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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

311–313

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cornille, Catherine [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Wiley-Blackwell Companion to Inter-Religious Dialogue.

Verlag:

Chichester: Wiley-Blackwell 2013. XVIII, 490 S. Geb. £ 120,00. ISBN 978-0-470-65520-7.

Rezensent:

Perry Schmidt-Leukel

Um mein Fazit gleich vorweg zu nehmen: Dieses neue Handbuch stellt, unbeschadet der noch zu vermerkenden Anfragen, einen Meilenstein innerhalb der wissenschaftlichen Begleitung, Reflexion und Durchführung des interreligiösen Dialogs statt. Denn erstmals wird dieser Dialog hier in umfassender Weise nicht als eine primär christliche – oder das Christentum zentral involvierende – Aktivität behandelt, sondern als ein Prozess, der alle Religionsgemeinschaften betrifft, und zwar unter den gegenwärtigen globalen Bedingungen (die sich in Zukunft zweifellos weiter verstärken werden) in einer nie zuvor gekannten Intensität. Dank seiner Fokussierung auf konkrete, bilaterale dialogische Beziehungen, wird dieses Handbuch auch nicht durch zwei weitere, in ihrem Horizont ähnlich umfassende Publikationen erübrigt ( The Oxford Handbook of Religious Diversity, 2010, und Understanding Interreligious Relations, 2013), sondern ergänzt diese in sinnvoller Weise und bildet mit ihnen zusammen quasi eine Trilogie zur religiösen Pluralität, die in keiner einschlägigen Bibliothek fehlen sollte und von jedem mit dieser Thematik befassten Wissenschaftler nur um den Preis vernachlässigt werden kann, nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein.
Catherine Cornille, die inzwischen zu einer international führenden Theoretikerin des interreligiösen Dialogs avanciert ist und für so innovative Reihen wie die Christian Commentaries on Non-Christian Sacred Texts (Peeters und Eerdmans) und Interreligious Dialogue Series (Cascade Books) verantwortlich zeichnet, gliedert diesen »Companion« in zwei Teile. Im ersten Teil (»Focal Topics«, elf Kapitel) kommen unterschiedliche systematische Aspekte des Dialogs zur Sprache, wohingegen der zweite, deutlich umfangreichere Teil (»Case Studies«, 17 Kapitel) der Darstellung und Analyse konkreter Dialoge gewidmet ist und den eigentlichen Wert dieses Werks ausmacht. Allen zehn Querbeziehungen zwischen den sogenannten »big five« sind hier eigene Kapitel gewidmet: Bud­dhis­mus-Hinduismus (Kapitel 12, David Peter Lawrence), Bud­dhis-mus-Islam (Kapitel 22, Imtiyaz Yusuf), Buddhismus-Christentum (Kapitel 23, Paul O. Ingram), Buddhismus-Judentum (Kapitel 24, Nathan Katz); Hinduismus-Islam (Kapitel 17, Anna Bigelow) Hinduismus-Christentum (Kapitel 20, Anatanand Rambachan), Hinduismus-Judentum (Kapitel 25, Barbara A. Holdrege); Judentum-Christentum (Kapitel 13, Yaakov Ariel), Judentum-Islam (Kapitel 14, Reuven Firestone); Islam-Christentum (Kapitel 15, Daniel Madigan, SJ). Darüber hinaus finden sich drei Kapitel zu den dialogischen Beziehungen zwischen Konfuzianismus und Christentum (Kapitel 18, John Berthrong), Konfuzianismus und Islam (Kapitel 26, William Chittick, Sachiko Murata) sowie Kon­-fuzianismus und Judentum (Kapitel 27, Galia Patt-Shamir, Ping Zhang). Drei Kapitel handeln von dialogischen Beziehungen zwischen größeren und kleineren religiösen Traditionen: Bud­dhis­mus-Shintoismus (Kapitel 16, Aasulv Lande), Islam-Afrikanische Religionen (Kapitel 19, John Azumah) und Christentum-Indianische Religion (Kapitel 21, Achiel Peelman). Ein Kapitel schließlich befasst sich mit dem Dialog in­nerhalb einer größeren Tradition: Mormonismus-Evangelikales Christentum (Kapitel 28, Robert L. Millet). Alle Autoren dieses Teils sind ausgewiesene Experten und– von einigen Ausnahmen abgesehen (Lawrence, Lande, Bigelow, Azumah, Holdrege) – nicht nur Beobachter der jeweiligen Dialoge, sondern direkt in diese involviert, was bedingt, dass viele unter ihnen selbst nicht-christlichen Religionen angehören und somit einen authentischen Einblick in die dialogische Haltung ihrer jeweiligen Tradition ermöglichen.
