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Ausgabe:

Juli/August/2013

Spalte:

814–816

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tilling, Chris

Titel/Untertitel:

Paul’s Divine Christology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XII, 322 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 323. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-151865-2.

Rezensent:

Emmanuel L. Rehfeld

Mit dieser im vergangenen Jahr veröffentlichten Monographie liegt nun die gedruckte Version der von Max Turner betreuten Dissertation des britischen Neutestamentlers Chris Tilling (geb. 1975, seit 2008 Dozent am St Mellitus College/London) vor, die bereits 2009 von der London School of Theology angenommen wurde. Die hauptsächlich in produktiver Auseinandersetzung mit Gordon D. Fees »Pauline Christology« (2007) sowie entsprechenden Beiträgen von Larry W. Hurtado und Richard J. Bauckham auf der einen und James D. G. Dunn auf der anderen Seite erarbeitete Studie will einen erklärtermaßen positiven Beitrag zu der vieldiskutierten Frage leisten, ob bzw. inwiefern man angesichts der paulinischen Homologumena von einer Divine Christology des Apostels sprechen kann und wo Ansätze dazu zu finden sind.
T.s mehrfach wiederholte Hauptthese lautet: »the Christ-relation is Paul’s divine-Christology« (9 u. ö.). Allerdings fällt in diesem Zusammenhang eine gewisse sprachliche (und wohl auch sachliche) Inkonsistenz auf, die deswegen erwähnenswert ist, weil sie auf charakteristische Probleme vieler sog. »relationaler« Ansätze verweist (vgl. dazu bes. 263–270), die der weiteren Diskussion bedürfen. Kurz gesagt: Ist die Christusbezogenheit (»Christ-relation«) der Gläubigen als solche bereits die »Divine Christology« des Apostels, oder ist – wie T. selbst andernorts formuliert! – die spezifische Verfasstheit der Christusbezogenheit lediglich die Basis, von der aus allererst auf eine Divine Christology zu schließen ist (252; vgl. 264.270)? Mit anderen Worten: Kann die These einer Divine Christology allein mit dem Hinweis auf Stellenwert und Wesen der Christusbezogenheit der Gläubigen und damit einer rein »ökonomischen« Betrachtungsweise hinreichend begründet werden (um sich einmal klas-sischer dogmatischer Ausdrucksweise zu bedienen), oder bedürfte diese These nicht doch einer stärkeren Besinnung auf die sog. »im­-manente Trinität«, mithin weitergehender und konsequenter Auswertung in Richtung auf relational-ontologische Fragestellungen? Solche Fragestellungen werden zwar hin und wieder angedeutet (s. z. B. 249.266), aber nicht weiter expliziert.
Die vergleichsweise umfangreichen, insgesamt recht redundanten Rahmenteile der Arbeit (1–74.234–257) sind einerseits der kritischen Würdigung ausgewählter Beiträge der (überwiegend angelsächsischen) Forschungsdiskussion seit 1970, andererseits der Profilierung des eigenen Ansatzes gewidmet. T. sieht darin einen »fresh approach« (6 u. ö.), den er nicht zuletzt für den gegenwärtigen systematisch-theologischen und interdisziplinären Diskurs fruchtbar machen will, wie namentlich der Anhang zeigt, der zum Nach- und Weiterdenken anregt (258–272). Hervorzuheben sind hier vor allem die Ausführungen zu einer Paulus gemäßen, d. h. relationalen Epistemologie, die freilich für nicht wenige eine ge­wisse »Zumutung« sein dürften. Der Hauptteil der Arbeit bietet neben Einzelexegesen zu 1Kor 8 und 10 (75–104) und 1Kor 16,22 (188–195) vor allem einen Überblick über einzelne Spezifika der Chris­tusbezogenheit der Gläubigen in den paulinischen Homologumena (105–180; vgl. 181–187). Den Hauptteil beschließt ein religionsgeschichtlicher Vergleich mit Sirach 44–55, dem »Leben Adams und Evas« sowie den (möglicherweise erst nach-paulinischen!) »Bildreden Henochs« (196–233).
