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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

354–356

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schult, Maike, u. Philipp David [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wortwelten. Theologische Erkundung der Literatur.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT 2011. IX, 357 S. = Kieler Theologische Reihe, 11. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-643-10819-7.

Rezensent:

Andreas Mauz

»Dass Theologie sich mit literarischen Werken befasst, ist nicht selbstverständlich.« (7) Dieser Satz, der Einleitung des anzuzeigenden Bandes entnommen, benennt einen grundlegenden Sachverhalt: Die schöne Literatur gehört nicht zu den einschlägigen Gegenständen theologischer Forschung; sie zu bearbeiten, bedarf einer bewussten Entscheidung und, dieser entsprechend, be­stimmter Annahmen, weshalb ein sich Einlassen auf literarische »Wortwelten« auch theologisch ergiebig sein kann. Unter dieser Perspektive ist über die 14 Aufsätze – die Akten einer Ringvorlesung des Mittelbaus der Theologischen Fakultät Kiel – zweierlei fest­­-zuhalten: Die vorgelegten »Erkundungen« sind gut zu lesen, weil unverkennbar geprägt von einer Lust an der Auseinandersetzung mit dem fachfremden Material; dem Anspruch einer spezifisch »theologischen« Erkundung werden sie aber nicht alle in gleicher Weise gerecht. Anders gesagt: Die interdisziplinären Versuche leiden nicht so sehr an Schwächen im Fremden – der Bezugnahme auf die Interpretationshorizonte und methodischen Standards der Literaturwissenschaft – als im Eigenen, an der mangelnden Schärfung der theologischen Erkenntnisinteressen, die auch geeignet wären, Ergebnisse zu erzielen, die von Literaturwissenschaftlern in dieser Weise nicht erzielt werden könnten. Zunächst ist aber auf die Einleitung der Herausgeberin Maike Schult einzugehen, bezieht sie hier doch durchaus programmatisch Stellung zu einigen Grundproblemen der theologischen Beschäftigung mit Literatur und Literaturwissenschaft.
Schult – selbst Theologin und Slavistin – eröffnet ihren dreiteiligen Beitrag mit scharfsinnigen Beobachtungen zum Sprachgebrauch der »Literaturtheologie« (i. e. den intensivierten theologischen Bemühungen um die Literatur, wie sie im deutschsprachigen Raum seit den 1970er Jahren zu beobachten sind), nämlich zu deren Neigung, das Arbeitsfeld und dessen Tücken in einem (raum-)metaphorischen Register zu beschreiben. Dieser Sachverhalt erfährt nun eine ambivalente Bewertung: Einerseits sei dieser Sprachgebrauch legitim, weil man sich eben auf ungesichertem Terrain bewege und begriffliche Prägnanz nicht leicht zu erzielen sei, andererseits könne der intensive Metapherngebrauch aber auch zum illegitimen »Lückenbüßer« werden, der »über das Trennende hinwegtäusch[t] und methodische Ungenauigkeiten verschleier[t]« (6).
Im Blick auf die Forschungsgeschichte ist hier besonders der kritische Akzent zu betonen, da die in Frage stehenden Literaturtheologen gerade mit dem Anspruch auftraten, die entscheidende Schwäche des ›älteren‹ theologischen Umgangs mit Literatur überwunden zu haben: deren Nutzung als »Steinbruch«, in dem man zwecks Affirmation der eigenen Optionen mit der »Brechstange« aktiv wird (7). Dieser schlicht funktionalisierende Zugriff wird auch dafür verantwortlich gemacht, dass das literaturwissenschaftliche Interesse an den interdisziplinären Bemühungen seitens der Theologie ausblieb, dass der angestrebte »Dialog« im Wesentlichen zum theologischen »Selbstgespräch« wurde (5).
Schults zweiter Abschnitt gilt dann dem »Forschungsstand«. Unter diesem Titel gibt sie zunächst – nicht unmittelbar einsichtig – einen knappen historischen Abriss der prekären Stellung der Literatur in der Christentumsgeschichte, um dann genauer nach den Gründen für die anhaltende Isolation der literaturtheologischen Forschung zu fragen. Als wesentlichen Problempunkt identifiziert die Autorin das landläufige theologische Literaturverständnis, das sich von den gängigen literaturwissenschaftlichen Entwürfen eben erheblich unterscheide – eine These, die sie überzeugend belegt durch eine Rekonstruktion der klassischen evangelischen und katholischen Positionen: Sölle und Kuschel. Die Dominanz des »weltanschaulich und existenziell bestimmt[en]« bzw. »be­grenz­t[en]« (19) Zugriffs auf Literatur habe eine nennenswerte Einlassung auf die Literarizität der Literatur, die Eigenlogik des fiktionalen Diskurses etc. verhindert.
