Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2013

Spalte:

432–434

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Finsterbusch, Karin

Titel/Untertitel:

Deuteronomium. Eine Einführung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 232 S. m. 6 Abb. = UTB M, 3626. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-8252-3626-7.

Rezensent:

Dominik Markl

Das Deuteronomium gilt zu Recht als ein zentrales Buch des alt­-testamentlichen Kanons. Mose hinterlässt für das Volk Israel am letzten Tag vor seinem Tod (Dtn 34) mit seinen Abschiedsreden eine tief reflektierte Lehre (Tora), deren Theologie sowohl das Judentum als auch das Christentum maßgeblich beeinflusst hat. Die Fachdis-kussion zu diesem abschließenden Buch des Pentateuch ist um­fangreich und komplex, und sie befindet sich in intensiver Entwicklung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es wenig aktuelle und kompetent einleitende Literatur dazu gibt. Karin Finsterbusch, die als Professorin für Altes Testament und biblische Didaktik an der Universität Koblenz-Landau lehrt und seit ihrer Habilitationsschrift zum Deuteronomium gearbeitet und publiziert hat, antwortet daher mit dieser Einführung auf ein großes Desiderat. Diese Monographie macht wichtige Themen und Problemkreise der Fachdiskussion zum Buch Deuteronomium übersichtlich zugänglich und stellt somit ein wertvolles Hilfsmittel für Theologen und Studenten der biblischen Wissenschaft dar.
Das Buch gliedert sich in fünf Hauptteile. Auf zwei einleitende Kapitel (10–13 und 14–47), die hermeneutische Fragen und Grundprobleme zu Entstehung und Text des Dtn ansprechen, folgen als Hauptteil »synchrone und diachrone Textbetrachtungen auf der Ebene des Deuteronomiums« (48–198). Ein kurzes systematisches Kapitel zu »synchronen Betrachtungen der dtn Texte auf der Ebene des Pentateuch« (199–203) und eine Zusammenfassung zu »Struktur, Profil, Botschaft« (204–214) beschließen den Band. Die Auswahlbibliographie (215–232) sowie mehrere Karten, Abbildungen und Tabellen bereichern den didaktischen Wert des Buches. Die Einführung verzichtet auf eine ausführliche forschungsgeschichtliche Darstellung (vgl. hierzu nun E. Otto, Deuteronomium 1–11 [HThKAT], Freiburg i. Br. 2012, 62–230).
Mehr aber als nur einen einführenden Überblick zum Forschungsstand und zu wichtigen Themen der Fachdiskussion zum Buch Deuteronomium zu geben, legt diese Monographie zugleich einen eigenständigen Zugang mit zahlreichen, mehrfach innovativen Interpretationsvorschlägen vor. Das Buch trägt daher selbst zur Forschung bei und verdient kritische Diskussion, zu der die folgenden sieben Anfragen anregen möchten.
1. Eine hermeneutische Frage: Die Unterscheidung zwischen »synchroner« bzw. »diachroner« Textbetrachtung ist entscheidend für den Aufbau und die Vorgehensweise dieses Bandes – entsprechend dem Anliegen, Studierenden beide Perspektiven systematisch zu­gänglich zu machen. Als entscheidendes Kriterium für die »synchrone« Analyse gilt dabei: »Synchrone Betrachtung heißt, dass die Texte einer Einheit als ›auf einer Zeitstufe befindlich‹ angesehen werden« (10 f.). Als entstehungsgeschichtliche, d. h. diachrone Vorannahme wird vorausgesetzt: Dtn 1,1–32,47 sei »grosso modo« (mit Ausnahme von z. B. Dtn 30,1–10; 31,14–32,44) frühexilisch, während 32,48–34,12 nachexilisch sei (11, Anm. 6, und detaillierter 35). Zu­gleich hebt F. zu Recht hervor, dass es zu diesen diachronen Annahmen keinen Konsens gebe (11, Anm. 9). Heißt das aber, dass, wer die vorgeschlagenen diachronen Annahmen nicht teilt (was für viele Fachkollegen gilt), die synchronen Textbetrachtungen nicht sinnvoll nachvollziehen kann? In meinen Augen wäre es hilfreicher, sys­tematisch zwischen entstehungsgeschichtlichen (d. h. diachronen) Fragen und der Frage nach der synchronen Bedeutung des Ge­samttextes, d. h. unter der Voraussetzung anzunehmender letzter Re­daktionen und in seinen kanonisierten Gestalten, zu unterscheiden.