Grundlegend für T.s These ist die Beobachtung, dass Paulus von Jesus Christus so redet, wie alttestamentliche und frühjüdische Texte von dem einen und einzigen Gott Israels reden. Dazu bediene sich der Apostel indes nicht propositionaler, sondern relationaler Sprache – ganz im Sinne des sog. »relationalen Monotheismus« des frühen Judentums, so die These (vgl. besonders 63–72.82–86). Darum erwiesen nicht so sehr die (titularen) Bezeichnungen Jesu oder bestimmte »Prärogativen« seine Göttlichkeit, sondern die Art und Weise, in der Paulus die Christusbezogenheit der Christusgläubigen charakterisiert, die präzise der Art und Weise entspreche, wie alttestamentlich-frühjüdische Texte die JHWH-Bezogenheit Israels/der Israeliten zum Ausdruck bringen.
Überzeugend ist hier vor allem der Hinweis auf die Exklusivität der Christusbezogenheit, die T. nicht zufällig anhand des 1. Korintherbriefes nachzeichnet (s. vor allem 75–104), der in seiner Abweisung des heidnisch-polytheistischen Götzendienstes (1Kor 8 und 10!) auf Christus als »alles bestimmender Wirklichkeit« (wenn man so will) und der dieser Einsicht entsprechenden exklusiv-ganzheitlichen Loyalität der Gläubigen gegenüber Christus insistiert (92 u. ö.). In diesem Zusammenhang bedient Paulus sich verschiedentlich deuteronomistischer Sprache und Motivik, und es ist einleuchtend, wenn T. für 1Kor 8,1–7 eine »christologische Lesart des Schema« (Dtn 6,4 f.) namhaft macht (83 u. ö.) und im »love-orientated relational monotheism« (82) den Dreh- und Angelpunkt der ganzen Auseinandersetzung des Apostels mit den sog. »Starken« in Korinth erblickt (88–90), die aufgrund ihres intellektualistisch-kognitiv beschränkten »Monotheismus« (87 f. unter Berufung auf V. Gäckle) die relational-exklusive Dimension der Chris­tusbezogenheit übersehen und damit in der Gefahr stehen, »gegen Christus zu sündigen« (1Kor 8,12; vgl. 92–94). Demgegenüber er­weise sich wahrer »mo­notheistischer« Glaube in seiner exklusiven Liebe zu Christus, wie T. dann auch überzeugend anhand von 1Kor 16,22 zeigen kann (188–195), und es ist zu bedauern, dass solche einzelexegetischen Abschnitte in der vorliegenden Monographie die Ausnahme bleiben, zumal die Gesamtargumentation an Überzeugungskraft ge­wonnen hätte, wenn exegetische Einzelfragen nicht – wie häufig geschehen – als irrelevant oder nicht zielführend übergangen worden wären.
Diese Tatsache entspricht indes T.s Ansatz, der sich bewusst auf die »großen Linien« konzentriert: So bietet der Mittelteil, das formale und inhaltliche Herzstück der Arbeit, im Wesentlichen einen bibelkundlichen Überblick über die »Christusbezogenheit in den Homologumena«, der mitunter sehr paraphrasierend ausfällt (105–180). Besondere Beachtung verdienen dabei die folgenden christologisch relevanten Aspekte, da sie zugleich die für T. so wesentliche Differenz gegenüber frühjüdischen Mittlerfiguren u. Ä. (s. dazu 196–233) markieren: 1. Christus ist nicht bloß »Mittel zum Zweck«, sondern selber Endziel und Antrieb christlichen Strebens (106–133). 2. Der Auferstandene ist gegenwärtig real erfahrbar als der Handelnde, als solcher aber zugleich »abwesend« (»im Himmel«) und insofern Gegenstand eschatologischer Erwartung (137–164). 3. Diese Gegenwart des Abwesenden teilt der Geist mit (M. Fatehi), der zugleich eine wesentliche Rolle in der wechselseitigen (!) Kommunikation zwischen dem Erhöhten und den Gläubigen einnimmt (164–170). – Die absolute und relative Häufigkeit der Nennung dieser Hauptaspekte der Christusbezogenheit, vor allem aber deren wiederholte wechselseitige Verknüpfung erlaubt sodann den Schluss, dass es sich bei der »Christ-relation« um ein paulinisches Konzept (»a pattern«) handelt (181–187).
Alle diese Beobachtungen zeigten schließlich, so T., dass Chris­tus ganz auf die Seite Gottes, ja in dessen einzigartige Identität hineingehöre (R. Bauckham). Die Rede von einer paulinischen Divine Christology sei darum unausweichlich.