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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

535-554

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bernd Janowski

Titel/Untertitel:

Anthropologie des Alten Testaments

Grundfragen – Kontexte – Themenfelder

Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäußerungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn in ihnen nichts fremd wäre. Zwischen diesen beiden äußersten Gegensätzen liegt sie also. Sie wird überall erfordert, wo etwas fremd ist, das die Kunst des Verstehens zu eigen machen soll.1

Wilhelm Dilthey

Die Frage, was der Mensch ist, reicht weit in die vorhellenistische Antike zurück. Schon in den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens hat sich der Mensch Gedanken über sich selbst, seine Stellung in der Welt und sein Verhältnis zu den Göttern gemacht, ohne diese Gedanken systematisch zu erfassen und darzustellen. Ähnliches gilt für die griechische Literatur, die mit Homer, Platon und Aristoteles Protagonisten des anthropologischen Denkens besitzt,2 aber die Frage nach dem Menschen weder als selbständigen Teil noch als Disziplin der Philosophie versteht. Erst mit dem Humanismus der italienischen Renaissance (Pico della Mirandola) und der Aufklärung des 18. Jh.s (J. G. Herder, I. Kant u. a.) wird die An­thropologie zu einer philosophischen Disziplin,3 die für die im 19. und 20. Jh. erfolgte Ausdifferenzierung in eine Vielzahl disziplinärer Anthropologien (von der medizinischen über die psychologische bis zur Sozialanthropologie) grundlegend geworden ist4 und die im »Begriff des Menschen als eines körpergebundenen Kulturwesens«5 ihre Fundierung hat.

Ein neues Interesse an anthropologischen Fragen gibt es nach dem klassischen Entwurf H. W. Wolffs von 19736 seit etwa 20 Jahren auch in der Alttestamentlichen Wissenschaft, die in ihrem Gegenstand, dem Alten Testament, eine Hauptquelle der abendländischen Anthropologie besitzt. Die folgende Skizze stellt zunächst Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« dar (I) und formuliert anschließend Perspektiven für einen Neuansatz (II). Am Schluss folgen einige Überlegungen zum Zusammenhang von Textwelt und Lebenswelt, der für eine alttestamentliche Anthropologie von besonderer Bedeutung ist (III).

I H. W. Wolffs »Anthropologie« als Ausgangspunkt


1 Eine ›Theologische Anthropologie‹


Im Unterschied zu den Entwürfen von F. Delitzsch, J. Koeberle, J. Pedersen u. a.7 hat Wolff die Frage nach einer alttestamentlichen Anthropologie umfassend gestellt und unter den drei Aspekten einer Anthropologischen Sprachlehre, einer Biographischen Anthropologie und einer Soziologischen Anthropologie entfaltet.

Wolff setzt mit einer Anthropologischen Sprachlehre ein, in der er zunächst die anthropologischen Grundbegriffe næpæš (»Leben[digkeit], Vitalität«), bāśār (»Fleisch«), rûªḥ (»Atem, Wind, Geist«), leb/lebāb (»Herz«) und danach die anthropologischen Sachverhalte »Das Leben des Leibes«, »Das Innere des Leibes«, »Die Gestalt des Leibes« und »Das Wesen des Menschen« (Sehen und Hören, Ohr, Mund, Sprache) untersucht. Darauf folgt eine Biographische Anthropologie, wobei anhand verschiedener Zeitauffassungen und Schöpfungsvorstellungen die grundlegenden Rhythmen wie Erschaffung und Geburt, Leben und Tod, Jungsein und Altern, Wachen und Arbeiten, Schlafen und Ruhen, Krankheit und Heilung, Hoffnung und Erwartung beschrieben werden. Im dritten, Soziologische Anthropologie genannten Teil kommt Wolff auf die Welt des Menschen zu sprechen, worunter er die Rolle(n) des Einzelnen in der Gemeinschaft (und vor Gott: Der Mensch als »Bild Gottes«) versteht: Mann und Frau, Eltern und Kinder, Freunde und Feinde, Herren und Knechte, Weise und Toren.

Den Schluss bildet eine Erörterung über die Bestimmung des Menschen im Verhältnis zu Gott, zum Mitmenschen und zur Schöpfungswelt. Hier hat die Wolffsche »Anthropologie« auch ihr Ziel. Danach ist der Mensch »1. … bestimmt, zu leben und nicht dem Tode zu verfallen«8, »2. Er ist bestimmt, zu lieben und allen Haß zu überwinden«9, »3. Seine Bestimmung in der außermenschlichen Schöpfung ist ebenso eindeutig: herrschen«10 und »4. Der Mensch ist bestimmt, Gott zu loben«11, denn im Loben Gottes »findet die Bestimmung des Menschen zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung ihre wahrhaft menschliche Erfüllung. Sonst wird der Mensch als sein eigener Abgott zum Tyrannen, oder er verliert im Verstummen zur Sprachlosigkeit seine Freiheit«12.

Trotz kritischer Anfragen (s. unten I 2.) ist die Absicht der Wolffschen »Anthropologie«, zu einer umfassenden »Bestimmung des Menschen«13 anzuleiten, in vielem überzeugend. Das wird etwa an der Überschrift des zweiten Paragraphen: »næpæš – der bedürftige Mensch«14 deutlich. Darin zeigt sich das Bemühen, das unter dem Einfluss des griechischen Denkens heimisch gewordene dicho-tomische bzw. trichotomische Menschenbild (Leib – Seele bzw. Leib – Seele – Geist) zu überwinden und durch eine sachgerech-tere Deutung zu ersetzen. So entwickelt Wolff die Bedeutung des anthropologischen Grundbegriffs næpæš »Leben(digkeit), Vitalität«15 aufgrund einer Analyse der sprachlichen Kontexte, die die Korrelation von Körperorganen und emotionalen/kognitiven Vorgängen bzw. Eigenschaften beschreiben. Wenn etwa Körperorgane wie das »Herz« (leb/lebāb) und die »Nieren« (kelājôt) mit emotionalen oder kognitiven Vorgängen wie »Freude« oder »Jubel« verbunden werden (vgl. Ps 16,7–9; Spr 23,16 u. ö.) und umgekehrt soziale oder psychische Konflikte wie »Anfeindung« oder »Verbitterung« bestimmte Körperorgane wie das »Herz« und die »Nieren« in Mitleidenschaft ziehen (vgl. Ps 73,21 u. ö.), dann ist der Mensch als Ganzer, d. h. hinsichtlich seiner somatischen und psychischen/kognitiven Aspekte und Funktionen im Blick.

Auch wenn es aufgrund der Korrelation von Körperorgan und Körperfunktion »keine Abwertung des Leiblichen, keinen Dualismus von Geist/Seele und Leib«16 und d. h. keine vom Körper abgelöste Persönlichkeit gibt,17 liegt dem Alten Testament dennoch keine einheitliche Lehre vom Menschen zugrunde. Das muss aber kein Nachteil sein. Denn das Fehlen eines einheitlichen Menschenbildes wird nach Wolff aufgewogen durch den »Dialog-Charakter«18, der ein zentrales Merkmal der anthropologischen Texte des Alten Testaments ist. Die Aufgabe einer biblischen Anthropologie, die dementsprechend das »theologische(s) Begreifen der anthropologischen Phänomene«19 in den Vordergrund rückt, umreißt Wolff denn auch folgendermaßen:

»Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird. Die ganze Weite der Kontexte ist heranzuziehen, um die spezifischen Antworten zu erarbeiten. Es wird sich zeigen, dass die wesentlichen Beiträge Dialog-Charakter tragen und dass der Konsens im Zeugnis über den Menschen bei allem Wandel sprachlicher Formen geistesgeschichtlich erstaunlich ist. Vor allem im Gespräch mit Gott sieht der Mensch sich in Frage gestellt, erforscht und damit viel weniger festgestellt als vielmehr zu Neuem berufen. Der Mensch ist, so wie er ist, alles andere als das Maß der Dinge.«20

Ausgehend von den Texten und ihren Kontexten nach der Selbstauslegung des Menschen zu fragen – das ist nach Wolff die Aufgabe der alttestamentlichen Anthropologie. Signifikant dafür ist ein Text wie Ps 8, dessen Grundfrage »Was ist der Mensch« (V. 5) ins Zentrum alttestamentlicher Anthropologie führt:

Bewunderungsruf

2a JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!

Hymnische JHWH-Prädikation I

2b Der du deine Hoheit gelegt (gegeben) hast auf den Himmel.

3  Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht
gegründet um deiner Bedränger willen, um zum Aufhören zu bringen Feind und Rächer.

Hymnische JHWH-Prädikation II

4 Wenn ich sehe deinen Himmel, das Werk deiner Finger, (den) Mond und (die) Sterne, die du befestigt hast –

5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und der einzelne Mensch, dass du (aufmerksam) nach ihm siehst?

6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,21 und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt.

7 Du hast ihn zum Herrscher gesetzt über das Werk deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße:

8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die (wilden) Tiere des Feldes,

9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was durchzieht die Pfade der Meere.

Bewunderungsruf

10 JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!

Der Mensch ist Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwollend nach ihm sieht (vgl. Ps 144,3) oder weil er – wie Hi 7,17 f. den Gedanken der fürsorglichen Aufmerksamkeit Gottes fortschreibt – sein »Herz« prüfend auf ihn richtet:

17 Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest, und dass du auf ihn dein Herz richtest,

18 ihn Morgen für Morgen musterst, ihn immerfort auf die Probe stellst? (Hi 7,17 f.)22

Die dem Verb zākar »gedenken« in Ps 8,5 eignende intentionale Ausrichtung ist auch für das parallele pāqad charakteristisch, das die Zuwendung JHWHs im Sinn eines wohlwollenden Interesses am Geschick des Menschen zum Ausdruck bringt (»nachsehen, in Augenschein nehmen«)23, d. h.: JHWH überlässt den Menschen in Situationen akuter Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern er ist »ihm darin stets Anteil nehmend und wohlwollend zugetan, so dass er aufmerksam nach ihm sieht und erkundet, wessen er bedarf«24. Diese Aufmerksamkeit Gottes gilt allen Menschen und sie gilt, wie V. 4 mit seinem Hinweis auf die majestätische Höhe und Weite des nächtlichen Himmels mit seinen Gestirnen (Mond und Sterne) deutlich macht, dem Menschen in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit. Damit steht sie im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers von Himmel und Erde (V. 2a + 10!) und damit »der Gnade, die darin besteht, daß dieser so große Gott sich dem so kleinen/hinfälligen Menschen zuneigt«25.

