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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

151–166

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Michael Pietsch

Titel/Untertitel:

Abschied vom Jahwisten?

Die Berufung des Mose in der jüngeren Pentateuchforschung1

Nachdem die »Neuere Urkundenhypothese« für fast ein Jahrhundert in der alttestamentlichen Wissenschaft nahezu dogmatische Geltung beanspruchen konnte, macht seit den 70er Jahren des 20. Jh.s die Rede von der »Krise« der Pentateuchforschung die Runde. Die gängigen kultur-, religions- und literaturgeschichtlichen Pa­rameter der »Neueren Urkundenhypothese« wurden seitdem einer kritischen Prüfung unterzogen, die von radikalen Modifikationen des klassischen Modells bis hin zur Forderung nach seiner gänzlichen Ablösung geführt hat.2 Obwohl die Diskussion keineswegs abgeschlossen ist und gegenwärtig eine Vielzahl konkurrierender Pentateuchmodelle vertreten wird, beginnt sich in der jüngsten Pentateuchforschung ein neuer Konsens abzuzeichnen, der bereits Eingang in neuere Lehrbücher der alttestamentlichen Einleitungswissenschaft bzw. Literaturgeschichte gefunden hat.3

Diese Entwicklung soll im Folgenden zum Anlass genommen werden, zunächst eine kurze Rückschau auf einige wichtige Etappen der Pentateuchforschung seit der Mitte des 19. Jh.s zu halten und den gegenwärtigen Stand der Diskussion knapp zu skizzieren. Anschließend sollen die exegetischen Voraussetzungen der jüngs­ten Debatte am Beispiel der beiden Erzählungen von der Berufung des Mose in Ex 3–4 und Ex 6 auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden. Dies soll in erster Linie im Gespräch mit der Interpretation der Texte durch Konrad Schmid geschehen, der als einer der profiliertesten Vertreter des neuen Konsenses gelten kann und diesen maßgeblich mit begründet hat.


Seit den Untersuchungen von Karl Heinrich Graf (1815–1869), Abraham Kuenen (1828–1891) und Julius Wellhausen (1844–1918) hat-te sich die »Neuere Urkundenhypothese« in ihrer klassischen Ge-stalt in der alttestamentlichen Wissenschaft weithin durchgesetzt. Zwar hatte bereits Hermann Hupfeld (1796–1866) in der Genesis drei selbständige Quellenschriften identifiziert,4 doch gingen die kult- und literaturgeschichtliche Spätdatierung der sog. »Priesterschrift« sowie die Klassifikation des »Jahwisten« als der ältesten der drei Urkunden erst auf die Arbeiten von Graf, Kuenen und vor allem Wellhausen zurück.5 Dabei erwies sich die Forderung des Deuteronomiums nach der Zentralisierung des Jahwekultes als entscheidendes religionsgeschichtliches Paradigma: Die »Priesterschrift« setzte die Existenz eines zentralen Kultortes bereits voraus, war also später als das Deuteronomium zu datieren; die beiden älteren Quellenschriften (der »Jahwist« bzw. der »Elohist«) kannten die Forderung nach der Kultzentralisation dagegen noch nicht und wurden zeitlich der frühen bzw. mittleren Königszeit zugeordnet. Damit war die klassische Gestalt der »Neueren Urkundenhypothese« geboren, die für knapp ein Jahrhundert zum Gemeingut der alttestamentlichen Wissenschaft werden sollte: Der »Jahwist« war die älteste Pentateuchquelle (9./8. Jh. v. Chr.), bald gefolgt vom »Elohis­ten« (8. Jh. v. Chr.) und schließlich der »Pries­terschrift« (6. Jh. v. Chr.). Das Deuteronomium galt seit den wegweisenden Studien von Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849) als selbständige Größe, dessen Anfänge in spätvorexilischer Zeit vermutet wurden (7. Jh. v. Chr.).6

Dieses Bild erhielt erste Risse mit der Bestreitung der Existenz einer selbständigen elohistischen Quellenschrift durch Paul Volz und Wilhelm Rudolph in den 30er Jahren des 20. Jh.s.7 Volz und Rudolph erkannten den redaktionellen Charakter der teils sehr fragmentarischen elohistischen Textanteile, die keine Rekonstruktion eines durchlaufenden Pentateucherzählfadens erlaubten, sondern als Erweiterungen einer älteren, jahwistischen Grunderzählung zu interpretieren seien. Obgleich ihre Beobachtungen in der fachwissenschaftlichen Diskussion zunächst nur wenig Beachtung fanden, war damit das schwächste Glied im Gebäude der »Neueren Urkundenhypothese« identifiziert. Die jüngste Diskussion hat viele der früheren Einsichten von Volz und Rudolph aufgenommen und den »Elohisten« als selbständiges literarisches Werk weithin aufgegeben.8 Ein nicht unwesentlicher Faktor bei diesem Vorgang war ein verändertes Bild von der Arbeitsweise des sog. »Redaktors«, der nicht länger primär als Sammler und Kompilator vorgegebener Überlieferungen verstanden wurde, sondern als eigenständiger theologischer Autor, dessen Anteil an der literarischen Gestalt des Pentateuch sehr viel höher veranschlagt werden muss, als dies zuvor der Fall gewesen war.9

Der eigentliche Generalangriff auf die »Neuere Urkundenhy­pothese« hatte seinen Vorläufer jedoch in den überlieferungsgeschichtlichen Studien von Martin Noth. Noth hatte in seiner 1948 erschienenen Untersuchung zur »Überlieferungsgeschichte des Pentateuch« die Quellenscheidung zwar nicht aufgegeben, die Hauptthemen der Pentateucherzählung jedoch in ursprünglich selbständige Überlieferungsblöcke zergliedert, die erst später, in der frühstaatlichen Zeit, vom »Jahwisten« resp. »Elohisten« zu einem durchlaufenden Erzählfaden verbunden worden seien.10 Hieran knüpfte die Kritik an der »Neueren Urkundenhypothese« durch Rolf Rendtorff an,11 die von seinem Heidelberger Schüler Erhard Blum weiter begründet und ausgebaut worden ist.12 Rendtorff und Blum übernahmen das überlieferungsgeschichtliche Modell Noths, rechneten jedoch mit einer sehr viel längeren, nicht nur mündlichen, sondern bereits schriftlichen, selbständigen Überlieferung und Fortschreibung der einzelnen Pentateuchthemen, die erst in der Exilszeit unter dtn/dtr Einfluss miteinander verknüpft worden seien. Damit war zumindest die Existenz der älteren Quellenschriften des Pentateuch bestritten und durch eine »Fragmentenhypothese« ersetzt worden, die ihren Vorläufer bereits am Beginn des 19. Jh.s bei Johann Severin Vater (1771–1826) findet.13

Die Kritik am »Jahwisten« erfolgte zeitgleich aber noch aus einer anderen Richtung. Nachdem die Ergebnisse der jüngeren Palästinaarchäologie die Historizität eines vereinten davidisch-salomonischen Großreichs im 10. Jh. v. Chr. nachhaltig in Frage gestellt hatten und die Einsicht in die sekundäre literarische Stilisierung des Berichts über die Herrschaft Salomos in 1Kön 3–11 erkannt worden war, gerieten das kulturelle Milieu einer »Salomonischen Aufklärung«, in dem Gerhard von Rad das jahwistische Werk situiert hatte, 14 und mit ihm die Frühdatierung der ältesten Pentateuchquelle zunehmend ins Wanken. In der Folgezeit entbrannte eine intensive Debatte um die Datierung, die literarische Integrität und die theologische Programmatik des »Jahwisten«, in deren Verlauf das Werk in das 6. Jh. v. Chr. (oder später) hinab datiert wurde.15 Damit verschwammen jedoch die religionsgeschichtlichen Parameter, die Wellhausen einst als Schlüssel seiner chronologischen Ordnung der Quellenschriften gedient hatten, und mit ihnen wurde die Plausibilität der »Neueren Urkundenhypothese« insgesamt in Frage gestellt.