2. Eine historische Frage: Der größte Teil des Dtn sei Autoren im Babylonischen Exil zuzuschreiben, und zwar in der »früheren« Phase des Exils (11, Anm. 6). Ist es historisch wahrscheinlich, dass exilierte Judäer in dieser Phase auf eine baldige Rückkehr hofften und daher auf das Leben im Land ausgelegte Texte schufen? Ist es wahrscheinlich, dass sie über die notwendigen materiellen Ressourcen verfügten, um derart umfangreiche Texte zu schaffen?
3. Eine methodische Anfrage: Hinsichtlich des Strukturierungsvorschlages für das Buch Dtn unterscheidet F. gewöhnlich zu Recht zwischen Moses Reden und der strukturierenden Funktion der Erzählstimme, insbesondere der Überschriften (205). Entgegen diesem Kriterium aber sind die letzten drei Verse des zentralen und umfangreichsten Redeblocks Dtn 5–26 der folgenden Großeinheit zugerechnet (»›Bundeserklärungen‹, Segen und Fluch [26,17–28,68]). Auch wenn Dtn 26,17–19 die Bundesthematik der folgenden Kapitel vorwegnimmt, birgt deren Abtrennung von Dtn 5–26 für Studierende die Gefahr methodischer Unklarheit.
4. Eine exegetische Frage: Hinsichtlich des Bundesschlusses in Moab rechnet F. aufgrund von Dtn 26,17–19; 27,1.9 f. damit, »das Einverständnis der beiden Bundespartner« (d. h. Gottes und Israels) liege »in der Welt des Deuteronomiums bereits vor« (172). Warum aber verlangt Dtn 30,19, Israel müsse »sich hier und jetzt, im Rahmen des Bundesschlusses, entscheiden« (178)? Ist Letzteres der Fall, scheint Ersteres im Widerspruch dazu zu stehen.
5. Eine Frage zur Intertextualität: F. rechnet damit, dass Gen, Num und Dtn erst in einer Spätphase zusammengefügt worden seien, wobei Dtn 1–30 im Wesentlichen schon vorgelegen habe (35–38). Wie ist dies mit Beobachtungen zu verbinden, die darauf hindeuten, dass Texte des Dtn Vorlagen aus dem Tetrateuch intensiv intertextuell verarbeiten (vgl. z. B. N. Lohfink, Deuteronomium 9,1–10,11 und Exodus 32–34. Zu Endtextstruktur, Intertextualität, Schichtung und Abhängigkeiten, in: M. Köckert/E. Blum [Hrsg.], Gottes Volk am Sinai. Untersuchungen zu Ex 32–34 und Dtn 9–10 [Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, 18], Gütersloh 2001, 41–87)?
6. Eine terminologische Frage: Handelt es sich bei »und jetzt« in Dtn 4,1 tatsächlich um ein »Textdeiktikon« (59) im strengen Sinn? Hier ist zu fürchten, dass dieser Begriff ohne nähere Erklärung für Studenten zu Unklarheiten führen könnte.
7. Zur Rechtshermeneutik im Pentateuch: Legt der narrative Zusammenhang des Pentateuch tatsächlich nahe, die verschiedenen Gesetze im Pentateuch stünden »gleichberechtigt« nebeneinander (203, mit dem Beispiel der Altargesetze in Ex 20,24 und Dtn 12,11)? Vielmehr scheinen mehrere gewichtige Indizien dafür zu sprechen, das Dtn solle im Pentateuchzusammenhang das Bundesbuch revidieren (vgl. z. B. D. Markl, Gottes Volk im Deuteronomium [BZAR 18], Wiesbaden 2012, 297–300).
Fachkollegen werden diese und andere Aspekte der vorliegenden Monographie diskutieren wollen. Studierende, die sich dessen bewusst sind, dass diese Einführung zahlreiche komplexe historische und hermeneutische Fragen nur in Kürze anspricht und vielfach spezifisch Stellung bezieht, werden das Buch mit Gewinn verwenden.