Nur von Gott her lässt sich nach Ps 8 also sagen, was der Mensch ist. Und nur von ihm her wächst dem Menschen, wie der weisheitliche Frage-Antwort-Zusammenhang von V. 4–9 verdeutlicht, auch die Fähigkeit zu, seine Stellung in der Welt wahrzunehmen (V. 6–9). So erfährt die Grundfrage aller Anthropologie – »Was ist der Mensch?« – mit Ps 8 eine Antwort, die charakteristisch für das biblische Menschenbild ist. Denn die Aussage, dass Gott an den Menschen »denkt« ( zākar) und er »(aufmerksam) nach ihm sieht« (pāqad), richtet sich nicht darauf, dass er sich punktuell einer Sache erinnert und eine andere vergisst, sondern darauf, dass er »in den Zusammenhängen geschöpflichen Lebens eine Wirklichkeit stiftet, die durch solche duale Abstraktionen selbst nicht zureichend erfaßt wird«26. Es geht in Ps8 also nicht um den Menschen an sich oder um den Menschen in seiner Selbstbezüglichkeit, sondern um die Relation von Schöpfer und Geschöpf und um die Stellung des Menschen in der vom Schöpfer geschaffenen Welt – oder mit den Worten H. W. Wolffs:

»Der Mensch des 8. Psalms, der seine Überlegenheit in der Welt entdeckt, kann sie nicht im Selbstruhm zur Sprache bringen, sondern nur in der preisenden Anrede Gottes (V. 6 f.) […] Und der ganze Psalm wird von der Antiphon gerahmt (V. 2.10) […] Die Bestimmung zum Loben Gottes und also zum dankbaren Dialog mit dem Schöpfer wird in Psalm 8 deshalb nicht von einer Selbstfaszination des Menschen durch seine eigenen Fähigkeiten verdrängt, weil er sich selbst auch mit seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit im Auge behält (V. 5).« 27

2 Kritische Anfragen


Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« zählt zweifellos zu den Klassikern der Alttestamentlichen Wissenschaft. Dennoch gab es bald Kritik, auf die der Autor im Nachwort zur 3. Auflage von 1977 eingegangen ist.28 Weitere Kritiken, die in den letzten 20 Jahren er­schienen sind, seien im Folgenden kurz angeführt. So erkennen S. Schroer/Th. Staubli29 die Verdienste der Wolffschen »Anthropologie« im Blick auf die Behandlung der Körperbegriffe ausdrücklich an,30 werfen ihr aber bestimmte »Verzerrungen« bzw. »Verengungen« vor, die ihrer Auffassung nach auf »systematische Vorurteile« zurückzuführen sind: Wolff gehe nämlich weiterhin von einer Prävalenz des Hörens gegenüber dem Sehen aus, bevorzuge die männliche gegenüber der weiblichen Existenz und halte im Blick auf das Thema »Sexualität« an eingefleischten antikanaanäischen Klischees (Israel/ Zucht vs. Kanaan/Unzucht) fest.

Grundsätzlicher ist die Kritik von A. Wagner,31 der nicht bei den sog. anthropologischen Grundbegriffen næpæš (»Le­ben[digkeit], Vi­talität«), bāśār (»Fleisch«), rûªḥ (»Atem, Wind, Geist«) und leb/lebāb (»Herz«) ansetzen möchte. S. E. läuft dies auf eine »Reduktion des Lebendigen« hinaus, weil sich die Beschränkung auf vier Grundbegriffe nicht rechtfertigen lässt. Begriffe wie jād »Hand«, ’ajin »Auge« oder pæh »Mund«, die öfter belegt sind als jene vier »Grundbegriffe«, sind für die alttestamentliche Anthropologie ebenso bedeutend wie jene. Das aber heißt: »Der Mensch wird […] im A. T. unter den verschiedensten Perspektiven betrachtet, ohne dass eine klare Hierarchisierung der verschiedenen Aspekte erkennbar wäre.«32 Menschsein beinhaltet nach dem Alten Testament »eine Fülle dieser Aspekte, die möglichst in ihrer Fülle zur Geltung kommen sollte«33.

Einen Schritt über Schroer/Staubli und Wagner hinaus geht schließ­lich R. Schmitt,34 wenn er Wolffs Werk eine explizit »theolo­gische Anthropologie des Alten Testaments« nennt, dieser aber den Vorwurf macht, der »Wort-Gottes-Theologie« verpflichtet zu sein.35 Da die Problematik dieser Theologie Schmitt zufolge »im defizitären Bild vom Menschen (liegt), dessen Sein ganz im Sinne der ›Wort-Gottes-Theologie‹ im Rahmen des zur Entscheidung aufrufenden Kerygmas gewertet wird«36, gelte es, diese zu überwinden und durch eine dezidiert kulturwissenschaftliche Perspektive zu ersetzen. Obwohl Schmitt die grundsätzliche Bedeutung einer spezifisch theologischen Anthropologie nicht in Frage stellen möchte, fordert er doch einen stärker ethnologisch ausgerichteten »Blick auf den Menschen, der […] auch Elemente einer sozial-geschichtlich fundierten Mentalitätsgeschichte berücksichtigen muß«37. Summa:

»Eine Anthropologie des Alten Testaments kann sich nicht nur auf literarische Befunde stützen, sondern muß die materielle Kultur und das von ihr bezeugte Symbolsystem bzw. die innerhalb unterschiedlicher Fundgruppen bezeugten Symbolsysteme, welche sich durchaus voneinander und von den in den Texten repräsentierten unterscheiden können, berücksichtigen.«38

Mit diesem Monitum rennt Schmitt, wie die in den Jahren 2009–2012 erschienenen Sammelbände39 belegen, offene Türen ein. Um im Bild zu bleiben: Im großen »Haus der alttestamentlichen An­thropologie« stehen die Fenster und Türen inzwischen weit offen; nur sollten wir nicht den Fehler machen, aus Übereifer alles, was nach Theologie aussieht, nun aus dem Fenster zu werfen. Dann brauchen wir den Versuch, eine Anthropologie des Alten Testaments (!) zu entwerfen, gar nicht erst zu machen.

II Perspektiven für einen Neuansatz


Vieles an der gegen Wolffs »Anthropologie« vorgebrachten Kritik ist berechtigt und von der Forschung inzwischen auch beherzigt worden, einiges dagegen ist überzogen40 bzw. wenig hilfreich.41 Auf jeden Fall hat sich die Situation der Disziplin »Altes Testament« gegenüber der Epoche, für die auch der Name von H. W. Wolff steht, deutlich verändert. So kann eine alttestamentliche Anthropologie heute nicht mehr ohne die Berücksichtigung der Kulturen des alten Ägypten, des Alten Orients (Mesopotamien, Kleinasien, Syrien, Palästina, Iran) und des antiken Mittelmeerraums einschließlich Griechenlands geschrieben werden.42 Zu der veränderten Situation zählen darüber hinaus Anstöße der Historischen An­thropologie, der Historischen Psychologie, der Genderforschung sowie der Kultur- und der Kognitionswissenschaft. Wie eine »An­thropologie des Alten Testaments«, die diesen Perspektiven Rechnung trägt, heute zu konzipieren wäre, ist eine offene Frage. Man könnte sie als Idealbiographie eines Menschen im alten Israel entwerfen, sich an den anthropologischen Grundbegriffen bzw. Haupttexten des Alten Testaments orientieren oder eine mehr thematische Einteilung zugrunde legen.

Gegenüber solchen Einteilungen, für die es prominente Beispiele gibt,43 hätte eine Anthropologie des Alten Testaments m. E. folgende Aspekte zu berücksichtigen:

– die konkreten Lebensumstände der Menschen im alten Israel, wie sie in ihren natürlichen Lebensbedingungen und in ihren kulturellen Lebensformen zum Ausdruck kommen (1),

– die literarischen Kontexte des Alten Testaments, in denen diese Lebensumstände ihren sprachlichen Ausdruck gefunden haben (2),

– die anthropologischen Konstanten, die die unterschiedlichen Menschenbilder des Alten Testaments jenseits sozial- und literarhistorischer Konkretionen umgreifen und prägen (3).

Zwischen den konkreten Lebensumständen (1) und den alttestamentlichen Texten (2) gibt es ständige Wechselbeziehungen, die den Aufbau der sozialen Welt (Gesellschaft) befördern und die Stellung des Menschen in ihr verständlich machen. Dass es darüber hinaus im Alten Testament auch anthropologische Konstanten (3) gibt, ist m. E. nicht von der Hand zu weisen. Wäre es anders, wäre die Vergangenheit für uns schlechterdings unerreichbar.44 Da sie andererseits aber nicht einfach zugänglich ist, weil unsere Verbindung mit ihr durch den »garstigen Graben« der Geschichte zerrissen ist, steht die Aufgabe, das Fremde und Vergangene zu verstehen, vor einer doppelten Schwierigkeit, die W. Dilthey (1833–1911) in seinem Werk »Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften« von 1910 auf den Punkt gebracht hat.45 Zu beschreiben und zu verstehen, wie fern und wie nah uns die Menschen des alten Israel sind – darin besteht u. a. die Aufgabe der alttestamentlichen An-thropologie. Wie sie angegangen werden kann, soll im Folgenden skizziert werden.