So plausibel diese Rekonstruktion im Ganzen ist, so irritierend sind die Ausführungen des dritten Abschnitts (»Zum Forschungsproblem«), der auf dieser Grundlage die gegenwärtige Situation bzw. die eigene Positionierung betrifft. Hier erstaunt nicht nur, dass keinerlei Auseinandersetzung mit den bemerkenswerten Ak­zentsetzungen aktueller (dogmatisch-)theologischer Literaturforschung erfolgt (evangelisch u. a. Bauke, Huizing, Wittekind; katholisch u. a. Kutzer, Tück), ja, sie wird nicht einmal bibliographisch erfasst. Erstaunlich ist auch, dass der status quo allein unter den Vorzeichen eines Mangels beschrieben wird: »Theoretische und methodische Grundlagenarbeit fehlt, und so zieht […] jede[r] alleine los […] in ein Grenzgebiet, das zwischen den Disziplinen ist und den gemeinsamen Fokus nicht findet.« (27)
In Formulierungen wie diesen zeigt sich ein starkes Bedürfnis nach dem einen längst fälligen Meisterentwurf – so als wäre es nicht sowohl legitim als auch wünschenswert, dass Theologen, der Logik ihrer jeweiligen Disziplin und Konfession folgend, »alleine losziehen« und sich für verschiedenste Aspekte der Literatur und ihrer Bezugswissenschaft interessieren. Die Pluralisierung der Zu­griffsweisen, wie sie seit geraumer Zeit zu beobachten ist, bedeutet ja fraglos einen Fortschritt gegenüber der literaturgestützten Theo­logiekritik im Stil Sölles oder Kuschels. Nach der pointierten Stellungsnahme zur älteren Forschung nimmt sich Schults abschlie ßende Beschreibung des – besseren – Programms des Bandes denn auch reichlich vage aus: Den »Wortwelten der anderen« sei »mit dem nötigen methodischen Respekt zu begegnen« (29), was bedeutet: durch den dezidierten Anschluss an die literaturwissenschaftliche Spezialforschung (30).
Das Spektrum der materialnahen Untersuchungen, die auf diese Eröffnung folgen, ist ausgesprochen weit. Der jeweiligen Disziplin der Autorinnen und Autoren gemäß werden etwa die Gastliche[n] Wortwelten in der Antike (John), der Magelone-Stoff als Lektüre der Reformationszeit (Weide) oder Kierkegaard als religiöser Schriftsteller (Ahlmann) untersucht; kanonische Texte wie Thomas Manns Josephs-Romane (David) oder Melvilles Moby-Dick (Pa­-schen) kommen ebenso zur Sprache wie Entlegeneres, seien es die Dramen George Taboris (Muhl) oder Material über Magie und Zauber in der Literatur (Hoffmann).
Nach den Ausführungen Schults muss auffallen, dass die Autoren fast durchgängig auf ausdrückliche methodisch-hermeneu­tische Erwägungen verzichten, und dies nicht nur im Blick auf die interdisziplinäre Gesprächslage im Allgemeinen (und den markierten Aspekt der Literarizität im Besonderen), sondern eben auch bezüglich des theologischen Erkenntnisinteresses. Profilierte Problemstellungen, wie sie die Beiträge von Imke Hinrichs (Seelsorge mit Astrid Lindgren) oder Irmelin Heyel (Antike Erzählweisen: Der Liebesroman Kallirhoe und die Evangelien) auszeichnen, bilden die Ausnahme. Die Regel sind systematisch schwach konturierte Kommentierungen bestimmter (Aspekte) literarischer Werke. Was im Rahmen der Ringvorlesung sicher geschätzt wurde – das lockere Parlando, die ausführlichen Inhaltsparaphrasen und Zitate –, wirkt im Lesetext etwas ermüdend, vor allem, wenn sich die Ausführungen nicht zu nennenswerten Thesen verdichten.
Eine Kritik, die einen der stärkeren Beiträge gerade nicht be­trifft: Michael Pietsch bezieht in seinen Überlegungen zu den An­fängen der Buchreligion im Alten Testament klar Position; insofern er aber ein bekanntes religionsgeschichtliches Problem traktiert und auf die Erkundung fremder »Wortwelten« verzichtet, passt der Beitrag nicht wirklich in den Publikationskontext.
Aufgrund der genannten Schwächen, aber auch bedingt durch sein im Ganzen unspezifisches Profil, kann der Band im Reigen der Neuerscheinungen auf dem Feld von Theologie/Literatur(wissenschaft) keinen besonderen Rang beanspruchen. Sein Wert liegt auf der Ebene des gelungenen Einzelbeitrags. Das zeigt sich nicht zuletzt in Schults abschließender Untersuchung der Bibellektüren literarischer Ge­stalten Fjodor Dostojewskis, Ingeborg Bachmanns und Ingo Schulzes.