Deutlich anders verhält es sich jedoch gerade in diesem Punkt mit den elf Kapiteln des ersten Teils, von denen nur ein einziges (Kapitel 10, »Inter-Religious Dialogue and Peacebuilding«, S. Ayse Kadayifci-Orellana) von einer nichtchristlichen Autorin stammt, die anderen von zumeist römisch-katholischen Christen bzw. Theo­logen. Auch hier handelt es sich jedoch um ausgesprochen kompetente und detailliert mit ihrer Thematik vertraute Autoren. In Kapitel 1 (»The History of Inter-Religious Dialogue«) gibt Leonard Swidler, einer der christlichen Pioniere des Dialogs, einen sehr klaren Überblick über die Entwicklung und Formen einer zeitgenössischen Konzeption von interreligiösem Dialog. Die Heraus­geberin, Catherine Cornille, bietet in Kapitel 2 (»Conditions for In­ter-Religious Dialogue«) eine multireligiöse Ausweitung ihrer ursprünglich im Hinblick auf das Christentum entwickelten Theorie der Bedingungen fruchtbaren Dialogs. Die weiteren Kapitel sind einzelnen Aspekten und Formen des Dialogs gewidmet, wie dem inter-monastischen Dialog (Kapitel 3, Pierre-François de Bé­thune, OSB), der interreligiösen Schriftlektüre »Scriptural Reason­ing« (Kapitel 5, Marianne Moyaert), der interreligiösen rituellen Praxis (Kapitel 6, Michael Amaladoss, SJ), dem Verhältnis von Dialog und »komparativer Theologie« (Kapitel 4, Francis X. Clooney, SJ), von Dialog und interreligiöser Theologie (Kapitel 8, Tinu Ruparell), von Dialog und sozio-politischem Handeln (Kapitel 9, Paul Knitter), von Dialog und Friedensarbeit (Kapitel 10, S. Ayse Kadayifici-Orellana), von Dialog und Kunst (Kapitel 7, Mary Anderson) und der Rolle von Frauen im interreligiösen Dialog (Kapitel 11, Jeannine Hill Fletcher).
Naturgemäß finden sich in einem solch umfang- und facettenreichen, von insgesamt 30 Autoren verantworteten Werk Einzelaussagen, die jeden Rezensenten zu einigen kritischen oder gar ablehnenden Reaktionen reizen. Man würde einem solchen Werk jedoch nicht gerecht, wollte man sich damit aufhalten. Ich be­schränke meine Kritik daher auf zwei grundsätzlichere Anfragen.
Erstens strebt das Buch von seiner inneren Tendenz her eine umfassende Ausrichtung an. In deutlicher Spannung hierzu steht jedoch, dass nicht nur die große Mehrzahl der Autoren in den USA lehrt (nur bei acht von 30 ist dies nicht der Fall), sondern schwerwiegender (aber vielleicht nicht unabhängig davon), dass die wissenschaftlichen Arbeiten zum Dialog außerhalb der USA zu oft vernachlässigt werden, selbst dann, wenn es sich um Arbeiten in englischer Sprache handelt (ganz zu schweigen von nicht-englischsprachigen Werken). Einige Beispiele zur Illustration: Bei Ma­digan sucht man vergeblich nach einem solchen (englischsprachigen) Standardwerk zum Dialog zwischen Islam und dem World Council of Churches (WCC) wie der Arbeit von Jutta Sperber; bei Ingram findet sich kein Hinweis auf das Werk von Michael von Brück und Whalen Lai (das ebenfalls in Englisch vorliegt). Ebenso vermisst man bei ihm Hinweise auf so fundamentale Arbeiten wie die von Joseph Spae, Heinrich Dumoulin, Hans Waldenfels, Enomiya-Lassalle, Lynn de Silva, Aloysius Pieris etc. Stattdessen werden – für mich nicht nachvollziehbar – Hans Küng und Jürgen Molt mann als ausschlaggebende Gestalten des christlich-bud­dhis­tischen Dialogs angeführt. In dem Kapitel von Lawrence wie­-derum fehlt praktisch der gesamte Bereich der zeitgenössischen Beziehungen zwischen Buddhismus und Hinduismus, wie überhaupt in diesem Kapitel ein weitgehend romantisierendes Bild gezeichnet wird, das mit der extrem konfliktgeladenen und kaum wirklich dialogischen Realität buddhistisch-hinduistischer Beziehungen (in Vergangenheit und Gegenwart!) nur wenig zu tun hat.
Dies hängt wiederum mit einem zweiten problematischen As­pekt zusammen: Die Konzeption des Buches ist nicht wirklich entschieden hinsichtlich der Frage, ob »Dialog« hier in einem sehr weiten Sinn verstanden werden soll, der mehr oder weniger alle Formen reflektierter Beziehungen umfasst – einschließlich Polemik und Apologetik –, oder ob »Dialog« konsequent auf jene Formen interreligiöser Offenheit eingeschränkt werden soll, bei denen sich die Partner um wechselseitiges Verstehen und die Würdigung der Stärken des Anderen bemühen und eine deutliche Lernbereitschaft zeigen. Obwohl Swidler und Cornille dies mit Recht als die zentralen Merkmale des Dialogs bestimmen, schlägt dieses Verständnis nicht in allen Kapiteln durch. Denn unter einem solchen genaueren Verständnis von »Dialog« müsste doch in etlichen Kapiteln der Fokus sehr viel enger sein bzw. es müssten sehr viel stärker auch Dialoghindernisse bzw. Dialogunwilligkeit oder -unfähigkeit thematisiert werden, als dies der Fall ist (besonders das Kapitel von Lawrence sticht hier wiederum als Negativbeispiel hervor).
Die beiden Kritikpunkte mögen als Problemanzeigen dienen. Sie schmälern jedoch nicht mein eingangs geäußertes Urteil, dass es sich bei diesem Handbuch in der Tat um einen Meilenstein handelt, der den eigentlichen, nämlich globalen, Horizont, in dem sich heute interreligiöse Begegnung und interreligiöser Dialog vollziehen, markiert und vielfach erschließt.