1 Die konkreten Lebensumstände


Für die »Frage nach Kernaussagen der biblischen Anthropologie und ihrem kerygmatischen Gehalt, die inmitten konkreter Lebensumstände hervorleuchten«46 ist zunächst auf die konkreten Um­stände zu achten, in denen die Menschen im alten Israel lebten. Zu diesen konkreten Lebensumständen gehören

– die natürlichen Lebensbedingungen wie der geographische Raum

Palästinas/Israels mit seiner Pflanzen- und Tierwelt (1.1),

– die kulturellen Lebensformen wie die Sozialität des Menschen und seine spezifische Körperauffassung, die sich in diesem Lebensraum ausgeprägt haben (1.2),

– das religiöse Symbolsystem, mit dessen Hilfe die Menschen des alten Israel ihrer Lebenswelt gegenübertreten und diese deuten (1.3).

Alle drei Aspekte müssen in ihrer gegenseitigen Verflechtung verstanden und dargestellt werden. Menschliches Leben vollzieht sich ja immer in bestimmten, jeweils definierten Räumen, die der natürlichen (Himmelsrichtungen, Tag/Nacht-Rhythmus, geographische Gegebenheiten), der sozialen (Vierraumhaus, Dorf, Stadt, Tor, Palast, Tempel, Grab) und der symbolischen Ebene (Feste, Grenze zwischen Leben und Tod, Jenseitsvorstellungen) angehören.47 Da jede dieser Ebenen der geschichtlichen Veränderung unterliegt, ändert sich auch die Art der menschlichen Wahrnehmung (›Historische Anthropologie‹). Anders gesagt: Der durch die Vermittlung des menschlichen Leibes konstituierte Lebensraum ist »keine schlechterdings feststehende Größe, sondern er unterliegt den Er­fordernissen räumlicher Selbstbegründungen und Sinngebungen in der Zeit«48.

1.1 Natürliche Lebensbedingungen

Die besagte Einbindung des/r Menschen in seine/ihre natürliche Lebenswelt lässt sich an vielen Beispielen verdeutlichen. So konnte der Mensch des alten Israel »räumlichen und zeitlichen Einflüssen […] nicht distanziert gegenüberstehen, beides erlebte er hautnah«49. Sei es die Erfahrung des Tag/Nacht-Rhythmus mit seinem »Wechsel von der tags größeren, nachts kleineren Menschenwelt«50, sei es der jahreszeitliche Rhythmus mit seinem Wechsel von der Sommer- zur Winterweide und von der Saat zur Ernte – immer erfuhr man Raum und Zeit als etwas Elementares und vor allem, wie der Epilog der nichtpriesterlichen Fluterzählung in poetischer Diktion deutlich macht, als etwas Zusammengehöriges und Ordnung Stiftendes:51

21* Da roch JHWH den lieblichen Duft,

und er sagte zu seinem Herzen (= zu sich):

»Ich will nicht noch einmal den Erdboden wegen des Menschen verderben.

Und ich will nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe.

22 Während aller Erdentage (gilt):

Aussaat und Ernte

und Kälte und Hitze

und Sommer und Winter,

Tag und Nacht werden nicht aufhören. (Gen 8,21 f.*)

Die Rhythmen des sozialen Lebens und der erlebten, von Gott ge­schaffenen und erhaltenen Raumzeit waren, wie dieser Text zeigt, eng miteinander verschränkt. Der Bauernkalender von Gezer (10. Jh. v. Chr., s. Abb.1),52 der im September/Oktober beginnt und den Jahreskreislauf idealtypisch anordnet, belegt diese enge Verbindung der Jahreszeiten mit der Lebens- und Arbeitswelt Palästinas/Israels:

1 Zwei Monate davon (sind) Obsternte,

September/Oktober

zwei Monate davon Saat, November/Dezember

2 zwei Monate Spätsaat, Januar/Februar

3 ein Monat Flachsschnitt, März

4 ein Monat Gerstenernte, April

5 ein Monat Getreideernte und Abmessen, Mai

6 zwei Monate Beschneiden, Juni/Juli

7 ein Monat Sommerobsternte. August

Zu den natürlichen Lebensbedingungen im alten Israel zählt auch der geographische Raum mit seinen Klimazonen und seiner Bodenbeschaffenheit.53 Palästina/Israel war (und ist) ein kleines Land, dessen Längsausdehnung von Norden nach Süden ungefähr 250 km beträgt und dessen Breite wegen des unregelmäßigen Verlaufs der Mittelmeerküste von Norden nach Süden hin zunimmt und dabei zwischen 50 km (Bucht von Akko/See Genezareth) und 150 km (südliches Juda/Totes Meer) schwankt. Charakteristisch ist das Relief dieses Gebiets, das sich in vier markante Zonen einteilen lässt (schmaler Küstenstreifen, westjordanisches Bergland, Jordangraben, transjordanische Hochebenen) und das ihm – bezogen auf das judäische und das ostjordanische Bergland – das Prädikat der »Kleinkammerigkeit« eingetragen hat.54

Klimazonen
Was die Klimazonen angeht, so zerfällt das Jahr entsprechend der subtropischen Lage Palästinas/Israels in etwa zwei gleich lange, viereinhalb Monate dauernde Jahreszeiten (regenloser Sommer und winterliche Regenzeit), zwischen denen zwei jeweils sechswöchige Übergangszeiten liegen und dem Land im September/Oktober den Frühregen und im April/Mai den Spätregen bringen.55 Im Unterschied zu den großen Flusskulturen Mesopotamiens und Ägyptens mit ihren Bewässerungssystemen (Kanäle, Nilüberschwemmung) war Palästina/Israel, das nur über wenige Seen, perennierende Flüsse und Bäche verfügt, von der Häufigkeit und Verteilung der jährlichen Niederschläge und deren Nutzung durch Brunnen und Zisternen abhängig. So deutlich diese Abhängigkeit auch war, so sehr hat sie die Menschen im alten Israel ge­lehrt, stärker die spendende Macht, von der sie abhängig sind, in ihrer natürlichen Welt und Umwelt wahrzunehmen:

»Das alte Israel war ein Bauernvolk, das in hohem Maße wetterabhängig war, da ja die Felder ausschließlich vom Regen bewässert wurden. Flüsse, die das ganze Jahr Wasser führten, bildeten entweder für die Landwirtschaft unbrauchbare Sümpfe, oder ihr Bett lag zu tief (wie das des Jordans in seinem Unterlauf), als dass ihr Wasser für die Bewässerung der Felder hätte benützt werden können. Die existentielle Bedeutung der atmosphärischen Bedingungen führte dazu, ihnen größte Aufmerksamkeit zu schenken und in allem, was damit zusammenhing, Gott am Werk oder wenigstens Metaphern für sein Wirken zu sehen.« 56

Landschaftsrelief

Das Landschaftsrelief, das Klima und dazu die Bodenbeschaffenheit bedingen die typische landschaftliche Dreigliederung Palästinas/ Israels in Kulturland, Steppe und Wüste. Während das Kulturland mit seinem mediterranen Klima und ausreichenden Niederschlägen die Voraussetzungen für ein sesshaftes Leben in Dörfern und Städten bot, verhinderte die Wüste mit ihrem Mangel an Wasser und ertragreichen Böden das Entstehen fester Siedlungen. Die Grenze zwischen diesen beiden Landschaftsformen bildeten die Steppengürtel, die sich je nach Wasserspeicherung und Wasserverteilung einmal mehr dem Kulturland, einmal mehr der Wüste annäherten. Entsprechend diesen natürlichen Lebensbedingungen bildete sich »die typische palästinische Bevölkerungstrias heraus, die aus Städtern, Dörflern und nomadisierenden Kleinviehhirten besteht«57. Allerdings waren die Übergänge zwischen diesen drei Gruppen fließend und ihre Konsistenz immer auch von klimatischen, ökonomischen oder politischen Umständen abhängig:

»Hinzu kommt, dass in einem so kleinen Bereich, wie Palästina ihn darstellt, verschiedene Gruppen zwar durchaus nebeneinander, aber nicht gegeneinander existieren können. Wo ein konfliktloses Zusammenleben nicht gelang, geriet die Balance der kontinuierlichen Entwicklung ins Wanken.«58

Von solchen Konflikten und ihrer Bewältigung ist in den Erzählungen, Rechtstexten, Gebeten oder Weisheitssprüchen des Alten Testaments immer wieder und ausführlich die Rede.59 Für eine alttestamentliche Anthropologie sind sie von unmittelbarer Relevanz.

1.2 Kulturelle Lebensformen

Im Rahmen der natürlichen Lebensbedingungen Palästinas/Israels haben sich die kulturellen Lebensformen herausgebildet, die für das Zusammenleben der Menschen des alten Israel charakteristisch sind.60 Wenn man unter »Kultur« die Gesamtheit der Beziehungen versteht, die die Menschen einer bestimmten Gesellschaft zur Welt/ Natur und untereinander unterhalten,61 dann zählt die In­terdependenz von Individuum und Gemeinschaft zum Kernbestand der kulturellen Lebensformen. Soziale Beziehungen beginnen mit der Ge­burt, sie werden geformt durch das Zusammenleben in Haus und Öffentlichkeit und finden ihr Ende bzw. ihre Erfüllung im Al­ter. Der Lebensbogen des Einzelnen ist dabei »linear und zyklisch zu­gleich«62: linear durch die Abfolge der Lebensjahre und zyklisch durch die wiederkehrenden Ereignisse in Natur (Jahreszeiten) und Gesellschaft (Feste und Riten), in die das Leben des Einzelnen ein-gespannt ist. Das aber heißt: Der Einzelne ist keine Monade, sondern ein animal sociale. Seine Sozialität ist der Ort, an dem sich das Menschsein des Menschen, aber auch – wie die Individualpsalmen nicht müde werden zu betonen – seine Un­menschlichkeit erweist.63

Animal sociale
Die Sozialität des Menschen, d.h. seine Einbindung in soziale Zu­sammenhänge und Rollen, ist ein Grundkennzeichen alttestamentlicher Anthropologie. Das heißt aber nicht, dass der rollenkonform agierende Mensch keine Freiheit zum Handeln und zur Ausbildung seiner Individualität hätte. Wie der französische Gräzist J.-P. Vernant im Blick auf das antike Griechenland formuliert hat, gibt aber die

