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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1339–1341

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pierce, Chad T.

Titel/Untertitel:

Spirits and the Proclamation of Christ. 1 Peter 3:18–22 in Light of Sin and Punishment Traditions in Early Jewish and Christian Literature.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XX, 289 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 305. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-150858-5.

Rezensent:

Gudrun Guttenberger

1Petr 3,18–22 gilt allgemein als crux interpretum: nicht nur, weil hinsichtlich des semantischen Gehalts und des traditionsgeschichtlichen Hintergrunds insbesondere der Verse 19–21 eine über­durchschnittlich entwickelte Ambiguitätstoleranz vonnöten ist, sondern auch – und vielmehr – weil sich die Funktion dieser Sätze für den gesamten Brief nur schwer erschließt. Bekanntlich ist der Text für den Topos des descensus ad inferos von großer Bedeutung, so dass der Abschnitt auch außerhalb der exegetischen Wissenschaften auf besonderes Interesse stößt. Die zu besprechende, bei Loren Stuckenbruck angefertigte und 2009 von der Faculty of Theology der University of Durham als Dissertation angenommene Untersuchung von Chad T. Pierce weckt deswegen Erwartungen.
Die Arbeit zielt auf die weitere Erhellung des traditions- und motivgeschichtlichen Hintergrunds insbesondere der Verse 19–21. Als Ziel formuliert P., »to catalogue and to discuss the development of early Jewish and Christian Literature regarding cosmic and human sin and punishment traditions to determine how they may illuminate the understanding of 1Pet 3:18–22« (2).
P. beginnt mit einem Kapitel zur Forschungsgeschichte, das mit einer kurzen Skizze seines Vorhabens und seiner Thesen endet. Das zweite Kapitel ist der Untersuchung des Wächterbuchs (ÄthHen 1–36) als ältester Zusammenstellung relevanter Überlieferungen gewidmet, das dritte Kapitel fragt nach deren Rezeption und Wei­terentwicklung sowie nach den o. g. Motiven in späteren Texten, zunächst innerhalb des Henochbuchs, sodann im Gigantenbuch, bei Pseudo-Eupolemus, im Jubiläenbuch, in weiteren apokalyp­-tischen Texten (syrBar, grBar, ApkAbr), in der Qumran-Literatur, im Buch Tobit und weiteren weisheitlichen Texten (Sir, SapSal, Sib), im Neuen Testament (Mk, Jud, Apk), bei Philo und schließlich im slavHen sowie in den TestXII.
Als Fazit des 2. Kapitels formuliert P., »that the term ›spirits,‹ those who sinned in the days of Noah, and those who are imprison­ed could refer to both cosmic and human beings. Additionally, even BW (= Book of Watchers, G. G.) contains the various punishment myths in a conflated state.« (57) Schon hier zeichnet sich ab, dass die Adressaten der Verkündigung in 1Petr 3,19 durch eine traditionsgeschichtliche Untersuchung nicht eindeutig zu bestimmen sein werden. Die einzelnen Abschnitte des dritten Kapitels setzen zu­meist mit einer sehr kurzen Besprechung von Einleitungsfragen ein, wählen Texte aus, paraphrasieren sie und fragen nach dem Verhältnis zum Wächterbuch sowie möglichen Relevanzen für den 1Petr. Durchgehend wird konstatiert, dass »authors are utilizing the watcher and giant myths and reapplying them for their own purposes« (109 zu PsEup).
Das vierte Kapitel fragt nach dem Ertrag für die Interpretation von 1Petr 3,19–21 und kommt zu dem Ergebnis, dass »none of them [scil. sin and punishment traditions, G. G.] provide the background to 1Petr 3:18–22« (236). Auf der Grundlage dieses ernüchternden Ergebnisses und ermutigt durch die Beobachtungen, dass auch in den übrigen untersuchten Texten einzelne Motive der Tradition abhängig von den Intentionen des jeweiligen Verfassers rezipiert und neugeformt werden (vgl. 192 u. ö.), versucht P. im Folgenden eine Interpretation der Verse im Briefkontext: »Then, 1 Peter itself will be evaluated to determine how its author might be using the fallen angel/giant myth to support his purpose.« (192; vgl. 204.236 f.)