Aus allen Stürmen der jüngeren Pentateuchdiskussion ist lediglich die »Priesterschrift« vergleichsweise unbeschadet hervorgegangen, obwohl E. Blum den »Quellen«charakter der priesterlichen Texte im Pentateuch mit gewichtigen Gründen bestritten und sie stattdessen in den Rang einer Bearbeitungsschicht gerückt hatte.16 In jedem Fall ist die Unterscheidung zwischen priesterlichen und nichtpriesterlichen Texten eines der wenigen konsensfähigen Er­gebnisse in der gegenwärtigen Pentateuchforschung. Es kann da­her nicht überraschen, dass die aktuelle Diskussion ihren Ausgangspunkt in der Regel bei den priesterlichen Textanteilen nimmt. Dabei zeichnet sich insofern ein neuer Konsens ab, als die »Priesterschrift« nun vielen (wieder!) als die Grundschrift des Pentateuch gilt und im Gefolge dieser Annahme eine Kombination aus »Fragmenten-« und »Ergänzungshypothese« an die Stelle der »Neueren Ur­kundenhypothese« tritt. Das vorpriesterliche Material wird dabei in Aufnahme des überlieferungsgeschichtlichen Modells Noths in selbständige Teilkompositionen unterteilt, die, literarisch un­verbunden, zunächst nebeneinander bestanden hätten und erst später in die ursprünglich selbständige, priesterliche Pentateucherzählung eingefügt worden seien.

Das entscheidende Argument, das für diese neue Sicht der Entstehung des Pentateuch vorgebracht wird, besagt, dass sich die frühesten literarischen Verknüpfungen zwischen den Vätergeschichten der Genesis und der Exoduserzählung erst in priesterlichen Texten fänden. Daher sei davon auszugehen, dass die »Priesterschrift« erstmals eine Väter- und Exo­dusüberlieferung verbindende Pentateucherzählung geschaffen habe, die von Gen 1 bis Ex 40 reicht.17

Wie steht es um die exegetischen Grundlagen dieses neuen Konsenses? Diese Frage kann nur im Rückgang auf die biblischen Texte selbst beantwortet werden, wozu die nachstehenden Beobachtungen zum Verhältnis der Erzählungen von der Berufung des Mose in Ex 3–4 und Ex 6 einen Beitrag leisten wollen. Bevor eine eigene Interpretation der Texte vorgelegt wird, soll jedoch mit K. Schmid ein Vertreter der jüngeren Pentateuchforschung zu Wort kommen, der mit seiner Untersuchung »Erzväter und Exodus« (1999) selbst einen wichtigen Beitrag zur Begründung dieses neuen Konsenses geleistet hat.18

II


Die Erzählung von der Berufung des Mose in Ex 3–4 kann mit Schmid als die »herausragendste literarische Verbindung«19 zwischen der Väter- und der Moseüberlieferung in der Exoduserzählung bezeichnet werden und bietet sich daher als Paradigma für eine Überprüfung des jüngsten Konsenses in der Pentateuchforschung an. Die rückwärtige Brücke in die Vätergeschichte wird im Text mit Hilfe des Epithetons »der Gott deines Vaters« in der Selbstvorstellung Jahwes in Ex 3,6 geschlagen: »Ich (bin) der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.« Damit wird sichergestellt, dass der Gott, der Mose am Gottesberg erscheint, kein anderer ist als der Vätergott der Genesis, der ihn beauftragt, Israel aus Ägypten herauszuführen.

Schmid setzt bei seiner Analyse des Textes mit der Frage nach dem literarischen Charakter der Erzählung in Ex 3,1–4,18 ein. Im Anschluss an einen Vorschlag Noths beurteilt er die Moseberufung als einen redaktionellen Nachtrag im nichtpriesterlichen Erzählgefüge und verweist dafür auf den engen literarischen Konnex zwischen der Notiz über den Tod des Pharao in Ex 2,23aα und der Aufforderung an Mose, nach Ägypten zurückzukehren, »denn alle, die nach deinem Leben trachteten, sind gestorben« (vgl. Ex 4,19b). Die Moseberufung unterbreche den fortlaufenden Erzählzusammenhang zwischen den beiden Stellen. Diese Einschätzung werde durch eine weitere Beobachtung gestützt: Der Schwiegervater des Mose heißt in Ex 3,1 und 4,18 Jitro, in Ex 2,18 trägt er dagegen den Namen Reguël. Diese Beobachtungen legten den Schluss nahe, dass Ex 3,1–4,18 »weder integraler noch notwendiger Bestandteil« der Grunderzählung sei, »sondern vielmehr ein Einschub« 20. Dann stelle sich jedoch weiter die Frage, ob dieser Einschub einer vorpriesterlichen Redaktion zuzuweisen ist, wie dies noch Noth angenommen hatte,21 oder ob er bereits die »Priesterschrift« voraussetze, wie es Eckart Otto vermutet hat, der das Stück als eine »sekundäre Vorschaltung vor Ex 6« versteht, die auf den Pentateuchredaktor zu­rückgehe.22

Gegenüber den Vertretern der »Neueren Urkundenhypothese«, die in Ex 3 f. ein »Musterbeispiel« der Quellenscheidung sehen, vertritt Schmid im Gefolge neuerer Untersuchungen die Ansicht, die Erzählung sei im Wesentlichen literarisch einheitlich.23 Hierzu verweist er zum einen darauf, dass die Doppelung in Ex 3,7 und 3,9, die einen klassischen Ansatzpunkt für die Aufteilung des Textes in einen jahwistischen und einen elohistischen Strang bildete, nicht als Indiz zweier selbständiger Erzählfäden zu werten, sondern als literarisches Stilmittel zu interpretieren sei, das die zentrale Heilsaussage in V. 8 hervorhebt.24 Zum anderen macht er geltend, dass der Wechsel zwischen dem Gottesnamen הוהי und der Gottesbezeichnung םיהלא in Ex 3 nicht geeignet sei, den Text auf mehrere Quellen aufzuteilen. Der wechselnde Gebrauch von הוהי, םיהלא und םיהלאח verdanke sich vielmehr erzählstrategischen Gründen.25

Von grundsätzlicherer Bedeutung für die These Schmids ist aber, dass sich in der eingeschalteten Erzählung von der Berufung des Mose in Ex 3–4 terminologische Rückbezüge auf den unmittelbar vorausgehenden Passus Ex 2,23–25* fänden, der in der Forschung allgemein als priesterlich eingestuft wird. Dazu rechnet Schmid zunächst den Rekurs auf die Trias der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob (vgl. Ex 3,6 // 2,24), sodann die Verwendung der Wurzel קﬠצ/קﬠז (»schreien«, vgl. Ex 3,7b // 2,23) und die Abfolge der Verben ﬠמשׁ (»hören«, vgl. Ex 3,7a // 2,24), האר (»sehen«, vgl. Ex 3,7a.9 // 2,25a) und ﬠדי (»erkennen«, vgl. Ex 3,7b // 2,25b), die in beiden Texten in einem engen Sachzusammenhang zueinander stehen. Das literarische Gefälle der beiden Texte wird von Schmid jedoch nicht weiter problematisiert. Der Nachweis der terminologischen Be­rührungen genügt, um unter Hinweis auf den redaktionellen Charakter der Berufungsszene auf die nachpriesterliche Herkunft von Ex 3 f. zu schließen.26

Wenn Schmid im Folgenden darauf hinweist, »daß Ex 3f. in einen mindestens hexateuchischen Zusammenhang hineinverwebt ist, der den Bogen von den Erzväterverheißungen über den Auszug aus Ägypten und den Sinai bis zur Landnahme hin auszieht«27, steckt dies zwar den weiteren literarischen Horizont des Textes zutreffend ab, liefert jedoch noch kein hinreichendes Indiz für seinen nachpriesterlichen Ursprung. Vergleichbares gilt für die Feststellung, dass Mose in Ex 3–4 in prophetischem Gewand erscheint, denn die historiographische Idee einer prophetischen Geschichtsinterpretation setzt wohl die Anfänge schriftprophetischer Reflexion voraus, nicht jedoch eine kanonische Leseperspektive, die auf ein corpus propheticum hinzielt, wie es Schmid andeutet.28

Letztgültigen Aufschluss über die nachpriesterliche Ansetzung von Ex 3–4 soll ein Vergleich mit der priesterlichen Parallelerzählung in Ex 6,2–13 geben.29 Schmid setzt mit der Feststellung ein, dass die priesterliche Variante der Moseberufung nirgends erkennbar auf die Erzählung in Ex 3–4 Bezug nähme, so dass beide im Erzählverlauf unausgeglichen nebeneinander stünden. Dies sei um­so bemerkenswerter, als es eine Reihe motivischer und terminologischer Parallelen zwischen beiden Texten gibt, die auf eine literarische Bekanntschaft schließen lassen. Hierfür führt Schmid insgesamt sechs Gemeinsamkeiten an:

1. Das Motiv der Selbstvorstellung Gottes und die Identifikation des Gottesder Väter mit Jahwe (vgl. Ex 3,6.14.15 f. // 6,2 f.),

2. der »hexateuchische« Ereignishorizont (Exodus, Sinai und Landgabe, vgl. Ex 3,7 f. // 6,6–8),

3. die Sendung Moses zu den Israeliten und zum Pharao (vgl. Ex 3,10.13 // 6,6.11),