»Einbindung in die Gemeinschaft […] den Fortschritten der Individualisierung ein ganz anderes Gesicht: Sie vollziehen sich im sozialen Rahmen, in dem das allmählich sich herausbildende Individuum nicht als Entsagendes in Erscheinung tritt, sondern als Rechtssubjekt, politischer Akteur, Privatperson in der Familie oder im Kreis der Freunde.«64

Etwas Analoges lässt sich auch im Blick auf das alttestamentliche Menschenbild feststellen, dem zufolge das Verhalten des Einzelnen in Bezug auf den sozialen Kontext gesehen wird, in dem es sich vollzieht. Danach ist der Mensch – konkret Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Alte und Junge, Freunde und Feinde, Bauern und Krieger, Beamte und Händler, Könige und Richter, Herren und Knechte, Priester und Propheten, Weise und Toren, Einheimische und Fremde oder Sterbende und Tote – ein ›konstellatives‹, in die soziale Gemeinschaft eingebundenes Wesen. Der Begriff der »Konstellation« bringt dabei komplexe, auf Gegenseitigkeit – Gott/Mensch, Mensch/Mitmensch, Mensch/Tier und Mensch/(Um-)Welt – ausgerichtete Beziehungen des Menschseins zum Ausdruck.65 In diesen Beziehungen konkretisiert sich das, was wir die personale Identität des Menschen nennen. Auch wo wie in Ps 42/43; 51,5–8 u. a. oder in bestimmten Ez-Texten der Innere Mensch, also der Selbstbezug im Vordergrund steht, geschieht solche Selbstthematisierung nie auf Kosten der sozialen Außen-Beziehung. ›Selbstbewusstsein‹, das zeigen diese Texte, gewinnt der Mensch nicht aus solipsistischer Versenkung in sein Innenleben, sondern aus dem Umgang mit Gott, seinen Mitmenschen und der natürlichen Lebenswelt. Dieser Aspekt bedarf einer eingehenden Analyse.

Personale Identität

In seiner Auffassung der personalen Identität geht das Alte Testament, wie die Korrelation von Körperbild und Sozialstruktur deutlich macht, vom integrativen Konzept des ›ganzen Menschen‹66 aus. Was sich in der Leibsphäre als Krankheit vs. Gesundheit oder als Trauer vs. Freude zeigt, das wird in der Sozialsphäre als Schande vs. Ehre oder als Rechtsnot vs. Gerechtigkeit/Rechtfertigung erlebt.67 Die Vorstellung und Wahrnehmung des menschlichen Körpers ist deshalb immer sozial vermittelt oder anders gesagt: Der Mensch ist ein körpergebundenes Kulturwesen.68 Diese Zusammenhänge lassen sich anhand des konstellativen Personbegriffs beschreiben und zwar in dem doppelten Sinn einer Auffassung des menschlichen Körpers als einer komplexen und differenzierten Ganzheit (Kompositum seiner Glieder und Organe) und der Eingebundenheit der Person in soziale Zusammenhänge und Rollen. Dieses vormoderne Konzept personaler Identität hat R. A. Di Vito anhand von vier ›Identitätsmarkern‹ charakterisiert:

»Das Subjekt ist (1) zutiefst eingebettet in seine soziale Identität bzw. eng damit verbunden. Es ist (2) vergleichsweise dezentriert und undefiniert im Blick auf die Grenzen seiner Person. Es ist (3) relativ transparent, ins gesellschaftliche Leben eingebunden und darin verkörpert (mit anderen Worten: es ermangelt all dessen, was mit ›inneren Tiefen‹ bezeichnet ist). Und schließlich ist es (4) ›authentisch‹ gerade in seiner Heteronomie, in seinem Gehorsam anderen gegenüber und in seiner Abhängigkeit von anderen.« 69

So ist der Mensch im alten Israel bestimmt durch »ein Netzwerk vorgegebener Relationen, aus dem er sich nicht herausnehmen kann, innerhalb dessen sich ihm aber ein definierter Gestaltungsraum eröffnet«70, in dem er mit anderen kommuniziert bzw. interagiert. Das Alte Testament reduziert den Menschen weder auf seinen Körper noch auf seine soziale Rolle, sondern nimmt ihn in seinen leiblichen wie sozialen Bezügen wahr, wobei die Texte einmal diesen und einmal jenen Aspekt in den Vordergrund rücken. Eine offene Frage ist dabei, ob es ein »Steuerungszentrum« – etwa das »Herz« (leb, lebāb) – gibt, das für den Zusammenhang des Ganzen zuständig ist.71

Ein Seitenblick auf das alte Ägypten kann – ohne eine Abhängigkeit der alttestamentlichen von der ägyptischen Anthropologie anzunehmen – das Problem verdeutlichen. So lässt sich die Auffassung des menschlichen Körpers als einer komplexen und differenzierten Ganzheit (Kompositum seiner Glieder und Organe) nach E. Brunner-Traut am besten mit Hilfe des Begriffs der »Aspektive« verstehen: »Der Körper wird […] auch nach Ausweis des Vokabulars nicht etwa als Organismus verstanden, selbst wenn das Herz vielfach als eine Art Zentrum gesehen worden ist, von dem außer Gedanken und Gefühlen auch die Gefäße ausgehen. Der Körper wird aus einer Anzahl von Teilstücken zusammengesetzt, ›verknotet, zusammengeknüpft‹, er ist etwa das, was wir eine ›Gliederpuppe‹ nennen.« 72

Diesem Prinzip der Aspektive, das den menschlichen Körper nicht als eine organische Einheit wahrnimmt, sondern in seine Einzelteile (»Glieder«) zerlegt, ist – wie J. Assmann in Weiterführung des Ansatzes von Brunner-Traut gezeigt hat73 – das Prinzip der Konnektivität an die Seite zu stellen, das nach dem die Einzelteile verbindenden Ganzen fragt und das sowohl auf der Ebene des Körperbildes, wo es um »Zergliederung« und »Zusammenfügung«, als auch auf der Ebene der Sozialstruktur hervortritt, wo es um »Isolation« und »Einbindung« geht. Die ›Schnittstelle‹ zwischen der Leibsphäre und der Sozialsphäre ist das Herz, das sowohl in leiblicher wie in sozialer Hinsicht die personale Identität des Menschen herbeiführt und garantiert, schematisch:

Abb. 2: Das Herz in der ägyptischen Anthropologie

Ob auch nach alttestamentlichem Verständnis das menschliche Herz dasjenige Organ ist, das die verbindende und alles zusammenfügende Kraft darstellt, muss die weitere Analyse zeigen.74

1.3 Religiöses Symbolsystem

Neben den natürlichen Lebensbedingungen und den kulturellen Lebensformen bildet das religiöse Symbolsystem eine dritte Ebene, die von grundlegender Bedeutung für die alttestamentliche An­thropologie ist.75 Und zwar deswegen, weil der Mensch im Un­terschied zum Tier »nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum«76 lebt und in seinen Lebensvollzügen immer wieder den Schritt vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck macht. E. Cassirer hat den Menschen deshalb als animal symbolicum bezeichnet:

»Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegenübertreten; er kann sich nicht mehr als direktes Gegenüber betrachten. Die physikalische Realität scheint in dem Maße zurückzutreten, wie die Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt.«77

Diese Symboltätigkeit des Menschen hat für das Verständnis der Religion eine elementare Bedeutung.

Religion als kulturelles Zeichensystem

Zur Präzisierung des Ausdrucks »Religiöses Symbolsystem« greife ich auf den Ansatz von C. Geertz zurück, der Religion als »kulturelles System«, d. h. als ein System von Bedeutungen versteht, die in symbolischer Gestalt auftreten und den Menschen helfen, ihre Einstellungen zum Leben mitzuteilen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Symbole haben

»die Funktion, das Ethos eines Volkes – Stil, Charakter und Beschaffenheit seines Lebens, seine Ethik, ästhetische Ausrichtung und Stimmung – mit seiner Weltauffassung – dem Bild, das es über die Dinge in ihrer reinen Vorfindlichkeit hat, seinen Ordnungsvorstellungen im weitesten Sinne – zu verknüpfen.«78

Das religiöse Symbolsystem stellt eine Übereinstimmung zwischen einem bestimmten Lebensstil (»Ethos«) und einer bestimmten Ordnungsvorstellung (»Weltauffassung«) her, indem es jede der beiden Seiten mit der Autorität der jeweils anderen Seite stützt. Eine Religion, so definiert Geertz, ist

»(1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, daß (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.«79

Wenn man diese Parameter in das Symbolsystem der Jerusalemer Tempeltheologie übersetzt und dabei auf die leitende JHWH-Kö­nig-Vorstellung80 rekurriert, wie sie vor allem in den JHWH-König-, den Zions-, den Schöpfungs-, den Wallfahrts-Psalmen und – mit anthropologischer Zuspitzung – in den Klage- und Dankliedern des Einzelnen (Ps 3–14; 27; 36 u. a.) belegt ist, ergeben sich folgende Relationen:

Vorstellung von JHWH als dem ›Königsgott vom Zion‹

als Zentralinhalt der Jerusalemer Tempeltheologie

Sprachlicher / bildlicher Ausdruck dieser Vorstellung

durch Elemente des religiösen Symbolsystems:

Orte: Höhe/Tiefe (vertikales Weltbild), Zentrum/Peripherie (horizontales Weltbild), Tempel als »Urhügel«/Berg/Palast/Thron/Haus u. a.

Zeiten: Urzeit (Thron/Königtum »von Urzeit her«), Heils-/Unheilsgeschichte (Exodus, Exil), Jetztzeit (zyklisch/ linear) u. a.

Riten: Feste (im Herbst/im Frühjahr), Opfer (Mahl, Dank, Reinigung/Sühne), Wallfahrt u. a.

Ikone: Tiere: Keruben, Seraphen, Löwen, Rinder u. a.;

Pflanzen: Palm(ett)en,

Lotusblüten, Granatäpfel; (Gottes-)Bäume u. a.

Texte: Zions-, JHWH-König-, Königs-, Schöpfungs-, Wallfahrts-Psalmen;

Klage- und Danklieder des Einzelnen u. a.