P. bestimmt den Brief als »apocalyptic in thought« (203); die Marginalisierungs- und Verfolgungserfahrungen der Adressaten verstehe der Verfasser des 1Petr als eschatologische Krise, die zu bestehen er dadurch anleite, dass er »primordial imagery« (ebd.) dazu verwende, seinen Rezipierenden zu versichern, »that Christ has already achieved some sort of victory over evil at his death and ressurection« (ebd.). Die vorgelegte Interpretation von 1Petr 3,18–22 von der »overall message« (204) des Briefes her lässt sich wie folgt umreißen: 1Petr 3,19 zeichne einen Christus Victor: »the message portrayed in 1 Pet 3:19 is one of victory given by the risen Christ« (207), die sich auf den Sieg über die Mächte des Bösen (212) beziehe. Diese Mächte des Bösen seien einerseits als kosmische Kräfte zu verstehen, andererseits aber angesichts der erlittenen Marginalisierung auch auf die römischen Behörden und Bürger zu beziehen: »In the case of 1 Peter, this group [= die Gruppe derjenigen Menschen, denen für das irdische Böse Verantwortung zugeschrieben wird, G. G.] would no doubt be understood as the Roman government and its citizens.« (214) Eine solche »realized eschatology« (237) habe in­nerhalb des Briefes die Funktion, seine Adressaten zu trösten, indem ihnen die Teilhabe an der Erhöhung Christi zugesagt werde (238).
Leider zeigt die Arbeit einige methodische und argumentative Schwächen. In methodischer Hinsicht ist zunächst die nicht ausreichende Differenzierung zwischen traditions-, rezeptions- und motivgeschichtlichen Fragestellungen und deren jeweiliger Reichweite zu bemerken, die zu unangemessener Verwunderung und zu weitreichenden Schlüssen führt. Die Untersuchung einzelner Texte und Textgruppen (deren Zusammenstellung und Reihenfolge nicht immer plausibel ist) wird in ihrem Wert dadurch gemindert, dass die Kriterien der Textauswahl nicht immer transparent gemacht werden und auch nicht durchgehend überzeugen können (besonders eklatant bei der Untersuchung von »New Testament Literature«, 161–168, nur Mk, Jud und Apk; zum Markusevangelium z. B. ausschließlich Mk 5,1–20), sowie dadurch, dass die Analyse der ausgewählten Stellen nicht immer methodisch ausreichend differenziert und – wenn schon nicht am Forschungsstand, dann doch immerhin – an Standardliteratur orientiert erfolgt. Im 4. Ka­pitel ist die Argumentation leider überwiegend deduktiv, ohne dass die »overall message« des Briefes eigenständig erhoben und diskutiert würde. Die gesamte Untersuchung erhält damit einen idiosynkratischen Zug, auch wenn dieser in der Zusammenfas-sung durch vorsichtigere Formulierung und die Kennzeichnung von Hypothesen gemildert wird.
In argumentativer Hinsicht ist zu bedauern, dass detaillierte, mit philologischem Instrumentarium durchgeführte Textanalysen nicht ganz selten und sogar im 4. Kapitel hinter Referate der Sekundärliteratur zurücktreten und sich die Argumente für die Bevorzugung einer Interpretation zuweilen weniger durch Textbeobachtungen als vielmehr durch deren Anpassung an die schon mehrfach erwähnte »overall message« ergeben.
Gleichwohl ist es erfreulich, eine Arbeit anzeigen zu können, die sich so ausführlich einem der schwierigsten Texte des 1. Petrusbriefes widmet und traditionsgeschichtlich relevante Texte konzentriert zusammenstellt.