Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2014

Spalte:

380–382

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schnepper, Arndt Elmar

Titel/Untertitel:

Goldene Buchstaben ins Herz schreiben. Die Rolle des Memorierens in religiösen Bildungsprozessen.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2012. 317 S. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 52. Geb. EUR 49,99. ISBN 978-3-8471-0028-7.

Rezensent:

Ingrid Schoberth

»jmer treiben und reiben, lesen und wider lesen, mit vleissigem aufmercken und nachdencken« (WA 50, 659,222–29,23). Mit diesem Vorgang der Wahrnehmung der protestantischen Gedächtniskunst, wie sie auch Martin Luther immer wieder vor Augen malt, konzentriert sich die vorliegende Veröffentlichung aus der Reihe der Arbeiten zur Religionspädagogik auf das Thema des Memorierens. In spätmodernen Zeiten wird mit dieser Veröffentlichung einem Thema Raum gegeben, das an katechetische Zeiten erinnert. Mitten im medialen Zeitalter, in dem das Buch und das Lesen immer mehr in den Hintergrund treten, und angesichts einer Vielfalt an religiösen Optionen, die die Lebenswelt der Lernenden über fluten, gewinnt im Memorieren eine protestantische Pädagogik ihre Kontur. Mitten in einer Zeit, in der auch die Differenzierungen von Religion und Religionen immer schwerer fallen, geht es mit diesem Buch um die goldenen Buchstaben christlicher Religion, die dem Vergessen wehren und an eine Kultur des Gedächtnisses und des Erinnerns anknüpfen. Ohne den Reichtum dieses Buches umfassend würdigen zu können – das Buch leistet gerade in Hinsicht der Wahrnehmung der Mnemotik durch die Jahrhunderte hindurch eine umfassende Gesamtschau –, ist das Buch von Arndt Elmar Schnepper dabei mehr als nur eine epistemologische bzw. lexikalische Zusammenschau dessen, was es zum Thema gibt. Das Buch erweist sich als eine systematisch-theologische Erfassung des religionspädagogisch so relevanten Themas. Neben den vielen ge­nannten und umsichtig ausgearbeiteten Aspekten, die das Memorieren durch die Jahrhunderte hindurch würdigen, legt diese religionspädagogische Arbeit einen Schwerpunkt auf die systematisch-theologischen Durchdringung des Memorierens. Das liegt an der Absicht des Vf.s einer Darlegung einer ›protestantischen Pädagogik‹ mithilfe der Konzentration auf das Einüben und Erlernen einer Gedächtniskultur, ohne die religiöse Bildungsprozesse bis heute nicht auskommen. Damit ist die bleibende Aufgabe gebunden an diese besondere Lernform des Memorierens zur Geltung gebracht: »Als originaler Modus jüdisch-christlicher Erinnerungs kultur bleibt das Memorieren […] darum auch unter den gegenwärtigen Gegebenheiten eine elementare Methode der religions­pädagogischen Bemühungen und ein unverbrüchliches Desiderat religiöser Bildungsprozesse.« (17)
Inmitten einer Wirklichkeit von Bildung, in der die Datenströme die kulturellen Gedächtnisorte auflösen (31), formiert sich in der Würdigung der Mnemonik eine Gedächtniskultur, mit der das wieder ins Bewusstsein treten soll, was konstitutiv zum Lernen christlichen Glaubens gehört. Nur so bleiben religiöse Bildungsprozesse auch in ihrem genuinen Gehalt und in ihrer originären Gestalt erkennbar und mit ihnen religiöse Bildung als Bildung mit protestantischer Kontur. Aufgrund dieser Erkennbarkeit verweist die vorliegende Studie auf diese eigene und spezifische Lernform christlicher Religion, die auf diese Weise für ihre Erkennbarkeit einsteht. Um Schülerinnen und Schüler zu einem kompetenten Umgang mit christlicher Religion zu führen, bedarf es darum eines Umgangs mit christlicher Religion, der mehr und anderes ist als nur ihre Befragung durch mediales Abrufen und Aufsuchen etwa im Internet. Zu Recht zielt darum die Veröffentlichung auf die explizite Darstellung eines »protestantischen Bildungsverständnisses« und seiner für den christlichen Glauben »identitätsstiftenden Impulse«, die durch die Mnemonik gesetzt sind.