Glaube an den ›Königsgott vom Zion‹ und Leben danach (Ethos)81

Ein Text wie Jes 6,1–5 kann diese Relationen veranschaulichen:82

1 Im Todesjahr des Königs Ussia

sah ich den Herrn,

sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron,

wobei seine Gewandsäume den Tempelraum ausfüllten.

2 Seraphen standen über ihm:

Je sechs Flügel hatte einer:

mit zweien bedeckte er sein Gesicht

und mit zweien bedeckte er seine Füße

und mit zweien flog er (ständig).

3 Und einer rief dem anderen zu

und sprach:

»Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaoth,

die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit!«

4 Da bebten die Zapfen der Schwellen vor der Stimme des Rufers,

und das Tempelhaus füllte sich mit Rauch.

5 Da sagte ich:

»Weh mir,

denn ich bin vernichtet/verloren!

Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich

und inmitten eines Volkes unreiner Lippen wohne ich;

denn den König JHWH Zebaoth haben meine Augen gesehen!«

In V. 1–5 finden sich zwei Prädikationen Gottes: das Objektprädikat »sitzend auf einem hohen und erhabenen Thron« (V. 1ab) und das Satzprädikat V. 3b, das die »Herrlichkeit« des Königsgottes JHWH Zebaoth auf der ganzen Erde proklamiert. Während mit dieser Proklamation eine horizontale Dimension in den Blick kommt – die »ganze Erde« ist von der »Herrlichkeit« JHWH Zebaoth erfüllt –, bringt das Motiv des Throns eine vertikale Dimension zum Ausdruck. Zusammen mit der Notiz über den den Tempelraum ausfüllenden unteren Teil der Gestalt JHWHs (V. 1b) verrät der Text dabei die Tendenz, alle kultischen Vorstellungen vom Thronen JHWHs zu entgrenzen, so dass der »hohe und erhabene Thron« (V.1ab) die universale Majestät des auf ihm sitzenden Königsgottes symbolisiert.

Die Dominanz der vertikalen Achse ergibt sich zusätzlich aus der Schilderung der Wirkung, die der Ruf der Seraphen nach V. 4 auslöst. Dabei ist deutlich, dass das Erbeben der Schwellen eine Erschütterung des gesamten Tempelgebäudes und – weil dieses die axis mundi repräsentiert – damit des Kosmos impliziert. Da dieses »Beben« der (unten befindlichen) Tempelschwellen eine Reaktion auf die Präsenz des (in der Höhe) thronenden Königsgottes sowie auf das Trishagion der Seraphen ist, ergibt sich für das Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der (mittleren/späten) Königszeit eine dominante vertikale Achse, die um eine horizontale, auf die »ganze Erde« (V. 3b) bezogene Dimension ergänzt wird (s. Abb. 3). Der von Jesaja im Jerusalemer Tempel visionär geschauten Anwesenheit JHWHs auf einem »hohen und aufragenden Thron« (V. 1ab) entspricht damit die »Ausstrahlung« der wirkmächtigen Präsenz des Königsgottes in die »ganze Erde« (V. 3b), d. h. bis an die Peripherie des vom Zentrum (Tempel/Stadt) und seinem dort präsenten Königsgott aus organisierten Weltganzen, schematisch dargestellt:

Abb. 3: Das Symbolsystem der Jerusalemer Tempeltheologie nach Jes 6

Die Vorstellung vom Königtum JHWHs (mit ihren Motiven »Thron JHWHs«, »Höhe« u. a.) ist als Basisaussage der (vorexilischen) Zionstradition/Jerusalemer Tempeltheologie zu verstehen, die in den Grundtexten Jes 6,1–4; Ps 93; Ps 46,2–8; 48 u. a. nach ihrer vertikalen (Höhe/Tiefe) und horizontalen (Zentrum/Peripherie) Dimension entfaltet wird. Dabei handelt es sich nicht um sich einander ausschließende Konzepte, sondern um Varianten einer Grundvorstellung, die jeweils einen Aspekt – den vertikalen oder den horizontalen – in den Vordergrund rücken, ohne den jeweils anderen einfach auszublenden.

Animal symbolicum

Wie die Ausführungen zum religiösen Symbolsystem zeigen, be­steht eine Religion aus einer bestimmten Anzahl sprachlicher und bildlicher Zeichen, die aufgrund ihrer Verknüpfung »ein bestimmtes Muster, ein Gewebe«83 bilden und wie die Regeln einer Sprache auf innerer Kohärenz beruhen, also gleichsam eine »Grammatik« und »Syntax« besitzen:

»Wie sich eine Sprache nicht nur aus ihren Wörtern rekonstruieren läßt, so die religiöse Vorstellungswelt einer Kultur nicht aus isolierten Bildelementen. Wer eine Sprache verstehen will, muß deren Syntax kennen und Sätze analysieren; wer Bilder verstehen will, muß das Hauptaugenmerk auf komplexe Konstellationen richten, wo immer solche zu finden sind.«84

Der zentrale Inhalt dieses Zeichensystems ist die Vorstellung des Königsgottes vom Zion, der Jerusalem und seinen Bewohnern Stabilität, Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit gewährt. Diese Vorstellung wird durch eine überschaubare Anzahl von Symbolen wie den Gottesthron (Aspekt »Stabilität«), den Gottesstrom (Aspekt »Fruchtbarkeit«) und das Angesicht JHWHs (Aspekt »Gerechtigkeit«) gebildet85 und so im kollektiven Gedächtnis Israels befestigt. Der Akt der Symbolisierung ist deshalb so zentral, weil in ihm eine Verbindung des Konkreten mit dem Abstrakten und umgekehrt des Ab­strakten mit dem Konkreten geschieht und damit die Dimension der Anschauung und des Erlebens gewahrt bleibt, schematisch:

Konkreta Gottesthron Gottesstrom Angesicht JHWHs

I I I Symbolisierung

Abstrakta Stabilität Fruchtbarkeit Gerechtigkeit

Das religiöse Symbolsystem, das auf diese Weise zustande kam – und dessen Inventar zu erweitern und zu differenzieren wäre! –, hat wie jede symbolische Wahrnehmung der Wirklichkeit eine phänomenologische und eine semiotische Dimension.86 Beide Formen der Wahrnehmung verbinden sich, kognitionswissenschaftlich ge­sprochen, mit einer »theory of mind«87:

– Durch die phänomenologische Wahrnehmung – z. B. des »Angesichts JHWHs« – werden emotionale Reaktionen wie Geborgenheit und Dankbarkeit hervorgerufen, weil sich der Beter durch die Zuwendung des göttlichen Angesichts als gerechtfertigt – und durch seine Abwendung als den Feinden/dem Tod preisgegeben88– erlebt.

–Durch die semiotische Wahrnehmung – z. B. des »Gottesthrons«– erlebt

der Mensch die »Welt als ›sinnvoll‹ wie einen ›Text‹, der ihm etwas

sagt«89. Sie spricht vor allem sein kognitives Vermögen an, indem sie den

Dingen und Ereignissen über ihre unmittelbare Existenz hinaus einen Zeichenwert gibt: der Gottesthron im Zentrum der Jerusalemer Welt (axis mundi-Motiv) ist das Zeichen und der Garant ihrer Stabilität.

So boten beide Formen der Wahrnehmung auf je ihre Weise den Menschen im alten Israel Orientierungen im Alltag und halfen ihnen, die Spannung zwischen der vorgestellten Ordnung der Welt und den faktischen Gegebenheiten, in denen Ordnungs- und Un­ordnungselemente immer ineinander liegen, durch wiedererkennbare »Muster« aufzulösen und zu bewältigen.

2 Die literarischen Kontexte

Eine »Anthropologie des Alten Testaments« ist, wie nicht zuletzt die Ausführungen zum religiösen Symbolsystem deutlich machen, als »Anthropologie des Alten Testaments«, also hinsichtlich der sprachlichen, d. h. der narrativen, präskriptiven, poetischen und didaktischen Gestalt seiner anthropologischen Aussagen zu entfalten. Das hatte auch H. W. Wolff im Blick, wenn er von den Texten und Kontexten spricht, in denen »erkennbar nach dem Menschen gefragt«90 wird. Was die unterschiedlichen literarischen Formen und Kon-texte – Erzählungen, Rechtstexte, Rituale, Hymnen, Gebete, Weisheitssprüche u. a. – angeht, so ist es ein Charakteristikum des Alten Testaments, dass es kein einheitliches Menschenbild, sondern eine Vielzahl von Menschenbildern enthält, die verschiedenen Erfahrungsbereichen (Familie, Stamm, Staat, Erziehung, Kult, Recht, Wirtschaft, Politik u. a.) entstammen und eine diesen Erfahrungsbereichen entsprechende Sicht des Menschen bzw. der Menschen im alten Israel vor Augen stellen.

Dennoch gibt es thematische Schwerpunkte in den einzelnen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments. Während die priesterliche und die nichtpriesterliche Urgeschichte (Gen 1–11) den Menschen in der Ambivalenz von Gottebenbildlichkeit (imago Dei) und Fehlbarkeit (»Sünde«) darstellt, thematisieren die prophetischen Texte ihn als homo socialis in der Spannung zwischen Ge­rechtigkeit und Sünde/Frevel. Und während der Mensch nach den Individualpsalmen in Klage und Lob »vor Gott« (coram Deo) steht und um die Errettung vom Tod bittet bzw. dafür dankt, reflektieren die weisheitlichen Texte vor allem den Zusammenhang bzw. Nichtzusammenhang von Tun und Ergehen und damit die (fehlende) iustitia connectiva. Auch in einzelnen Büchern und Kompositionen gibt es spezifische anthropologische Aussagen und Perspektiven wie in der Josephsgeschichte, in der Aufstiegs- und Thronfolgegeschichte Davids, in den Büchern Jeremia, Ezechiel, Jona, Hiob, Sprüche, Kohelet oder im Hohenlied – ja, »die Frage nach Gottes- und Menschenbild (kann) grundsätzlich an jeden biblischen Text und literarischen Bereich gestellt werden.«91

Dies alles zeigt, dass es das alttestamentliche Menschenbild nicht gibt, sondern nur »sich ergänzende und z. T. auch in Kontrast stehende Aspekte«92. Statt von der Anthropologie des Alten Testaments wäre also angemessener von dessen Anthropologien oder von anthropologischen Entwürfen des Alten Testaments zu sprechen. Wie das Gottes- und das Weltbild hat sich auch das Menschenbild des alten Israel über die Zeiten hin verändert93 und entsprechend die Textaussagen geprägt. Die Frage nach den anthropologischen Konstanten ist damit aber nicht obsolet.94

3 Die anthropologischen Konstanten


Welche Rolle für die alttestamentliche Anthropologie spielt die Frage der anthropologischen Konstanten95 und worin bestehen sie? Diese Frage lässt sich auch so stellen, dass man danach fragt, »ob es anthropologische Universalien oder nur partikulare Typen gibt«96, ob also eine alttestamentliche Anthropologie rein deskriptiv verfahren soll oder ob sie auch normative Aspekte beinhalten darf bzw. muss.

