Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2013

Spalte:

388–390

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schoenauer, Hermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Spiritualität und innovative Unternehmensführung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 592 S. m. Abb. = Dynamisch Leben gestalten, 3. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-021930-4.

Rezensent:

Traugott Jähnichen

Angesichts einer schleichenden, dennoch offenkundigen Zurück­drängung der konfessionellen Identität sehen sich diakonische Einrichtungen immer mehr vor die Herausforderung gestellt, ihr spezifisches Profil zu stärken. Gehörten in den Gründerjahren der großen diakonischen Einrichtungen im 19. Jh. »der Dienst am Nächsten und eine intensiv gelebte Spiritualität« noch wie »die zusammengehörenden Seiten einer Medaille« (Schoenauer, 14) zu­sammen, so hat sich diese Situation spätestens seit dem Ende der 1960er Jahre grundlegend gewandelt. Aufgrund der Erosion der geistlichen Gemeinschaften, des gesellschaftlichen Wertewandels und nicht zuletzt der zunehmenden Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der sozialen Dienste hat sich seit dieser Zeit die Struktur der Mitarbeitenden – gerade auch der nicht-theologischen Führungskräfte – in der Diakonie stark gewandelt. Um neben der fachlichen Professionsqualität der Arbeit und der auf den sich herausbildenden Sozialmärkten immer notwendiger werdenden Wirtschaftlichkeit auch die Christlichkeit der Arbeit profiliert zu sichern, hat die Neuendettelsauer Diakonie unter ihrem Rektor und Vorstandsvorsitzenden Hermann Schoenauer im Jahr 2007 ein ökumenisch-geistliches Zentrum, das »Ecumenical Spiritual Center« (ESC), gegründet. Der vorliegende Band geht wesentlich auf die Arbeit dieses Zentrums zurück und soll gleichzeitig dessen Profil stärken.
Die Wahl des Begriffs »Spiritualität« als Beschreibung der Kernkompetenz zur Sicherung der Christlichkeit der diakonischen Arbeit ist programmatisch gewählt, allerdings recht vieldeutig. Von vornherein zielt dieser Begriff auf den ökumenischen Kontext, da er ursprünglich eher im Katholizismus und in der Orthodoxie als im Protestantismus verankert gewesen ist. Dementsprechend will die Arbeit des ESC bewusst an unterschiedliche Formen gelebter Spiritualität anknüpfen und diese in einen fruchtbaren Dialog bringen. So sind in diesem Band neben vielen Stimmen und Hinweisen auf die katholische und die orthodoxe Spiritualität auch Beiträge zur jüdischen und islamischen sowie zur buddhistischen Spiritualität zu finden. Angesichts eines zunehmenden Religionspluralismus in der Bundesrepublik und damit auch in der Arbeit der Diakonie – vorrangig auf der Seite der Klienten, durchaus aber auch im Bereich der Mitarbeitenden – ist dies eine plausible Entscheidung, um durch den Begriff der Spiritualität das Spezifikum einer Sozialarbeit auf dem Hintergrund religiöser Traditionen sichtbar zu machen. Dementsprechend kann in diesem Band sogar von der »Spiritualität als Basis der Diakonie« (Petzolt, 149) gesprochen werden.
Offen und im Rahmen der verschiedenen Beiträge des Bandes ungeklärt bleibt die Frage, welche Rolle eine spezifisch evangelische Spiritualität – dieses Thema nehmen insbesondere die Beiträge von Zimmerling, Körtner und Möller auf – spielen soll. Einige Beiträge in dem Band erwecken den Eindruck, als würde mit dem Begriff der Spiritualität ein Defizit des Protestantismus angesprochen, das durch die Impulse anderer christlicher Traditionen, nicht zuletzt der kommunitären Orden und der davon inspirierten evangelischen Kommunitäten, und auch durch die Begegnung mit anderen Religionen ausgeglichen werden könnte. Demgegenüber fragen andere Beiträge gezielt nach dem spezifisch evangelischen Profil, allerdings in einem dezidiert pluralen und ökumenischen Kontext. Dabei wird der oft gemeinsam gelebten Frömmigkeit angesichts einer gegenwärtigen Stagnation des ökumenischen Gesprächs sogar die Funktion ökumenischer Schrittmacherdienste zugetraut.
