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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

342–343

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klein, Hans, Mihoc, Vasile, u. Karl-Wilhelm Niebuhr[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Gebet im Neuen Testament. Vierte europäische orthodox-westliche Exegetenkonferenz in Sambata de Sus 4.–8. August 2007. Hrsg. unter Mitarbeit von Ch. Karakolis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XIII, 483 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 249. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-150102-9.

Rezensent:

Thomas Söding

Das Gebet ist im Neuen Testament ein wesentlicher Ausdruck des Glaubens, der aber weniger untersucht worden ist als die Gleichnisse und die Streitgespräche Jesu, die Visionen des Johannes und die Argumentationen des Paulus. Die Formeln und Lieder des Urchristentums lassen sich nur als Gebete erschließen, werden aber meist als eine Art Proto-Dogmen interpretiert. In allen Evangelien wird Jesus als Beter vorgestellt, bei den Synoptikern auch als Lehrer des Betens. In den neutestamentlichen Briefen findet sich ein ganzes Netzwerk von Gebeten, die eine fundamentale Rolle in der Kommunikation zwischen den Verfassern und den Adressaten spielen, und coram deo. Gleichzeitig steht das Neue Testament im jüdischen Kontext, das eine reiche Gebetssprache entwickelt hat, und im Umfeld des römischen und griechischen Hellenismus mit seinen vielstimmigen Orationen. Schon deshalb lohnt ein exegetisches Gemeinschaftswerk, das Gebet zu erschließen.
In diesem Fall kommt der glückliche Umstand einer produktiven Ökumene hinzu: Die Konferenz, deren Beiträge im Zentrum stehen, diente dem Austausch orthodoxer, protestantischer und katholischer Exegese, die ihre Herkunft nicht verleugnet, aber ihre Ohren für das öffnet, was andere zu sagen haben, im Gebet und über das Gebet. Diese Ökumene der Exegese wird auch in den Beiträgen konkret, die von den Herausgebern zusätzlich erbeten worden sind, um das Themenfeld noch weiter zu explorieren, als es auf der Tagung möglich gewesen ist.
Konstantinos T. Zarras (Athen) beschreibt, auf mBer 5,1 konzentriert, die Dialektik von Schweigen und Gebetsintention in frühjüdischen Traditionen (3–24), Urs von Arx (Bern) untersucht in einem weiten Gang, der viele Aspekte erfasst, die Fürbitte im Neuen Testament, bezieht aber auch den Fürsprecher Jesus – nicht jedoch den Parakleten – mit ein (25–69). Hans Klein (Sibiu) schreibt eine kleine Frühgeschichte des Vaterunser, die auch die Didache und Handschriftenvarianten aufnimmt, im Kern aber darauf zielt, den Plural der Beterinnen und Beter mit ihren konkreten Intentionen auf das »Du« und »Wir« gemeinsamer Gebetssprache zu beziehen und umgekehrt (7–114). Hermut Löhr (Münster) beschreibt »Formen und Traditionen des Gebets bei Paulus«, bezieht den Gottesdienst, besonders das Mahl des Herrn, mit ein, und fragt nach den Verbindungen zum Judentum sowie dem Proprium, das vor allem in der christologischen Doxologie ausgemacht wird (77–132). Christos Karakolis (Athen) interpretiert Eph 3,14–19 unter der Voraussetzung brieflicher Pseudepigraphie als Ausdruck einer paulinischen Traditionsbildung, die in theozentrischer Perspektive die Gegenwart des Apostels in seinem Gebet konzipiert und realisiert (133–163) – ein bemerkenswerter Vorstoß, vom Gebet aus neue Dimensionen nicht nur zum literarischen Phänomen nachgeahmter Briefe, sondern auch zu einer generationenübergreifenden Ekklesiologie auf apostolischer Basis zu gelangen, freilich skeptisch »kommentiert« durch Urs von Axt in seiner Reflexion der Diskussion (75). Vasile Mihoc setzt zwei Schwerpunkte: Zum einen unterstreicht er diejenigen – strittigen – Verse, die auf Jesus als Gott gedeutet werden können; zum anderen porträtiert er die Breite nachösterlicher Zeugnisse vom Maranatha bis zu den »Hymnen«, die sich direkt an (den auferstandenen) Jesus wenden (165–183). James D. G. Dunn beschließt den ersten Teil des Bandes mit einem Reflexionsbericht über das Treffen (185–201).
Im zweiten Teil wird das Themenfeld erweitert. Barbara Schmitz (Würzburg) exegesiert narratologisch das »Nunc dimittis« (205–232), Karl-Heinrich Ostmeyer (Fulda) untersucht das Gebet als Grenzüberschreitung (»Demarcation«) im Jo­hannesevangelium (233–247), Franz Tóth (Jena) beschreibt, wie in der Johannes­offenbarung – aus jüdischer Tradition und im hellenistischen Umfeld – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Weihrauch gebetet wird (249–311), Christfried Böttrich (Greifswald) ortet das »Sanctus« in der hellenistischen Synagogenliturgie und schließt auf gemeinsame Wurzeln mit dem frühchristlichen Gottesdienst (313–354), Thomas J. Kraus (Neumarkt) geht den Anfängen der Fürbitte für Tote nach (355–396), Tobias Nicklas (Regensburg) erschließt »Gebete in frühchristlichen Märtyrerakten« als Quellen nicht nur für die Liturgiegeschichte, sondern auch für Theologiegeschichte des Martyriums (397–426), Dimitrij F. Bumazhnov (Tübingen) bezieht ein überliefertes Gebet des Aphrahat auf die Opfertheologie und die antijüdische Polemik der ostsyrischen Kirche seiner Zeit (427–436), Konstantinos Kornarakis (Athen) analysiert den Klageschrei als We­senselement der Anthropologie bei Johannes Chrysostomus (437–460).
Allein der Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt den Reichtum der Themen und Aspekte. Der gewohnt sorgfältig edierte Band erschließt eine große Bandbreite des Neuen Testaments und ordnet es historisch in das Judentum seiner Zeit, aber auch in die hellenistische Kultur ein – mit deutlichen Unterschieden in den persönlichen Forschungsinteressen und nicht ohne konfessionelle Charakteris­tika, aber in einem Kommunikationsnetz, das tragfähig ist. Insofern liegt ein wichtiges Dokument der Gebetsforschung vor.
Eine weitergehende Frage lautet, inwieweit das Beten selbst – in seinen Formen und Inhalten – eine ökumenische Bedeutung hat, in der die Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit, die Situationsbezogenheit, die Personalität und Gemeinschaftlichkeit, die Traditionen und die Spontaneität des Betens in ein Verhältnis zur klaren Adresse setzt: zu Gott dem Vater, der nach Röm 8 durch den Geist die Worte eingibt, die der Teilhabe an der Sohnschaft Jesu Ausdruck verleihen– stellvertretend für alle, die nicht die rechten Worte finden. Eine Ökumene des Gebetes, wie sie z. B. in der Gemeinschaft von Taizé gepflegt wird, realisiert heute, was im neutestamentlichen Gebet angelegt ist. Joh 17 liefert dann den Schlüssel: ut unum sint.