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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

350–352

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Tschuggnall, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mozart und die Religion.

Verlag:

Anif u. a.: U. Mueller-Speiser 2010. IX, 268 S. m. Abb. = Im Kontext, 30. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-902537-16-4.

Rezensent:

Konrad Klek

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Riedel, Friedrich Wilhelm [Hrsg.]: Mozart und die geistliche Musik in Süddeutschland. Die Kirchenwerke von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart im Spannungsfeld zwischen klösterlicher Musiktradition und aufklärerischem Staatskirchentum. Sinzig: Studio-Verlag 2010. 283 S. m. Abb. u. Notenbeisp. = Kirchenmusikalische Studien, 12. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-89564-137-4.


Etwas spät zum Pflücken reif gewordene Früchte des Mozart-Jahres 2006 sind diese beiden Bände, die jeweils Referate eines Symposions im Jubiläumsjahr (250. Geburtstag) bündeln. Mit geistlicher Musik und Religion werden Aspekte von Werkschaffen und Persönlichkeit W. A. Mozarts thematisiert, die im Gefolge von Wolfgang Hildesheimers Biographie (1977) und Milos Formans Amadeus-Film (1984) eine Zeit lang als weniger chic galten, da sie angeblich das »Genie« ungebührlich in traditionsbestimmte Koordinaten einschränkten. Inzwischen ist das aber wieder en vogue.
Im ersten Band ist ein in Augsburg lokalisiertes Symposion do­kumentiert, das demgemäß Vater und Sohn Mozart bzw. »die Mozarts« in den Blick nimmt, um die erwünschten regionalen Fördermittel abgreifen zu können – Leopold Mozart war aus Augsburg gebürtig. Damit wird allerdings dezidiert der im Wortsinn herkömmliche Rahmen des künstlerischen Agierens mit der charakteristischen, starken Gewichtung der Kirchenmusikpraxis thematisch. Für Sohn Mozart war dies bis zu seiner Demission aus der Salzburger Verpflichtung 1782 via berühmtem Fußtritt seitens des Erzbischofs auch berufliche Aufgabenstellung.
Man merkt diesem Band die Herkunft aus einem Symposion mit oft weniger zwingenden Referatskonstellationen überhaupt nicht an. Im Gegenteil, die Beiträge ergänzen sich ideal und er­schließen den Horizont des Kirchenmusikschaffens der beiden Mozarts, vorrangig allerdings des berühmteren der beiden, in den spezifisch süddeutschen Koordinaten, fast wie in einem Lehrbuch. Dazu tragen auch zahlreiche essentielle (Faksimile-)Abbildungen, tabellarische Auflistungen und Notenbeispiele bei. Diesbezüglich hat sich die Zeit des Reifens der Editionsfrucht unbedingt gelohnt.
Am Anfang stehen drei Beiträge zum kirchenmusikalischen und gesellschaftlichen Umfeld der Mozarts zwischen einerseits regionalem Mäzenatentum durch die lokalen Fürstbischöfe (W. Wüst) und persönlichen Beziehungen zu süddeutschen Klöstern (R. Müns­ter), andererseits gesamtdeutschem Horizont, fokussiert auf die rasch hintereinander folgenden Habsburger Kaiserkrönungen 1790–1792 mit einschlägigem zeremoniellen Aufwand (W. Brauneis). Die Prägung des jungen Mozart durch seine Italienreise mit dem höchst relevanten Schülerverhältnis zum weltberühmten Padre Martini (Bologna), der Instanz in Sachen (katholische) Kirchenmusik schlechthin, beleuchten sodann zwei Referate (C. Stadelmann, S. Gmeinwieser), ehe als zentrale Fragestellung die kirchenmusikalischen Gattungen in ihren Beziehungen zum litur­-gischen Zeremoniell erörtert werden. Hier insbesondere tritt der Lehrbuchcharakter positiv hervor. Der Herausgeber F. W. Riedel präsentiert eine mustergültige Übersicht über die damals in den verschiedenen sakralen Institutionen gültigen (und unter dem Diktat der Aufklärung charakteristisch eingeschränkten) litur­-gischen Formen und die dem entsprechenden musikalischen Gattungen. Mozarts einschlägiger Werkbestand wird dem präzise zu­geordnet. Mit den Aspekten der Musik zum Offertorium (G. Krombach), dem Spezifikum der Vesperae solennes (W. Hochstein) und den Litaneien (M. Marx-Weber), hier namentlich der umfangreiche Werkbestand von Vater Mozart, werden wichtige Gattungen jenseits des Messordinariums, das in der künstlerischen wie wissenschaftlichen Rezeption sonst bevorzugt wird, angesprochen. Drei auch im Blick auf die heutige Aufführungspraxis ergiebige Beiträge widmen sich verschiedenen Bereichen des Instrumentariums: den we­gen ihrer Repräsentativität so prominenten Trompeten (K. Aringer), der Orgelbegleitung (F. K. Praßl) und der Besetzung der sonstigen Continuo-Instrumente (J. Focht). Unter »Varia– Kuriosa« verbucht sind abschließend durchaus erhellende Ausführungen von P. Eder zu den beiden Stücken für Orgel-Spielautomaten im Laudon-Museum und tatsächlich eher »Kurioses« von L. Kacic (Bratislava) zu franziskanischen Mozart-Bearbeitungen im 19. Jh.
