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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

419–421

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin

Titel/Untertitel:

Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr. 3., durchges. u. erg. Aufl. Hrsg. v. R. Deines u. C.-J. Thornton.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XXII, 573 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 283. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-150776-2.

Rezensent:

Markus Tiwald

»Eine Neuauflage von Martin Hengels epochemachender Untersuchung über die Zeloten und die jüdische Freiheitsbewegung im ersten nachchristlichen Jahrhundert bedarf keiner Begründung« (VII) – urteilen die Herausgeber R. Deines und C.-J. Thornton zu Recht in ihrem Vorwort zu dieser postum erschienenen dritten, erweiterten und ergänzten Neuauflage von H. (Erstauflage 1961; Zweitauflage 1975). Gerade der Hengelschüler Deines ist für so eine Neuauflage natürlich besonders prädestiniert – und das umso mehr, als die dritte Auflage nicht nur einen bloßen Nachdruck darstellt, sondern er Korrekturen und Erweiterungen aus H.s Handexemplar einarbeitet, Literaturangaben in den Anmerkungen vervollständigt, dem Werk einen Literaturnachtrag über die Jahre 1988–2011 anfügt, das Stellenregister erweitert, den 1974 erschienenen Beitrag von H.: »Zeloten und Sikarier. Zur Frage nach der Einheit und Vielfalt der jüdischen Befreiungsbewegung 6–74 nach Christus« anfügt und dem noch einen aktuellen Beitrag von Deines zugesellt: »Gab es eine jüdische Freiheitsbewegung? Martin Hengels ›Zeloten‹ nach 50 Jahren«. Der Frage nach dem cui bono einer solchen Neuauflage ist damit mehr als Genüge getan: Jedem, der sich der Frage nach den Zeloten im 1. Jh. n. Chr. stellen will, sei diese Arbeit – nicht zuletzt gerade wegen der wertvollen à jour-Setzung des Hengelschen Klassikers – wärmstens ans Herz gelegt.
Nach einem Vorwort der Herausgeber (VII–X) folgen die Vorworte H.s zur zweiten (XI) und zur ersten (XII) Auflage. Die Seiten 1–377 umfassen dann das eigentliche neuaufgelegte Werk H.s, gegliedert in sechs Kapitel. Nach einer kurzen »Einleitung« (1–5) folgt »Kapitel 1: Die Quellen« (6–24). Hier werden die Befunde von Josephus (auch mit Blick auf den slawischen Josephus), einschlägige rabbinische und christliche Quellen sowie antike Schriftsteller auf ihren historischen Wert hin abgeklopft. »Kapitel 2: Die verschiedenen Bezeichnungen der jüdischen Freiheitsbewegung« (25–79) sammelt Ausdrücke wie die griechische Bezeichnung lēstai, die hebräischen lîsṭîm, die Ausdrücke »Sikarier«, »Barjone«, »Galiläer« und »Eiferer« und untersucht deren Bedeutungen. »Kapitel 3: Die ›vierte Philosophensekte‹ des Judas Galiläus« (80–149) untermauert dann die These H.s: »Die von Judas begründete ›vierte Philosophensekte‹, deren Anhänger vor Ausbruch des Jüdischen Krieges auch Sikarier genannt werden, während sie sich selbst wohl den Namen ›Eiferer‹ gegeben hatten, erscheint so als eine relativ ge­schlossene Gruppe mit einem festen Parteihaupt, das nach dem Tode des Judas von Gliedern seiner Familie gestellt wurde. Anlaß zur Entstehung der neuen Bewegung gab der von Quirinius durchgeführte Zensus, der den gesetzestreuen Juden als widergöttlich erscheinen musste.« (148)
»Kapitel 4: Der Eifer« (150–229) führt nun – vom Alten Testament angefangen über die Makkabäer und Zeloten – aus, worin dieser »Eifer« für Gott genau bestand und zu welchen Konsequenzen er führte. Letztendlich wird dieser als »eschatologische Toraverschärfung« (225) verstanden, der die »völlige Hingabe an Gottes Willen« (225, im Original teilweise kursiv) im Blick hatte.
»Kapitel 5: Die Zeloten als eschatologische Bewegung« (230–311) führt nun den Aspekt der eschatologischen Begründung der Zelotenbewegung weiter. Prophetentum, endzeitliche Konzeptionen, Bereitschaft zum Martyrium, Messiasprätendenten und Messiashoffnungen kommen hier zur Sprache. »Kapitel 6: Die Entwicklung der zelotischen Bewegung« (312–374) wirft dann Licht auf die verschiedenen Etappen in der Geschichte des Zelotismus von Herodes I. bis zum Jahre 70. Ein »Gesamtüberblick und Hinweis auf neutestamentliche Fragestellungen« (375–377) fasst die wichtigsten Erträge zu­sam­men.
Auf den Seiten 378–402 wird H.s Beitrag von 1974: »Zeloten und Sikarier. Zur Frage nach der Einheit und Vielfalt der jüdischen Be­freiungsbewegung 6–74 nach Christus« angefügt, in dem er seine Thesen noch einmal auf den Prüfstand stellt und weiterhin präzisiert. Daran schließt R. Deines mit seinem aktuellen Beitrag: »Gab es eine jüdische Freiheitsbewegung? Martin H.s ›Zeloten‹ nach 50 Jahren« (403–448) an. Deines beleuchtet hier die Forschungsgeschichte, geht auf Anfragen zu H.s Thesen ein, stellt dessen Anliegen noch einmal prägnant heraus und formuliert auch eigene Ansichten, etwa wenn er auf eine präzisere Verwendung des bei H. wohl etwas zu großzügig verwendeten Adjektivs »zelotisch« dringt (vgl. 415). Interessant sind auch soziologische Parallelen der »Zeloten« zu den modernen »Taliban« und zu Osama bin Laden, die Deines hier ausführt (417 und 440–445). Ein langes Literaturverzeichnis (449–492) und mehrere elaborierte Register (493–573!) runden die Arbeit ab.
Wenn schon H.s »Zeloten« per se ein Klassiker zur Thematik geworden ist, so erhöht sich der Wert dieser Neuauflage noch einmal durch den aktuellen und wissenschaftlich ausgesprochen treffsicheren Beitrag von R. Deines. Hinzu gesellt sich natürlich die hohe »usability« dieser Neuauflage durch sämtliche eingangs schon genannten Verbesserungen. Grundsätzlich scheint dem Rezensenten die Position H.s gerade in der von R. Deines weitergeführten, differenziert dargestellten und aktuell zugespitzten Version sehr überzeugend, nämlich, dass es eine (mehr oder minder) einheitliche jüdische Freiheitsbewegung gab, die letztlich religiös motiviert und eschatologisch orientiert war. Auch die Verortung der Sikarier als Untergruppe der Zeloten vermag den Rezensenten zu überzeugen. Aber auch wenn man H.s Thesen nicht teilen mag– in der Zelotenforschung führt gewiss kein Weg an diesem Buch vorbei.