Das Problem der anthropologischen Konstanten wird auch in der Literaturwissenschaft diskutiert. In seinem Aufsatz »Zur Begriffsgeschichte von ›Mensch‹«97 hat der Romanist W. Raible eine »Skizze einer kognitiven Landkarte« angefertigt und in diese Landkarte vier Eckpunkte eingezeichnet. Dazu zählt er erstens die »Achse Gott – Mensch – Tier, die sich aus der doppelten Opposition (sc. Gott/Mensch, Mensch/Tier) ergibt, in der der Mensch steht«98, zweitens die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau, die zur menschliche Fortpflanzung und damit »zu Kind, Familie, Verwandtschaft, Genealogie (führt)«99, drittens den menschlichen Leib als »ein sehr wichtiges Orientierungszentrum, bei der Bezeichnung der eigenen Person und ihrer Orientierung im Raum ebenso wie bei der Bezeichnung anderer Personen«100 und viertens das Konzept der (sexuellen, kommunikativen, sozialen) Rolle, das für die Ausdifferenzierung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft sorgt und ihre Mitglieder davor bewahrt, zu Außenseitern zu werden. Diese vier Aspekte sind nach Raible gleichsam Konstanten für das, was den Begriff des Menschen ausmacht, die aber in jeder Kultur unterschiedlich realisiert werden.

Auch im Alten Testament gibt es anthropologische Konstanten, die seine unterschiedlichen Menschenbilder jenseits sozial- und literarhistorischer Konkretionen umgreifen und prägen. So kann auch eine alttestamentliche Anthropologie nicht auf allgemeine Begriffe wie »Körper«, »Geschlecht«, »Gemeinschaft«, »Leben« oder »Tod« verzichten, die »sich diesseits gravierender evolutionärer Veränderungen auf Erfahrungsbereiche beziehen, die alle Menschen miteinander teilen« 101 und die auch für die Menschen des alten Israel gelten. Dazu zählen auch Universalien im Bereich von Kommunikation und Sprache wie »Erzählen«, »Beten« oder »Musizieren«.

Wie aber steht es mit den spezifisch biblischen Begriffen »Ge­schöpflichkeit« (vs. »Selbstkonstitution«), »Gerechtigkeit« (vs. »Sünde«) oder »Endlichkeit« (vs. »Unsterblichkeit«)? Sind auch diese zu den anthropologischen Konstanten zu zählen? Hält man sich an die anthropologischen Leitsätze von Gen 2,7, Mi 6,8 oder Ps 8,5 und ihre gleichsam definitorische Gestalt, so wird man diese Frage bejahen müssen.102 Sie machen jedenfalls deutlich, wie grundsätzlich das Alte Testament über die conditio humana nachgedacht hat und wie zentral das Axiom der Geschöpflichkeit, das Prinzip der Gerechtigkeit und die Erfahrung der Endlichkeit für seine Auffassung(en) vom Menschen sind. Diese drei Aspekte gehören m. E. zu den Eckpunkten der alttestamentlichen Anthropologie.

So weit meine Skizze der Grundfragen, Kontexte und Themenfelder einer »Anthropologie des Alten Testaments«, die der weiteren Begründung und vor allem der ausführlichen Entfaltung bedarf. Nach dem gegenwärtigen Stand sieht die Grobgliederung dieser geplanten Darstellung103 wie folgt aus:

I Was ist der Mensch? – Einführung

§1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie

1. Zur Forschungsgeschichte

2. Methodische Aspekte

II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens

§2 Biographische Aspekte

§3 Generationen- und Genderaspekte

III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs

§4 Die Leibsphäre des Menschen

§5 Die Sozialsphäre des Menschen

IV Vom tätigen Leben – Formen des Zusammenlebens

§6 Das Handeln des Menschen

§7 Die Sprache des Menschen

V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung

§8 Die Ordnung des Raums

§9 Der Rhythmus der Zeit

VI De homine – Bilder vom Menschen

§10 Imago Dei – zur Anthropologie der Urgeschichte

§11 Gubernator et salvator – zur königlichen Anthropologie

§12 Homo socialis – zur prophetischen Anthropologie

§13 Coram Deo – zur Anthropologie der Psalmen

§14 Iustitia connectiva – zur weisheitlichen Anthropologie

VII Der Mensch als Geschöpf – Schluss

§15 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie

1. Geschichtliche Entwicklung

2. Thematische Schwerpunkte

III Textwelt und Lebenswelt


Ziehen wir ein Fazit. Eine »Anthropologie des Alten Testaments«, die die genannten Aspekte – die konkreten Lebensumstände, die literarischen Kontexte und die anthropologischen Konstanten – umsichtig erfasst und im Sinn eines integrativen Ansatzes aufeinander bezieht, ist erst noch zu schreiben. »Integrativer Ansatz« heißt zum einen, dass anthropologische Letztbegründungen metaphysisch-spekulativer Provenienz ebenso zu vermeiden sind wie die Einseitigkeiten einer zu eng gefassten Historischen Anthropologie. Und zum andern, dass man an der Vieldimensionalität des/r alttestamentlichen Menschenbildes/r festhält, die Raum für partikulare Besonderheiten (konkrete Lebensumstände, literarische Kontexte) wie für universale Merkmale (anthropologische Konstanten) lässt.

Wie dabei das Verhältnis der Alttestamentlichen Anthropologie zur Philosophischen und zur Historischen Anthropologie104 ge­nauer zu bestimmen ist, bleibt ein noch zu klärendes Problem. Vorläufig lassen sich aber folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhalten:

– Der Zusammenhang mit der Philosophischen Anthropologie besteht in der bleibenden Relevanz der Frage nach den anthropologischen Konstanten.105 Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass diese Frage von der Alttestamentlichen Anthropologie so beantwortet wird, dass sie als theologische Anthropologie »mit Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt«106 rechnet und den Menschen prinzipiell als »Mensch Gottes«107 und d. h. als Geschöpf sieht.

– Der Zusammenhang mit der Historischen Anthropologie be­steht darin, dass auch die Alttestamentliche Anthropologie die Frage nach dem

Wesen des Menschen nicht essentialistisch beantwortet.108 Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass sie mit der Historischen Anthropologie das Axiom des menschlichen Zusammenlebens und seiner Ambivalenzen teilt, aber davon ausgeht, dass erst sub specie Dei ein lebensförderlicher Umgang mit diesen Ambivalenzen möglich ist.109

Wenn die Leistung der Historischen Anthropologie demnach in der Schärfung des Bewusstseins von der geschichtlichen Natur des Menschen besteht,110 kann die Alttestamentliche Anthropologie daran anknüpfen. Zugleich geht sie darüber hinaus, indem sie das Axiom der Geschöpflichkeit, das Prinzip der Gerechtigkeit und die Erfahrung der Endlichkeit reflektiert und damit die Konstanten einer genuin theologischen Anthropologie zur Geltung bringt.111 Sie tut dies ausgehend von den biblischen Texten und deren literatur-, sozial-, traditions- und religionsgeschichtlichem Eigenprofil. Und sie tut es nicht unter Absehung von der konkreten Lebenswelt, wie sie von der Archäologie und Ikonographie Palästinas/Israels112 er­schlossen wird.

Die Darstellung der alttestamentlichen Anthropologie beruht demnach nicht nur auf der Einsicht, dass »anthropologische Probleme […] nicht unter Abblendung von Theologie, sondern nur in aller Offenheit für das Gotteszeugnis der Bibel geklärt werden (können)«113, sondern auch auf der Beachtung und Explikation der Korrelation von Textwelt und Lebenswelt, die gleichzeitig auch ihr neu­ralgischer Punkt ist. Denn es ist in der Tat die Frage, wie »sich innerhalb der Texte geschichtlich-erfahrungsgestützte Aussagen über den Menschen zu theologischer Imagination (verhalten)«114, wie also die konkrete Lebenswelt und die literarische Textwelt, die der Lebenswelt immer bestimmte Bedeutungen zuschreibt, aufeinander bezogen sind. »Um das geschichtliche Leben wiederzufinden«, so hat es einmal der große französische Historiker J. Michelet (1798–1874) formuliert,

»müsste man ihm geduldig auf allen seinen Wegen, in allen seinen Formen, in allen seinen Elementen folgen. Aber man müsste mit noch größerer Leidenschaft auch das Zusammenspiel von alledem rekonstruieren, die Wechselwirkung all der verschiedenen Kräfte im Strom einer mächtigen Be­wegung, aus der das Leben selbst entstünde.«115

Die geplante »Anthropologie des Alten Testaments« wird zeigen, ob es gelingt, diesem Zusammenspiel und dieser Wechselwirkung annähernd gerecht zu werden.

Abstract

The first part of the essay presents an outline of H. W. Wolff’s »Anthropology of the Old Testament« (1973/82010) in addressing critical inquiries. In the second part, perspectives of a new approach are presented in view of the three step: specific living conditions, literary contexts, anthropological constants. An »Anthropology of the Old Testament« should cover these aspects judiciously and correlate them in the sense of an integrative approach. »Integrative approach« means on the one hand that anthropological ultimate justifications of a metaphysical-speculative origin are to be avoided as well as the biases of a too narrow anthropology. It means on the other hand to adhere to the multidimensionality of the image/s of humanity of the Old Testament leaving thereby room for partic­u­larities (specific living conditions, literary contexts) as well as for universal characteristics (anthropological constants).