4. das Motiv der Weigerung des Mose (vgl. Ex 3,10 ff.; 4,1 ff. // 6,12 f.),

5. die Mitbeauftragung Aarons, des Bruders des Mose (vgl. Ex 4,13–16 // 6,13) und

6. die unterschiedliche Reaktion der Israeliten auf die Sendung des Mose (vgl. Ex 3,18; 4,1 // 6,9).30

Vor allem letzteren Aspekt greift Schmid auf, um das literarische Verhältnis der beiden Texte näher zu bestimmen. In Ex 6 spricht Gott zunächst zu Mose (vgl. V. 2–8), bevor sich dieser an die Israeliten wendet, die jedoch nicht auf ihn hören (vgl. V. 9b). Als Gott Mose anschließend beauftragt, zum Pharao zu gehen, wendet Mose ein, dass nicht einmal die Israeliten auf ihn gehört hätten, wie viel weniger werde es der Pharao tun (vgl. V. 10–12). Dieser Ablauf der Ereignisse wirke erheblich stringenter als die Reihenfolge in Ex 3–4. Dort äußert Mose die Befürchtung, das Volk werde nicht auf seine Stimme hören (vgl. Ex 4,1), obwohl ihm gerade dies zuvor zugesagt worden war (vgl. 3,18) und im Text kein Anlass dafür auszumachen sei, warum Mose die Worte Jahwes in Zweifel ziehen sollte. Dieser sei vielmehr exegetisch aus Ex 6 gewonnen worden, so »daß Ex 3f die Probleme, die sich in Ex 6 nach der dortigen […] Offenbarung an Mose ergeben haben […], in die Berufungsszene selbst integriert hat«.31

Eine andere Beobachtung komme hinzu: Der »Priesterschrift« zufolge ereignete sich die Offenbarung des Gottesnamens an Mose in Ägypten. Diese Lokalisierung, die für Ex 6 aus dem Kontext gewonnen werden muss, sei nach Schmid »das im Verlauf der Erzählung zu Erwartende« und »ursprünglichere«, denn es ließe sich »kaum vorstellen, daß ›P‹ eine ihr vorgegebene Überlieferung, daß die Moseberufung am Gottesberg stattgefunden habe, nachträglich ›profanisiert‹ haben sollte«. Umgekehrt ziele die Vorschaltung von Ex 3 f. darauf ab, »daß es nur am Sinai eine vollgültige Offenbarung Gottes geben könne«, korrigiere jedoch gleichzeitig die Sinaitheophanie, insofern die Mitteilung der Tora an Israel in V. 12 »zu einem ›Zeichen‹ ( תוא) degradiert« werde.32

Als weiteres Indiz für die literarische Abhängigkeit der nicht-pries­terlichen Erzählung in Ex 3–4 von der »Priesterschrift« führt Schmid an, dass nach Ex 3,10 Mose von Gott den Auftrag erhält, Israel aus Ägypten herauszuführen (אצי Hif.), während laut Ex 6,6 Jahwe selbst Subjekt der Aussage ist: »Ich (bin) Jahwe und ich werde euch aus der Fron Ägyptens herausführen.« Der Wechsel des Subjekts erfolge in Ex 3 mit Rücksicht auf die Zurückweisung des Mose vor dem Pharao in Kapitel 5. Die Beauftragung in Ex 3,10 bereite »nicht den Auszug selbst vor, sondern vielmehr dessen erstes Scheitern und damit die nachfolgende solenne Verheißung in Ex 6,6«33.

Der literarische Befund legt für Schmid die Vermutung nahe, dass der Verfasser von Ex 3 f. die Gottesoffenbarung an Mose redaktionell verdoppelt habe, um einen Ausgleich zwischen den Vätererzählungen und der »gestuften Offenbarungstheorie« der »Priesterschrift« zu er­zielen. »Das Proprium von Ex 6 nach Ex 3f liegt demnach […] nicht in der Bekanntgabe des ›Jhwh-Namens‹, sondern in der Erklärung der gestuften Offenbarungstheorie.«34 Dem ist zuzustimmen, es stellt sich nur die Frage, ob dies nicht von Anfang an die Intention der priesterlichen Offenbarungsrede in Ex 6,2–13 gewesen ist. Dieser Frage soll im nächsten Abschnitt weiter nachgegangen werden.

III


Eine Durchsicht des literarischen Befundes in Ex 3–4 und Ex 6 wirft eine Reihe von Rückfragen an die redaktionsgeschichtliche Argumentation Schmids auf, die m. E. eine kritische Prüfung des jüngs­ten Konsenses in der Pentateuchforschung nötig erscheinen lassen. Im Rahmen dieses Beitrags können selbstverständlich nicht alle textlichen Probleme im Detail diskutiert werden;35 daher be­schränken sich die folgenden Hinweise im Wesentlichen auf das Verhältnis der nichtpriesterlichen Berufungserzählung in Ex 3–4 zu den priesterlichen Stücken in Ex 2,23–25 und 6,2–13, zumal hier die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen. Vor allem die An­nahme der weitgehenden literarischen Einheitlichkeit des Ab­schnitts Ex 3,1–4,18 bedürfte einer ausführlicheren Untersuchung. Hier müssen einige wenige Bemerkungen genügen.

Schmid ist zunächst darin Recht zu geben, dass sich eine durchlaufende Quellenscheidung und eine Aufteilung des Textes auf einen »jahwistischen« und einen »elohistischen« Erzählfaden in Ex 3 f. nicht bewährt.36 Damit ist jedoch die literarische Kohärenz des Stückes noch nicht erwiesen. Vor allem für den Dialog zwischen Mose und Jahwe in Ex 4,1–17, in dem das Problem der Autorität des Mose gegenüber Israel erörtert wird, ist mit redaktionellen Fortschreibungen zu rechnen.37 Dies gilt in geringerem Umfang bereits für Ex 3: So wirkt die dreifache präpositionale Näherbestimmung des verheißenen Landes in V. 8 überladen,38 und die Gottesrede in V. 15–22 zeigt deutliche Spuren re-daktioneller Bearbeitung.39 Eine vollständige Erörterung der literarischen Beziehungen zwischen Ex 3 f. und den priesterlichen Stücken bedürfte folglich einer eingehenden diachronen Analyse aller Texte.

Wenn dies hier unterbleiben kann, so liegt die Ursache dafür nicht zuletzt darin, dass es keinen hinreichenden Grund gibt, die literarische Brücke in die Vätergeschichte in Ex 3,6 dem Grundbestand der Erzählung abzusprechen. Weder die zweimalige Redeeinleitung (רמאיו, vgl. V.5f.) noch die Gottesbezeichnung םיהלאה in V. 6b berechtigt zur literarkritischen Ausscheidung des Verses. Erstere hat an dieser Stelle wie häufig gliedernde Funktion: Nachdem Mose zuvor von der Heiligkeit des Ortes in Kenntnis gesetzt wurde, wird in V.6 das Numen, dem dieser Ort geweiht ist, vorgestellt. Die Gottesbezeichnung םיהלאה setzt in ihrer determinierten Form die Selbstvorstellung der Gottheit in V. 6a voraus und verbleibt im Übrigen in den Vorgaben der erzählten Welt, in der םיהלא stets in Relation zu Mose gebraucht wird (bis einschließlich V.14). Der Gottesname הוהי hingegen wird nur vom Erzähler verwendet, der an der Identität Jahwes mit dem »Gott der Väter« von Anfang an keinen Zweifel lässt.40

Ob der Abschnitt Ex 3,1–4,18 quellenhaft ist oder in einen vorgegebenen Erzählfaden redaktionell eingefügt wurde, wie es Schmid annimmt, ist schwierig zu entscheiden. Problematisch ist dabei weniger der Anschluss von Ex 3,1 an Ex 2,25, der weder syntaktisch noch inhaltlich zu beanstanden ist,41 als die nachklappende Stellung von Ex 4,19. Die Aufforderung an Mose, nach Ägypten zurück­zukehren, nachdem ihm dort keine Lebensgefahr mehr droht, findet zwar in V. 20a eine passende Fortsetzung, wirkt aber nach der Beauftragungsszene und der Verabschiedung Moses von seinem Schwiegervater in Ex 4,18 deplatziert. Auf der anderen Seite eignet der Aufforderung zur Rückkehr in V. 19 eher ein beschließender als ein eröffnender Charakter: Die Geschichte des Mose könnte nach dem Tod seiner Häscher in Ägypten enden. Ob es eine ältere »Jugendgeschichte« des Mose, die Ex 2,1–23a α; 4,19–20a umfasste, als selbständiges literarisches Werk jemals gegeben hat, ist jedoch sehr fraglich.42 Vielleicht beabsichtigte der Verfasser von V. 19 aber auch, einen weiteren möglichen Einwand des Mose gegen seine Be­auftragung zu entkräften, nämlich die ihm in Ägypten drohende Gefahr für Leib und Leben, deren Abwendung bislang lediglich dem lesenden Publikum mitgeteilt wurde (vgl. Ex 2,23aα43). Dann läge in V.19 ein vermutlich spätes, redaktionelles Interpretament vor, das seinerseits die Erzählung in Ex 3,1–4,18 voraussetzt.44 Wie im­mer man hier entscheiden mag, selbst wenn die Moseberufung in Ex 3f.* sekundär in einen bereits vorhandenen literarischen Zu­sam­­menhang eingefügt worden sein sollte, genügt diese Feststellung noch nicht, um das literarische Verhältnis des Textes zur »Priesterschrift« näher zu bestimmen, zumal eine nichtpriester­liche Grunderzählung in Ex 2,1–23aα; 4,19–20a zweifellos vorpries­terlich anzusetzen wäre.

