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Ausgabe: | Oktober/2013 |
Spalte: | 1157–1160 |
Kategorie: | Praktische Theologie |
Autor/Hrsg.: | Weyen, Frank |
Titel/Untertitel: | Kirche in der finanziellen Transformation. Fundraising für evangelische Kirchengemeinden. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 416 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 50. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03068-2. |
Rezensent: | Dieter Becker |
Mit seiner Dissertation, die nun als Buch vorliegt, will Frank Weyen – so der mehrfach betonte Selbstanspruch – Fundraising einerseits als »Veranlassungswissenschaft zum Tun des Guten« (73 passim) etablieren und anderseits als (neue) theologisch-wissenschaftliche Disziplin begründen. W. bestimmt Fundraising in folgender – von mir diachron und verkürzt dargestellten – Dreigliedrigkeit: als langfristiges Beziehungs- und Beteiligungsmanagement mit »Randsiedlern« einer Kirchengemeinde, als notwendige Geldmittelbeschaffung zur ergänzenden Alimentierung von Kirchengemeinden und als kirchenleitende Aufgabe. Diese Positionen entwickelt W. über drei Hauptteile.
Der erste Hauptteil (Kapitel II.2, 32–97) beschreibt die drei Grundannahmen W.s. Zunächst (32–63) wird der Mensch über eine Kultur des Gebens und Schenkens als homo generosus aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln wie der Soziologie (Bourdieu – familialer Aspekt des Gebens), der Neurophysiologie oder der seltsam linear dargestellten Forschung zum Verhalten des Menschen (»Menschen [geben] vor allem, um damit Beziehungen zu anderen zu schaffen, zu festigen und zu pflegen.«, 61) konstatiert.
Sodann (64–71) werden Fundraising und dessen betriebswirtschaftliche Technika als verpflichtende Führungsaufgabe der Kirchen(-gemeinde) gefordert, sofern Fundraising erfolgreich sein soll. Schließlich (72–96) konstatiert W. als dritte »Prämisse« Fundraising als (den) notwendigen (Lösungs-)Schritt hin zu einer finanziellen Transformation der Kirchengemeindefinanzierung. Dabei geht er handlungsleitend von der (überholten) Prognostik des Kirche-der-Freiheit-Papiers von 2006 und der Handlungsperspektive (10. Leuchtfeuer: »Ergänzende Finanzmittel«) aus. Klärend betont W., dass Fundraising »ein Derivat der Wirtschaftswissenschaften im Sinne eines ›Marketings für den guten Zweck‹« (94) ist. Später (275) wird folgerichtig ausgeführt: »Das Fundraising ist eine typische Erscheinung der Geld- und Kapitalwirtschaft und methodisch von den der kapitalistischen Geldwirtschaft zugrunde liegenden Mechanismen und Methoden abhängig«.
Die vorgestellten Prämissen W.s, vor allem deren Herleitungen bzw. Begründungsmuster, erscheinen teils willkürlich und unsystematisch. Verwendete Begriffe sind zudem teils vieldeutig eingeführt. Beispiele: »Marketing« wird scheinbar als homogener Begriff verstanden, was er natürlich nicht ist. Ob W. Marketing als Methodenlehre von Technika versteht oder auch mit als »kundenorientierte Unternehmensführung« (nach Heribert Meffert), bleibt ungewiss. Selbst der Begriff »Fundraising« wird heterogen verwendet. Als Meta- oder Oberbegriff für eine neue Wissenschaftsdisziplin wird er zur »Anwendungswissenschaft zum Tun des Guten« (104) oder als Methodenkatalog von Technika der Spendenmarktbearbeitung (104 unten) eingeführt. Dass sich beide differierenden Definitionen auf einer Seite finden und ebenso verwendet werden, erleichtert den Zugang zur Argumentationslinie nicht wirklich.
Der zweite Hauptteil (Abschnitt III, 115–166) bietet Beschreibungen der Geldmittelbeschaffung von protestantischen Kirchen(-gemeinden) in Frankreich (reformierte Gemeinde in einem Pariser Vorort, 117–126), den USA (UCC Gemeinde in Indiana, 126–160) und den Niederlanden (generell, 160–166). Dieser interessante Teil der Erfahrungsbeschreibung wird leider an manchen Stellen durch fehlerhafte bis unklare Darstellungen getrübt.