Dieser Band belegt signifikant, dass die präzise Erschließung des historischen Horizonts im besten Sinne des Wortes horizonterweiternd wirken kann für die Wahrnehmung eines künstlerischen Werkbestands, der sich gegenüber medial wirkmächtigen Genialitätsmodellen sperrig verhält, weil eben die Koordinaten des »Herkömmlichen« in hohem Maße bestimmend sind. Deutlich wird dabei auch, dass diese für die Mozarts, Vater wie Sohn, durchaus nicht in Frage standen.
Das zweite Buch gibt einen »Mozart-Dialog« wieder, der im Ju­-biläumsjahr unter (katholisch-)theologischer Ägide in Innsbruck stattfand. Hier ist der Horizont der Fragestellungen hinsichtlich der ins Gespräch einbezogenen Mozart-Bilder weit, etwa aus der Literatur, von Kierkegaard über Ingeborg Bachmann bis zu heutigen »Vergötterungen« in Bestseller-Literatur. Dass beim Thema »Mozart und die Religion« nicht nur die kirchenmusikalischen Werke, sondern auch die Opern Relevanz haben, kommt mit »Spotlights« zu Idomeneo und Don Giovanni zur Geltung. Natürlich wird auch die nicht zuletzt mit der Zauberflöte gestellte Frage verhandelt: Wie verhalten sich Katholik und Freimaurer Mozart zueinander?
Das berufliche Spektrum der insgesamt 15 Autoren ist ebenfalls weit gespannt. Da finden sich (schwer zugängliche) literarische Beiträge des österreichischen Poeten Semier Insayif, die quer über den Band gestreut sind, ebenso wie ansprechende Farbbilder von einem Wiener Friedhof, da schöpft der aus eigener Kirchenmusikpraxis am Wiener Stephansdom mit Mozarts Messen eng vertraute Peter Planyavsky aus seinen Erfahrungen ebenso wie der Opern-Regisseur Peter Wittig (Berlin). Aus dem Bereich der Wissenschaft sind neben Theologen Philologen verschiedener Fachrichtung vertreten, aber nur wenige Musikwissenschaftler. So ergibt sich – polar zum zuvor rezensierten Band – eher eine »Varia«-Sammlung mit mehr oder weniger starker Tendenz zu »Kuriosem«. Dies korreliert wohl mit dem derzeitigen Trend, Theologie durch Integration von weniger eindeutiger »Ästhetik« interessanter zu machen. Ob das sozusagen ausgeschlachtete Sujet »Mozart« dadurch wirklich interessanter wird, ist Geschmackssache.
Bemerkenswert ist, dass hier im ästhetischen, vieldimensionalen Zugriff bis hin zur Interkulturalität (Anand Amaladass) offensichtlich ein konfessionalistisch affirmatives Interesse leitend ist: Dieser für Geister der verschiedensten Couleur so interessante Mo­zart ist »unser«, er war und blieb bewusst Katholik trotz Aufklärung und Freimaurertum! Da lässt sich auch die legendäre protes­tantische Mozart-Hagiographie von Karl Barth noch mühelos toppen durch einschlägige Passagen bei Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar (Peter Tschuggnall). Biographisch erhellend ist allerdings der von Hermann Jung (evangelisch) geführte Nachweis, dass Mo­-zart in seiner Karriereplanung mit Berufung auf seine Erfahrung und Kompetenz im »Kirchen-Styl« kurz vor dem entscheidenden Schritt in Richtung Kapellmeister am Wiener Stephansdom stand, als ihn die Infektionskrankheit 35-jährig wegraffte. Dass diese Kompetenz gerade auch durch Studien am Schaffen der Protestanten Bach und Händel erworben worden war, die wesentlich zur Profilierung des Opus ultimum Requiem beitrugen und diesem versehentlich das Zitat eines protestantischen Cantus firmus eintrugen, das wäre auch eine »Variation« zum Thema »Mozart und die Religion« gewesen.
Abschließend seien drei Beiträge mit der subjektiven Ge­schmackswertung »besonders wertvoll« seitens des Rezensenten benannte: S. B. Würffel: Mozart auf der Reise in den Himmel. Verehrung und Verklärung in neuerer Mozart-Belletristik; P. Wittig: König von Kreta – biblischer Held? Mozarts Idomeneo im Schnittpunkt der Überlieferungen, oder: verschiedene Gründe, seinen Nachwuchs umzubringen; R. A. Siebenrock: Aufklärung und Religion. Versuch eine Vermessung am Beispiel des Verhältnisses von Josephinismus und katholischer Kirche.