Neben der konfessionellen Unbestimmtheit ist der Begriff der Spiritualität in einem weiteren Sinn anschlussfähig, da er, wie einzelne Studien thematisieren, auch in einem nicht-religiösen Kontext verwendet wird und allgemein auf den Horizont der Sinndeutung menschlichen Lebens verweisen kann. Ferner ist Spiritualität für viele Formen der sog. vagabundierenden Religiosität, die sich speziell seit den 1970er Jahren in den westlichen Gesellschaften herausgebildet hat, kennzeichnend. Spiritualität betont somit in besonderer Weise die persönliche Religiosität, durchaus auch unabhängig von institutionellen Bindungen, was einerseits mit einer bewussten Profilbildung etwa diakonischer Einrichtungen konfligieren kann, andererseits aber der pluralen Mitarbeitenden- und Klientenstruktur der diakonischen Arbeit entgegenkommt. Zudem ist Spiritualität als subjektiv angeeignete religiöse Grundhaltung auf den existentiellen Vollzug angewiesen, was in diesem Band in einem gesonderten Kapitel im Blick auf eindrückliche Vorbild-Persönlichkeiten wie auch im Blick auf konkrete Arbeitsfelder der Diakonie gezeigt wird.
Die meisten Beiträge dieses Bandes sind in diesem breiten Spektrum zwischen diakonischer Profilbildung, religiös geprägter Persönlichkeitsentwicklung und interkonfessioneller sowie interreligiöser Dialoge angesiedelt, wobei der Begriff der Spiritualität das Leitmotiv der jeweiligen Fragestellungen bildet. Auf diese Weise ist ein äußerst facettenreiches Buch entstanden, das die vielfältigen Traditionen, Zugänge und Ausprägungen von Spiritualität aufzeigt. Dass auf diese Weise kaum ein systematisch kohärentes Bild von Spiritualität entstehen kann, liegt in der Natur der Sache, ist aber auch nicht unbedingt die Zielsetzung dieses Bandes.
Allerdings macht sich dieses Defizit insofern bemerkbar, als der im Titel des Bandes programmatisch benannte Zusammenhang von Spiritualität und innovativer Unternehmensführung nur bedingt deutlich wird. Die Frage nach der kybernetischen Funktion von Spiritualität in der Unternehmensführung wird zwar in einem Kapitel explizit aufgenommen, allerdings kommen die Autoren hier zumeist über skizzenhafte Perspektiven nicht hinaus. So wird von Joachim Reber im Blick auf die Unternehmenskultur eine zusätzliche geistlich-spirituelle Dimension anvisiert, die durch eine Unterbrechungs-, Selbstreflexions- und Gebetskultur geprägt sein soll. Wie diese Kultur konkret mit der Unternehmensführung zu verbinden ist, wird jedoch nur angedeutet. Andere Beiträge betonen vorrangig ethische Impulse – insbesondere Verantwortung und Fairness – als wichtige Aufgaben der Unternehmensführung, wo­bei Spiritualität hier eher als Grenze der eigenen Handlungsmöglichkeiten oder als offener Suchprozess ge­kennzeichnet wird. In ähnlicher Weise wird die Bedeutung von Spiritualität in Krisensituationen herausgestellt, wobei Spiritualität für das Offenhalten der Sinnfrage als wesentlich angesehen wird. Deutlich wird in diesem Kapitel, dass Spiritualität offensichtlich als eine »weiche« Form der Unternehmensführung verstanden wird, welche durch die Kennzeichen des Dienens und der Achtsamkeit wechselseitiges Vertrauen stabilisiert und auf diese Weise Führung »klarer, wirksamer, verlässlicher – und menschlicher« ( Grabenstein, 586) ma­chen kann. Allerdings sind die meisten Beiträge zum Themenfeld Spiritualität und innovative Unternehmensführung nur be­dingt als neuartige Impulse zu bezeichnen, da das meiste, was die Verfasser hier beitragen, in ähnlicher Weise in den Diskursen zur Unternehmenskultur und -ethik bereits zu finden ist. Das Spezifikum der spirituellen Dimension als originärer Beitrag zur Unternehmensführung wird leider nur in Andeutungen aufgezeigt.
Insgesamt thematisiert der Band eine zentrale Fragestellung gegenwärtiger religionskultureller Diskurse und bietet eine Vielzahl interessanter Einblicke und weiterführender Studien. Der Be­zug zum Handlungsfeld der Diakonie wird an verschiedenen Stellen angesprochen und zeigt – etwa im Blick auf die Thematisierung von Gesundheit und Krankheit – weiterführende Impulse für die Praxis auf. Die im Titel versprochene Perspektive eines systematischen Zusammenhangs mit neuen Formen der Unternehmensführung wird jedoch nur in Ansätzen eingelöst.