Zugunsten einer nachpriesterlichen Herkunft der Moseberufung in Ex 3–4 hatte Schmid zunächst auf den priesterlichen Ab­schnitt Ex 2,23–25* verwiesen, an den Ex 3,1 direkt anschließt. Die terminologischen Übereinstimmungen zwischen beiden Texten sind vorderhand nicht zu bestreiten.

2,23 In jener langen Zeit starb der König von Ägypten;und die Israeliten seufzten wegen der Arbeit und schrien (קעז),

und ihr Hilferuf stieg hinauf zu dem Gott wegen der Arbeit.

24 Und Gott hörte (עמשׁ) ihr Gestöhne (הקאנ),

und Gott gedachte(רכז) seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob,

25 und Gott sah (האר) die Israeliten,

und Gott kümmerte sich (um sie) (עדי)45.

3,7 Und Jahweh sprach: »Ich habe das Elend meines Volks gesehen (האר fig. etym.), das in Ägypten (ist),

und ihr Geschrei (הקעצ) vor seinen Aufsehern hatte ich gehört (עמשׁ),

ja, ich kenne (עדי) seine Schmerzen.

8 Und ich bin herabgestiegen, um es aus der Hand der Ägypter zu retten

und aus jenem Land heraufzuführen in ein gutes und weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen,

zu dem Ort der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.

Sie erklären sich jedoch einfacher unter der Voraussetzung, dass Ex 2,24 f. in Aufnahme von Ex 3,7 f. formuliert worden sind. Die syntaktische Konstruktion עמשׁ + Obj. הקעצ (»Geschrei«) ist in Ex 3,7 kontextuell motiviert (vgl. Ex 1–2*) und ahmt gerade nicht den Sprachgebrauch aus Ex 2,24 nach (הקאנ), der jedoch wörtlich in der priesterlichen Variante der Moseberufung in Ex 6,5 wiederkehrt. Das »Sehen« Gottes geht seinem »Hören« in Ex 3,7 zwar grammatisch, nicht jedoch logisch voraus,46 weshalb die Reihenfolge der Verben in Ex2,24f. umgekehrt wird. Schließlich stehen das »Hö-­ren«, »Sehen« und »Erkennen« (עדי) Jahwes in Ex 3,7 ganz im Dienst seiner Wahrnehmung der Notlage des Volkes,47 während in Ex 2,24 f. auf die sinnliche Wahrnehmung (»hören«/»sehen«) jeweils eine gedankliche Apperzeption Gottes folgt, die sein rettendes Eingreifen motiviert.

Unter kompositionskritischen Gesichtspunkten hat es den Anschein, dass der Abschnitt Ex 2,23–25* der Erzählung von der Berufung des Mose redaktionell vorgeschaltet wurde, um diese in den Horizont des Väterbundes zu stellen, den Gott nach der pries­terlichen Darstellung mit Abraham und seiner Nachkommenschaft geschlossen hatte (vgl. Gen 17,1–8). Dazu fügt sich die Beobachtung, dass der Text in Ex 2,23–25* einen linearen Geschehensbogen bildet, in dessen Mitte das Bundesgedenken Gottes zugunsten Israels steht. In Ex 3–4 fehlt dagegen der Bundesgedanke, die Trias der Väter begegnet lediglich im Zuge des Epithetons vom »Gott der Väter« (vgl. V. 6). Erst die priesterliche Überleitung in Ex 2,23–25* stellt die Moseberufung explizit in eine Linie mit den Väterverheißungen der Genesis. Die geschlossene bundestheologische Konzeption, der lineare Handlungsverlauf und die literarische Stellung des Stückes sprechen m. E. eher für die Annahme, dass der priesterliche Verfasser die nichtpriesterliche Moseberufung in Ex 3 f. voraussetzt und neu interpretiert, als für den umgekehrten Fall.48

Dieser Eindruck verstärkt sich bei einem genaueren Vergleich der beiden Versionen der Moseberufung in Ex 3 f. und Ex 6,2–13. Bevor die Struktur der priesterlichen Erzählvariante näher in Augenschein genommen werden soll, ist kurz auf die unterschiedliche Lokalisierung beider Überlieferungen zurückzukommen, die Schmid als Kriterium für die literarische Priorität des priesterlichen Berichts gewertet hatte.49 Ob die Lokalisierung der Beauftragung des Mose in Ägypten »das Erwartbare« und »Ursprünglichere« sei, ist jedoch eher eine Frage der Leseperspektive als der Literaturgeschichte. Auf der Ebene der nichtpriesterlichen Erzählung fügt sich die Lokalisierung der Szene »jenseits der Wüste«, am Gottesberg, problemlos in die literarische Komposition ein und ist nicht zu beanstanden.50 Hinter die erzählte Welt des Textes aber reicht die literaturgeschichtliche Analyse ohnehin nicht zurück, so dass über eine historisch plausible Szenerie nur spekuliert werden kann. Der »Gottesberg« ist nicht nur im Horizont der Sinaitheophanie ein geeigneter Ort für die Beauftragung des Mose, selbst wenn er bereits im Vorgriff auf jene gewählt worden sein dürfte.51 Ob damit jedoch eine »Degradierung« der Sinaiereignisse einhergeht, wie es Schmid behauptet, scheint fraglich. Der Aufenthalt am Sinai soll Mose seiner göttlichen Beauftragung vergewissern und blickt auf das Sonderverhältnis zwischen Jahwe und Israel voraus (vgl. V. 12).52 Umgekehrt will die priesterliche Erzählung in Ex 6 die Moseberufung nicht »verdoppeln«, sondern Auszug und Landgabe in das Licht des Väterbundes rücken (vgl. Ex 2,23–25*). Sie vergegenwärtigt das göttliche Bundesgedenken, das den Anstoß zur Beauftragung Moses gegeben hatte, und bildet den Auftakt zum Plagenzyklus, mit dem die Durchsetzung der rettenden Macht Jahwes ihren Anfang nimmt. Ihre Lokalisierung in Ägypten ist mithin narratologisch bedingt und intendiert in keiner Weise eine »Profanisierung« der Berufungserzählung.

6,2 Und Gott redete zu Mose

und er sprach zu ihm: »Ich (bin) Jahweh (הוהי ינא).

3 Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddai erschienen,

aber unter meinem Namen, Jahweh, war ich ihnen nicht bekannt.

4 Und ich richtete auch meinen Bund mit ihnen auf, ihnen das Land Kanaan zu geben,

das Land ihrer Schutzbürgerschaft, in dem sie Schutzbürger waren.

5 Und ich hörte (עמשׁ) auch das Gestöhne (הקאנ) der Israeliten, die die

Ägypter zur Arbeit zwingen,

und ich gedachte (רכז) meines Bundes.

6 Darum sprich zu den Israeliten: Ich (bin) Jahweh (הוהי ינא), und

ich werde euch aus der Fron Ägyptens herausführen und euch aus ihrer Zwangsarbeit retten,

und ich werde euch mit ausgestrecktem Arm und mit großen Gerichten erlösen.

7 Und ich will euch mir zum Volk nehmen, und ich will euch Gott sein,

dass ihr erkennt, dass ich Jahweh (bin) (הוהי ינא), euer Gott, der euch aus der Fron Ägyptens herausführt.

8 Und ich werde euch in das Land bringen, das ich Abraham, Isaak und Jakob zu geben geschworen habe,

und ich werde es euch zum Besitz geben. Ich (bin) Jahweh (הוהי ינא).‹«

9 Und Mose redete so zu den Israeliten,

aber sie hörten nicht auf Mose wegen (ihres) Unmuts und wegen harter Arbeit.

