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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

390–392

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Steinebach, Dorothea

Titel/Untertitel:

Den Anderen begegnen. Zur Zukunft von Haupt- und Ehrenamt in der katholischen Kirche.

Verlag:

Würzburg: Echter 2010. 410 S. m. Abb. = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 81. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-03339-2.

Rezensent:

Volker A. Lehnert

Diese katholische Studie von Dorothea Steinebach trifft einen Nerv gegenwärtiger ekklesiologischer Herausforderungen. Im Spannungsfeld von Priestermangel, Regionalisierung, Strukturdebatten, allgemeiner Entkirchlichung und Postmoderne entwirft sie einen zukunftsweisenden Neuansatz des Verhältnisses von Haupt- und Ehrenamt am Beispiel des Berufs der Gemeindereferenten.
Der erste Teil der Studie zeichnet die Entwicklung dieses Berufes aus dem Beruf der Seelsorgehelferin nach. Seelsorgehelferinnen hatten u. a. die Aufgabe, Laienhelferinnen zu schulen, die Aufgaben in der Pastoral einerseits eigenständig, anderseits aber »im Be­wusstsein ihrer Zu- und Unterordnung unter den Pfarrer« (39) versahen. Die Seelsorgehelferin war »Bindeglied« zwischen Pfarrer und Gemeindegliedern (40). Dahinter stand das Konzept des »alten Ehrenamtes«, das als verlängerter Arm des Pfarramtes aufgefasst wurde. Dies änderte sich mit der Neuentdeckung des Allgemeinen Priestertums und dem Laienapostolat durch das Zweite Vatika­nische Konzil. Dessen Charakterisierung der Kirche als Volk Gottes weitete den Blick über die sakramental verstandene Hierarchie hinaus. Damit gewann neben der besonderen Berufung des Pries­tertums die Berufung aller Getauften an Bedeutung. Entsprechend wurde aus der Seelsorgehelferin die Gemeindereferentin, eine Be­rufsbezeichnung, die den »Bezug zur Gemeindepastoral« hervorhebt und auf die »Assoziation mit Hilfsdiensten« verzichtet (52). Zugleich wandelte sich der Ehrenamtsbegriff, zunächst allerdings in der Gesellschaft. Aus den neuen sozialen Bewegungen entstand eine neue Ehrenamtsauffassung, z. B. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. Innerhalb der katholischen Gemeinden wurde dies zunächst skeptisch gesehen, was nicht verwundert, denn der emanzipatorische Zug der neuen Auffassung war nicht kompatibel mit einem patriarchalisch interpretierten Priesteramt. Außerdem ließen sich die »neuen« Ehrenamtlichen nicht einfach »rekrutieren«. S. konstatiert, dass sich bis heute viele Maßnahmen im Be­reich der Ehrenamtsarbeit bei genauem Hinsehen weiter als »re­-krutierendes ›altes‹ Ehrenamt« entpuppen (89).
Der zweite Teil der Studie reflektiert unterschiedliche Dimensionen gemeindepastoralen Engagements, etwa das Verhältnis von Pfarrei zum pastoralen Großraum oder die gesellschaftlichen Be­dingungen der Postmoderne mit ihrer »wachsenden Distanzierung von institutionellen Vorgaben auf Seiten des Ehrenamtes« (133). Hier beginnt die eigentliche These des Buches Gestalt zu gewinnen: Jede lernende Organisation muss heute ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter »sowohl zur Erfüllung, als auch zur aktiven Gestaltung betrieblicher Zwecke befähigen« (138). Gemeindereferenten und -referentinnen stehen daher nicht länger den nicht beruflich mitarbeitenden »Laien« gegenüber, sondern gewinnen sie in »ihrem An­derssein« zur Mitwirkung (141), allerdings gerade nicht im Sinne der Rekrutierung für die Kerngemeinde. Getaufte sollen sich ihrerseits mit ihren Gaben und Fähigkeit auf Augenhöhe entfalten können. S. schlägt vor, für dieses »neue Ehrenamt« den Begriff des »freitätigen Engagements« einzuführen (145). Es geht um einen Blick­wechsel: »weg von der Perspektive der Hauptamtlichkeit und ihrer Aufgaben hinein in die Perspektive der Nicht-Beruflichen in ihrer Vielfalt an Lebensstilen, bevorzugten Engagementsbereichen und Mitarbeitsformen. Von ihnen und ihren christlichen Potentialen (Charismen) her gilt es neu zu sehen und zu denken« (145).
