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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

226–228

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Mielke, Roger

Titel/Untertitel:

Eschatologische Öffentlichkeit. Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 280 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 134. Geb. EUR 71,95. ISBN 978-3-525-56371-7.

Rezensent:

Stefan Heuser

In die theologischen Debatten über die normativen Implikationen von »Öffentlichkeit«, über die neue Bedeutung von »Religion« in öffentlichen Diskursen sowie über das Verhältnis von »Kirche« und Öffentlichkeit kommt Bewegung: Mit Roger Mielkes Greifswalder Dissertationsschrift liegt jetzt eine Studie vor, die den Diskurs um einen genuin theologischen Begriff von Öffentlichkeit bereichert. M. möchte das Modell einer idealen politischen Öffentlichkeit nicht nur mit den normativen Kategorien der politischen Theorie entwickeln, sondern zielt darauf, »die spezifische Gestalt kirchlicher Öffentlichkeit theologisch auf den Begriff zu bringen und fruchtbar zu machen für eine dem Grund der Kirche angemessene kirchliche Praxis« (11).

Durch diesen Ansatz will M. einer Verengung öffentlicher Theo­logie auf »Öffentlichkeitsarbeit« entgegenwirken, die auf eine möglichst wirksame Inszenierung des Handelns und der Themen der Kirche in einem hinsichtlich seiner Strukturen und Mecha­-nismen immer schon als gegeben hingenommenen öffentlichen Raum reduziert wird. Der Faktizität und Normativität eines schon vorgefundenen Öffentlichkeitsbegriffs setzt M. ein in der Auseinandersetzung mit Peterson gewonnenes, von der Öffentlichkeit des Gottesdienstes her gedachtes Verständnis von Öffentlichkeit entgegen.

Von diesen Zielvorgaben aus entwickelt M. einen inspirierenden und gedankenreichen Diskurs. Er beginnt mit Analysen zu Petersons Rhetorik der Präsentifikation und zur (kierkegaardschen) Kategorie der »indirekten Mitteilung«. Auf diese Weise fügt er – auf der Höhe der jüngsten Diskurse über »Präsenz« und »Vergegenwärtigung« – eine eschatologische Denkfigur in die Rede von »Öffentlichkeit« ein (60 f.). Vor diesem Hintergrund nimmt M. in kritischer Auseinandersetzung mit Peterson und Carl Schmitt die gegenwärtige Diskussion um »das Politische« auf und entwickelt eine politische Theologie »in apokalyptischem Horizont«, die einer religiösen Legitimation politischer Herrschaft und einer Totalisierung des Politischen widerspricht (86 f.). Vor allem das agonale Macht- und Zeitverständnis von Peterson und Carl Schmitt wer-den dabei zum Gegenstand von M.s kritischer Analyse. In einem nächsten, konstruktiven Schritt zeigt M., welche Konturen eine politische Theologie haben muss, um einen produktiven Beitrag zur politischen Praxis leisten zu können. Dazu nimmt er Elemente einer Kritik an der politischen Repräsentationslogik vom britischen Ethiker Oliver O’Donovan (Edinburgh) auf. Um die ekklesiologische Dimension von Öffentlichkeit vor dem Hintergrund von Petersons Werk herauszuarbeiten, begibt sich M. dann in eine kritische Auseinandersetzung mit Reinhard Hütters Begriff der »Kirche als Öffentlichkeit« und mit ekklesiologischen Reflexionen der »Radical-Orthodoxy«-Bewegung um John Milbank (Nottingham) und Catherine Pickstock (Cambridge). Kirche lässt sich demnach als eine eschatologische, von der Politik des Kreuzes geprägte »body politic« und »distinkte Lebensform« (216 f.) verstehen, deren Liturgie eine zugleich differenzsensible und versöhnende politische Praxis inmitten pluralistischer Gemeinwesen darstellen kann.