10 Und Jahweh redete zu Mose:

11 »Geh hinein, rede zum Pharao, dem König von Ägypten,

dass er die Israeliten aus seinem Land gehen lasse.«

12 Und Mose redete vor Jahweh:

»Siehe, die Israeliten haben nicht auf mich gehört, wie sollte der Pharao mich hören?

Ich bin auch ungeschickt im Reden.«

13 Und Jahweh redete zu Mose und Aaron

und beorderte sie zu den Israeliten und zum Pharao, dem König von Ägypten, um die Israeliten aus dem Land Ägypten herauszuführen.

Die priesterliche Erzählung in Ex 6,2–13 ist in zwei Unterabschnitte unterteilt. In den Versen 2–9 folgt auf eine lange Gottesrede, die mit der Selbstvorstellung Jahwes: »Ich (bin) Jahwe« (הוהי ינא) eröffnet wird53 und das rettende Eingreifen Gottes zugunsten Israels ankündigt (vgl. V.2–8), eine kurze Ausführungsnotiz, in der die ablehnende Reaktion der Israeliten auf die Sendung des Mose geschildert und kurz begründet wird: »Sie aber hörten nicht auf Mose wegen (ihres) Unmutes und (der) harten Arbeit.« (V. 9b) Der zweite, kürzere Abschnitt setzt ebenfalls mit einer Gottesrede ein, in der Jahwe Mose den Auftrag erteilt, zum Pharao zu gehen (vgl. Ex 3,10), damit dieser die Israeliten entlasse (vgl. V. 10 f.). Auf den Einwand des Mose hin, der Pharao werde kaum auf ihn hören, sei er doch ungeschickt im Reden (vgl. V. 12), beauftragt Jahwe nun Mose und Aaron zu den Israeliten und zum Pharao zu gehen und die Israeliten aus Ägypten herauszuführen (V. 13).

K. Schmid hatte darauf hingewiesen, dass die priesterliche Erzählung in Ex 6 »linearer« strukturiert sei und einen stringenteren Aufbau erkennen lasse, der von der Ablehnung des Mose in V. 9 zum Einwand in V. 12 hinführe.54 Abgesehen von der problematischen Schlussfolgerung, ein »linearerer« Text könne per se größere Ursprünglichkeit beanspruchen, erweckt die kompakte Darstellung in Ex 6,10–13 eher den Eindruck eines literarischen Exzerptes der breiteren Diskussion in Ex 3 f., das seinerseits die Reaktion des Pharao auf das Ansinnen des Mose in Ex 5 rezipiert. Mindestens fügt sich die doppelte Begründung für die Weigerung der Israeliten, auf Mose zu hören, in V. 9 gut in die vorausgehende Szenerie und die Klage des Mose in Ex 5,22 f. ein. 55 Von der Reaktion der Israeliten unbeirrt fordert Gott Mose auf, (erneut) zum Pharao zu gehen, um die Entlassung der Israeliten zu erwirken. Moses Einwand nimmt zwar die erfahrene Ablehnung in Israel auf, begründet diese jedoch überraschend mit seiner mangelnden Redebegabung (םיתפשׂ לרע, V. 12b). Dieser Hinweis, der in Ex 6 erzählerisch nicht vorbereitet wird, erklärt sich hingegen ungezwungen als Reminiszenz an Ex 4,10–12, wo mit anderen Worten der gleiche Einwand formuliert wird. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Reaktion Gottes auf den Einwurf des Mose hinzunimmt: Die Leser erfahren lediglich, dass Jahwe nun Mose und Aaron den Auftrag erteilt, zu Israel und zum Pharao zu gehen, um Israel aus Ägypten zu führen (vgl. V. 11). Eine schlüssige Antwort auf den Einwand des Mose ist dies jedoch erst im Horizont von Ex 4,13–16. Dort wird der redegewandte Aaron seinem Bruder Mose als »Dolmetscher« zur Seite gestellt, der die Worte des Mose dem Pharao verkünden soll. Diese »Leerstellen« im Erzählgefüge von Ex 6,10–13 legen aber die Vermutung nahe, dass der Verfasser die nichtpries­terliche Moseberufung in Ex 3 f. (in ihrer redaktionell erweiterten Form!) nicht nur kennt, sondern als Ko-Text benutzt und in neuem Licht interpretiert. 56

Letzteres geschieht vor allem in der einleitenden Gottesrede, die ihrerseits in zwei Teile gegliedert ist und durch die formelhafte Wendung »Ich (bin) Jahwe« (הוהי ינא) strukturiert wird (vgl. die doppelte Rahmung in V. 2 // V. 8 und V. 6 // V. 8). Im ersten Hauptteil der Rede wird Jahwe als der Gott des Väterbundes vorgestellt. Als solcher hatte er sich Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddaj gezeigt (vgl. Gen 17,1 f.) und seinen Bund mit ihnen geschlossen, dass er ihr Gott sei und ihnen das Land, in dem sie als Schutzbürger leben, zum Besitz geben werde (vgl. Gen 17,7 f.). In diesem Sinne wird in Ex 6,2–8 das Exodusgeschehen als ein Gedenken Jahwes an seine (Selbst-)Verpflichtung gegenüber den Vätern interpretiert. Der Gedanke, der bereits in dem priesterlichen Brückentext Ex 2,23–25* vorbereitet worden war, wird hier breiter entfaltet. Mittels der »gestuften Offenbarungstheorie« der priesterlichen Berufungserzählung, die Vätergeschichte und Exodus miteinander verklammert, werden die Exodusereignisse (und mit ihnen der Jahwename) in das priesterliche Bundeskonzept integriert. Dabei handelt es sich um eine theologische Neuinterpretation der Gleichsetzung Jahwes mit dem »Gott der Väter«, wie sie in der nichtpriesterlichen Moseberufung in Ex 3f. vorgegeben war. Dort diente das Konzept des »Gottes der Väter« dazu, Mose in die religiöse Tradition Israels (= der Väter) hineinzustellen. Das Exodusereignis fungiert hier wie dort als Selbsterweis Jahwes, das dessen Namen und Wesen er­schließt (vgl. Ex 3,13 f.). Dies wird in Ex 6 in die Form der »Namens­­offenbarung« gegossen (vgl. bereits Ex 3,15!) und Israel verkündet.

Der eigentliche Auftrag des Mose besteht nach Ex 6,6–8 darin, den Israeliten das rettende Eingreifen Jahwes bekannt zu machen. Wenn Mose als Subjekt des Auszugs hier hinter Jahwe zurücktritt, so ist dies der alleinigen Souveränität Jahwes in Ex 6 geschuldet, der Israel mit ausgestrecktem Arm und unter gewaltigen Machterweisen aus der Fron Ägyptens herausführt (vgl. V. 6 f.). Die Rolle des Mose beschränkt sich auf die Weitergabe der göttlichen Ankündigung.57 Im Zentrum des Abschnitts, der durch die dreifache Formel הוהי ינא strukturiert wird (vgl. V. 6, V. 7 und V. 8), steht die zweigliedrige »Bundesformel«, die das Sonderverhältnis Jahwes zu Israel beschreibt: »[…] und ich will mir euch zum Volk nehmen, und ich will euch Gott sein, dass ihr erkennt, dass ich Jahwe (bin), euer Gott, der euch aus der Fron Ägyptens herausführt.« (Ex 6,7) Wer Jahwe ist, erkennt Israel im Exodus (vgl. Ex 20,2): Hier wird Israel der Name Jahwes offenbart.58 Unter diesem Vorzeichen sind die Machterweise Jahwes im anschließenden Plagenzyklus nicht allein Ausdruck seiner Hoheit gegenüber dem Pharao, sondern gleichzeitig Beglaubigungszeichen seines Bundesgedenkens für Israel. Die Jahweerkenntnis Israels ist das eigentliche Thema der priesterlichen »Moseberufung« in Ex 6.