Gemeindereferenten rekrutieren nicht mehr zum ›alten Ehrenamt‹, sondern bieten ›individuelle Biographiebegleitung‹ (163) zur Begegnung mit dem Evangelium, zur Findung der je individuellen Berufung sowie zur »Entdeckung der Ressourcen und Talente« von Zeitgenossen als ›Charismen‹ (164) an. Ihre neue Leitungskompetenz besteht gewissermaßen im Coaching, in der Befähigung, Un­terstützung und Begleitung Anderer. Arbeit mit Freitätigen ist gerade keine Kompensation fehlender Hauptamtler durch »billiges Personal«, sondern Hilfe bei der Selbstentfaltung des Allgemeinen Priestertums und der individuellen Berufungen aller Gläubigen.
Interessanterweise folgt erst jetzt eine theologische Grundlegung: Trinität als Relation, das Reich Gottes als eschatologischer Horizont, die Kirche als Volk Gottes, der katholische Begriff Communio, der die Gemeinschaftlichkeit aller Glaubenden mit Gott vor jeder hierarchischen Unterscheidung zwischen Klerus und Laien bezeichnet, sowie die Begriffe Berufung und Sendung werden entfaltet. Das zentrale systematische Argument ist: Die Stellung der Laien wird im Zweiten Vatikanischen Konzil »nicht vom (hierarchischen) Amt her entworfen« (245), sondern folgt aus der Partizipation der Getauften an den Ämtern Jesu Christi selbst! Daraus ergibt sich eine »gemeinsame Verantwortung aller Getauften am Aufbau der Kirche« (247). Es folgt eine Durchsicht verschiedener kirchenamtlicher Verlautbarungen zu diesem Thema, die immer wieder versuchen, diesen Ansatz mit der alten Sonderstellung des Priesteramtes zu verbinden. Hier bleiben Aporien.
Der dritte Teil der Studie reflektiert den Ansatz auf das Berufsbild der Gemeindereferenten und -referentinnen hin. Grundhaltung ihres Dienstes ist die respektvolle Begegnung mit dem »An­ders-Sein der Anderen« (283), die Übernahme von Verantwortung für den Anderen (286) sowie die Fähigkeit, »über den Tellerrand der ›Kerngemeinde(n)‹ hinauszukommen« (295) hinein in andere, unerreichte Milieus. Den Andere zur Freitätigkeit befähigenden Dienst nennt S. »berufungspastoral kommunizieren« (304) oder »berufungspastorales Gewinnen Freitätiger« (323) unter Achtung der Tatsache, dass Glauben und damit auch die Entfaltung von Charismen grundsätzlich unverfügbar sind. Berufungspastoral geschieht da­her immer nur im Dialog, besser: im Trialog zwischen »Lernenden, Lehrenden und der Tradition« (331) in grundsätzlich diakonischer, also dienlicher Perspektive. Berufungspastoral, von S. auch als »Er­möglichungspastoral« (369) bezeichnet, lässt sich fassen als »Em­-powerment Freitätiger« (340) zur Entfaltung der je eigenen Berufung. Dabei dient das Hauptamt dem Ehrenamt und nicht umgekehrt. Freitätige sind nicht länger Helfer des Hauptamtes, sondern das Hauptamt ist Helfer des Allgemeinen Priestertums. Die Leitung seitens der Gemeindereferenten und -referentinnen be­steht in der »Moderation der Selbstorganisation Freitätiger« (369).
Leider erst am Ende der Studie wird eine ganz wesentliche Konsequenz dieses Ansatzes deutlich: Die Berufungspastoral ruft eben gerade nicht primär in den ehrenamtlichen Dienst innerhalb einer »Mitmach-Gemeinde«, sondern in die »›Dasein-Gemeinde‹, da, wo die Menschen sind und leben, nah und fern. Dort – in ihrem ›banalen Leben‹« (371), genau dort geht es »um die Begegnung mit Gott, dem Ich-bin-da« (372).
Alles in allem haben wir es mit einer wichtigen und anregenden Studie zu tun, die eine wesentliche Grundentscheidung des Konzils aufnimmt und in ihren Konsequenzen entfaltet. Leider wird die Lesbarkeit gelegentlich durch Abstrahierungen und Redundanzen etwas eingeschränkt. Für einen breiteren Kreis von Leserinnen und Lesern, vor allem in Kerngemeinden, die ja den skizzierten Paradigmenwechsel konkret nachvollziehen sollen, wäre eine kom-paktere Version sinnvoll. Das schmälert aber den Verdienst dieser Arbeit keineswegs, setzt sie doch dort an, wo alle kirchlichen Re­formüber­legungen ansetzen müssten: bei der geistlichen Berufung aller Getauften durch Gott.