Der Vf. stellt dazu die besondere Wertschätzung des Memorierens in der Reformation und besonders auch bei Luther heraus, die »die Mnemonik zu einer quasi religiösen ›Kulturtechnik‹ des Protestantismus generiert« (70). Im Festhalten an ihrer Praxis wird mit Luther das Memorieren nicht nur in seiner formalen Gestalt deutlich, sondern auch in seinem inhaltlichen Bezug erarbeitet. Indem das Wort der Schrift zugleich in die »existenziale[n] Betroffenheit durch das göttliche Wort« (77) führt, wird das Memorieren in seiner inhaltlichen Bedeutung kenntlich: Mit dem Memorieren geht es darum auch immer zugleich um die Einstimmung und je neue Wiedererinnerung des Wortes der Schrift als Worte für das Leben aus dem Glauben. Dazu hält der Vf. fest: »Wundert es dann, wenn er [Martin Luther] etwa in seinen Predigten zum Verinnerlichen der biblischen Texte auffordert?« (77)
Memorieren lässt sich darum auch nicht einfach »historisieren«, so der Vf.; »es resultiert vielmehr aus einen hermeneutischen Grundverständnis: Das biblische Wort als wirkungsmächtiger Stoff und gedacht zur Einprägung und ge­nauen Wahrnehmung im Memorieren korrespondieren miteinander. Dem entspricht die Vorstellung des Gedächtnisses und seiner Erinnerungsprozesse: Nicht speichernde oder archivierende Funktionen (Aleida Assmann) stehen im Vordergrund; vielmehr stellt sich die immer neue Frage nach dem Aufbau eines geistigen Systems religiöser Identität und der Eröffnung von Möglichkeiten der Kontingenzbewältigung« (99). Im Sinne eines lebenslangen Lernens formt sich im und durch das Memorieren die typische Kultur des Wortes, ohne die ein protestantisches Bildungsverständnis nicht erkennbar wäre. Ihm eignet die Einübung in ein Verstehen des Wortes Gottes, das eben nicht an die verstehende Durchdringung allein gebunden ist, sondern verwiesen ist an das immer neue »Treiben und Reiben, das immer neue Lesen und Widerlesen, das immer neue fleißige Aufmerken und Nachdenken«.
Nach dieser Bearbeitung des spezifischen Profils einer protestantischen Bildungskultur in der Perspektive des Memorierens (Kapitel I bis V) folgt nach einem kritischen Bezug auf die aktuelle Bildungslandschaft ein Diskurs mit religionspädagogischen Einzelkonzepten (K. Witt, G. Otto, D. Steinwege u. a.), die das Memorieren in be­sonderer Weise würdigen. Sodann werden die Grundeinsichten in die Funktion des kulturellen Gedächtnisses, die Jan Assmann erarbeitet hat, aufgenommen und für die Bearbeitung genützt. Damit gelingt es dem Vf., einen Ausblick auf das Memorieren und seine Bedeutung in religionspädagogischen Überlegungen (Kapitel VI bis VII) bis heute zu formulieren und zugleich auch die Notwendigkeit deutlich zu machen, in welchen Kontexten des Lernens das Memorieren eingebettet sein muss. Leitend bleibt auch hier eine Würdigung des Memorierens in seiner identitätsstiftenden Funktion, das dazu beiträgt, nachhaltig die Teilhabe kultureller Identität zu gewährleisten (271) und zugleich zu ermöglichen, an der kritischen Kraft des Memorierens zu partizipieren. Die Notwendigkeit von weiteren alternativen Lernformen wird dabei um der Attraktivität religiöse Bildung willen aufgezeigt, wie etwa die Reflexion auf neue Gesprächsformen für unterrichtliches Arbeiten oder aber auch der Hinweis auf die religionsdidaktischen Möglichkeiten, die aus den Reflexionen einer Theologie für Kinder erwachsen. Leider wird hierbei nicht immer ganz deutlich zwischen dem Memorieren und bibeldidaktischen Bezügen unterschieden. Der Vf. hält zusammenfassend fest, dass dem Memorieren in seiner Beheimatungskraft in religiösen Bildungsprozessen eine herausragende Bedeutung zu­kommt. Dieses Votum gibt Anlass zu einer kritischen Prüfung all der Lernwege, mit denen wir uns heute anschicken, Schülerinnen und Schülern evangelische bzw. protestantische Religion zu zeigen. Im Sinne einer Beheimatung kann das darum nur immer neu heißen, sich der kritischen und identitätsstiftenden Kraft des Memorierens je neu innezuwerden und Wege zu finden, die solche Partizipation an der Kultur des Erinnern christlicher Religion für Schülerinnen und Schüler zu eröffnen vermögen.