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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1085–1086

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Steins, Georg, u. Johannes Taschner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kanonisierung – die Hebräische Bibel im Werden. M. Beiträgen v. C. Krieg, M. Millard, G. Steins u. J. Taschner.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. IV, 153 S. = Biblisch-Theologische Studien, 110. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2363-7.

Rezensent:

Manfred Oeming

Die (Wieder-)Entdeckung des Kanons und seiner Bedeutung für das Verständnis der biblischen Texte ist im vollen Gange. Sehr lange galt allein die Analyse der Vorgeschichte der Texte, ihrer Quellen und redaktionellen Bearbeitungen als einzig legitimes Geschäft der historisch-kritischen Bibelwissenschaft. Seit nunmehr 20 Jahren kommen die Einbeziehung des kanonischen Endtextes als eines intensiven Netzwerkes in den Texten selbst und die theologische Bedeutung des Phänomens Kanonisierung in den Blick, und die Literaturproduktion in diesem Geiste nimmt Fahrt auf. Zwei Forscher, die in dieser Richtung bereits maßgebliche Studien vorgelegt haben, nämlich Georg Steins (Osnabrück) und Johannes Taschner (Bethel/Wuppertal), geben hier wichtige Beiträge zur Analyse der innerbiblischen Spuren des Kanonisierungsprozesses und seiner theologischen Konsequenzen heraus.
Ihr Sammelband umfasst sechs Beiträge: Georg Steins, Zwei Konzepte – ein Kanon. Neuere Theorien zur Entstehung und Eigenart der hebräischen Bibel (8–45), stellt den klassischen Theorien zur Genese des Kanons in drei Stufen (Tora, Propheten, Schriften) neuere Theorien gegenüber (besonders von Albert de Pury, Steven B. Chapman und Karel von der Toorn) und zeigt auf, wie in der kanonischen Endgestalt die drei großen hermeneutischen Basiskonzepte der hebräischen Bibel, nämlich Tora, Prophetie und Weisheit, miteinander verzahnt werden; dabei verfolgt der Kanon ein didaktisches Ziel: die Konzentration auf Exempla des Lebens vor Gott. Johannes Taschner, »Fügt nichts zu dem hinzu, was ich euch gebiete, und streicht nichts heraus!« Die Kanonformel in Deuteronomium 4,2 als hermeneutischer Schlüssel der Tora (46–63), zeigt auf, »dass sich die Kanonformel in Dtn 4,2 nicht nur auf die schriftlich niedergelegten Mose-Reden beziehen kann, sondern die besondere geschichtliche Situation mit umgreift, in der diese Gebote und Rechte einst verkündet wurden und werden sollen« (63), d. h. die gesamte Geschichtsdarstellung der vier Bücher der Tora, die auf diesen Punkt zu läuft. Johannes Taschner, Das Deuteronomium als Abschluss der Tora (64–92), untersucht die Frage, ob durch die Abfolge der Bundesschlüsse, die in der Tora erzählt werden, die jüngeren die älteren jeweils revidieren und aufheben. Taschner verneint dies: »Im biblischen Denken veraltet das Alte nicht. Es wird nicht ›historisiert‹ oder gar ›revidiert‹, sondern bei jedem Bundesschluss gleichsam konzentriert und so verstärkend vergegenwärtigt […], dass die Tradition in jeder Generation neu mit Leben gefüllt wird.« (92) Matthias Millard, Das Tun der Tora als Thema einer kanonorientierten Lektüre des Richterbuches. Beispiele anhand der drei männlichen Hauptfiguren Gideon, Jefta und Simson (93–106), kommt zu dem Schluss: »Das Richterbuch hebt mit Beispielerzählungen vom Nichthalten der Tora einzelne Normen hervor und hat hier möglicherweise einen Bezug zur nachbiblischen rabbinischen Tradition von Kardinalgeboten« (106). Georg Steins, Mose, dazu die Propheten und David. Tora, Toraauslegung und Kanonstruktur im Lichte der Chronikbücher (107–131), zeigt exemplarisch auf, wie in der Chronik die Auslegung der Tora im Zusammenspiel der drei Pole Mose, Propheten und David durchgeführt wird. Die Kanonentstehung wird von innen heraus als »Konzept der prophetischen Auslegung wenigstens im Umriss greifbar« (7). Carola Krieg, Javne und der Kanon. Klärungen (133–152), weist auf, dass die sagenumwobene »Synode von Jamnia« mitnichten umfassende Entscheidungen über Umfang und Aufbau des Kanons getroffen habe; eine genaue Analyse der Quellen erweist, dass es um wesentlich bescheidenere Probleme ging, zum Beispiel auch um den schonenden Umgang selbst mit den kleinsten Schriftrollen und deren Schreibrändern.
Die gesammelten Beiträge illustrieren die hermeneutische Leis­tungskraft der Integration von großräumigen Kanonperspekti-ven und inspirieren zu weiteren Studien und methodologischen Durchdringungen.