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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

215–218

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Angenendt, Arnold

Titel/Untertitel:

Offertorium. Das mittelalterliche Meßopfer.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2013, XV, 562 S. = Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 101. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-402-11264-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Arnold Angenendt untersucht im Rahmen eines Projekts zusammen mit 14 Mitarbeitern das mittelalterliche Opfergebaren, speziell das Opfer der Messe (VII). Nach einem kurzen Bericht über die Forschungslage wird das Thema in vier Teilen detailliert mit um­fangreichen Quellenzitaten behandelt – Antike: Vom materiellen zum geistigen Opfer (7–90); Frühmittelalter: Von der Eucharistie zur Messe (91–294); Hochmittelalter: Neubesinnung und scholas­tische Theologie (295–400); Spätmittelalter: Zwischen Anzahl und Andacht (401–468). Rück- und Ausblick beenden das Buch (469–488). Quellen und Sekundärliteratur sind aufgeführt, ein unvollstän­diges Sachregister beschließt den Band. Ein Namenregister wäre wünschenswert gewesen.

»Die Messe war im mittelalterlichen Christentum der schlechthin zentrale Religionsakt und hatte eine Fülle religiöser wie auch sozialer Auswirkungen«, sie war geradezu eine soziale Institution (1). Der ursprünglich dominierende Aspekt der geistigen (Selbst-) Hingabe wich der Wertschätzung materieller Gaben. Das äußert sich auch im bevorzugten Namen »Opfer« für die Messe.

Im 1. Teil wird reichlich religionshistorisches Material ausgebreitet. Dabei wird deutlich, wie stark die Messe in diesem Zusam­menhang steht und wie eng sie mit der Ablösung des blutigen Opferkultes durch ein geistiges Opferverständnis verbunden ist. Im Frühchristentum verleibt sich nicht »der Kommunizierende Jesus Christus ein, sondern umgekehrt«, das macht christusförmig (35). Es geht um das »reine Opfer«, um Hingabe und Dank. Man isst und trinkt sich den Tod Christi und erhält Gemeinschaft untereinander. Von einem do ut des ist nichts zu spüren, man erwartet keine Gegenleistung. Opfer geschieht im Lob Gottes: »Leib und Blut werden […] nicht dargebracht [geopfert], sondern empfangen« (84).

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt beim Frühmittelalter. Mit Jungmann meint A., an keiner anderen Stelle der Kirchengeschichte sei ein größerer Umbruch im religiösen Denken erfolgt. Das hänge wohl damit zusammen, dass weder Germanen noch Slawen die Voraussetzungen für ein geistiges Opferverständnis besessen hätten (92). Das zeigt sich auch darin, dass es allmählich zu einer Fülle von Messen für die verschiedensten Anlässe kommt: zu einer besonderen Klosterliturgie, zu Messen an Lebenswenden, im Krankheitsfall, für die Verstorbenen. Eine Fülle von Stiftungen er­folgte, um für sich und andere das Seelenheil zu sichern. Gebetsbünde wurden geschlossen. Tarifmessen kamen auf, Bußen konnten durch Messfeiern abgeglichen werden. Immer stärker trat der Sühnecharakter der Messe in den Mittelpunkt. Im Gegenzug ge­hörten Exkommunikationen und Interdikte (die nicht eigens benannt werden) dazu. Großer Wert wurde auf den »reinen Kult« gelegt, Grund für die Forderung nach dem Zölibat. Ebenso wichtig wurde der heilige Ort, geheiligt durch die Reliquien der Märtyrer. Man durfte die Messe nur noch in der Kirche als geheiligtem Ort feiern, nicht mehr in Privathäusern.

»Für die Gläubigen war das Opfern Pflicht« (159), es musste »rein« sein, rein die Hände, die Materie, der Priester. »Nicht mehr das Selbstopfer des Durchgangs mit Jesus Christus durch den Tod zur Auferstehung […] öffnet den Himmel, sondern die materielle Gabe« (175). Der Gedanke an die Armen trat bei der Messe völlig zurück, auch wenn reichlich gespendet wurde.

Immer stärker in den Mittelpunkt rückte – so Caesarius von Arles – die Wandlung »der sichtbaren Schöpfungsgaben durch die geheime Macht seines Wortes in die Substanzen des Leibes und Blutes« (196). Das Volk war nicht mehr aktiv einbezogen, der Priester opferte für das Volk (204). Im Frühmittelalter war die communio sub utraque selbstverständlich. Als Judaskommunion wurde die intinctio abgelehnt. Im 7. Jh. galt das Viaticum als Brauch guter Christen. Immer häufiger wurde das Messopfer Verstorbenen gewidmet, so entwickelte sich ein eigener Totenkult. Die meisten Stiftungen waren auf den Tod hin konzipiert.

Im 12. Jh. ging man daran, die Fülle von Riten zu überprüfen und sie drastisch zu reduzieren. Nur noch sieben Sakramente wurden anerkannt. Nannte man bisher die äußeren Zeichen sacramentum, so jetzt die Gnadenwirkung: »Die res/virtus wird hervorgebracht durch das Fleisch und Blut Christi, die das ewige Leben der Seele symbolisieren« (296). Ohne eine Liturgiereform zustande zu bringen, versuchte die Hochscholastik vielmehr, »die vorgefundene Praxis in ihr theologisches Denkschema zu zwängen« (300 f.). Das Stiftungsgebaren geriet in heftige Kritik, vor allem bei den neuen Orden, doch haben sie sich im Laufe der Zeit »auch in der Stiftungsfrömmigkeit wieder Cluny« angenähert, auch die Bettel orden, was die Kritik der sogenannten Ketzer hervorrief. In der Frage der kultischen Reinheit blieb man, vor allem in der Volksfrömmigkeit, rigoros. Das ging so weit, dass man die von einem nichtzölibatär lebenden Priester konsekrierte Hostie als ungeweiht an­sah. Andererseits sah man auch nach dem Investiturstreit den Herrscher als einen (sub-)diakonalen Priesterkönig an.