Teils sind die Fehler ärgerlich wie »amerikanische Verfassung von 1776« auf S. 126 (richtig: Unabhängigkeitserklärung von 1776 oder Verfassung von 1787) oder die beschriebene St. Peter Church in Carmel (156 ff.), die nördlich, nicht südlich von Indianapolis liegt. Teils sind die Darstellungen aufgrund fehlender Quelle nicht nachprüfbar oder es werden Daten nicht formal korrekt verglichen, Tabellen erscheinen dadurch wissenschaftlich gesehen lediglich plakativ (z. B. 158 oder auch später beim Gemeinnützigkeitsüberblick, 238). Sehr ärgerlich ist es, wenn derartige Berechnungen als normative Vergleichsdaten dargestellt werden, wie auf S. 156 (Spendenaufkommen pro US-Familie wird zum direkten Vergleich für das Pro-Kopf-Kirchensteueraufkommen von 30 % der deutschen Kirchsteuerzahler, Anm. 327). Krass wird es, wenn ohne Kursdatum bei der Umre chung von Dollar zu Euro ein Wechsel-Kurs von 1,67 $ zu 1 EUR bestimmt ist (156). Diesen Kurs hat der Euro aber niemals erreicht. Das bisheriges Euro-Allzeithoch liegt bei 1,599 $ am 15.07.2008.
Der dritte Hauptteil (Abschnitt IV – Einordnung in die Theologie, 167–330) entschädigt für manche bisher erlittene Lesepein. Sicher bleibt insgesamt unverständlich, warum bei der theologischen Einordnung von Fundraising erneut auf die überholte Prognostik des KdF-Papiers zurückgegriffen werden muss (IV.1) oder dies für die Kirche von Westfalen exemplifiziert wird (IV.2) oder sogar Philanthropie (IV.3) als Theologisches im Sinne von evangelischer Systematik (aber nicht als eine Theologie der guten Werke) etabliert ist oder schließlich der durchaus informative Vergleich der Steuersysteme der USA, Frankreich, der Niederlande mit Deutschland (IV.4, 195–240) mit politischen Forderungen nach Steuersparmodellen (239 und 343 ff.) vorgenommen wird, die nun vorrangig Spenden statt unternehmerische Film- oder Schiffsfonds begünstigen sollen (Hinweis: Derartige Steuermodelle sind schon seit der Einführung des § 15b EStG in 2005 hinfällig). Dies und der Versuch, Fundraising als kirchentheoretische Kernaufgabe zu etablieren (IV.5), lassen letztlich nur den Schluss zu, dass die dogmatische Einordnung von Spenden (IV.7, 292–308) und deren aktives Einwerben durch betriebswirtschaftliche Methoden unter dem Begriff Fundraising über einen ethischen Verantwortungsbegriff (IV.6) erfolgen sollen, und zwar als scheinbar additionale Gnadenvergewisserung (304: »Die geschenkte Zuteilung der Gerechtsprechung des Menschen in Christo ›sola gratia‹ vermitteln zu helfen und dies mit Händen und Füßen spürbar werden zu lassen, ist die primäre Bedeutung von Fundraising für den Menschen in Kirchengemeinden.«). W.s Theologie der Rechtfertigung für das Fundraising freut das calvinistische Herz, das lutherische setzt dabei des Öfteren aus.
Der historische und biblische Abschnitt (IV.8, 308–330) ist solide, verkennt aber, dass beispielsweise die paulinischen Fundraisingmailings (in den Korinther-, Römer- oder Galaterbriefen) letztlich durch eine Alltagsalimentierung die Abschließungsprozesse einer Jerusalemer Gemeinde gegenüber der Welt beförderten und letztlich eine Pleite der Gemeinde nicht verhindern konnten. Dies hat auch für das angeführte Albert-Schweitzer-Projekt in Lambarene Gültigkeit. Gleichwohl sind Alimentierungen für humanitäre Hilfspro-jekte nötig, aber hinsichtlich einer Alltagsalimentierung kirchlicher Organisationsstrukturen in Deutschland doch ungewöhnlich und erklärungsbedürftig. Ob eine strukturell-systematisch erzeugte und persönliche Geldspende dem anonymisierten Kirchensteuersystem das Wasser abgraben kann, bleibt zumindest bei den deutschen Großkirchen aufgrund der »Marktprägung« durch die umlagefinanzierte Kirchensteuer auf Einkommen umstritten.
Die erforderlichen Maßnahmen (V. Konsequenzen) zur Implementierung von Fundraising nach W. (u. a.: freiberufliche Fundraisingberater, Anschubfinanzierung, konzertierte Spendenstrategie; 336) korrelieren mit Forderungen nach einer pastoralen Dichte von 500 Gemeindegliedern bzw. 250 Familien (also freikirchlichen Gemeindegrößen). Effizienzrechnungen bei solchen Forderungen, die Pfarrgehalt samt Ausbildung- Neben- und Pensionskosten und die Verdreifachung des Pfarrpersonals einschließen, bleiben aus.
Das Projekt W.s, Fundraisings als Anwendungswissenschaft zum Tun des Guten innerhalb der Theologie und der Kirchen zu etablieren, kann letztlich aufgrund der geschilderten Methoden-, Inhalts- und Argumentationsprobleme nur als gescheitert angesehen werden. Hinsichtlich einer apologetischen Grundlage für Fundraising innerhalb der evangelischen Kirchen dürfte das Buch aber seinen strategischen Beitrag leisten.