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Ausgabe: | Juni/2013 |
Spalte: | 745–747 |
Kategorie: | Ökumenik, Konfessionskunde |
Autor/Hrsg.: | Fischer, Moritz |
Titel/Untertitel: | Pfingstbewegung zwischen Fragilität und Empowerment. Beobachtungen zur Pfingstkirche »Nzambe Malamu« mit ihren transnationalen Verflechtungen. |
Verlag: | Göttingen: V & R unipress 2011. 349 S. m. 30 Abb. = Kirche – Konfession – Religion, 57. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-89971-843-0. |
Rezensent: | Peter Zimmerling |
Das Buch ist die Druckfassung einer am Lehrstuhl für Interkulturelle Theologie/Missions- und Religionswissenschaft an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau bei Dieter Becker entstandenen Habilitationsschrift von Moritz Fischer. Sie widmet sich mit der im Kongo entstandenen Pfingstkirche »Nzambe Malamu« einer speziellen Gruppe des gegenwärtig am schnellsten wachsenden Teils der Christenheit, dem pfingstlich-charismatischen Christentum.
Erstaunlicherweise hat dieses im Rahmen der deutschen wissenschaftlichen akademischen Theologie immer noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die es aufgrund seiner weltweiten Bedeutung verdienen würde. Der Grund dafür liegt u. a. darin, dass es im Kontext der deutschen Kirchen immer noch eine zahlenmäßig kleine Minderheit darstellt. Die Untersuchung trägt dankenswerterweise zur Überwindung des Forschungsdefizits bei. Das gilt umso mehr, weil sie sich speziell einer Gruppe pentekostaler Christen zuwendet, die auch in Deutschland eine zunehmende Rolle spielt: einer ursprünglich in Afrika entstandenen Pfingstkirche, die jedoch durch Migrationsbewegungen inzwischen auch in Deutschland vor allem unter Menschen mit Migrationshintergrund Verbreitung gefunden hat. Die Studie widmet sich damit einem Segment der pfingstlich-charismatischen Bewegungen, das bisher fast gar nicht wissenschaftlich-theologisch erforscht worden ist.
Der Vf. geht induktiv vor. Seine Ausgangsthese ist, dass die Untersuchung einer transnational agierenden Pfingstkirche Schlussfolgerungen auf das damit vergleichbare Segment pfingstlich-charismatischen Christentums insgesamt erlaubt. Die transnationalen Verflechtungen der untersuchten Kirche machten es nötig, dass der Vf. Feldforschungen auf drei Kontinenten – in Europa, Afrika und Nordamerika — betrieb. Forschungen in den unterschiedlichen Gemeinden vor Ort, vor allem zum gottesdienstlichen Leben und zu den Biographien der leitenden Personen, waren auch deshalb nötig, weil sich die untersuchte Pfingstkirche – anders als die traditionellen christlichen Kirchen mit ihren feststehenden Texten und festgefügten Institutionen – durch einen speziellen Netzwerkcharakter und durch oral history auszeichnet, die für den Zusammenhalt der Kirche eine entscheidende Rolle spielen; darauf bezieht sich der Ausdruck »Fragilität« im Titel der Arbeit. Der Vf. bediente sich dabei der Methode der teilnehmenden Beobachtung, um Mitglieder der Kirche durch Selbstaussagen zu Wort kommen zu lassen und um zu verhindern, dass die untersuchten Phänomene vorschnell in traditionelle theologische Kategorien eingepasst und dadurch ihres eigentlichen Aussagewertes beraubt werden. Das inhaltlich-theologische Ziel der Arbeit besteht in der gegenseitigen Infragestellung und Befruchtung von traditioneller protestantischer und pfingstlich-charismatischer Theologie, um so einen Beitrag zum Vorankommen auf dem Weg zu einer interkulturellen und interkonfessionellen Theologie zu leisten. Dem entspricht das Bemühen des Vf.s, vor allem Theologen des Südens zu Wort kommen zu lassen.
Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile, die stringent aufeinander aufbauen: einem missionsgeschichtlich, einem ekklesiologisch und einem ritualwissenschaftlich orientierten. Ihnen ist ein forschungsgeschichtlich-methodologisches Einleitungskapitel vorgeschaltet. Das Einleitungskapitel bietet einen Überblick sowohl über das Phänomen pfingstlich-charismatischen Christentums insgesamt als auch über die bisher dazu geleistete Forschungsarbeit. Gleichzeitig gibt der Vf. hier Rechenschaft über sein methodisches Vorgehen. Dabei wird deutlich, dass er die Pfingstkirche »Nzambe Malamu« primär in missionsgeschichtlicher, soziologischer, politischer und ritualwissenschaftlicher Perspektive untersuchen will.
