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Ausgabe: | Juni/2013 |
Spalte: | 669–670 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Stone, Michael E. |
Titel/Untertitel: | Ancient Judaism. New Visions and Views. |
Verlag: | Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2011. XIV, 242 S. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6636-3. |
Rezensent: | Beate Ego |
Der Band des emeritierten Wissenschaftlers Michael E. Stone, der als international anerkannter Erforscher des antiken Judentums gilt und der in seinen Arbeiten einen besonderen Schwerpunkt im Bereich der armenischen Literatur hat, zeigt in mehreren verschiedenen Kapiteln auf, was aus seiner Sicht für die Erforschung des antiken Judentums in den letzten Dezennien bedeutsam war und welche Perspektiven sich hier eröffnen.
Kapitel 1 »Our Perception of Origins: New Perspectives on the Context of Christian Origins« führt in die Thematik ein. S. bestimmt die Zeit des antiken Judentums, die die Basis für die Entwicklung des rabbinischen Judentums und des Christentums legt, als »Achsenzeit«, da hier wichtige Grundlagen für die Geschichte der menschlichen Entwicklung überhaupt gelegt werden (1 f.). Ein zentrales Anliegen S.s besteht darin, die neuen Quellen, die durch die Textfunde vom Toten Meer erschlossen wurden, in ein ausgewogenes Bild der Epoche des antiken Judentums zu integrieren. Aber auch weitere Überlieferungen wie die in Armenisch erhaltenen Philo-Texte oder die in Äthiopisch überlieferten Henoch-Traditionen sind hier zu rezipieren. Schließlich ermutigt S. aber auch mit allem Nachdruck, nach weiteren Überlieferungen aus der Handschriftentradition der Kirchen zu suchen. Gleichzeitig verweist er auch auf zen-trale Probleme im Umgang mit diesen Überlieferungen und mahnt zur Vorsicht bei der Interpretation, da sie häufig im christlichen Kontext tradiert wurden und die antikjüdischen Themen gleich-sam in gefilterter Form erscheinen (1–30). Kapitel 2 widmet sich den Überlieferungen zu den Gestalten der Urzeit, allen voran Adam und Eva, Noah sowie Henoch, die in den Überlieferungen des antiken Judentums als Projektionsfläche anthropologischer Konzepte fungieren. S. betont hier vor allem die Rolle, die Henoch und Noah für das antik-jüdische Seinsverständnis spielen: »However, it should be remarked that through the Enochic Material (which includes Giants) we can explain the fall of the angels, the origins of the demons and their plagues, as well as the flood and the destruction of the earth. The present world order is the postdiluvian state. Into that state, among other things, Noah introduced sacrifice, and in it, Noah received a book of anti-demonic healing. Noah was thus father of humans, recipient of information to protect humans against the demons, and originator of the sacrificial cult.« (58) Im Hinblick auf die Entwicklung solcher Vorstellungen kommt wohl der »Entfremdung« vom Jerusalemer Kult, wie sie im Gefolge der Reformen unter Antiochus IV. eintrat, eine geradezu katalysatorische Funktion zu (58; 31–58). In einem weiteren Abschnitt, überschrieben mit »Apocalyptic Historiography«, stellt S. verschiedene antik-jüdische Zeitperiodisierungskonzepte vor (z. B. »Siebzig-Jahr-Schema; Vier-Königsherrschaften-Motiv« u. a.), um sich dann den Ursprüngen des escha tologischen Denkens im antiken Judentum zuzuwenden. Dabei wird sowohl dem Einfluss des dtr Denkens als auch den Ereignissen um Antiochus IV., in denen die Frommen für ihre Toratreue sogar das Martyrium auf sich nahmen, große Bedeutung zugeschrieben (81). Eine entscheidende Rolle für die Typologie der Erlösung spielen Schöpfung und Exodus, wobei diese Überlieferungen aus der Zeit des Zweiten Tempels eine Art »Remythologisierung« erfahren und die himmlische Welt zunehmend in ihrer Relevanz für die Geschichtsabläufe erkannt wird (59–89). Kapitel 4 behandelt den Zusammenhang zwischen Visionen und Pseudepi-graphie. Hier möchte S. den Erfahrungsbezug der Texte stark machen; als Beispiel dienen Überlieferungen aus 4Esra (90–121).
Die letzten drei Kapitel wenden sich dann Fragen aus dem Bereich der Textgeschichte zu. So untersucht der Abschnitt »Bible and Apocrypha« den Kanonisierungsprozess der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments und plädiert mit Nachdruck für die Verwendung des Begriffes »autoritative Schriften«, um den Status der später kanonisch gewordenen Überlieferungen in der Zeit des Zweiten Tempels adäquat zu beschreiben (122–150). Ein weiteres Kapitel »Multiform Transmission and Authorship« fragt, wie Traditionsprozesse materialiter am besten erfasst werden können. Ausgewählte Beispiele u. a. aus der Adam- und Elia-Literatur zeigen, dass der Versuch, die Traditionsprozesse in den konventionellen Stammbäumen abzubilden, die Zusammenhänge zu sehr vereinfacht. S. spricht von »clusters of material«, die in einer »circulation of traditions« entstanden sind. Insbesondere ist künftig dem Traditionsaustausch zwischen Juden und Christen im Orient und in Europa mehr Aufmerksamkeit zu schenken (151–171). Ein letztes Kapitel »The Transmission of Apocrypha und Pseudepigrapha« betont noch einmal die Problematik der Filterung von Traditionen durch die Transmissionsprozesse. Auf der Basis von ausgewählten Beispieltexten (Ben Sira; Jubiläenbuch) veranschaulicht S. dieses Phänomen, um so erneut für diese Problematik zu sensibilisieren und um neue Forschungen anzuregen. Wie bereits zu Beginn seines Buches ermutigt S. die künftige Forschung nachdrücklich, weitere Texte aus dem Bereich der alttestamentlichen Apokryphen zu erschließen, um diese methodisch reflektiert für die Erhebung eines komplexen Bildes des Judentums aus der Zeit des Zweiten Tempels nutzbar zu machen (172–194).
Eine umfangreiche Bibliographie (195–226) sowie ein Sach-, Autoren- und Quellenregister beschließen den Band (227–242).
S. hat hier ein sehr anregendes Buch vorgelegt, wenn er verschiedene Themen untersucht, denen er insgesamt für die Erforschung der jüdischen Religionsgeschichte in der Zeit des Zweiten Tempels und der Untersuchung der Textgeschichte der Hebrä-ischen Bibel bzw. des Alten Testaments eine zentrale Rolle einräumt. Dabei macht er einerseits auf wesentliche Aspekte des gegenwärtigen Forschungsstandes aufmerksam und zeigt andererseits auch wichtige Linien für künftige Forschungsarbeiten auf. Der Band kann so allen, die im Bereich des antiken Judentums arbeiten, den Weg für neuere Arbeiten weisen, da er auch Mut macht, Bereiche, die bisher eher am Rande eines größeren Forschungsinteresses standen, methodisch reflektiert in das Feld zu integrieren.