Die Kanonisierung der Transsubstantiation bedeutete, dass »die Konsekration den Kern des Kanons bilde und darin zugleich auch die Opferung geschehe« (359). Das wird als »revolutionierend« bezeichnet. Pesch meint sogar, dass die Transsubstantiationslehre »massiv dingliche, ja materialistische Vorstellungen von der Ge­genwart Christi in den eucharistischen Gaben auszuschalten« er­möglichte (365). Beim Messopfer blieb der Priester Mittler an der Stelle Chris­ti. Die Hostienverehrung kam auf und die Messe wurde zur Schau Christi. Die Frömmigkeit konzentriert sich auf die Elevation, sie wurde zum Schauobjekt (was Nikolaus von Kues kritisierte). Die Folge war das Fronleichnamsfest. Die seltene Kommunion wurde zur Regel, die Bitt- und Sühne-Messen hingegen gingen »ins Ungezählte« (381). Während Sicard von Cremona (* 1215) er­klärte, »daß das Volk ohne das Blut nicht das Heil erfährt«, und Thomas von Aquin noch die Doppelkommunion für angemessen hielt (384), wurde zunehmend dem Volk der Kelch vorenthalten. Thomas sah zwar in der Eucharistie »sowohl Sühne wie Kommunion«, merkte aber an, sie sei nicht zur Sühne eingesetzt, sondern zur Vereinigung mit Christus. A. zieht (mit Iserloh) das Fazit: »Die theologische Diskussion über Wert und Wirkung des Messopfers hat zwar seit dem 12. Jh. die Theologie stark beschäftigt, doch kann ›von einer Theologie des Opfers nicht die Rede sein‹« (393). Auch kam in der Zeit die »trockene Messe« auf (Zelebration ohne Konsekration), die rein geistige Kommunion breitete sich aus.

Das 15. Jh. sah man bisher als Zeit des Verfalls, wobei Ratzinger eine bedenkliche Verschiebung des eucharistischen Glaubens, eine Herbeiziehung Christi ins Irdische diagnostiziert (402). Heute wird der Frömmigkeitsaufbruch hervorgehoben, der nach Reformen drängte, sie aber nicht brachte. Doch war die Messfrömmigkeit nicht verfallen, im Gegenteil, das Selbstopfer des Kommunikanten wurde, etwa durch Thomas a Kempis, wieder in den Mittelpunkt gestellt, die Messe vielfach als eine Passionsandacht gesehen und die geist­-liche Kommunion befördert (416). Die Reformunfähigkeit der Zeit erweist sich vor allem darin, dass die Stiftungen und die Vielfalt der Opfergaben ein »für uns kaum mehr vorstellbares Ausmaß« erreichten (was der Rezensent für Freiberg bestätigt). Sie stellten den entscheidenden Anteil des kirchlichen Einkommens dar. In Köln gab es am Ende des Mittelalters kaum ein Testament ohne Stiftung für den Dom. Von »gedungenen« Priestern ist die Rede (430). Wenn auch die »Nachfolge Christi« des Thomas a Kempis das Selbstopfer betonte und die Devotio moderna insgesamt die Reinheit des Körpers, des Gewissens und die Devotion forderte, so erlag auch sie schließlich der Stiftungsfrömmigkeit (442). Um die Messtheologie hat sich Ga­briel Biel bemüht. Er bewertet die Messe als Kommunion und als Sühne: Das Messopfer besteht »in der Darbringung des in der Konsekration gegenwärtig gewordenen Christus durch den Priester«, da­durch wird Gott versöhnt. Wenn der Priester das Sakrament sub utraque empfängt, so trinken die Laien »in der Person des Priesters auf geistige Weise auch das Blut Christi« (448 f.).

Das überreiche Opferwesen der Zeit erweist sich auch darin, dass in den Testamenten das »Seelgerät« aufgeführt wird, d. h. die guten Werke, zu denen man sich angesichts des Todes entschloss. Die Reichen und vor allem die Herrscher konnten mehr leisten, sie »hatten Vorzüge im Fegefeuer gegenüber den Armen« (457). Die Seelenmessen stiegen ins Unermessliche.

Der Rückblick fasst den Inhalt des Buches gut zusammen. Kritisch sieht A. die Entwicklung bis heute. Vaticanum II bestätigt, dass der Priester »in der Person Christi das eucharistische Opfer« vollzieht; er »bringt es im Namen des ganzen Volkes dar«, die Gläubigen wirken mit im Empfang (478). Der Opfergedanke sei in ein »do ut des-Geschäft umgeschlagen« (Hoping). Es muss konstatiert werden, dass der reformatorische Protest gegen die Opfermesse bis heute berechtigt ist; eine ökumenische Annäherung lässt sich kaum erkennen, wobei besonders auf Hochgebet IV zu verweisen ist (487).

Insgesamt liegt ein Werk vor, das mehr enthält als der Titel es vermuten lässt, (fast) ein Kompendium der Abendmahlstheologie bis zur Reformation. An ihm kann die weitere Forschung nicht vorbeigehen. Bedauerlich ist jedoch, dass kaum reformatorische Literatur (außer von Exegeten und TRE-Autoren) berücksichtigt worden ist; manche neuere Spezialliteratur fehlt. Würdigungen werden häufig mit Zitaten älterer Autoren gegeben. Das muss kein Fehler sein.