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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1337–1339

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Münch, Stephan

Titel/Untertitel:

Das Geschenk der Einfachheit. 2 Korinther 8,1–15 und 9,6–15 als Hinführung zu dieser Gabe.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2012. 246 S. = Forschung zur Bibel, 126. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-03526-6.

Rezensent:

Folker Blischke

Der sowohl im Blick auf Entstehung und Einheitlichkeit als auch auf den theologischen Gehalt am stärksten umstrittene Paulusbrief, der 2. Korintherbrief, wird maßgeblich durch die beiden Kollektenkapitel 8 und 9 geprägt. Die an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt bei Norbert Baumert SJ 2009 verfasste und für die Drucklegung überarbeitete Promotionsarbeit von Stephan Münch will anhand einer umfassenden semantischen und syntaktischen Analyse dieser Kapitel einen neuen Impuls für die »geistliche Dimension« (17) des 2. Korintherbriefes liefern.
In einer Durchsicht der bisherigen Forschungsgeschichte wird im Einleitungskapitel aufgezeigt, dass die bisherigen Untersuchungen »sich schwerpunktmäßig entweder auf das Wesen der Kollekte beziehen, den Zusammenhang der Kollekte mit der Mission des Paulus untersuchen, oder die Kollekte in die soziokulturelle Umwelt einordnen« (17). Demgegenüber entscheidet sich der Vf. in Anlehnung an die von seinem Doktorvater praktizierte Methodik für eine präzise und detailreiche Untersuchung der syntaktischen, stilistischen und semantischen Zusammenhänge. Für diese Analyse wird vom Vf. eine Komposition des 2Kor aus den drei zeitlich aufeinander folgenden Teilen Apologie (2Kor 2,14–7,39), Tränenbrief (2Kor 10,1–13,10) und Freudenbrief (2Kor 1,1–2,13; 7,4–9,15) vorausgesetzt. Daraus folgt, dass die beiden Kollektenkapitel in ihrer kanonischen Reihenfolge vom Apostel Paulus verfasst wurden. Der Vf. begründet diese Verbindung zusätzlich durch eine Statistik von elf Stichwörtern (21–23).
Das erste Kapitel des Buches beschreibt zuerst die historische Wortsemantik von ἁπλότης (25–40) und χάρις (40–74), auf die eine syntaktische Analyse der Verwendung von δέομαι und der Satzkonstruktion 2Kor 8,1–5 folgt (74–87). Während ἁπλότης meist durch den klassischen Gebrauch als »Freigiebigkeit« übersetzt wird, erkennt der Vf. in dem Terminus das jüdische Motiv des »einfachen Gebens«. Anzumerken ist, dass für dieses Ergebnis die frühjüdischen Vergleichstexte umfassend untersucht werden, sich die Analyse des Wortgebrauchs in der hellenistisch-römischen Um­welt aber auf die Wiedergabe von Lexika beschränkt. Eine eigenständige Position ergibt auch die Analyse von χάρις, worunter kein von Paulus bereits fest geprägter theologischer Begriff, sondern ein bedeutungsoffen verwendetes Wortfeld verstanden wird.
In einem zweiten Kapitel wird 2Kor 8,1–15 (88–151) detailreich ausgelegt und anschließend die Empfehlung des Titus in 2Kor 8,16–24 (152–157) kurz skizziert. Mit der Mehrheit der Ausleger identifiziert der Vf. 2Kor 8 als paulinisches Motivationsschreiben, die Kollekte für Jerusalem stärker als bisher voranzubringen. Der Schwerpunkt liegt für Paulus aber nicht auf dem zu sammelnden Betrag, sondern auf der die Korinther selbst betreffenden geistlichen Dimension des Gebens. Indem sie durch ihr »Geben in Einfachheit« (103 u. ö.) ihre Liebe zu Gott ausdrücken, entsprechen sie dem Verhalten Christi. Alttestamentliche Parallele zum Geben als Ausdruck innerer Gesinnung ist die Aufforderung zum Tempelbau in 1Chr 29 (109–114), wobei offen bleibt, ob der Vf. nur eine sachliche Parallele oder eine direkte paulinische Anlehnung erkennt.
Nach einer kurzen Darstellung der Aufgabe der Abgesandten in 2Kor 9,1–5 (158–166) wird im dritten Kapitel dann anhand von 2Kor 9,6–11 die Befähigung zum Geben in Einfachheit (167–196) und durch die Analyse von 2Kor 9,12–15 die Auswirkung des Gebens in Einfachheit (197–213) beschrieben. Entscheidend ist hierbei, dass Gott einerseits durch die χάρις bereits die Herzenshaltung schenkt, die das »Geben in Einfachheit« ermöglicht, und andererseits das zum Dank der Empfänger führende Wachstum der Gaben bewirkt.
Mit ihren detailreichen und präzise beobachtenden semantischen und syntaktischen Analysen gelingt es der Studie »Das Geschenk der Einfachheit«, über die bisherigen Interpretationszugänge hinaus die geistliche Ausrichtung der paulinischen Argumentation gegenüber den korinthischen Adressaten in den Mittelpunkt zu stellen. Zudem findet jeder, der sich intensiv mit den Kollek­ten­kapiteln beschäftigt, ausgewogene Antworten auf exegetische Einzelfragen. Unabhängig davon, ob man alle Schlüsse des Vf.s selbst verifizieren kann, bildet der Gedanke der »Einfachheit des Gebens« ein interessantes Bezugsfeld für den weiten Denkhorizont der paulinischen Theologie. Mit diesem Gewinn der vom Vf. gewählten Methodik korrespondiert allerdings die Gefahr, sich zu sehr auf Details zu konzentrieren und die theologische Hauptlinie der Kollektenkapitel aus dem Auge zu verlieren. Wünschenswert wäre zudem ein deutlicherer Bezug auf die in der paulinischen Forschung umstrittenen Fragen gewesen, die in 2Kor 8–9 anklingen. So wird z. B. die aus der Darstellung entstehende Frage, wie sich im paulinischen Denken die von Gott geschenkte Herzenshaltung des einfachen Gebens zur Notwendigkeit der paulinischen Mahnung zum Geben verhalte, nicht thematisiert. Auch die Auswirkung einer Verbindung zu 1Chr 29 wird kaum im Blick auf die Erwählungstheologie des Apostels reflektiert. Weiterhin ist anzufragen, ob die im Eingangsteil vor den exegetischen Analysen nur kurz begründete Dreiteilung des 2. Korintherbriefes nicht bereits einen Teil der späteren Ergebnisse determiniert. Auch mit diesen Anfragen ist »Das Geschenk der Einfachheit« ein lesenswertes und durch die Indizes auch punktuell zu erschließendes Buch, das den Blick neu auf syntaktisch-semantische Zusammenhänge der Kollektenkapitel richtet.