IV


Die literarische Analyse der einschlägigen Texte legt die Vermutung nahe, dass die priesterlichen Abschnitte in Ex 2,23–25* und Ex 6,2–13 die nichtpriesterliche Moseberufung in Ex 3 f. literarisch voraussetzen und unter bundestheologischen Vorzeichen kommentieren. Damit widerspricht der textliche Befund jenen Untersuchungen, die für Ex 3–4 eine nachpriesterliche Herkunft behauptet haben. Vor diesem Hintergrund bedarf der jüngste Konsens in der Pentateuchforschung, dem die »Priesterschrift« als ältester durchlaufender Erzählfaden im Pentateuch gilt, in der erstmals Vätergeschichte und Exoduserzählung literarisch verknüpft worden seien, einer sorgfältigen Überprüfung. Die literarische Brücke in die Vä­ter­erzählungen in Ex 3,6 könnte umgekehrt dafür sprechen, dass beide Überlieferungskomplexe bereits vorpriesterlich literarisch miteinander verbunden waren.59 Angesichts der Unsicherheit bezüglich der redaktionellen Stellung der Erzählung in Ex 3 f.* wäre es durchaus denkbar, dass diesem Erzählwerk zwei ursprünglich selbständige »Gründungsmythen« Israels in einer Väter- und einer Exo­-dusgeschichte als literarische Quellen vorgelegen haben, wie dies in der gegenwärtigen Pentateuchforschung häufig angenommen wird. Ihre literarische Verknüpfung wäre jedoch nicht erst das Werk der »Priesterschrift«, deren Charakter als ursprünglich selbständige Quellenschrift angesichts des oben skizzierten literarischen Befundes m. E. erneut zu überdenken ist.60

Dem »Jahwisten« als der ältesten Quellenschrift des Pentateuch, die den Geist einer »Salomonischen Aufklärung« atme, ist in der alttestamentlichen Wissenschaft heute weithin der Abschied gegeben worden – und dies mit Recht!61 Darüber hinaus gibt es gute Gründe, das Modell der »Neueren Urkundenhypothese« durch ein konsequent redaktionsgeschichtliches Modell zu ersetzen, das Elemente der »Fragmenten-« und der »Ergänzungshypothese« miteinander verbindet, obgleich die Diskussion hierzu noch im Schwange ist. Ob man die »Grundschrift« des Pentateuch im Gefolge der älteren Forschung weiterhin als »Jahwist«, oder besser: »Jehowist«, bezeichnet oder lieber auf eine forschungsgeschichtlich weniger vorbelastete Nomenklatur zurückgreifen will,62 spielt für die hier diskutierte Fragestellung eine untergeordnete Rolle. Die Annahme, die »Pries­terschrift« sei mit dieser »Grundschrift« des Pentateuch zu identifizieren, erscheint angesichts des textlichen Befundes hingegen fraglich.

Summary

The »new documentary hypothesis« has been the leading scholarly paradigm governing literary analysis of the Pentateuch for almost a century. However, in recent research its historical and literary presuppositions have become questionable. A growing number of scholars have embraced a redaction-critical model for interpreting the literary growth of the Pentateuch instead, identifying the priestly-code as the first literary thread combining the patriarchal narratives with an earlier version of the Moses-Exodus-story (cf. K. Schmid, J. C. Gertz). This view is based on the observation that the oldest literary evidence for a narrative that bridges the stories about Abraham and Jacob with the Moses tradition is to be found in the priestly material. In this article this new »consensus« shall be revisited, taking the story of the commission of Moses as a test case (cf. Ex 3–4). The literary analysis of this passage (and related texts) leads to somewhat different conclusions: The oldest layer of the narrative in Ex 3 f. seems to be pre-priestly in origin and already contains a literary bridge back into the patriarchal narratives (cf. Ex 3:6). The later priestly material in Ex 2:23–25 and 6:2–13 develops this connection further by reinterpreting it in accordance to Yahweh’s covenant with Abraham (cf. Gen 17). The latest criticism of the »new documentary hypothesis« and its replacement by a consequent redaction-critical model may hold true, but to identify the priestly-code as the first literary thread of the later pentateuchal narrative is misleading.

Fussnoten:

