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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

181–182

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pilger, Tanja, u. Markus Witte [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zion. Symbol des Lebens in Judentum und Christentum. Beiträge der 13. Christlich-Jüdischen Sommeruniversität in Berlin vom 17.–20. Juli 2011.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 206 S. m. Abb. = Studien zu Kirche und Israel. Neue Folge, 4. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03151-1.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

Hybride Formen haben zuweilen ihren Reiz. Der vorliegende Band– er versammelt Aufsätze mit strengerem und weniger strengem wissenschaftlichem Anspruch, Vorträge, die der 13. Berliner jüdisch-christlichen Sommeruniversität des Instituts Kirche und Judentum vom Juli 2011 zugrundelagen, eine Predigt des Mitherausgebers Markus Witte vom 12.08.2012 über Sach 9,9–10 und auch drei schwarz-weiß reproduzierte Zions-Bilder der Jerusalemer Künstlerin Lika Tov – ist eine solche Melange, wie sie gelegentlich durchaus pfiffig sein kann. Alle Beiträge beziehen sich auf die mit dem Namen »Zion« bezeichnete Stätte, die nach Überlieferung der hebräischen Bibel Ort des Jerusalemer JHWH-Heiligtums war und mit der sich »in jüdischer und christlicher Tradition Heilsvorstellungen« verbinden, »die darin konvergieren, dass der Zion als räumlich fixierbare Quelle des Lebens verstanden wird« (Vorwort, 5). Auf diese Konvergenz kommt es Herausgebern und Beiträgern an – Texte etwa des babylonischen Talmuds, die aus der Diasporaerfahrung heraus gerade eine gewisse Distanz zum räumlich verstandenen Zion artikulieren, stehen weniger im Zentrum.

Die beiden einleitenden Beiträge von Konrad Schmid und Co­rinna Körting geben einen historisch-literarischen Überblick über die Zionsvorstellungen im Jesajabuch und im Psalter. Einen Überblickscharakter haben auch die Vorträge von Emanuel Tov (Jerusalem) und Andrew Teeter (Harvard) über »Jerusalem und den Zion« und »Zion und Tempel« in der Qumranliteratur. Der Beitrag von Dalia Marx, Professorin für Liturgie und Midrasch am Jerusalemer Hebrew Union College, behandelt die Zionsmotivik in der jüdischen Liturgie am Beispiel der Verwendung von Ps 137 und 126 im Tischgebet: »Erlösung und Exil am Esstisch« (58). Marx behandelt exegetische Fragen nur am Rande, erwähnt aber, bezogen auf Ps 126, unterschiedliche Erklärungen des Begriffs »Stufenlieder« bei den klassischen jüdischen Kommentatoren (55) und geht auf die aktuelle Wirkungsgeschichte beider Psalmen ein: auf die Rezitation von Ps 137 am neunten Aw und am Jom HaSchoah, dem Gedenktag an den Holocaust, sowie auf das Singen von Ps 126, den religiöse Zionisten einst sogar zur israelischen Nationalhymne machen wollten, am Unabhängigkeitstag des Landes (62).

Leider fehlen hier wie immer wieder im gesamten Band die nötigen Literaturangaben. Besonders bei den ins Deutsche übersetzten Texten schlägt auch das mangelhafte Lektorat zu Buche, dessen Aufgabe es gewesen wäre, zahlreiche orthographische, grammatische und syntaktische Fehler zu beseitigen. An einigen Stellen – »Eschatologie (übersetzt: das Ende der Tage)« und: »Die Samaritaner sind eine alte Gruppe, die sich von den Israeliten getrennt hat« (65.83) – ist man geneigt, in Zweifel zu ziehen, ob Emanuel Tov dies in seiner für die schriftliche Veröffentlichung freigegebenen Fassung wirklich so formuliert hat. Auch vermisst man die für einen Sammelband eigentlich nötigen Querverweise, die durch Anspielungen darauf, was die Zuhörer der Vorträge hatten zur Kenntnis nehmen können, ja nicht zu ersetzen sind (147). Und man möchte nicht zu Beginn jedes zweiten Vortrages von Neuem erfahren, zu welchem Anlass dies vorgelesen und dass der Referatsstil beibehalten wurde.

Neben den Beiträgen von Rainer Kampling und Markus Wriedt, die die Linien der christlichen Beschäftigung mit dem Zion über das Neue Testament bis in die Literatur des Mittelalters und bei Luther ausziehen, seien schließlich noch zwei Texte genannt, die aus judaistischer Hinsicht besonders interessant sind: eine Untersuchung von Walburga Zumbroich über das Motiv der »Tochter Zion« im Spiegel der rabbinischen Literatur (121–144) und Meret Gutmann-Grüns Beitrag über die »Zionssehnsucht in der poetischen Gebetsliteratur« (145–166). In letzterem Text geht es u. a. um von dem spätantiken jüdischen Pijjut-Dichter Jannai formulierte liturgische Texte und erneut um Benediktionen im Tischgebet. Wieder versteht man nicht, warum die in diesem Kontext eigentlich nötigen bibliographischen Hinweise aus der älteren, aber auch der neuen Literatur unterbleiben und Angaben wie »Schabbat Anijah, So’arah« (gemeint ist offensichtlich ein auf den Vorabend des Neumondtages für den Monat Elul fallender Sabbat) nicht erläutert werden (151). Zu loben ist der in inhaltlicher und auch formaler Hinsicht vorzügliche Beitrag über die »Tochter Zion«, der rabbi­nische Texte zum Laubhüttenfest und zum bei dieser Gelegenheit praktizierten Wasserschöpfritual (u. a. bSuk 48ab; 51a–53b) in den Mittelpunkt rückt und in diesem Zusammenhang religionsphänomenologische Überlegungen anstellt, die einerseits mit der rabbinischen Rezeption des Hohenliedes zu tun haben, andererseits bis in die Zeit des Alten Orients zurückführen. Das hybride Genre bringt es mit sich, dass die Anschaffung eines Bandes sich gelegentlich schon um eines Aufsatzes oder zweier Aufsätze (wenn nicht eines schönen Bildes) willen lohnt.