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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

302–304

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Law, Timothy Michael

Titel/Untertitel:

Origenes Orientalis. The Preservation of Origen’s Hexapla in the Syrohexapla of 3 Kingdoms.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 383 S. = De Septuaginta Investigationes, 2. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-53405-2.

Rezensent:

Christian Schäfer

Diese Arbeit ist die Druckfassung einer am Oriental Institute der Universität Oxford von Alison Salvesen betreuten Dissertation. Das Verdienst ihres Autors, Timothy Michael Law, besteht vornehmlich darin, erstmalig eine vollständige systematische Zusammenstellung des in der sog. Syrohexapla überlieferten hexaplarischen Materials für das 3. Königebuch (= 1Kön MT) vorgelegt zu haben.
Origenes stellte bekanntlich Mitte des 3. Jh.s n. Chr. in seinem textkritischen Monumentalwerk, der in sechs Parallelkolumnen angeordneten Hexapla, den hebräischen Text des Alten Testaments (1. Kol.) und dessen griechische Transkription (2. Kol.) sowie die im 2. Jh. n. Chr. hergestellten griechischen Übersetzungen bzw. Re­-visionen des Aquila (3. Kol.), Symmachus (4. Kol.) und Theodotion (6. Kol.), also der sog. »Drei«, nebeneinander. Als 5. Kolumne enthielt die Hexapla den Text der Septuaginta (LXX), den Origenes unter Verwendung der sog. »aristarchischen« Zeichen (benannt nach dem alexandrinischen Philologen Aristarch von Samothrake) seiner hebräischen Vorlage anglich: Mit dem Asteriskus am Anfang und dem Metobelus am Ende versah er Auslassungen der LXX ge­gen­über dem hebräischen Text, die er aus den »Dreien« ergänzte. Mit dem Obelus markierte er die LXX-Überschüsse gegenüber dem hebräischen Text. Erst seit Anfang des 4. Jh.s n. Chr. erfuhr die separat überlieferte 5. Kolumne der Hexapla eine große Verbreitung und avancierte, zumindest nach dem Zeugnis des Hieronymus, zum offiziellen Bibeltext in Palästina. Diese weitläufige Nutzung der origenischen Rezension, wegen ihrer Herkunft später auch »hexaplarische Rezension« genannt, führte nun allerdings dazu, dass die aristarchischen Zeichen in der griechischen Handschriftenüberlieferung fast vollständig verloren gingen, da ihr Wert ohne den hexaplarischen Kontext für Kopisten kaum mehr verständlich war.
Um das Jahr 615 n. Chr. unternahm es schließlich der syrische Bischof Paul von Tella, den Text der 5. Kolumne nicht nur nahezu wortwörtlich ins Syrische zu übersetzen, sondern auch eine Vielzahl der aristarchischen Zeichen sowie verschiedene, andernorts verloren gegangene Alternativlesarten der »Drei« zu verzeichnen. Die so entstandene Syrohexapla (Syh) ist somit ein wichtiger Ausgangspunkt sowohl für die Rekonstruktion der hexaplarischen Rezension, d. h. des Textes jener 5. Kolumne, als auch für die Zu­sammenstellung allen weiteren hexaplarischen Materials.
Die vorliegende Monographie verfolgt das Ziel, das ganze in Syh und teilweise darüber hinaus überlieferte hexaplarische Material zum 3. Königebuch systematisch zu dokumentieren und zu analysieren. Dabei legt L. den Fokus zur Rekonstruktion der hexaplarischen Rezension bewusst nicht auf Syh. Vielmehr orientiert er sich stattdessen an der Überlieferung der griechischen Handschriften, wobei er einen vorläufigen Gruppierungsversuch seitens der Herausgeber des 3. Königebuches in der Göttinger Editio critica maior übernimmt und sich zugleich auf das Material beschränkt, das Brooke-McLean (Br-M) in ihrer diplomatischen Ausgabe der LXX zur Verfügung gestellt hatten. Die Lesarten der Handschriften bietet L. in einem Apparat dar, dessen Notationsprinzipien einem Potpourri aus Br-M und einzelnen Göttinger LXX-Bänden entsprechen. Problematisch ist dabei u. a. die Verwendung der Abkürzung rell zur Bezeichnung »der übrigen« griechischen Handschriften: denn um im Rückschlussverfahren die im Apparat unter dem Sigel rell subsumierten Handschriften ermitteln zu können, bedarf es einer Auflistung aller Zeugen, die den Text eines Verses überliefern und deshalb die Grundlage für die Bestimmung der »Übrigen« bilden. Eine solche notwendige »Kopfleiste« wird in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht geboten, sondern nur eine summarische Angabe der herangezogenen Handschriften (14). Insgesamt bietet dieses Vorgehen dem Leser zwar gelegentlich interessante Zusatzinformationen, doch bleibt es wegen seiner Vorläufigkeit zu unübersichtlich. Die reine Auflistung der bei Br-M gesammelten Informationen wäre darum sicher von Vorteil gewesen.