1) Der Beitrag geht zurück auf den Probevortrag, den ich im Rahmen meines Habilitationskolloquiums am 13. Juli 2011 vor dem Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg gehalten habe. Der Text wurde für den Druck überarbeitet und um den Anmerkungsapparat erweitert.
2) Die Geschichte der neueren Pentateuchforschung ist mehrfach ausführlich referiert worden vgl. A. de Pury/T. Römer, Le Pentateuque en question. Position du problème et brève histoire de la recherche, in: A. de Pury (Hrsg.), Le Pentateuque en question. Les origines et la composition des cinq premieres livres de la Bible à la lumière des recherches récentes, MoBi 19, Paris 21989, 9–80; O. Kaiser, Pentateuch und Deuteronomistisches Geschichtswerk, in: Ders., Studien zur Literaturgeschichte des Alten Testaments, fzb 90, Würzburg 2000, 70–133, 83–107; E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, hrsg. v. C. Frevel, KThSt 1,1, Stuttgart 82011, 85–147.
3) Vgl. E. Otto, Art. Pentateuch, RGG4 Bd. 6 (2003), 1089–1102, 1098 f.; J. C. Gertz (Hrsg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, UTB 2745, Göttingen 32009, 214–217; K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 146 f.
4) Vgl. H. Hupfeld, Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung von neuem untersucht, Berlin 1853.
5) Vgl. K. H. Graf, Die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments. Zwei historisch-kritische Untersuchungen, Leipzig 1866; A. Kuenen, De Godsdienst van Israel tot den Ondergang van den joodschen Staat, 2 Bde., Harlem 1869/70; J. Wellhausen, Geschichte Israels. Erster Band, Berlin 1878.
6) Vgl. W. M. L. de Wette, Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament. Erstes Bändchen, Halle 1806.
7) Vgl. P. Volz/W. Rudolph, Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik? An der Genesis erläutert, BZAW 63, Gießen 1933; W. Rudolph, Der »Elohist« von Exodus bis Josua, BZAW 68, Berlin 1938.
8) Vgl. Gertz, Grundinformation (s. o. Anm. 3), 208. Dagegen hat A. Graupner, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte, WMANT 97, Neukirchen-Vluyn 2002, den Versuch unternommen, den »Elohisten« als selbständige Quellenschrift des Pentateuch wieder zu etablieren (vgl. bereits H. Seebass, Art. Elohist, TRE 9 [1982], 520–524, und jüngst J. Baden, J, E, and the Redaction of the Pentateuch, FAT 68, Tübingen 2009). Einige der herkömmlich dem »Elohisten« zugeschriebenen Texte dürften eher einer gemeinsamen Bearbeitungsschicht innerhalb der nichtpriesterlichen Pentateucherzählung zuzuweisen sein (vgl. z. B. Gen 20–22*). Ob es sich dabei jedoch um eine durchlaufende Neubearbeitung einer älteren Gesamterzählung handelt, wie dies H. C. Schmitt in einer Reihe von Einzelstudien zu begründen versucht hat, bleibt unsicher (vgl. ders., Arbeitsbuch Altes Testament. Grundzüge der Geschichte Israels und der alttestamentlichen Schriften, UTB 2146, Göttingen 2005, 223–232).
9) Vgl. H. Donner, Der Redaktor. Überlegungen zum vorkritischen Umgang mit der Heiligen Schrift, in: Ders., Aufsätze zum Alten Testament aus vier Jahrzehnten, BZAW 224, Berlin/New York 1994, 259–285.
10) Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948. Noth erklärte den weitgehend parallelen Aufbau und die gemeinsamen Überlieferungsstoffe der beiden älteren Quellenschriften mit Hilfe »einer beiden […] gemeinsamen Grundlage, aus der sie – voneinander unabhängig – den Kernbestand ihres Inhalts geschöpft haben« (a. a. O., 41). Ob diese »gemeinsame Grundlage« bereits schriftliche Gestalt besessen habe, lasse sich jedoch nicht mehr mit Sicherheit klären.
11) Vgl. R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin/New York 1977.
12) Vgl. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984; ders., Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York 1990.
13) Vgl. J. S. Vater, Commentar über den Pentateuch, 3 Bde., Halle 1802–1805.
14) Vgl. G. von Rad, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 41971, 9–86, 75–81.
15) Vgl. H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist. Beobachtungen und Fragen zur Pentateuchforschung, Zürich 1976; J. van Seters, Der Jahwist als Historiker, ThSt(B) 134, Zürch 1987; C. Levin, Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993.
16) Eine vergleichbare Einschätzung der priesterlichen Texte vertreten J.-L. Ska, Quelques remarques sur Pg et la dernière rédaction du Pentateuque, in: A. de Pury (Hrsg.), Le Pentateuque en question. Les origines et la composition des cinq premieres livres de la Bible à la lumière des recherches récentes, MoBi 19, Paris 21989, 95–125, und C. Berner, Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels, FAT 73, Tübingen 2010. Blum hat seine Sicht später dahin präzisiert, dass die priesterlichen Textanteile weder als Quelle noch als Redaktion kategorisiert werden könnten, sondern unterschiedlichen Kompositionsweisen folgen. Er hält jedoch an seiner prinzipiellen Einschätzung fest, dass es sich bei den priesterlichen Texten um eine »nicht-selbständige Textschicht« handelt (vgl. Blum, Studien [s. o. Anm. 12], 231 f.). Den uneinheitlichen Charakter der priesterlichen Komposition haben im Anschluss an Blum auch J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen 2000, 391, und jüngst J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der pries­terlichen Passagen der Vätergeschichte, FRLANT 246, Göttingen 2012, 147–160, betont.
17) Vgl. K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen-Vluyn 1999; A. de Pury, Gottesname, Gottesbezeichnung und Gottesbegriff. ’Elohim als Indiz zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch, in: J. C. Gertz u. a. (Hrsg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, 25–47; ders., Pg as the Absolute Beginning, in: T. Römer/K. Schmid (Hrsg.), Les dernières rédactions du Pentateuque, de l’Hexateuque et de l’Ennéateuque, BEThL 203, Leuven 2007, 99–128; J. C. Gertz, Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Gen 15, in: Ders. u. a. (Hrsg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Dis­kussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, 63–81; ders. The Transition between the Books of Genesis and Exodus, in: T. B. Dozeman/K. Schmid (Hrsg.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL.SS 34, Atlanta 2006, 73–87.
18) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 186–209.
19) A. a. O., 186. Dies hat E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. (Hrsg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, 119–156, 130, zwar bestritten, dafür jedoch kaum zwingende Gründe namhaft machen können; vgl. die Einwände von T. B. Dozeman, The Commission of Moses and the Book of Genesis, in: Ders./K. Schmid (Hrsg.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL.SS 34, Atlanta 2006, 107–129, 127.
20) A. a. O., 189.
21) Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte (s. o. Anm. 10), 31 f., Anm. 103, 37.
22) Vgl. E. Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne (Hrsg.), Studies in the Book of Exodus. Redaction – Reception – Interpretation, BEThL 126, Leuven 1996, 61–111, 107–111, und zuletzt Wöhrle, Fremdlinge (s. o. Anm. 16), 154–157.
23) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 190–192, 207 f. Lediglich Ex 3,15 beurteilt er als redaktionelle Glosse.
24) Vgl. a. a. O., 191.
25) A. a. O., 191 f., vgl. bereits B. Jacob, The Second Book of the Bible. Exodus, Holboken 1992, 51 f., dessen Erklärung der determinierten Form םיהלאה als Rückverweis auf die konkrete Gestalt der Erscheinung Gottes im הוהי ךלמ (V. 2) jedoch kaum das Richtige trifft. Eine redaktionsgeschichtliche Erklärung des Phänomens hat jüngst wieder C. Levin, Integrativer Monotheismus im Alten Testament, ZThK 109 (2012), 153–175, 164, vertreten, der jedoch ausdrücklich festhält, dass »alle Versuche einer Quellenscheidung [in Ex 3 f.] gescheitert [sind]« (ebd.).
26) Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 193 f.
27) A. a. O., 195.
28) Vgl. a. a. O., 196 f. Die Anfänge der Schriftprophetie dürften im 8./7. Jh. v. Chr. zu suchen sein, vgl. J. Jeremias, Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie, in: Ders., Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton, FAT 13, Tübingen 1996, 20–33, 27–32.
29) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 198–207.
30) Vgl. a. a. O., 199.
31) A. a. O., 199 f. (Hervorhebung im Original).
32) A. a. O., 201 f.
33) A. a. O., 203. Schließlich weist Schmid noch auf die motivischen Parallelen zwischen Ex 4,1–9 und der Plagenerzählung hin sowie auf die genealogische Notiz, dass Aaron der Bruder des Mose sei (vgl. Ex 4,14), die die priesterliche Darstellung in Ex 7,1–7 redaktionell vorbereite (vgl. a. a. O., 203–206).
34) A. a. O., 208 (Hervorhebung im Original).
35) Vgl. etwa die Diskussion der Thesen Schmids bei Dozeman, Commission (s. o. Anm. 19), 117–127.
36) Vgl. Blum, Studien (s. o. Anm. 12), 22–26.
37) Vgl. W. H. Schmidt, Exodus. 1. Teilband: Exodus 1–6, BKAT II/1, Neukirchen-Vluyn 1988, 196 f.; Levin, Jahwist (s. o. Anm. 15), 331–333; Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 305–327.
38) Vgl. Levin, Jahwist (s. o. Anm. 15), 331; Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 287, Anm. 243.
39) Vgl. die divergierenden Analysen bei Schmidt, Exodus (s. o. Anm. 37), 135–144; Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 299–304; Berner, Exoduserzählung (s. o. Anm. 16), 67–104.
40) Die literarkritischen Einwände bei Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 270 f., überzeugen nicht, da V. 6a sehr wohl »eine inhaltliche […] Verbindung zur vorangehenden Gottesrede in V. 5« besitzt, der stilistische Neueinsatz mit der er­neuten Redeeinleitung mithin nicht zu beanstanden ist, und nicht zu erkennen ist, inwiefern der Versteil »den guten Zusammenhang von V. 5 und V. 6b« unterbrechen soll (vgl. schon Blum, Verbindung [s. o. Anm. 19], 137 f.).
41) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 193 mit Anm. 140.
42) Vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, UTB 2157, Göttingen 2000, 293. Aus diesem Grund folgert Levin, Jahwist (s. o. Anm. 15), 329, der Fortgang der Erzählung sei »bei der Übernahme in das jahwistische Geschichtswerk entfallen« (vgl. Gertz, Tradition [s. o. Anm. 16], 346 f.).