Fussnoten:

1) W. Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt, Stuttgart 51968, 225.
2) S. dazu J.-P. Vernant (Hrsg.), Der Mensch der griechischen Antike, Frankfurt/New York 1993. Die folgenden Ausführungen nehmen Überlegungen von D. Bester/B. Janowski, Anthropologie des Alten Testaments, in: B. Janowski/K. Liess (Hrsg.), Der Mensch im alten Israel, HBS 59, Freiburg u. a. 2009, 3–40, und B. Janowski, Hans Walter Wolff und die alttestamentliche Anthropologie, in: J. Chr. Gertz/M. Oeming (Hrsg.), »Neu aufbrechen, den Menschen zu suchen und zu erkennen«, BThSt 139, Neukirchen-Vluyn 2013, 77–112, auf und führen sie weiter.
3) S. dazu J. F. Lehmann, Art. Anthropologie, in: R. Borgards u. a. (Hrsg.), Literatur und Wissen, Stuttgart/Weimar 2013, 57–63.
4) S. dazu O. Marquard, Art. Anthropologie, HWP 1 (1971), 362–374; G. Gebauer, Anthropologie, in: A. Pieper (Hrsg.), Philosophische Disziplinen, Leipzig 1998, 11–34; Chr. Thies, Art. Mensch, in: P. Kolmer/A. G. Wildfeuer (Hrsg.), Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, Freiburg/München 2011, 1515–1526 u. a.
5) Lehmann, a. a. O. (s. Anm. 3), 57.
6) Im Folgenden wird die Neuausgabe zitiert: H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu hrsg. von B. Janowski, Gütersloh 2010.
7) S. dazu Wolff, a. a. O., 23, ferner D. Bester, Körperbilder in den Psalmen, FAT II/24, Tübingen 2007, 6 ff.; F. Hartenstein, Kulturwissenschaften und Altes Testament, VF 54 (2009), 31–42, hier: 32 f., und R. Schmitt, Perspektiven einer Anthropologie des Alten Testaments, MARG 20 (2010), 177–215.
8) Wolff., a. a. O. (s. Anm. 6), 311.
9) Ders., a. a. O., 313.
10) Ders., a. a. O., 314.
11) Ders., a. a. O., 316.
12) Ders., a. a. O., 319.
13) So die Überschrift des Schlussabschnitts, ders., a. a. O., 310 ff.
14) Vgl. ders., a. a. O., 33 ff.
15) S. dazu jetzt B. Janowski, Die lebendige næpæš, in: Ders./Chr. Schwöbel (Hrsg.), Gott – Seele – Mensch, Neukirchen-Vluyn 2013, 12–43.
16) R. Albertz, Art. Mensch II, TRE 22 (1992), 464–474, hier: 466.
17) S. dazu auch A. Wagner, Wider die Reduktion des Lebendigen, in: Ders. (Hrsg.), Anthropologische Aufbrüche, FRLANT 232, Göttingen 2009, 183–199.
18) Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 24.
19) Ders., a. a. O., 24 f.
20) Ders., a. a. O., 24 (Hervorhebung von mir).
21) Oder: Du hast ihm wenig fehlen lassen zur Gottheit/im Vergleich mit Gott.
22) Möglicherweise zielt die Argumentation von Hi 7,17 f. nach F. Sedlmeier, »Vom Mutterschoß her bin ich geworfen auf dich« (Ps 22,11). Wert und Würde des Menschen nach Texten des Alten Testaments, in: Chr. Frevel (Hrsg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament, QD 237, Freiburg u.a. 2010, 300–316, hier: 305, »nicht darauf, die Gültigkeit der Theologie von Ps 8 zu leugnen, sondern – im Gegenteil! – bezugnehmend auf sie, ein verändertes Verhalten von Seiten Gottes zu erwirken«.
23) S. dazu W. Schottroff, Art. pāqad, THAT 2 (51995), 466–486, hier: 476, und E. Brünenberg, Wenn Jahwes Widerstand sich regt, in: Textarbeit, FS P. Weimar, AOAT 194, hrsg. von K. Kiesow und Th. Meurer, Münster 2003, 53–74, hier:53ff. 71ff.
24) H. Schnieringer, Psalm 8, ÄAT 59, Wiesbaden 2004, 231. Zur Interpretation von Ps 8 s. noch U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen der Schöpfung, WMANT 101, Neukirchen-Vluyn 2004, 72 ff.
25) Schnieringer, a. a. O. (s. Anm. 24), 233.
26) A. Schüle, Gottes Handeln als Gedächtnis, in: H.-J. Eckstein/M. Welker (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002, 237–275, hier: 269, s. dazu auch G. Sauter, Das verborgene Leben, Gütersloh 2011, 40 ff.
27) Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 316 f., vgl. ders., a. a. O., 232 f.
28) S. dazu ders., a. a. O., 351 ff.
29) S. Schroer/Th. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005, 12 f.
30) Eine Fortführung der Wolffschen Darstellung bietet J. Kegler, Beobachtungen zur Körpererfahrung in der hebräischen Bibel, in: F. Crüsemann u. a. (Hrsg.), Was ist der Mensch …?, FS H. W. Wolff, München 1992, 28–41.
31) S. dazu Wagner, Reduktion des Lebendigen (s. Anm. 17), 183 ff.
32) Ders., a. a. O., 198.
33) Ders., a. a. O., 199.
34) S. dazu Schmitt, Perspektiven (s. Anm. 7), 177 ff.
35) S. dazu ders., a. a. O., 180 f.185.187 u. ö.
36) Ders., a. a. O., 185.
37) Ders., a. a. O., 187.
38) Ders., a. a. O., 187 f., vgl. ders., a. a. O., 205 f.
39) S. dazu Janowski/Liess (Hrsg.), Mensch (s. Anm. 2); Wagner (Hrsg.), Anthropologische Aufbrüche (s. Anm. 17); Chr. Frevel (Hrsg.), Biblische Anthropologie, QD 237, Freiburg u. a. 2010; B. Janowski (Hrsg.), Der ganze Mensch, Berlin 2012; A. Berlejung/J. Dietrich/J. F. Quack (Hrsg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient, ORA 9, Tübingen 2012, und M. Hilgert/M. Wink (Hrsg.), Menschenbilder, Heidelberg 2012.
40) Das gilt für manche Urteile von Schmitt, a. a. O., 178 ff.180 f.181 ff.185 ff.187 f.
41) Das gilt für einige Ausführungen von J. van Oorschot, Zur Grundlegung alttestamentlicher Anthropologie, in: Ders./M. Iff (Hrsg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie, BThSt 111, Neukirchen-Vluyn 2010, 1–41, hier: 8 ff., s. dazu die Kritik von B. Janowski, »Anthropologie des Alten Testaments« vor und nach H. W. Wolff, in: Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 373–403, hier: 398 ff.
42) S. dazu die Literaturhinweise bei Janowski, a. a. O., 408 f.
43) Vgl. die unterschiedlichen Gliederungen von Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 29 ff., von C. Westermann, Der Mensch im Alten Testament, Münster/Hamburg 2000, 11 ff., und von Chr. Frevel/O. Wischmeyer, Menschsein, NEB.Themen 11, Würzburg 2003, 9 ff. (Frevel).
44) Vgl. C. Lévi-Strauss/D. Eribon, Das Nahe und das Ferne, Frankfurt a. M. 1989, 180, und ders., Anthropologie in der modernen Welt, Berlin 2012, 15 f. u. ö.
45) Vgl. das Motto oben Sp. 535.
46) S. Schroer/R. Zimmermann, Art. Mensch/Menschsein, in: F. Crüsemann u. a. (Hrsg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 368–376, hier: 368.
47) S. dazu B. Janowski, »Du hast meine Füße auf weiten Raum gestellt« (Ps 31,9), in: Ders., Die Welt als Schöpfung, Neukirchen-Vluyn 2008, 3–38.
48) R. Gehlen, Art. Raum, HrwG 4 (1998), 377–398, hier: 380. Zur Rolle des Körpers in der Anthropologie s. jetzt auch Chr. Wulf, Das Rätsel des Humanen, München 2013, 23 ff.
49) H. Weippert, Altisraelitische Welterfahrung, in: Dies., Unter Olivenbäumen, AOAT 327, Münster 2006, 179–198, hier: 184.
50) Dies., a. a. O., 183.
51) S. dazu auch O. Keel/M. Küchler/Chr. Uehlinger, Orte und Landschaften der Bibel, Bd. 1, Zürich u. a./Göttingen 1984, 38 ff.
52) S. dazu J. Renz/W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigraphik, Bd. 1, Darmstadt, 1995, 34 ff.; O. Borowski, Agriculture in Iron Age Israel, Winona Lake, IN 1987, 31 ff. u. a. Die Abb. stammt aus K. Jarosˇ, Hundert Inschriften aus Kanaan und Israel, Fribourg 1982, 37.
53) S. dazu H. Weippert, Palästina in vorhellenistischer Zeit, HdA Vorderasien II/1, München 1988, 3 ff., und D. Vieweger, Archäologie der biblischen Welt, Gütersloh 2012, 207 ff.
54) S. dazu M. und H. Weippert, Die Vorgeschichte Israels im neuen Licht, ThR 56 (1991), 341–390, hier: 366 ff. u. a.
55) S. dazu Keel/Küchler/Uehlinger, a. a. O. (s. Anm. 51), 38 ff.
56) Dies., a. a. O., 52 f., vgl. auch O. H. Steck, Welt und Umwelt, Stuttgart u. a. 1978, 53.
57) Weippert, Palästina (s. Anm. 53), 24.
58) Dies., ebd.
59) Vgl. etwa die Brunnenstreitigkeiten in den Erzelternerzählungen in den Kapiteln Gen 12–36.
60) S. dazu die Literaturhinweise bei Janowski, »Anthropologie des Alten Tes-taments« (s. Anm. 41), 412 f.
61) Vgl. Lévi-Strauss, Anthropologie (s. Anm. 44), 89.
62) J. Kegler, Art. Mensch, in: O. Betz/B. Ego/W. Grimm (Hrsg.), Calwer Bibellexikon Bd. 2, Stuttgart 2003, 897 f., hier: 897 .
