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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

512–514

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bosch, David J.

Titel/Untertitel:

Mission im Wandel. Paradigmenwechsel in der Missionstheologie. Hrsg. v. M. Reppenhagen.

Verlag:

Gießen u. a.: TGV Brunnen 2012. 701 S. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-7655-9561-5.

Rezensent:

Heinrich Balz

Bücher von über 500 Seiten haben es nicht leicht, in der Missionswissenschaft geduldige Leser zu finden. Einem vor zwei Jahrzehnten auf Englisch erschienenen Klassiker dürfte es in verspäteter deutscher Übersetzung nicht anders ergehen. Dass David Boschs im Brunnen-Verlag erschienene große Summa, sein letztes Buch vor seinem frühen Tod 1992, von Studenten, besonders von eher evangelikalem Hintergrund, als verlässliches Nachschlage- und Einführungswerk in die komplexe Landschaft der Missionstheologie konsultiert werden wird, ist zu erwarten. Es bleibt aber darüber hinaus zu erhoffen, dass es auch die Lehrenden, und unter ihnen die Nichtevangelikalen, von denen es bislang wenig Echo bekam, erreicht. B., der Südafrikaner, gibt in seinem der deutschen und niederländischen Tradition ziemlich nahen Werk der deutschen missionstheologischen Debatte der letzten 30 Jahre, die sich überwiegend um andere Religionen und um das Fremde drehte, von außen notwendige Kontur und zeigt nachdrücklich auf, welche Fragen, insbesondere die nach dem wissenschaftlich und theologisch verantworteten Umgang mit der Bibel in der Mission, dabei offen geblieben sind.
Kennzeichnend für B.s Buch ist die Bestimmung der Mission als der Dimension unseres Glaubens, die »sich weigert, die Wirklichkeit als gegeben (englisch einfacher: reality as it is) hinzunehmen und die darauf aus ist, sie zu verändern« (Vorwort, XXIII). Ein starker ethischer Zug geht durch das Ganze. Zur modernen Krise der Mission gehört, dass sie zu Unrecht ihre geschichtlichen Erfolge in die Rechtfertigung und Begründung von Mission mit hineinnahm: Alle Erfolge bleiben zwiespältig bis verdächtig (5–7, vgl. 413); allein die aus dem Dialog des modernen Selbstverständnisses mit dem Selbstverständnis der neutestamentlichen Autoren erhobenen Motive und »Modelle« halten stand (20–24). Aus solchem Ge­spräch mit dem Neuen Testament, das betont etwas anderes ist als deduktive Begründung von Mission, entstehen bei B. die 200 Seiten des ersten Hauptteils »Modelle der Mission im Neuen Testament«. An Jesus ist sein missionarisches Handeln und Verhalten wichtiger als seine die Mission betreffenden prophetischen Worte. In einigem »versagte« die frühe Kirche, wo sie die Jesusgemeinden aus einer »Bewegung« zu einer »Institution« werden ließ, und wo sie bald schon den Judenchristen kein Zuhause mehr zu bieten vermochte (57–60).
In ausführlichen Kapiteln werden das matthäische, das lu­kanische und das paulinische Paradigma von Mission befragt, am einfühlsamsten die lukanische »praktizierte Vergebung und Solidarität mit den Armen«, die in Lk 4,18 noch die eigentlichen Adres­-saten der Befreiung sind, aus der Apostelgeschichte jedoch aus theo­logischem Grund als eigene Gruppe verschwinden: Es geht nur noch um die Heiden draußen und um innerkirchliche Diakonie drinnen. An Paulus beschäftigt B., ungewöhnlich für lutherischen Blick, nicht die Gottesgerechtigkeit, sondern mit der neuen Paulusexegese mehr die Aufnahme in die eschatologische Gemeinschaft und der noch ausstehende Triumph Gottes.
