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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

245–247

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lilla, Mark

Titel/Untertitel:

Der totgeglaubte Gott. Politik im Machtfeld der Religionen. Übers. v. E. Liebl.

Verlag:

München: Kösel Verlag 2013. 300 S. Geb. EUR 21,99. ISBN 978-3-466-37072-6.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Mark Lilla, Professor für Geisteswissenschaften an der New Yorker Columbia University, hat seine Carlyle Lectures, die er 2003 zur Thematik »Politische Theologie versus politische Philosophie« an der Universität Oxford hielt, 2007 unter dem Titel The Stillborn God (Der totgeborene Gott) veröffentlicht. Dieses Buch liegt nun unter dem leicht modifizierten Titel Der totgeglaubte Gott auf Deutsch vor. Gemeint ist hier der für tot gehaltene Gott, von dem wieder die Rede ist. L. bezieht sich dabei aber nicht auf die sogenannte Wiederkehr der Religionen im Zusammenhang der religiös motivierten Politik des politischen Islamismus. Vielmehr zeichnet er einen weiten Bogen von der herkömmlichen politischen Theologie des westlichen Christentums über die Erschütterungen dieser Denkform ab dem 16. Jh. bis zu deren neuer Ausgestaltung im 20. Jh. in Deutschland.

Die politische Theologie war lange Zeit »die einzige Form politischen Denkens« (10) und erwartete die Lösung politischer Probleme von Gott. Aufgrund der Absolutheit, mit der die jeweiligen politischen Theologien ihre Auffassungen vertraten, waren sie in Europa nach der Reformation für etwa 150 Jahre der Anlass zu blutigen Religionskriegen. »Christen jagten und töteten Christen mit demselben religiösen Eifer, mit dem sie einst Muslime, Juden und Häretiker bekämpft hatten« (52). Die Infragestellung der politischen Theologie und die Trennung der Sphären von Politik und Theologie gelang erstmals Thomas Hobbes, indem er die von der Offenbarung abgeleiteten Herrschaftsansprüche der Religion »zu­mindest fragwürdig, wenn nicht gar bedeutungslos« (87) erscheinen lassen konnte. Ihm folgten mit Spinoza, Locke, Montesquieu, Hume und Tocqueville die Vorläufer einer liberalen Demokratie.

Für das kontinentaleuropäische Denken war Rousseaus Einspruch gegen Hobbes’ Abwendung von der politischen Theologie folgenreich. Er kam gegen Hobbes zu folgendem Ergebnis: »Der Verlust Gottes nämlich kommt in einer Welt, die an ihn glaubt, dem Verlust des Selbstvertrauens gleich. Und ohne Vertrauen ins Menschengeschlecht, in uns selbst und unser lumière intérieure, können wir uns weder moralisch verhalten noch glücklich sein« (118). Diesen Gedanken führt Kant philosophisch zur moralisch begründeten Vernunftreligion. Hegel radikalisierte in der Folge die christliche eschatologisch ausgerichtete Lehre von der Versöhnung, indem er die Versöhnung »im modernen bürgerlichen Staat für bereits verwirklicht« (163) erklärt, womit das weltliche Reich Gottes nahe ist.

Nach der institutionellen Trennung von Kirche und Staat infolge der amerikanischen und französischen Revolution nimmt auch die deutsche liberale Theologie das Bestreben der Aufklärung auf, sich an die moderne Zeit anzupassen. Albrecht Ritschl, Wilhelm Herrmann und Adolf von Harnack waren sich einig »im unerschütterlichen Glauben an den moralischen Kern des Christentums […] und im ebenso unerschütterlichen Glauben an den kulturellen und politischen Fortschritt, den das Christentum der Welt […] beschert hatte« (214). Damit bestand zwischen dem Christentum und der modernen Welt eine enge Verbindung, also wiederum eine poli­-tische Theologie, die christlicherseits auch von Ernst Troeltsch und jüdischerseits von Hermann Cohen vertreten wurde. Sie bricht je­doch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges zusammen.

Gegen die nicht lebendige Gottesidee der liberalen Theologie setzt die »Konterrevolution der Heiligen« (235) ein, vorbereitet durch Rudolf Ottos Buch Das Heilige und Martin Bubers Drei Reden über das Judentum, verstärkt auf evangelischer Seite durch Karl Barths Römerbrief und auf jüdischer Seite durch Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung. Sie setzen auf ein unmittelbares Got-tesverständnis, das die moderne Theologie mit ihrer historisch-kri­tischen Arbeitsweise vollkommen zurückdrängt. Hier wird wiederum an die alte, durch Hobbes überwundene Denkweise der politischen Theologie angeknüpft. Folglich bezeichnet L. Barths Römerbrief als »Meisterstück antimoderner und antihumanis­tischer Rhetorik, wie sie im Deutschland der Weimarer Republik gang und gäbe war« (243). Überspitzungen der politischen Theologie zeigt L. an Friedrich Gogartens zeitweiliger Verherrlichung Hitlers als deutscher Messias oder an Ernst Blochs ähnlicher Verehrung Stalins auf (257–273).

Damit erscheint diese Restitution politischer Theologie als ein eigentümlicher deutscher Denkweg, der sich dem weitgehend angelsächsisch geprägten liberalen demokratischen Denken entgegenstellt. Die Modernität, die L. auf das von Hobbes inaugurierte Denken der Trennung der Sphären von Politik und Theologie zurückführt, wird von dem besonders an Barth und Rosenkranz exemplifizierten Denken nicht aufgenommen. Diesen Rückschritt einer Gesellschaft, »ihre politischen Angelegenheiten im Lichte der göttlichen Offenbarung ordnen« (281) zu wollen, hält L. für demütigend, da verkannt wird, dass religiöser Eifer die sozialen Bande zerreißen kann.

Dieses Ergebnis wird kontrovers diskutiert werden, da sich hier die Frage nach der Anknüpfung der Theologie an ihre jeweilige Zeit stellt sowie nach der Berechtigung einer sogenannten prophetischen Kritik in der Gegenwart. L. argumentiert dabei ganz im Sinn der Großen Trennung Hobbes’, nach der die Politik die Aufgabe hat, »die Menschen vor den schlimmsten Verletzungen [zu] schützen, die sie einander zufügen können« (287) – und deshalb die Religion aus der Politik verbannt werden muss. L. hat ein Buch vorgelegt, das die politische Ethik des Protestantismus zwingt, ihre Axiome zu überprüfen, und allgemein Anlass zu einer umfassenden Debatte über den Einfluss der Religion auf die Politik gibt.