63) Vgl. R. A. Klein, Die Inhumanität des Animal Sociale, NZSTh 51 (2009), 427–444, hier: 430 ff.
64) J.-P. Vernant, Individuum, Tod, Liebe, in: Janowski (Hrsg.), Der ganze Mensch (s. Anm. 39), 155–171, hier: 157.
65) Zum Begriff »Konstellation« s. B. Janowski, Anerkennung und Gegenseitigkeit, in: Ders./Liess (Hrsg.), Mensch (s. Anm. 2), 183 ff.; ders., Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 42013, 43.50.110 u. ö., ferner A. Schüle, Der Prolog der hebräischen Bibel, AThANT 86, Zürich 2006, 95 f.; ders., Anthropologie des Alten Testaments, ThR 76 (2011), 399–414, hier: 404 ff.; Chr. Frevel, Art. Anthropologie, in: Ders./A. Berlejung (Hrsg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006, 1–7, und K. Neumann, Art. Kultur und Mentalität, in: Frevel/Berlejung (Hrsg.), a. a. O., 38 ff.
66) S. dazu Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 43 f., ders., Was ist der Mensch?, BiKi 67 (2012), 4–9, und ders., Der »ganze Mensch«, in: Ders. (Hrsg.), Der ganze Mensch (s. Anm. 39), 11–21.
67) S. dazu ders., Konfliktgespräche (s. Anm. 65), 50 ff. Zum Thema »Ehre«/ »Schande« s. J. Dietrich, Über Ehre und Ehrgefühl im Alten Testament, in: Janowski/Liess (Hrsg.), Mensch (s. Anm. 2), 419–452, und ders., Um der Ehre willen, BiKi 67 (2012), 16–20.
68) Vgl. Schüle, Anthropologie (s. Anm. 65), 406, und oben Sp. 539 ff.
69) R. A. Di Vito, Alttestamentliche Anthropologie und die Konstruktion personaler Identität, in: Janowski/Liess (Hrsg.), Mensch (s. Anm. 2), 213–241, hier: 217, s. dazu auch ders., Anthropology II, Encyclopedia of the Bible and its Reception 2 (2009), 117–126.
70) Schüle, Prolog (s. Anm. 65), 94.
71) S. dazu Schüle, Anthropologie (s. Anm. 65), 404.413 f., und C. A. Newsom, Models of the Moral Self, JBL 131 (2012), 5–25, hier: 10 ff.
72) E. Brunner-Traut, Frühformen des Erkennens, Darmstadt 21992, 72, vgl. 71 ff.
73) S. dazu J. Assmann, Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2001, 34ff.
74) S. dazu B. Janowski, Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments (erscheint 2015).
75) S. dazu die Literaturhinweise bei Janowski, »Anthropologie des Alten Tes-taments« (s. Anm. 41), 413 f.
76) E. Cassirer, Versuch über den Menschen, Frankfurt a. M. 1990, 50.
77) Ders., ebd., s. dazu auch B. Janowski, Das biblische Weltbild, in: Ders./B. Ego (Hrsg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, FAT I/32, Tübingen 2001, 3–26, hier: 18.
78) C. Geertz, Religion als kulturelles System, in: Ders., Dichte Beschreibung, Frankfurt a. M. 1983, 44–95, hier: 47 (Hervorhebung von mir), vgl. zum Folgenden B. Janowski, Der Ort des Lebens, in: J. Kamlah (Hrsg.), Tempelbau und Tempelkult, ADPV 41, Wiesbaden 2012, 363–397, hier: 375 f.
79) Geertz, a. a. O., 48.
80) S. dazu M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums Gottes im Psalter, AThANT 83, Zürich 2004.
81) Dieser Zusammenhang kommt besonders in den Individualpsalmen zum Ausdruck, s. paradigmatisch Ps 7; 11; 27; 36 u. a.
82) S. dazu ausführlich B. Janowski, Die heilige Wohnung des Höchsten, in: Ders., Der Gott des Lebens, Neukirchen-Vluyn 2003, 27–71, hier: 35 ff.
83) O. Keel/Chr. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole, Fribourg 62010, 14.
84) Dies., ebd.
85) S. dazu Janowski, Ort des Lebens (s. Anm. 78), 363 ff.
86) S. dazu G. Theißen, Erleben und Handeln der ersten Christen, Gütersloh 2007, 124 ff.
87) Vgl. ders. a. a. O., 126.
88) Als Beispiel s. etwa Ps 13,2 u. a.
89) Ders., ebd.
90) Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 24, zum Kontext des Zitats s. oben Sp. 537, zustimmend Chr. Frevel, Die Frage nach dem Menschen, in: Ders. (Hrsg.), Biblische Anthropologie (s. Anm. 39), 54.
91) H. Irsigler, Zur Interdependenz von Gottes- und Menschenbildern im Kontext alttestamentlicher Anthropologie, in: Frevel (Hrsg.), a. a. O., 350–389, hier: 351, Anm. 5.
92) Frevel, Art. Anthropologie (s. Anm. 65), 1, vgl. Schüle, Anthropologie (s. Anm. 65), 401.407 u. ö.
93) Wie diese Veränderung/en zu beschreiben ist/sind, ist eine noch kaum gestellte, geschweige denn beantwortete Frage. Welches sind die Hauptstadien der Entwicklung von der vorexilischen über die exilische bis in die (spät-)nachexilische Zeit? Lässt sich etwa zeigen, dass wesentliche Anstöße von der vorexilischen Prophetie und der älteren Weisheit des 8. Jh.s v. Chr. ausgingen, entscheidende Vertiefungen durch den Monojahwismus/Monotheismus des 7./6. Jh.s v. Chr. erfolgten und bleibende Ausformungen in der nachexilischen Prophetie, den (späten) Psalmen und der späten Weisheit greifbar sind?
94) Das Vorwort der Herausgeber des Bandes Berlejung/Dietrich/Quack (Hrsg.), Menschenbilder (s. Anm. 39), V–VIII, ist in dieser Hinsicht leider unklar bzw. widersprüchlich. »Systematisierungen und Verallgemeinerungen« sollten selbstverständlich nicht »vorschnell« sein (vgl. V), sie sollten aber auch nicht fehlen – und tun es in diesem Band auch nicht!
95) Schüle, Anthropologie (s. Anm. 65), 413, spricht stattdessen von »thematischen Zentrierungen, die sich buchübergreifend feststellen lassen«. Das ist, wie auch sein Hinweis auf die »Anthropologischen Stichworte« bei Janowski, Konfliktgespräche (s. Anm. 65), 85 ff. (Sehen und Hören).125 ff. (Rache).166 ff. (Herz und Nieren) usw., zeigt, m. E. aber etwas anderes.
96) E. Bohlken/Chr. Thies, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Handbuch Anthropologie, Stuttgart/Weimar 2009, 1–10, hier: 6.
97) W. Raible, Zur Begriffsgeschichte von ›Mensch‹, in: J. Stagl/W. Reinhard (Hrsg.), Grenzen des Menschseins, Wien u. a. 2005, 155–173.
98) Ders., a. a. O., 171.
99) Ders., a. a. O., 172.
100) Vgl. ders., a. a. O., 173.
101) Bohlken/Thies, ebd.
102) S. dazu Janowski, Anerkennung und Gegenseitigkeit (s. Anm. 66), 181 ff.
103) In der folgenden Übersicht sind die ausführlichen Unterabschnitte sowie die Exkurse weggelassen. Außerdem enthält die Darstellung fünf »Anthropologisches Porträt« genannte Abschnitte zu Noah, Salomo, Amos, David und Hiob.
104) Zur Philosophischen und Historischen Anthropologie s. vorläufig Janowski, »Anthropologie des Alten Testaments« (s. Anm. 41), 375 ff.378 ff.404 f.405 f.
105) S. dazu oben Sp. 551 ff. Diese Frage spielt auch in der Historischen Anthropologie wieder eine wichtige Rolle, s. dazu Bohlken/Thies, Einleitung (s. Anm. 96), 4.
106) Klein, Inhumanität des Animal Sociale (s. Anm. 63), 444.
107) Zu dieser Formulierung s. W. Härle, Der Mensch Gottes, in: E. Herms (Hrsg.), Menschenbild und Menschenwürde, VWGTh 17, Gütersloh 2001, 529–543.
108) Nach Bohlken/Thies, Einleitung (s. Anm. 96), 4, darf der Begriff »Wesen« »nicht mehr essenzialistisch aufgefasst werden, sondern ist lediglich im Sinne einer inhaltsoffenen Strukturformel zu denken; er muss als dynamisch konzipiert werden, denn seine inhaltliche Füllung bleibt notwendig geschichtlich unabgeschlossen und damit Gegenstand fortwährender Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, Epochen und Disziplinen«.
109) Vgl. Klein, Inhumanität (s. Anm. 63), 444.
110) S. dazu zuletzt Wulf, Rätsel des Humanen (s. Anm. 48).
111) S. dazu § 15 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie in der obigen Gliederungsübersicht, vgl. auch Frevel, Frage nach dem Menschen (s. Anm. 90), 53.
112) S. dazu jetzt S. Schroer/O. Keel, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient, Bde. 1–3, Fribourg 2005/2008/2011. Zur »Biblischen Archäologie« s. die Hinweise oben Anm. 53.
113) Wolff, Anthropologie (s. Anm. 6), 24 (Hervorhebung von mir), vgl. 353. Zu dem anders orientierten Ansatz von R. Schmitt s. oben Sp. 539.
114) Schüle, Anthropologie (s. Anm. 65), 409.
115) Zitiert nach G. Duby, Eine andere Geschichte, Stuttgart 1992, 57. Zu J. Michelet (1798–1874) s. L. Raphael (Hrsg.), Klassiker der Geschichtswissenschaft 1, München 2006, 64–87.