Nicht eine Rekonstruktion der hexaplarischen Rezension aus der Überlieferung der griechischen Handschriften legt L. vor. Vielmehr liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, dass und inwiefern Syh als Quelle des hexaplarischen Materials, insbesondere der Lesarten der »Drei«, in Betracht kommt. Immerhin erscheint die Begründung L.s für diese Beschränkung plausibel (29–31). Als Textgrundlage dient ihm eine eigene Kollation der in der British Li­brary befindlichen Syh-Handschrift des 8. Jh.s n. Chr. (Add. Ms. 14437) mit deren erstmals von Paul de Lagarde besorgte Edition in dessen Bibliotheca Syriaca von 1892. Die Prinzipien seiner Materialpräsentation beschreibt L. präzise und verständlich am Ende der Einleitung (35–43). In dem sich anschließenden Hauptteil werden nun insgesamt über 540 Belege aristarchischer Zeichen analysiert und nach Kategorien zusammengestellt:
Zuerst nennt L. die im Vergleich zur origenischen Methodik korrekt ge­setzten Asterisken (44–117) und Obelen (118–178). Dabei wird einerseits die starke hexaplarische Beeinflussung des Codex Alexandrinus im 3. Königsbuch, andererseits eine nur geringe Kenntnisnahme des Textes der 5. Kolumne innerhalb der antiochenischen Tradition festgestellt. Zu den wesentlichen Ergebnissen dieses Abschnitts gehört darüber hinaus, dass etwas mehr als die Hälfte der korrekt gesetzten Obelen ausschließlich von Syh bezeugt wird, während die seltener belegten Auslassungen gelegentlich auch auf überlieferungs- und übersetzungsbedingte Ursachen zurückzuführen sind.
Es folgt die Analyse der falsch gesetzten Asterisken und Obelen, die L. in sieben verschiedene Kategorien unterteilt (179–254). Dabei zeigt sich, dass Syh im 3. Königebuch eine außergewöhnlich gute Zeugin für die aristarchischen Zeichen ist.
Schließlich werden in einem gesonderten Abschnitt sämtliche Lesarten präsentiert, die einem der »Drei« (255–316) zugeschrieben werden können. Ihre Dokumentation untergliedert L. in Rand- und Textlesarten, wobei die Textlesarten hauptsächlich Aquila, die Randlesarten hingegen vor allem Symmachus zuzuordnen sind. Diese Favorisierung des Symmachus resultiert nach Einschätzung L.s aus einer Beeinflussung der syrischen Exegese durch die antio­chenische exegetische Tradition, möglicherweise vermittels der Catenen-Überlieferung (316). Die genaue Klärung dieser These überlässt L. allerdings zukünftiger Forschung.
Um die Quellen hexaplarischer Lesarten möglichst umfassend zu erschließen, stellt L. im letzten Kapitel exemplarisch das außerhalb von Syh tradierte hexaplarische Material zusammen (317–361). Nur eine minimale Überlieferung der aristarchischen Zeichen im 3. Königebuch ist nach seiner Beobachtung außerhalb von Syh erkennbar. Hingegen verweist L. auf zahlreiche Fälle, in denen zwar keines der Zeichen überliefert, wohl aber als ursprünglich gesetzt zu vermuten ist.
Die Bedeutung des von ihm solchermaßen aufbereiteten Materials charakterisiert L. in seinem Gesamtfazit (362–370) folgendermaßen: »From this material, we learn about Jewish approaches towards the translation and interpretation of the Scriptures, and we gain insight into the attitudes of Christians in Late Antiquity regarding the preservation of variant readings within the Old Testament textual tradition, and the selection of material for their own exegetical ends« (369). Weder die, formal gesehen, unübliche Schreibweise des Griechischen, bei welcher mit Ausnahme eines längeren Origenes-Zitates (17) stets auf sämtliche Akzente verzichtet wurde, noch die ungewöhnliche linksbündige bzw. Blocksatz-Ausrichtung der hebräischen und syrischen Texte können den positiven Gesamteindruck dieser Arbeit in Frage stellen: L. wird seinem vornehmlichen Ziel, grundlegende Vorarbeiten für eine kritische Ausgabe des hexaplarischen Materials im 3. Königsbuch vorzulegen, in vollem Umfang gerecht.