Vom Neuen Testament geht es nicht alsbald in die Gegenwart, sondern in die lange Geschichte christlicher Ausbreitung und Mission, die B. mit Hilfe von Th. Kuhns, von Küng dann vereinfachter, Paradigmentheorie in sechs Epochen gliedert. Jede von ihnen kann einem biblischen Motiv zugeordnet werden, die alte griechische Kirche im Osten Joh 3,16, das katholische Mittelalter Lk 14,23: »Nötiget sie, hereinzukommen«, im Segen wie in der Problematik dieses Wortes. Mt 28, der Missionsbefehl, wurde erst in Neuzeit und Aufklärung auf der protestantischen Seite zum Grundtext und Hauptmotiv christlicher Mission, das alle anderen verdrängte. B.s Eigenart, die altbekannte vormoderne Missionsgeschichte nach biblischen Motiven aufzuschlüsseln, ist neu und eröffnet ungewohnte Perspektiven.
Erst im letzten Drittel seines Buches wendet sich B. dann einem noch in der Entstehung begriffenen Missionsparadigma zu, das er »postmodern« und »ökumenisch« nennt. Hier ist in 13 Kapiteln alles aufgelistet und abwägend vermittelnd diskutiert, was in den 1980er Jahren die Debatte bestimmte und überwiegend heute noch be­stimmt: Kirche für und mit anderen, Missio Dei, neue und alte Evangelisation, Kontextualisierung, Befreiung, Inkulturation, Zeugnis gegenüber Menschen anderen Glaubens und anderes mehr. Dieser Teil wird für Anfänger zur Orientierung hilfreich sein. Er hat aber die Schwäche, dass er zu vieles sachlich Zusam­mengehörende jeweils nur mit dem Einstieg »Mission als« ne­beneinanderstellt. So aber lässt sich den Herausforderungen des Westens durch nichtwestliche christliche Theologien und damit auch des »Fremden« in anderer Kultur und Religion wohl nicht mehr beikommen. Besonders und persönlicher als die übrigen ist das vorletzte Kapitel »Mission als Handeln in Hoffnung« (588–602): Hier geht es kurz gesagt um B.s eigenen Weg von O. Cullmann – in dessen Zeichen noch gänzlich seine neutestamentliche Dissertation über die Zu­kunftsschau Jesu 1959 stand – zu J. Moltmann, zu einem Hoffnungshandeln, das die Welt nicht dem herrschenden Bösen überlassen will. Doch bedeutet dies für B. nicht die Absage an »Heilsgeschichte«, sondern nur die Distanzierung von einigen »ziemlich kruden Formulierungen« in Cullmanns frühen Schriften (595).
Eine Bemerkung sei hier zur insgesamt zuverlässigen deutschen Übersetzung des Buchs von M. Josupeit eingefügt: E. Troeltsch, auf den sich B. im Eschatologie-Kapitel mehrfach be­zieht, schrieb nicht von einem »eschatologischen Amt«, sondern formloser vom »eschatologischen Büro«, das lange Zeit geschlossen war.
Wie könnte die deutschsprachige Fachwelt guten Gebrauch machen von der deutschen Übersetzung eines bewährten Klassikers in der englischsprachigen Missionswissenschaft? Die ihr beigegebenen fünf Rahmenstücke schütten B., ohne doch die Einwände, die theologisch gegen ihn erhoben wurden, zu verschweigen (620–228), mit Lob und Würdigung so weit zu, dass ein beteiligtes kritisches Gespräch mit ihm wohl eigens der Ermutigung bedarf. Seine Erwartung, dass ein evangelisch-katholisches Gespräch über die Mission paradigmatisch weiterbringen wird, ist wohl seit Dominus Jesus 2000 eher wieder abgekühlt. Vom bei B. geforderten Absehen von allen Ergebnissen der Mission ist auch wenig Ergiebiges zu erwarten. Hauptgegenstand der Anknüpfung ist für das Ergänzungskapitel von M. Reppenhagen und D. L. Guder (615–642) vielmehr die Besinnung auf das »missionale« Wesen der Kirche als ihrer alleinigen Daseinsberechtigung. Das findet sich bei B. Aber ist es letzte, unüberholbare Wahrheit über die Gemeinschaft der Glaubenden? Trifft es das Wesen neutestamentlicher Ethik und Paränese? Ist es nicht vielmehr nur ein weiteres der vielen geschichtlichen, je in sich berechtigten und doch relativen »Modelle« von Mission, wie B. sie im Neuen Testament und in der Geschichte anschaulich gemacht hat? Wichtiger als alle Sendung der Glaubenden ist der verbindende Glaube an die innertrinitarische Sendung des Sohnes, sagte K. Barth 1932 in Berlin den allzu aktiven Missionsleuten. Im Neuen Testament hat er damit Johannes auf seiner Seite. Mit B. wäre eben darüber der fruchtbare Streit weiterzuführen, weil die immer neue Wendung zu den neutestamentlichen Modellen von Mission für ihn nicht abgeschlossen ist, sondern weitergeht.