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Ausgabe: | November/2013 |
Spalte: | 1276–1277 |
Kategorie: | Praktische Theologie |
Autor/Hrsg.: | Först, Johannes, u. Heinz-Günther Schöttler [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Einführung in die Theologie der Pastoral. Ein Lehrbuch für Studierende, Lehrer und kirchliche Mitarbeiter. |
Verlag: | Berlin u. a.: LIT Verlag 2012. 333 S. = Lehr- und Studienbücher zur Theologie, 7. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-643-11435-8. |
Rezensent: | Birgit Weyel |
Mit dem von Johannes Först und Heinz-Günther Schöttler vorgelegten Band nimmt man ein Studienbuch im besten Sinne des Wortes zur Hand, das sich nicht nur zur Einführung in die katholische Pastoraltheologie sehr gut lesen lässt, sondern auch zur Auseinandersetzung mit zentralen Fragen der Praktischen Theologie anregt. Die beiden Regensburger Pastoraltheologen haben sich für eine Form entschieden, die den Wissensbestand nicht einfach als ausgewähltes Fachwissen elementarisiert, sondern auf gegenwärtige Herausforderungen der Pastoral zuspitzt und hier auch eigene Ansätze pointiert präsentiert. So gesehen ist es nicht nur ein Lehrbuch für Studierende und in Kirche und Schule Mitarbeitende, sondern auch ein Beitrag zur Selbstverständigung der Praktischen Theologie und eine Bestandsaufnahme gegenwärtiger katholischer Pastoraltheologie. Insbesondere Johannes Försts Einleitung Grundlinien einer Theologie der Pastoral (2–20) trägt zu dieser Selbstverständigung bei.
Die Texte, an denen weitere 14 Autoren und Autorinnen mitgewirkt haben, sind in drei Teilen systematisiert. In einem ersten Teil Grundlegendes findet sich ein Beitrag von Reinhard Feiter, Les-arten– Ansätze zu einer praktisch-theologischen Hermeneutik (21–46), in dem unter vielfältiger Bezugnahme auf die Geschichte der Hermeneutik, die theologische, insbesondere neutestamentliche Hermeneutik Hans Weders und das Neue Testament der Situationsbezug der Pastoraltheologie unterstrichen wird.
Ziel dieses ersten materialen Kapitels ist es, das »Bewußtsein für die hermeneutische Situation« (34) zu schärfen. Roman A. Siebenrock zeichnet in seinem Kapitel zu Diakonia, Leiturgia, Martyria und Koinonia (47–66) die Grunddimensionen christlicher und kirchlicher Existenz als Ausdruck der Kirche als universalem Sakrament des Heils nach. Hier wird ein Grundtenor des Buches besonders deutlich, nämlich die Individualisierung des Religiösen nicht als Säkularisierung zu verstehen, sondern als einen Transformationsprozess, der mit einer massiven Entkirchlichung einhergeht. Insbesondere die Entkirchlichung wird im zweiten Teil (Pastorale Orte) sehr deutlich beim Namen genannt. In die erste Rubrik fällt noch ein Kapitel von Johannes Först zur Bedeutung der Empirie: Empirie und (Pastoral-)Theologie: Wirklichkeitsrezeption als eine Bedingung pastoraler Praxis und Gottesrede (67–80). Empirie wird nicht mit empirischer Sozialforschung gleich gesetzt, sondern weiter verstanden als erfahrungsbezogene Theologie, d. h. als eine »weit gefasste wirklichkeitsrezeptive Struktur des Menschen, die alle anthropologischen […] gleichwie sozialen und kulturellen Dimensionen des Menschen umfasst« (69). Dieser weit gefasste Erfahrungsbezug der Praktischen Theologie ist sehr gut nachzuvoll-ziehen, auch wenn damit noch viele Fragen nach der Verhältnisbestimmung von empirischer Forschung und praktisch-theolo-gischer Theoriebildung unbeantwortet bleiben. Der Beitrag von Johanna Rahner mit dem Titel Zwischen U-Topie und Transit – Kirche und Welt heute (81–104) ist ein starkes Plädoyer für eine wahrnehmungsorientierte, ›weltliche‹ Pastoraltheologie, für die die religiösen Selbstkonzepte der Menschen konstitutiv sind. In diesem Beitrag wird sehr stark die problemorientierte Zuspitzung des Studienbuchs deutlich, die sich hier in einem appellativen Duktus auf sympathische