedlung lassen laut M. einzig den Schluss zu, dass Qumran von Mitgliedern des »wider sectarian movement« bewohnt war, der Teil der in den Schriftquellen erwähnten Essener war (125). Eine echte Diskussion dieser Interpretation findet – sicher auch wegen des nur knappen Raums, den eine Einleitung bietet – kaum statt, den einen oder anderen alternativen Literaturtitel hätte man im Literaturver-zeichnis freilich willkommen geheißen.
Fünf hervorragende Kapitel befassen sich mit der frührömischen/herodianischen Epoche, die sich in der neueren Literatur mehr und mehr zu einem zentralen Forschungsbereich entwickelt. Den Anfang macht »The Early Roman (Herodian) Period (40 B. C. E.–70 C. E.): Jerusalem« (133–169), gefolgt von anderen »herodianischen Highlights«, die zugleich die kulturelle Vielfalt des herodianischen Reichs spiegeln: »The Early Roman (Herodian) Period (40 B. C. E.–70 C. E.): Caesarea Maritima, Samaria-Sebaste, Herodian Jericho, and Herodium« (170–191). Von besonderem Interesse ist natürlich »The Early Roman (Herodian) Period (40 B. C. E.–70 C. E.): Jesus’ Birth and Galilean Setting« (192–203), worin die Befunde zu Bethlehem und Sepphoris sowie zu Dörfern wie Kapernaum (m. E. jedoch kaum ein »Dorf«), Chorazin, Gamla (zu Recht als »town« bezeichnet, seltsamerweise aber im Abschnitt »Galilean Villages« behandelt) und Nazareth, nicht aber zu Magdala oder Tiberias zusammengefasst werden. M.s Unterteilung der galiläischen Gesellschaft in eine breite Unterklasse und eine kleine Elite erscheint mir zu schablonenhaft, auch scheint mir der Einfluss des Hellenismus in Galiläa nicht nur auf den »›trickle-down‹ effect« (202) beschränkbar zu sein (dazu z. B. J. K. Zangenberg, Jesus der Galiläer und die Archäologie. Beobachtungen zur Bedeutung der Archäologie für die historische Jesusforschung, MThZ 64 [2013], 123–156). Im Kapitel »The Early Roman (Herodian) Period (40 B. C. E.–70 C. E.): Masada« (204–229) dokumentiert M. nicht nur die spektakulären herodianischen Bauten, sondern auch die hervorragend erhaltenen Hinterlassenschaften der römischen Belagerungsarmee; die inzwischen ebenso gut dokumentierte Zelotensiedlung hingegen findet mit Ausnahme der Synagoge leider keine Erwähnung. Die Diskussion der »Ancient Jewish Tombs and Burial Customs (to 70 C. E.)« einschließlich Bemerkungen zur Hinrichtung und Bestattung Jesu sowie zum Tapliyot-Grab (230–255) schließt den Reigen.
Erfreulich ist, dass die römische Periode in Form der Kapitel »From 70 C. E. to the Bar-Kokhba Revolt (132–135/136 C. E.): The Second Jewish Revolt against the Romans« (256–270) und »Aelia Capitolina (Hadrianic Jerusalem) (135–ca. 300 C. E.)« (271–285) eine eigenständige Rolle spielt. In M.s Darstellung der »Roman and Late Antique Period Synagogues in Palestine« (286–319) kommen nicht nur die intensiven Verbindungen zwischen jüdischer und christ-licher Architektur zur Sprache, sondern auch (wenn auch leider recht knapp) samaritanische und Diasporasynagogen.
Zwei Kapitel behandeln die byzantinische Epoche: »The Byzantine (Early Christian Period) (313–640 C. E.): Jerusalem« (320–332) sowie »The Byzantine (Early Christian Period) (313–640 C. E.): Palestine under Christian Rule« (333–348). Dabei werden nicht nur die zentralen konstantinischen und justinianischen Kirchenbauten behandelt, sondern auch die sich rasant ausbreitende Mönchsbewegung und die urbane Kultur etwa von Skythopolis oder der Negevstädte. Der »Epilogue: Early Islamic Jerusalem (638–750 C. E.)« (349–356) dokumentiert die kreative Fortentwicklung hellenis­tisch-römischer materieller Kultur unter den Umayyaden und schließt den wichtigen Band ab.
M.s Buch erschien praktisch gleichzeitig mit E. M. Meyers/M. A. Chancey, Alexander to Constantine. Archaeology of the Land of the Bible, Volume 3, New Haven/London 2013. Beide Bücher ergänzen sich auf hervorragende Weise und ermöglichen (etwa bei der mo­mentan heftig umstrittenen Frage nach dem Neubeginn der Synagogenarchitektur nach 70) faszinierende Einblicke in archäologische Argumentation und Urteilsfindung. Man wünscht dem Band (wie auch dem von Meyers und Chancey) viele akademische und nichtakademische Leser – vielleicht, so ist zu hoffen, in einer deut schen Übersetzung. Denn die Vertrautheit mit der materiellen Kultur des antiken Judentums wie auch frühen Christentums ist genauso unerlässlich bei der Interpretation dieser beiden entstehenden Weltreligionen wie die Kenntnis ihres literarischen Erbes.