Der erste Hauptteil geht missionsgeschichtlich vor. Neben den Biographien des Kirchengründers Aidini Abalas aus der DR Kongo (1927–1997) und seiner Nachfolger wird hier vor allem die weitere Entwicklung der Kirche mit der Entstehung von Tochter- und Migrationskirchen (einschließlich der Spaltung und Ablösung einzelner Kirchen von der Mutterkirche) rekonstruiert. Dabei wird der Kirchengründer als eine typische Gestalt pfingstlich-charismatischen Christentums erkennbar, wobei das Bewusstsein der apostolischen Sendung, sein Heilungscharisma und seine prophetische Autorität die entscheidenden Konstitutiva darstellen.
Im zweiten Hauptteil untersucht der Vf. die besonderen Einflüsse, die die sog. Heilungsbewegung (Healing Revival), speziell das New-Order-of-the-Latter-Rain Movement (NOLR), entstanden in den 1940er Jahren in Nordamerika, auf die Gründung und Entwicklung der Pfingstkirche »Nzambe Malamu« ausübte. Es handelt sich dabei um eine Heilungsbewegung, die, mit der traditionellen Pfingstbewegung in vielfältiger Weise verflochten, auch zu deren Erneuerung beitrug, gleichzeitig selbständig agierte, eigene Akzente setzte und vor allem auch weit über die engeren Grenzen der (konfessionellen) Pfingstbewegung hinaus wirkte. NOLR verstand sich gewissermaßen als Speerspitze der Pfingstbewegung mit der Hoffnung auf »Entrückung vor der großen Trübsal« und lehnte dezidiert institutionelle kirchliche Strukturen ab. Sie war der Auffassung, dass sich der Geist Gottes heute vor allem in Prophetien und Heilungen inkarniert. Der Vf. arbeitet heraus, dass diese Bewegung mitentscheidend für die Formatierung des weltweiten pfingstlich-charismatischen Christentums in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg war. NOLR hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Pfingstbewegung zu einem heute weltweit agierenden Netzwerk entwickelt hat.
Im dritten Hauptteil steht das in der Pfingstkirche »Nzambe Malamu« praktizierte Heilungsritual im Zentrum. Aufgrund des Einflusses von NOLR stellt es heute weltweit ein herausragendes Merkmal pfingstlich-charismatischen Christseins dar. Der Vf. untersucht das pfingstliche Heilungsritual unter ritualwissenschaftlicher Perspektive und kommt zu dem Schluss, dass es aufgrund seines performativen Gepräges im Hinblick auf die unterschiedlichen Mitglieder einer global agierenden Migrantenkirche wie »Nzambe Malamu« gleichzeitig stabilisierend und transformierend wirkt.
Das letzte Unterkapitel zieht ein Resümee aus der Untersuchung im Hinblick auf die Bedeutung pfingstlich-charismatischen Christseins am Beispiel von »Nzambe Malamu« für die traditionellen Kirchen des Nordens insgesamt. Leider werden hier – aufgrund der Kürze der Ausführungen zwar verständlich – wesentliche Folgerungen nur stichwortartig gezogen. Das ist schade und schmälert den Ertrag der Untersuchung. Dass die Pfingstbewegung sich durch Ambiguität auszeichnet, ist keine Aussage, die überraschen könnte. Stichworte wie »Embodiment« des Geistes durch performative Heilungsrituale anstatt durch Kirchengebäude, »Globalisierung ›von unten‹« – statt von oben?! – und »Empowerment« als notwendiger Aspekt jedes missionarischen Engagements machen neugierig und hätten es verdient, näher entfaltet zu werden.
Dennoch gilt: Das Buch stellt einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung pfingstlich-charismatischen Christseins dar und ist auch in formaler Hinsicht gelungen: Ein Abbildungsteil ermöglicht eine visuelle Vorstellung vom Leben der dargestellten Kirche und ihrer leitenden Mitglieder; Literatur-, Stichwort- und Namenverzeichnis ermöglichen rasche Einblicke in ausgewählte Aspekte der Untersuchung und die Weiterarbeit.