Weise niederschlägt. Der zweite Teil wird durch einen sehr lesenswerten Beitrag von Winfried Gebhardt zu Volksfrömmigkeit und populäre[r] Religiosität (105–128) eröffnet. Er bietet sehr gute Anschlüsse an die Religionssoziologie und erleichtert das Verständnis der nachfolgenden Beiträge zur Krise der Gemeinde (129–164), in denen Herbert Haslinger sehr scharf eine »fehlende Passung zwischen den Praktiken und Plausibilitäten der Sozialform ›Gemeinde‹ einerseits und den Lebensformen und Lebensanforderungen der Menschen unter den Bedingungen einer individualisierten bzw. pluralisierten Gesellschaft andererseits« (136) feststellt und dabei auch Ursachen benennt, die nicht nur in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen liegen. Hinter Bernhard Spielbergs etwas nebulösem Titel Schmetterlinge in der pastoralen Landschaft oder: Wo sich die neue Gestalt der Kirche entpuppt (165–190) findet sich eine ausgezeichnete Darstellung neuer Formen von Vergemeinschaftung, die von Roland Hitzler u. a. als Hybridformen des Religiösen analysiert wurden. Es schließen sich noch Beiträge von Angela Kaupp zur Schulpastoral (191–212) und von Isidor Baumgartner zur Pastoral an den Orten der Armen und Bedrängten (213–240) an. An der Zusammenstellung der Beiträge zeigt sich hier, dass die angestammten Orte des kirchlichen Lebens eher als kritikbedürftig thematisiert werden und lebensweltlich orientierte Tätigkeitsbereiche als zukunftsfähige Gelegenheiten kirchlich-religiöser Gestaltung in den Blick kommen.
Der letzte und dritte Teil Realisierungen eröffnet wiederum mit grundlegenden Beiträgen, zu Kirchenkrise, Kirchenferne und Säkularisierung … und dennoch Pastoral von Johannes Först (241–264) sowie Interkulturalität – Interreligiosität – Interkonfessionalität. Die theologisch-pastoralen Herausforderungen einer globalisierten Welt annehmen (265–284) von Stefan Knobloch, die beide den Tenor des Buches sehr stark machen. Kirchliche Praxis in der Gegenwart kann nicht einfach wie bisher mit mehr oder weniger leichten Anpassungsbemühungen fortgesetzt werden, sondern es bedarf einer Neuorientierung, die die starke Veränderung der Bedingungen von Kirche und Religion in der Gesellschaft als Weichenstellungen akzeptiert. Die Beiträge von Klaus-Gerd Eich und Georg Köhl unter dem Titel Lern-Ort Praxis. Erfahrungs- und praxisbezogen Theologie und Seelsorge lernen (285–304) sowie von Rolf Fuchs, Helmut Scharler und Maria Widl über Das seelsorgliche und pastorale Gespräch (305–326) haben eher Einführungscharakter und weniger Grundlegungscharakter. Insbesondere letzterer ist in seiner Darstellung sehr elementar, konkret und handlungsorientiert. Das Buch, zu dem Johannes Först die meisten Beiträge beigesteuert hat, ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass auch Einführungsliteratur Grundlegendes bieten kann. Neujustierungen im Selbstverständnis der Praktischen Theologie gehören zu ihrer Geschichte dazu.
Diese katholische Pastoraltheologie dokumentiert ein gestiegenes Selbstbewusstsein gegenüber den anderen theologischen Disziplinen, insbesondere der Systematischen Theologie, zu dem man nicht nur gratulieren möchte, sondern das man auch sehr gut nachvollziehen kann angesichts der Veränderungen in der Praxis, die die Pastoraltheologie seismographisch-sensibel wahrnimmt. Schnittmengen, gemeinsame Diskurse zwischen katholischer Pastoraltheologie und protestantischer Praktischer Theologie werden immer dann besonders deutlich, wenn es um Bezugnahmen auf die Religionssoziologie als Referenzwissenschaft geht. Es lassen sich viele Parallelen entdecken, die allerdings oft nicht ausdrück-lich gemacht werden. Dieser Band ist daher auch ein Spiegel für eine nicht immer fachlich gebotene konfessionelle Aufspaltung der praktisch-theologischen Wissenschaftskulturen und ein Anreiz dafür, mehr noch wechselseitig ins Gespräch zu kommen.