Im letzten Kapitel führt M. die Ergebnisse seiner Studie zur kirchlichen, eschatologischen Öffentlichkeit zusammen. Demnach lassen sich bei aller Kritik am »antidiskursiven Zug« und am agonalen Politikverständnis Petersons »in seinem Werk Konturen ausmachen für eine Kirche der Zukunft, die in einer sich immer weiter pluralisierenden, auch in religiöser Hinsicht sich pluralisierenden, Gesellschaft die ihr anvertraute, ihr als Lebensquell eingestiftete kosmische Öffentlichkeit der Herrschaft Christi in einer differenten und doch anschlussfähigen Lebensform vertritt« (259). Petersons Ausführungen über die eschatologische Öffentlichkeit lassen sich demnach als »Ermutigung zu einer Differenzkultur des Christlichen und eine Theologie als Differenzexerzitium, als Be­-s­chreibungsform einer Differenz ermöglichenden Praxis« (ebd.) verstehen. Das Buch schließt mit kurzen Überlegungen zur eschatologischen Bestimmung, zum liturgischen Sitz im Leben und zur dogmatischen Artikulation der Öffentlichkeit der Kirche.

M.s Studie vereint historische Tiefenschärfe und systematische Stringenz zu einem anregenden Beitrag zur aktuellen Debatte über Kirche und Öffentlichkeit. Mit O’Donovan, Milbank, Pickstock u. a. bringt er zudem Stimmen zu Gehör, die im angloamerikanischen Raum intensiv diskutiert, aber in der deutschsprachigen evangelischen Ethik bislang verhältnismäßig wenig rezipiert wurden. Offen bleibt nach meiner Einschätzung, ob sich bipolare Konstellationen von »kirchlicher« Öffentlichkeit einerseits und »gesellschaftlicher« Öffentlichkeit andererseits aufbrechen lassen, wenn man wie M. am Ende doch von »der« Kirche und »dem« Gottesdienst ausgeht, anstatt den Ausgangspunkt für eine Theorie der Öffentlichkeit noch grundlegender im Wirken von Gottes Geist in der Welt zu suchen. Zu fragen wäre auch, welche erschließende Kraft die Metapher der »Anschlussfähigkeit« in M.s Konzeption hat, wenn sie nicht nur Selbstverständliches abrufen soll. Die Gefahr ist, dass diese Metapher die Komplexitätserfordernisse von Verständigungsprozessen rund um religiöse Lebensformen eher verdeckt als offenlegt. Interessant wäre auch eine zumindest exemplarische Auseinandersetzung mit der Frage gewesen, welche Themen und Inhalte in einer eschatologisch qualifizierten Öffentlichkeit auf die Tagesordnung kommen könnten.

Im Hintergrund steht hier die Frage, wie die verschiedenen Akteure in Kirche und Gesellschaft eine gemeinsame Öffentlichkeit in der Logik eschatologischer Differenzen ausbilden können. M. bietet dafür einen weiterführenden Denkweg an, indem er das »Eschatologische« nicht nur als »Vorbehalt« thematisiert, sondern auch als Logik einer Praxis, die den Einbruch einer neuen Wirklichkeit offenhält. Eine eschatologisch qualifizierte Öffentlichkeit wäre dann immer da zu finden, wo Menschen gemeinsam neu wahrnehmen, neu urteilen und neu anfangen – sei es in kirchlichen oder in gesellschaftlichen Kontexten. Aus M.s Untersuchung ergäbe sich dann die weiterführende Frage, welche institutionellen Arrangements zu treffen sind, damit die allgemeine Vorstellung von einer »Differenzkultur des Christlichen« konkrete ethische Praxis in einer pluralistischen und (post-)säkularen Gesellschaft werden kann. Auch wäre zu fragen, inwiefern die Offenheit und Pluralitätsfähigkeit einer Gesellschaft an einer solchen Praxis hängt. Was gehört zu einer Öffentlichkeit als differenzsensibler ethischer Praxis, in der Menschen gemeinsam auf Gerechtigkeitserfordernisse, auf neue Handlungsmöglichkeiten und auf Hoffnungsgründe offen und aufmerksam werden? Mit seinem lesenswerten Buch hat M. einen theologischen Begriff von Öffentlichkeit in die Debatte eingeführt, der Türen zu Antworten auf solche Fragen öffnet.