43) Oder sollte Ex 2,23aα literarisch mit 2,23aβ–25 zusammenhängen? Dafür könnte sprechen, dass der gesamte Abschnitt kompositorisch die nachfolgenden Ereignisse vorbereitet und dass die Zeitangabe in V. 23aα priesterlichen Einfluss erkennen lässt (vgl. Schmidt, Exodus [s. o. Anm. 37], 89). Schließlich gibt es keinen zwingenden Grund, den Versteil literarisch von den nachfolgenden Versen zu trennen, postuliert man nicht einen genuinen Erzählzusammenhang mit der Notiz in 4,19. Dies gilt umso mehr, sollten sich die priesterlichen Passagen als redaktionell und nicht quellenhaft erweisen (vgl. Berner, Exoduserzählung [s. o. Anm. 16], 58 f.62 f.). Etwas anders urteilt Kratz, Komposition (s. o. Anm. 42), 293, der V. 23a α als redaktionelle Klammer ansieht, die den priesterlichen mit dem nichtpriesterlichen Erzählfaden verknüpfe.
44) Vgl. bereits Berner, Exoduserzählung (s. o. Anm. 16), 57 f.
45) Vgl. zu den textgeschichtlichen Problemen in V. 25b die Diskussion bei Schmidt, Exodus (s. o. Anm. 37), 79, der im Anschluss an die Septuaginta (ἐγνώσθη) hier eine Nifalform von עדי liest (עדויו) und den Versteil als ur­sprüngliche Einleitung zur priesterlichen Namensoffenbarung in Ex 6,2–9 interpretiert. Eine Änderung des Konsonantentextes ist jedoch nicht nötig: Das »Erkennen« Gottes folgt dem »Sehen« wie das »Gedenken« dem »Hören« (vgl. V. 24) und bringt den Entschluss zu seinem rettenden Eingreifen zugunsten Israels zum Ausdruck (vgl. ähnlich Berner, Exoduserzählung [s. o. Anm. 16], 64 f.).
46) Dies wird durch die syntaktische Fügung we-x-qatal angezeigt, die eine Hintergrundinformation einführt, die vorzeitig zur Haupthandlung liegt (vgl. V. 7bα).
47) Die Partikel יכ hat in V. 7aβ vermutlich konsekutiven Sinn, so dass mit עדי eine Folgehandlung zum Ausdruck gebracht wird: Jahwe kennt den Schmerz seines Volkes, weil er dessen Not gehört und gesehen hat. An diesem Bedeutungsgehalt würde sich selbst bei einem emphatischen Verständnis der Partikel wenig ändern (vgl. Schmidt, Exodus [s. o. Anm. 37], 104). – Eine literarkritische Ausscheidung des Versteils (vgl. Gertz, Tradition [s. o. Anm. 16], 284–286) legt sich dagegen nicht nahe: Weder die »streng chiastische[ ] Struktur der Erhörungsaussage« in V. 7a.b α (a. a. O., 284) noch das Fehlen des Lexems בואכמ (»Schmerz«) in der spätdtr Rezeption des Passus in Dtn 26,7 vermögen m. E. eine endredaktionelle Herkunft des Satzes hinreichend zu begründen.
48) Den redaktionellen Charakter des Abschnitts betont auch Berner, Exoduserzählung (s. o. Anm. 16), 63–65.
49) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 201 f.
50) Die appositionelle Näherbestimmung הברה in Ex 3,1bβ ist sehr wahrscheinlich redaktionell, vgl. Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 263–266.
51) Dafür könnte der lautmalerische Anklang von senæh (»Dornstrauch«) an sînaj sprechen, der in Verbindung mit dem Motiv des Gottesberges kaum zufällig sein wird. Eine ältere Kultätiologie, die von der Entdeckung eines (Baum-) Heiligtums am Rand der Wüste durch Mose berichtete (vgl. H. Greßmann, Mose und seine Zeit. Ein Kommentar zu den Mose-Sagen, FRLANT 18, Göttingen 1913, 23–31; Levin, Jahwist [s. o. Anm. 15], 329 f.) lässt sich dagegen auf literarkritischem Weg nicht mehr rekonstruieren. Sie könnte höchstens als überlieferungsgeschichtliche Vorlage der Berufungserzählung erschlossen werden; der text­-liche Befund legt eine solche Annahme m. E. jedoch nicht nahe.
52) Es ist erwogen worden, dass die Ankündigung des Beglaubigungszeichens in V. 12aβ.b der Zusage göttlichen Geleits in V. 12aα redaktionell hinzugefügt wurde (vgl. Gertz, Tradition [s. o. Anm. 16], 292–294). Dafür könnte der retrospektive Charakter des Zeichens sprechen, das die Autorität des Mose erst post festum erweisen würde. Dieses Konzept erinnert an das Kriterium zur Unterscheidung zwischen wahrer, von Jahwe autorisierter und falscher Prophetie, die erst im Rückblick auf das eingetroffene Gotteswort möglich ist (vgl. Dtn 18,21 f.; Jer 28,9). Das Konzept dürfte eng mit dem Aufkommen der klassischen Unheilsprophetie in Israel und Juda im 8./7. Jh. v. Chr. zusammenhängen, in deren Gefolge das Problem der prophetischen Legitimation virulent wurde, das zwar im Jeremiabuch prominent hervortritt, dort jedoch kaum seinen Ursprung hat. Angesichts der schriftprophetischen Färbung der Berufungsszene in Ex 3 f. ist dieser Traditionsbezug jedoch kein hinreichender Grund, den Versteil der älteren Erzählung abzusprechen, zumal das Beglaubigungszeichen hier nicht dem Ausweis der Legitimation des Mose vor den Israeliten gilt (vgl. 4,1–9), sondern seiner eigenen Vergewisserung, dass Jahwe mit ihm ist.
53) Vgl. zu den identifikatorischen und explikatorischen Funktionen des nominalen Satzgefüges הוהי ינא in Ex 6,2–8 A. A. Diesel, »Ich bin Jahwe«. Der Aufstieg der Ich-bin-Jahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus, WMANT 110, Neukirchen-Vluyn 2006, 95–118. Die Bezeichnung der Wendung als »Selbstvorstellungsformel« ist im Sinne einer Selbstidentifikation des Sprechers zu präzisieren.
54) Vgl. Schmid, Erzväter (s. o. Anm. 17), 199 f.
55) Gertz, Tradition (s. o. Anm. 16), 339–345, hat die Verse hingegen einer endredaktionellen Bearbeitung zugewiesen, die damit die erneute Berufung des Mose durch Gott in Ex 6,2–13 vorbereiten wollte (vgl. schon Levin, Jahwist [s. o. Anm. 15], 330). Der redaktionsgeschichtliche Befund ist jedoch mehrdeutig, vgl. Schmidt, Exodus (s. o. Anm. 37), 248–250.
56) Es ist weithin anerkannt, dass Ex 4,(10)13–16 einen redaktionellen Nachtrag bilden, der mit der Einfügung Aarons in Ex 5* zusammengehört vgl. Schmidt, Exodus (s. o. Anm. 37), 190 f., Blum, Studien (s. o. Anm. 12), 27 f. Weniger gesichert ist dagegen, dass der Einschub bereits die priesterliche Einleitung des Plagenzyklus in Ex 7,1 f. voraussetze (so Gertz, Tradition [s. o. Anm. 16], 315–320), in der Aaron ausdrücklich als »Prophet des Mose« bezeichnet wird. Hier wird begrifflich auf den Punkt gebracht, was in Ex 4,13–16 der Sache nach vorgegeben ist (vgl. Jer 1,6–9). – Die Inkonsistenzen in Ex 6,10–13 würden etwas gemildert, wenn Ex 7,1 f. ursprünglich direkt an 6,12 angeschlossen hätten, wie dies häufig vermutet wird. Jedoch gibt es für eine literarkritische Ausscheidung von V. 13 keine zwingenden Gründe. Die redaktionelle Einschaltung der genealogischen Liste in Ex 6,14–27 setzt die Notiz bereits voraus, anderenfalls bliebe es schwer verständlich, warum der Bearbeiter den Dialog zwischen Gott und Mose redaktionell unterbrochen haben sollte, um sein genealogisches Material einzufügen, wo sich ihm nach Ex 7,6 f. ein ganz natürlicher Ort dafür geboten hätte. Ex 7,1–7 entkräften überdies den Einwand des Mose aus 6,12 nicht, sondern bestärken ihn noch: Selbst der gemeinsame Auftritt von Mose und Aaron wird den Pharao nicht umstimmen, dies geschieht erst unter dem Eindruck der gewaltigen Zeichen, die Gott vor dem Pharao wirkt (vgl. V. 4 f.), womit sich die Verse als Einleitung zum Plagenzyklus und nicht als Abschluss der Moseberufung zu erkennen geben.
57) Darin wirkt das prophetische Mosebild aus Ex 3–4 nach (vgl. noch die Einleitung des Gotteswortes durch ןכל in V. 6a).
58) Bereits in Ex 3,13 f. ist Israel der eigentliche Adressat der Selbsterschließung Jahwes. Als Legitimationserweis des Mose kann die Frage der Israeliten jedoch nur dienen, wenn diesen der Gottesname vorher bereits bekannt ist. Das Wortspiel mit dem Namen הוהי zielt demnach weniger auf eine Selbstvorstellung als auf einen Selbsterweis Jahwes als des rettenden Gottes Israels (vgl. V. 12a).
59) Alter, Umfang und Programmatik eines solchen Werkes können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden. Die bisherigen Beobachtungen deuten darauf hin, dass es sich um ein Erzählwerk handelt, das bereits unter dem Einfluss der frühen Schriftprophetie steht. Es zeigt seinerseits Spuren redaktioneller Bearbeitung und wird kaum vor dem 7. Jh. v. Chr. anzusetzen sein. Die Motivik der sog. Väterverheißungen, die vermutlich das kompositorische Rückgrat des Erzählwerks gebildet haben, könnten in die gleiche Zeit weisen. Die poli­-tischen Umbrüche im Gefolge der neuassyrischen Westexpansion im 8./7. Jh. v. Chr. würden einen plausiblen Hintergrund für die narrative Selbstreflexion über die Identität Israels und seines Gottes abgeben. Die vorgelegten Beobachtungen zur literarischen Komposition der Berufungserzählung des Mose behalten jedoch unabhängig von der Datierung des Erzählwerkes ihr Gültigkeit.
60) Die priesterlichen Texte dürften eher als Fortschreibungen zu bestimmen sein, die einen älteren Erzählfaden redigieren und mittels hermeneutischer Programmtexte und übergreifender Erzählbögen restrukturieren. Dieses Werk könnte als »Neuerzählung« oder »Neuausgabe« bezeichnet werden. Das Schwanken in der Beurteilung der priesterlichen Passagen zwischen selbständiger Quellenschrift und redaktioneller Bearbeitungsschicht, das die aktuelle Debatte kennzeichnet (s. o. Anm. 16), spiegelt das uneinheitliche Verfahren in der Neubearbeitung des Stoffes, die teils vorgegebenes Erzählgut bearbeitet, teils programmatische Brückentexte einfügt und auf diese Weise der älteren Erzählung ein neues Gepräge gibt, ohne deren literarische Struktur im Kern zu verändern – ein redaktionelles Verfahren, das sich in vergleichbarer Form in der deuteronomistischen Bearbeitung der Vorderen Propheten zeigt.
61) Vgl. mit unterschiedlichen Präzisierungen die Beiträge in den Sammelbänden von J. C. Gertz u. a. (Hrsg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, T. B. Dozeman/K. Schmid (Hrsg.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL.SS 34, Atlanta 2006, und T. B. Dozeman u. a. (Hrsg.), The Pentateuch. International Perspectives on Current Research, FAT 78, Tübingen 2011.
62) Im sog. »Münsteraner-Pentateuchmodell«, das maßgebend von Erich Zenger und Peter Weimar entwickelt worden ist, wird für die vorpriesterliche Pentateucherzählung bekanntlich die Bezeichnung »Jerusalemer Geschichtswerk« verwendet (vgl. Zenger, Einleitung [s. o. Anm. 2], 123–125).