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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

397 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schiwy, Günther

Titel/Untertitel:

Abschied vom allmächtigen Gott.

Verlag:

München: Kösel 1995, 160 S. 8o. Kart. DM 29,80. ISBN 3-466-20396-1

Rezensent:

Gerd Theobald

In den Diskursen der Philosophen und Theologen scheint die Theodizee Hochkonjunktur zur haben, bemißt man diese nach der Quantität der Publikationen. So scheint es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen, inwiefern Theologie und Philosophie noch unterm Joch der Metaphysik gehen, die die Miserabilität der Schöpfungswelt nicht leugnen konnte und die die hierfür verantwortliche Wesenseinheit von göttlicher Güte und Allmacht nicht destruieren wollte und so das Theodizeeproblem virulent hielt. Der Titel des Buches gibt die Richtung an: Abschied von der begrifflichen Wesenseinheit Gottes, von der Allmacht des Schöpfers, der durch seine Schöpfung im eigenen Sein so betroffen wurde, daß sich seine originäre Totalität ontologisch differenzierte. Der Autor nun collagiert geschickt verschiedene Theologien, die durch das Leiden oder die Theodizeefrage berührt sind. Der Zuschnitt, den er den verschiedenen Theorien gibt, soll zugleich die Tendenz angeben, wo eine Auskunft zur Theodizee ­ oder Ausflucht aus ihr ­ zu finden wäre: bei der Theologie vom ohnmächtigen Gott.

Abschied vom allmächtigen Gott: Man nimmt Abschied mit Wehmut und Bedauern, man gibt aber auch jemandem den Abschied und entläßt ihn. Im Titel formuliert sich ein Doppelsinn, wonach Schreiber wie Leser an einem historischen Wendepunkt angekommen sind, wo man gezwungenermaßen von Gott Abschied nimmt, um diesen Trennungszwang zugleich als Befreiung zu erfahren. Die Zwangssituation der Theodizeefrage galt zwar für die Vernunft schon immer, daß Allmacht und Güte Gottes mit dem Status der Welt nicht vereinbar sind. Das ganze Abendland von Augustin bis Hegel, so könnte man eine These Blumenbergs modifizieren, ist der Versuch, diesen rationalen Bruch zwischen Gott und Welt zu überbrücken. Nun aber scheint die Kraft der Synthese verbraucht. Das letzte Fanal hierzu gab Auschwitz, wo der organisierte Todesterror gegen das jüdische Volk durch die menschliche Vernunft möglich und durch die Politik verwirklicht wurde. Fatalerweise hat der Mensch selbst die Theodizeefrage auf die Spitze getrieben. Hier wird der Gottesbegriff wie nie zuvor in Mitleidenschaft gezogen. Mitleiden ist das Schlüsselwort, mit dessen Hilfe die metaphysische Theodizee abgelöst werden soll. Die Sensibilität hierfür bringen weniger die institutionelle Theologie als deren Außenseiter und die Denker des getroffenen Volkes auf (21-30).

Sch. verfolgt zwei Theorielinien der Mitleidenschaft Gottes mit seiner Schöpfung. Die jüdisch fundierte räumt der Schöpfung eine auch von Gott nicht hintergehbare Eigensinnigkeit ein. Die von Scholem wieder publik gemachte kabbalistische Theorie hat Jonas dahingehend weiterentwickelt, daß Gott sich zugunsten der Schöpfung entmächtigt hatte und sein Geschick rückhaltlos an die Kreatur band (39). Vermittels der Selbstentmächtigung Gottes nimmt die Freiheit der Kreatur im Menschen eine absolute Verantwortung an (88 f.). Jonas operiert hier mit einem teleologischen Vorbehalt, als ob der Mensch der notwendige Mittler sei, die göttliche Schöpfung zu vollenden. Er erweist sich hier als Kantianer der kreatürlichen Vernunft, deren Grundsatz zwar nicht deduzierbar ist, ohne die zu leben aber das Leben jeden Sinnes und Zweckes beraubte. Hier steht die Frage, ob nicht ein metaphysisches Modell letztlich bestimmend für Jonas’ Theorie ist, mit dem zusätzlichen Kennzeichen, daß das Dasein unter dem ’als ob’ einer teleologischen Antizipation der endzeitlichen Erfüllung stehe.

Christliche Denker beider großen Konfessionen haben die teleologische Ausflucht der Vernunft bei Jonas eingeholt in eine trinitarisch fundierte Schöpfungstheologie. Die Macht-Mitteilung an die Schöpfung wird vorweggenommen in der innertrinitarischen Zeugung des Sohnes. An diesem Punkt ermöglicht sich für einen naturwissenschaftlich gelehrten Theologen wie Teilhard de Chardin die Rede vom kosmologischen Christus, der uno intuito Grund und Ziel des ganzen Kosmos ist (81 ff.), so daß zwischen der initialen Ohnmacht Gottes vor seiner Schöpfung und ihrer Erfüllung ein evolutionärer Bogen gespannt ist, in den sich der Mensch mittels seines intellektuellen Glaubens christus-analog einfügen kann. In der evangelischen Theologie wurde im Ausgang der Kreuzestheologie durch den Begriff des liebenden qua mitleidenden Gottes die originäre Einheit von Schöpfung Gottes und Passion Christi erfaßt (57 ff.).

Das Theodizeeproblem ist geschichtlich ein Syndrom jüdischer Offenbarungstheologie mit dem totalitären wie apathischen Gott der griechischen Metaphysik. Die geschichtsanaloge Konsequenz der Moderne verabschiedet die Theodizee als Vexierbild der Vernunft (11, 84) und damit die Allmacht des Schöpfers. Theologen machten nun Front gegen eine teleologische Suspension der Macht in eine sympathetische Liebe Gottes zu seiner Kreatur, da mit der Macht Gottes sein Wesen und damit auch die Wesensart seiner Liebe und seines Leidens mitbetroffen wäre. Karl Barth hatte sinngemäß eingewandt, daß ein Ohnmächtiger qualitativ anders mitleidet als ein Mächtiger, daß Macht im Sinne eines personalen Seiner-selbst-mächtig-Seins eine Bedingungsmöglichkeit von Mitleiden ist (KD II,1, 416).

Zwei Wege dürften bleiben: zum einen eine poetische Feier der Liebe Gottes in der Schöpfung, die die Machtfrage und damit auch die Dringlichkeit des Theodizeeproblems für eine endliche Zeit suspendiert. Hier z.B. im "Hohenlied der Liebe" ereignet sich eine mythische Rechenschaftsgabe, wie Jonas sagt (95), nicht begreifbar, aber als Selbstbekundung der Schöpfung (von Rad hätte Selbstoffenbarung gesagt) erfahrbar. Hier ist auch ein Konvergenzpunkt für den jüdisch-christichen Dialog anvisiert. Der andere Weg wäre der Abschied von der Vernunft, die an ihrem selbstgestellten Problem scheitert. Das Ende kann aber, da das Denken sich zwangsläufig fortsetzt, nur ein Mythos vom Ende sein, dessen bekanntester Ausdruck die Apokalypse ist. Das Denken bleibt im Horizont dieser Mythizität, auch jede Auskunft zur Theodizeefrage wird ihn nicht endgültig überschreiten können. Jonas’ teleologische Suspension der Allmacht ist solch ein eingestandener Mythos. So ist es Sch.s Verdienst, durch seine Collage der verschiedenen durch die Theodizeefrage modifizierten Gottesbegriffe eine Denkspur gelegt zu haben, die über einen Mythos zur Theologie als Wissenschaft von der Rede von Gott weiterführen könnte.