Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2013

Spalte:

349–350

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bunners, Christian

Titel/Untertitel:

Protestantismus und Literatur. Der Dichter Fritz Reuter (1810–1874).

Verlag:

Neumünster: R. von Bockel 2012. 259 S. m. Abb. = Mecklenburger Profile, 6. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-932696-88-6.

Rezensent:

Gert Haendler

Christian Bunners hatte 1987 in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin (Ost) ein Heft über Reuter herausgebracht, aus dem vier Arbeiten hier erfreulicherweise nochmals abgedruckt werden. Der jetzige Band enthält neun Arbeiten. Und die köstlichen Abbildungen – zeitgenössische und moderne – erhöhen noch das Lesevergnügen.
Der Band beginnt mit Reuters religiöser Biographie nach seinen Briefen. Im Register der Briefedition ist »Gott« der am häufigsten genannte Begriff (17). Gott steht oft mit Eigenverantwortung im Zusammenhang. Reuter schrieb einem Freund, sein »Kinderglaube« sei ihm zerbrochen, er beschäftige sich »mit wahren Grundsätzen der Religion«. Er verstehe »die moralische Tendenz«, aber »an ihren Mysterien« sei er gescheitert. Reuter wendete sich jedoch nicht vom Christentum ab, »wie es zeitweise bei Heinrich Heine, radikal bei Georg Büchner, Ludwig Feuerbach oder Gottfried Keller der Fall gewesen ist«. Reuter behielt »Glaubensantworten des Chris­tentums für sich selber und für seine Leser« (22). Aufsatz II zum Epos »Hanne Nüte« zeigt Reuter als Kritiker: Eine Sperlingsfamilie feiert Taufe, ein Truthahn predigt, es gibt viel zu lachen. Aber dabei bleibt die kirchliche Grundlage, nur Einzelheiten werden verspottet. Reuter kannte viele Pastoren, die mit ihrer Frömmigkeit »warme helfende Menschlichkeit verbunden haben« (53).
Aufsatz III »De lütt Fru Pasturin« schildert die Frau des Pastors Behrens in der »Stromtid«. Ein Wischtuch und die Worte »Ich bin dazu die Nächste« kennzeichnen diese Pfarrfrau, die primär ihren Mann unterstützt. Sie hat aber auch eigene Interessen und eine eigene Bibliothek. »Die Fröhlichkeit von Refina Behrens hat er in Zusammenhang mit ihrer Frömmigkeit gebracht« (73). Aufsatz IV bietet eine Ethik des Geldes nach Reuters Roman »Dörchläuchting«. Die Überheblichkeit des Fürsten schildert er satirisch, Höhepunkt ist der Auftritt der Bäckersfrau Schulze, die beim Landesfürs­ten Schulden einfordert. Gegenbild ist der Konrektor und Kantor Aepinus – nach Reuter ein Freund Lessings. Das gestörte Verhältnis des Herzogs zum Geld ist »die Folge eines gestörten Welt- und Gottesverhältnisses«. Bei Aepinus gibt es ein »Miteinander von eigenem Einsatz und der Hoffnung auf Gottes Führung« (103).
Aufsatz V »Fritz Reuters Auftreten auf dem Protestantentag 1865 im Spiegel der Publizistik« zeigt die Unterschiede: Die Evangelische Kirchenzeitung kritisiert: »Reuter auf der Rednerbühne – da wußte man nicht mehr, daß man in einem Gotteshause war, da hatte das weltliche Christentum Rothes seinen Einzug in die Nicolaikirche gehalten« (108). Die Protestantische Kirchenzeitung berichtet: Reuter »erklärt den Stand der mecklenburgischen Kirche aus den sozialen Verhältnissen des Landes«: Den Gutsherren wirft er vor, »daß sie den kleinen Mann ins Elend bringen und zur Auswanderung nötigen«. Im Protokoll steht: Reuter vermehrte das Bild mit »drastischen Zügen, die ein aus Heiterkeit und tiefstem Unwillen gemischtes Gefühl in der Versammlung hervorriefen« (111).
1867 trat Ludwig Reinhard für Reuter ein: Man solle Reuter nicht vorwerfen, dass er von der Erbsünde schweige. Reinhard rühmt »die Redlichkeit und Reinheit von Reuters menschlichem und poetischem Charakter« (Aufsatz VI, 125). In der Protestantischen Kirchenzeitung schrieb 1867 der Berliner Pfarrer Adolf Thomas »Über Kein Hüsung von Fritz Reuter«. Das Werk wurde kritisiert als »gottlos und subversiv, jeder menschlichen und göttlichen Autorität Hohn sprechend« (134). Dazu sagt Thomas: »Der Geist eines heiligen Zornes der Liebe hat den Dichter zu seiner Dichtung inspiriert, hat ihm die flammende Fackel gereicht, um schreiendes Unchristentum im Christenbunde aufzudecken und es richtender Verachtung preiszugeben« (158).
Aufsatz VII beginnt mit Reuters Tod 1874. Die Protestantische Kirchenzeitung nennt ihn »einen der beliebtesten Schriftsteller des deutschen Volkes« (161). 1876 sprach der Erfurter Pfarrer Richard Bärwinkel über Reuters »Ut mine Stromtid«. Reuter schweige zwar über die »Mysterien«, er sei jedoch ein »Baustein im Staudamm gegen die fortschreitende Emanzipation von Kirche und Glaube bei Gebildeten und in der Sozialdemokratie« (165). Zu Reuters 100. Geburtstag 1910 erinnerte Pastor Rudolf Hanne an »Fritz Reuters Religion«. Trotz mancher Kritik aus kirchlichen Kreisen sah er Reuter auf einem »Eh­renplatz dicht neben unseren Klassikern« (169). Zu Reuters 50. Todesjahr 1924 schrieb der Theologe August de Haas über »Fritz Reuters religiöse und soziale Weltanschauung«. 1927 erwähnte der Schweriner Landesbischof Heinrich Behm in einem Vortrag »Das evangelische Kulturideal« Fritz Reuter (176). Den Rostocker Theologen Gottfried Holtz bezeichnet B. als »Begründer einer wissenschaftlich-theo­logischen Reuter-Forschung« (178). Holtz hatte Details in Reuters Werken, die Lage der Landarbeiter in Mecklenburg und die grundsätzliche Bedeutung des Plattdeutschen untersucht. Zuletzt nennt B. zwei im Jahre 2006 gedruckte Arbeiten über Reuter von Dieter An­-dersen, einem Theologen und Kenner der norddeutschen Kulturgeschichte und plattdeutschen Sprache.
Beitrag VIII »Dietrich Bonhoeffer, Mecklenburg, Fritz Reuter« bringt Kindheitserinnerungen; eine Neigung zu Norddeutschland blieb. Bonhoeffer hat Reuter oft und gerne gelesen. Besonders beeindruckt hat ihn der Grabspruch, den Reuter für sich entworfen hatte: »Der Anfang, das Ende, o Herr, sind Dein. Die Spanne dazwischen, das Leben war mein. Und irrt ich im Dunkel und fand mich nicht aus, bei Dir, Herr, ist Klarheit und licht ist Dein Haus«. Besonders bei Bonhoeffers Zweifeln während des Aufenthaltes in Amerika 1939 »hatte sich Fritz Reuters Grabspruch als seelsorgerlicher Zuspruch bewährt« (221).
Den Band beschließt ein Vortrag »Erstaunlich modern, dieser Reuter«, den B. zu Reuters 200. Geburtstag 2010 gehalten hat. »Gerade Risse und Brüche in Reuters Leben sind es, durch die moderne Leser ihn als nahe empfinden« (229). »Reuter zeigt Welt und Menschen nicht nur, wie sie sind, sondern auch, wie sie sein könnten. Das zieht an, das zieht nach vorn« (235). Theodor Fontane, Thomas Mann, Walter Kempowski und Uwe Johnson haben Reuter ge­schätzt (247). In göttlicher Gnade gründen »Entlastung und Heiterkeit, der Protest und das Trotzdem des Humors« (249). Damit ist B. nach den Untersuchungen zu Reuters Werken und Reuters Nachwirkungen auch ein voll überzeugendes Gesamturteil ge­lungen.